W&F 2002/4

Jerusalems Weg zu einer segregierten Kleinstadt in Großformat

von Viktoria Waltz

Ein Jahrhundert zionistischer Planung haben Jerusalem grundlegend verändert. Vor allem seit 1967 hat die israelische Regierung alles daran gesetzt, mit Hilfe von Planen und Bauen Jerusalem in eine mehrheitlich israelisch jüdisch bestimmte Stadt zu verändern und Bevölkerungsmehrheiten zu Gunsten israelisch jüdischer Mehrheiten zu schaffen – so wie es bereits die zionistische Bewegung seit Beginn des Jahrhunderts für das Land Palästinas durchgeführt hat. Erst recht seit Beginn des sogenannten Friedensprozesses im Jahre 1993 hat die israelische Regierung die Anstrengungen vervielfacht, die palästinensische Seite mehr und mehr zu unterdrücken, zu entmachten, ihre Anwesenheit zu verringern und das soziale und wirtschaftliche Leben der Menschen zu kontrollieren und zu beschneiden. Seit 1993 ist Ost-Jerusalem von der West Bank quasi vollständig abgeschnitten. Als Sharon, umgeben und abgeschirmt von vielen Sicherheitskräften und Militärs, im September 2000 den Haram Al Shareef, den heiligen Bezirk von Felsendom und Salomon Tempel, beschritt, brachte er nur zum Überlaufen, was bereits seit Jahren gekocht hatte.
Heute leben in der Altstadt etwa 30.000 und in gesamt Jerusalem etwa 210.000 Palästinenser (vgl. PCBS 1998). Sie bilden in Ost-Jerusalem in den von Israel gesetzten Grenzen von 1967 neben etwa 170.000 illegalen Siedlern noch die Mehrheit der Einwohnerschaft, bezogen auf Gesamt-Jerusalem haben sie allerdings nur noch einen Anteil um die 30%. Noch definiert sich die Stadt gleichermaßen als christliches wie als islamisches Weltzentrum. Noch ist der Salomon-Tempel nicht wieder errichtet, wovon manche der reaktionärsten Siedlergruppen träumen mögen wie einst Theodor Herzl (vgl. Herzl, 1897).

Alle Israelischen Regierungen arbeiten seit 1967 aktiv daran, die Hauptstadtfrage auch in Ost-Jerusalem für Israel zu entscheiden – mit denselben, erfolgreichen vor allem raumplanerischen Mitteln, die seit 1897 zur Staatsgründung geführt haben:

  • Landerwerb und Besetzung von Land und Gebäuden,
  • Zerstörung vorhandener, arabischer Besiedlung und Bebauung,
  • Errichtung neuer Bebauung und jüdischer Besiedlung,
  • Schaffung von regionalen israelisch/jüdischen Bevölkerungsmehrheiten,
  • Errichtung neuer Straßen und Straßenführungen als Barrieren zwischen und Umgehung von palästinensischen Gebieten und
  • Grenzziehungen nach strategischen Gesichtspunkten. (vgl. Waltz/Zschiesche 1986)

Vor allem zionistische Planung hat Jerusalem seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von einer jungen, weltoffenen Metropole in eine ethnisch segregierte Frontstadt verwandelt.

Jerusalems kurzer Aufbruch in eine kosmopolitische Epoche

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine suburbane Besiedelung Jerusalems außerhalb der Altstadtmauern vor allem durch wohlhabende Palästinenser, die die Enge der Altstadt verließen und dort auf ihrem Landbesitz Sommerhäuser und Villen im neuen Baustil des Art Deco oder Bauhauses errichteten. Christlich-missionarisch motivierte europäische Gemeinden kamen dazu – begünstigt durch die beiden osmanischen Bodenreformen von 1839 und 1856, die es auch nicht-osmanischen Bürgern erlaubte, Land zu kaufen. So entstanden neue Stadtquartiere in Baq’a, Beit Jala, Qatamon und Talbiya im Süden, in Mal’ha im Südwesten sowie Bab al Sahra, Mamilla, Musrara und Sheich Jerah im Norden der Altstadt. Auf den westlichen Hügeln vor der Stadt entstanden christliche Klöster, deutsche Templer und jüdische Gemeinden gründeten dazu erste Wohnquartiere wie das Windmühlenviertel. Seit dem Baseler Welt-Zionisten-Kongress 1897 nahm der »Palestine Exploration Fund« den Bau neuer jüdischer Wohnsiedlungen in der heutigen Neustadt vor. (vgl. Davis 1999, 21ff.)

1870 wurden zwischen 14.000 bis 22.000 Einwohner in der Stadt registriert. In einer weiteren Welle suburbaner Besiedelung entstanden außerhalb der Altstadtmauern vor allem religiöse Einrichtungen und Quartiere der griechisch- und russisch-orthodoxen Kirche. Deutsche und römische Katholiken, sowie Lutheraner konkurrierten ebenfalls um Präsenz und Einfluss im »Heiligen Land«. Sie errichteten nicht nur Kirchen und Klöster, sondern bauten dazu Wohnungen, Schulen, Werkstätten und Krankenhäuser. (vgl. Elan 1984, Schölch, 1981: 11-46)

In den frühen Vierzigern, noch unter dem englischen Mandat, drangen die neuen Quartiere bis in die benachbarten Jerusalemer Dörfer Lifta, Malha, Deir Yasin und ‘Ayn Karim vor. Dazu kamen neue Wohnquartiere der europäischen jüdischen Migranten wie Mekor Hayim, Yemin Moshe, Mea She’arim und Rehavia.

