W&F 2000/1

Ja zur Friedensarbeit – auch wenn es eine Sisyphosarbeit ist

von Albert Fuchs

Was aber bedeutet friedenspolitische Verankerung in Zeiten der schamlosen Remilitarisierung der Politik (Kosovo, Tschetschenien…)? In Zeiten des ersten deutschen – zu allem Überfluss auch noch rot-grünen – Nachkriegs-Kriegskabinetts? Und angesichts der nicht abbrechenden Kette der friedenspolitischen Flopps dieses Kabinetts? Und was bedeutet friedenswissenschaftliche Verankerung in Zeiten der Rechtfertigung militärischer Gewalt durch gestandene FriedenswissenschaftlerInnen? Ich denke in solchen Zeiten sind wir gehalten, uns auf unsere vorrangige Verankerung in der Friedensbewegung zu besinnen.

Was das aber eigentlich heißt möchte ich jemanden sagen lassen, der das authentischer kann als unsereins mit dem bisweilen naiven Glauben an Friedenswissenschaft und der oft distanzlosen Hoffnung auf Friedenspolitik, den US-amerikanischen Jesuitenpater und Friedensaktivisten Daniel Berrigan:

„Wir nennen uns Friedensstifter, doch wir waren – aufs Ganze gesehen – nicht bereit einen nennenswerten Preis dafür zu bezahlen. Und weil wir den Frieden mit halbem Herzen und halbem Leben wollen, geht der Krieg natürlich weiter, denn das Kriegführen ist seiner Natur nach total, doch das Friedensstiften ist aufgrund unserer Feigheit partiell. So gewinnt ein ganzer Wille, ein ganzes Herz und ein ganzes nationales Leben, auf Krieg aus, Oberhand über das kraftlose, zögernde Wollen des Friedens(…)

Doch was ist der Preis des Friedens? Ich denke an die guten, ehrbaren, friedliebenden Leute, die ich zu Tausenden kenne, und ich frage mich: Wie viele leiden an der zehrenden Krankheit der Normalität, sodass, selbst wenn sie sich zum Frieden bekennen, ihre Hände in instinktivem Krampf in Richtung ihrer Angehörigen, in Richtung ihres Komforts, ihres Heims, ihrer Sicherheit, ihres Einkommens, ihrer Zukunft, ihrer Pläne greifen – des Fünfjahresplans für das Studium, des Zehnjahresplans für die berufliche Stellung, des Zwanzigjahresplans für das familiäre Wachstum und die familiäre Eintracht, des Fünfzigjahresplans für ein anständiges Berufsleben und eine ehrenvolle Entlassung in den Ruhestand. »Natürlich wollen wir den Frieden«, so rufen wir, »doch zugleich wollen wir die Normalität, zugleich wollen wir nichts verlieren, wollen wir unser Leben unversehrt erhalten, wollen wir weder Gefängnis, noch schlechten Ruf, noch die Zerreißung persönlicher Bindungen«. Und weil wir dieses erlangen und jenes bewahren müssen und weil der Fahrplan unserer Hoffnungen um jeden Preis – um jeden Preis – auf die Minute eingehalten werden muss, weil es unerhört ist, dass im Namen des Friedens ein Schwert nieder fahren soll, das jenes feine und kluge Gewebe, das unser Leben gesponnen hat, zertrennt, weil es unerhört ist, dass gute Menschen Unrecht leiden sollen, Familien getrennt werden oder der gute Ruf dahin ist – deswegen rufen wir Friede und rufen Friede und da ist kein Friede. Da ist kein Friede, weil da keine Friedensstifter sind. Es gibt keine Friedensstifter, weil das Friedensstiften mindestens so kostspielig ist wie das Kriegführen – mindestens so anspruchsvoll, mindestens so zerreißend, mindestens so geeignet, Schande, Ärger und Tod nach sich zu ziehen.“

Offen gesagt: Auf Anhieb geht mir diese penetrante Rede vom Preis des Friedens und Friedenstiftens gegen den Strich. Wahrscheinlich ist sie auch für Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, befremdlich, beängstigend, jedenfalls eine Zumutung. Was will der Mann überhaupt? Sollen wir vielleicht alle zu MärtyrerInnen werden?

Und dennoch: Es ist was dran – an dem was er sagt. Spätestens seit sich die mit der Bundestagswahl vom September 98 bestellten GärtnerInnen als friedenspolitische Böcke erwiesen haben, die machen was Kohl & Co. nur vorzubereiten wagten – nämlich Krieg –, haben wir allen Grund uns Berrigans harter Kritik zu stellen. Denn was ist für Friedensbewegte die Alternative dazu bzw. zu einem neuen, »preisbewussten« und entschiedenen Engagement? Wegducken wenn die Neu-OrdnerInnen der Welt überbeschäftigt sind? Aber auch Wegducken hat seinen Preis – zumindest den »symbolischen« unserer Identität! Aus der Geschichte wissen wir zudem nur allzu gut, dass der Preis des Wegduckens auch viel weniger »symbolisch« und sehr, sehr hoch sein kann. Andererseits: Zwischen Wegducken und Martyrium gibt es viele Übergänge, einen breiten Grenzstreifen des Widerstands.

Ich wünsche uns und Ihnen zum blutigen Ausgang dieses gewaltbesoffenen Jahrhunderts, dass jede und jeder erneut seinen Platz in jenem Grenzstreifen findet, erneut das Ja des »l'homme revolté« (A. Camus) einbringt – und sei es im Bewusstsein einer Sisyphusarbeit!

Ihr Albert Fuchs

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/1 Der schwierige Weg zum Frieden, Seite