W&F 1995/2

Japan sucht eine Gelegenheit zur Kapitulation

Einschätzungen aus dem Marineministerium im Mai/Juni 1945

von Lewis L. Strauss

Ein Memorandum, das ich am 7. Mai 1945 für den Marineminister verfaßte, enthält zwarnicht die Auffassungen so hoher Instanzen, gibt aber Aufschluß über die Meinungen imMarineministerium gegen Kriegsende:

„Lieber Jim!

… Es besteht die Möglichkeit, daß der Sieg in Japan schneller auf den Sieg inEuropa folgt, als es vom Standpunkt der Kriegsanstrengung her anzunehmen ratsam ist.Ratsam wäre jedoch, sich auf ein recht frühes Kriegsende einzustellen. Vielleicht wärees deshalb ganz nützlich, von den verschiedenen Abteilungen des Ministeriums Berichtedarüber anzufordern, was für Maßnahmen hinsichtlich (a) neu abzuschließenderLieferverträge, (b) laufender Aufträge und (c) des Personalstandes unter derVoraussetzung zu ergreifen wären, daß der Krieg mit Japan zum Beispiel am 1. August oderspätestens bis zum 31. Dezember dieses Jahres beendet ist.“

Von diesen individuellen Beurteilungen der Lage ganz abgesehen, besaßen dieVereinigten Staaten eine verläßliche Informationsquelle über Japan in der Möglichkeit,praktisch den gesamten Funkverkehr zwischen dem japanischen Außenministerium und denBotschaften in Übersee abzufangen und schnell zu dechiffrieren. Daher wußten wir, daßdie Japaner nicht nur von ihrer Niederlage überzeugt waren, sondern auch so schnell wiemöglich den Krieg beenden wollten.

(…)

Staatssekretär Ralph Bard, der das Marineministerium im interministeriellen Ausschußfür Atomenergie (dem Vertreter des Verteidigungs-, Marine- und Außenministeriumsangehörten) vertrat, brachte damals seine Ansichten freimütig zu Papier:

„27. Juni 1945

Memorandum zum Einsatz der S-1-Bombe

Solange ich mich mit diesem Programm befaßt habe, bin ich der Meinung, daß Japan beimEinsatz der Bombe etwa zwei oder drei Tage vor ihrem Abwurf auf irgendeine Weise gewarntwerden sollte. Dafür sprechen in erster Linie die Stellung der Vereinigten Staaten alsVorkämpfer der Humanität und der Gerechtigkeitssinn unseres Volkes. In den letztenWochen habe ich auch den sehr bestimmten Eindruck gehabt, daß die japanische Regierungnach einer Gelegenheit zur Kapitulation sucht. Nach der Dreimächtekonferenz könntenamerikanische Unterhändler an einem geeigneten Ort an der chinesischen Küste mitVertretern Japans zusammentreffen und sie über die Haltung Rußlands sowie den geplantenEinsatz der Atombombe informieren. Daneben könnten sie ihnen mitteilen, was derPräsident hinsichtlich des Kaisers von Japan und der Behandlung des japanischen Volkesnach der bedingungslosen Kapitulation zuzusichern bereit ist. Es erscheint mir sehr wohlmöglich, daß dies die Gelegenheit darstellen würde, nach der die Japaner suchen.

Ich wüßte nicht, was wir bei einem solchen Vorgehen zu verlieren hätten. Es steht soungeheuer viel auf dem Spiel, daß ein Plan dieser Art meiner Überzeugung nach sehrernsthaft erwogen werden sollte. Ich glaube nicht, daß es in den Vereinigten Staatenunter den gegenwärtigen Umständen irgend jemand gibt, dessen Beurteilung derErfolgsaussichten eines solchen Vorhabens sehr verläßlich wäre. Was dabei herauskommt,läßt sich nur durch den Versuch herausfinden.

(gez.) Ralph A. Bard“

Quelle: Lewis L. Strauss, Kette der Entscheidungen. Amerikas Weg zur Atommacht,Droste Verlag, Düsseldorf 1964, S. 216 und 220.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1995/2 Hiroschima und Nagasaki, Seite