1915 war die Bevölkerung der Gesamtstadt auf etwa 80.000 angewachsen. In der Neustadt lebten 1917 etwa 35.000 – 40.000 Menschen, also knapp die halbe Stadtbevölkerung. Von den etwa 12.000 Muslimen lebten 2.000 – 2.400, von den etwa 45.000 Juden 29.000 und von den etwa 18.000 Christen lebten etwa 5.000 – 6.000 Christen in der Neustadt. (vgl. Ben Arieh 1986, 241, Kark, Landmann, 1980, 131)

Schließlich setzte sich die Neustadt Jerusalems aus einem multikulturellen Mosaik ethnisch und religiös unterschiedlich definierter sozialer Gruppen zusammen. Die Ränder all dieser Nachbarschaften und Gemeinden bildeten im Rahmen der weiteren städtischen Entwicklung in der Neustadt den Grundstock für die ersten arabisch-jüdisch gemischten Gebiete der Stadt, in denen sich Koexistenz wie gemeinsame soziale, kulturelle und wirtschaftliche Abhängigkeiten und Beziehungen entwickelten.

Die zionistische Bewegung hatte anfangs dem Projekt Jerusalem keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, denn die bestehende jüdische Gemeinde von Jerusalem setzte sich zu 50% aus alten Bewohnern, also nicht-zionistischen Juden zusammen. 1910 machten die Jerusalemer Juden etwa die Hälfte aller jüdischen Einwohner Palästinas aus, aber 1944 bildeten sie nur ein Fünftel, denn die meisten jüdischen Migranten hatten sich bevorzugt in den Küstenstädten, vor allem in der europäisch geprägten neuen Stadt Tel Aviv und in Haifa niedergelassen. (vgl. Kellermann, 1996, 191)

Erst nachdem die ersten Teilungsvorschläge für Palästina öffentlich wurden und der Bericht der Peel-Kommission 1937 bekannt wurde, der die Einwanderung der europäischen Juden limitierte, wurde auch in Jerusalem eine strategische Besiedelung verfolgt. Das Projekt Jerusalem wurde – wie heute – verstärkt von Zionisten außerhalb Palästinas gefördert. (vgl. Rempel 1999, 195)

Die Jerusalemer Neustadt war mittlerweile zu einem Symbol »moderner Lebensführung« geworden: Luxuriöse Bauten mit europäischen Bau-Elementen im Bauhaus oder Art-Deco Stil, Säulen, Balkone, Veranden und gewalmte Dächer mit roten Ziegeln drückten die neue Weltoffenheit aus. Jerusalem war der Sitz großer Handelsunternehmen, Banken und kleiner Fabriken geworden. Clubs, internationale Schulen, Buch- und Zeitungsverlage erfreuten sich überregionaler Bedeutung und waren von einem kosmopolitischen und offenen Klima beherrscht.

Am Ende der Mandatszeit war Jerusalem zur zweitgrößten Stadt Palästinas geworden mit über 164.000 Einwohnern, zusammengesetzt aus ca. 99.000 Juden und 65.000 Christen und Muslimen. Die Mehrheit der Juden und etwa die Hälfte der arabischen Christen und Muslime lebten in der Neustadt.

Das kosmopolitische Flair der Stadt änderte sich mit dem Kampf um die Staatsgründung Israels und die Eroberung der westlichen Neustadt durch zionistische Truppen im Jahre 1948.

Die Ethnisierung und Spaltung der Stadt

Die Teilungsresolution der UN von 1947, die darauf folgenden Kämpfe und Auseinandersetzungen, der Auszug der Mandatsmacht England aus Palästina und die Proklamation des israelischen Staates am 15. Mai 1948, sowie der folgende Krieg veränderten die Entwicklung Jerusalems grundlegend.

1948 fiel ein Großteil der Neustadt in die Hände der zionistischen Truppen, der späteren israelischen Armee, während die arabischen Truppen die Altstadt und die östlichen Ränder der Neustadt hielten, die unter jordanische Hoheit fielen. In Rahmen der Kämpfe und späteren Waffenstillstandsverhandlungen mussten etwa 30.000 Palästinenser mit ihren Familien die unmittelbare Neustadt und etwa 2.000 Juden die Altstadt verlassen. Die Jerusalemer Flüchtlinge aus der Neustadt verloren ihre Häuser, Geschäfte, Büros, Fabriken, dazu Existenzgrundlagen wie Bankkonten, Besitztümer und Land. Der Verlust wurde auf 3 Mio. damalige palästinensische Pfund und 30 Mio. Pfund an Land und Gebäuden geschätzt. Die kurzfristig gedachte Flucht vor den Kämpfen konnte nie wieder rückgängig gemacht werden. Nachdem die Flüchtenden zu Teilen wieder in der Altstadt unterkamen, flüchteten andere in die West Bank und viele von ihnen blieben später in den Lagern der Vereinten Nationen oder wanderten aus. (vgl. Davis 1999, 32ff.)

Die Teilung der Stadt und die Evakuierung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus der Neustadt und ihren umliegenden Dörfern war das Ergebnis eines systematischen Planes der Haganah (Vorläufer der israelischen Armee), der als »Plan Dalet« bekannt wurde, um die ganze Gegend für immer von arabischen Dörfern und feindlichen oder potenziell feindlichen Bewohnern zu reinigen. (vgl. Morris 1987, 111, Waltz/Zschiesche 1986, 97 ff.)

Insgesamt 38 palästinensische Dörfer der unmittelbaren und weiteren westlichen Umgebung Jerusalems unter israelischer Kontrolle wurden entvölkert, 28.000 Menschen vertrieben, über 50% der unmittelbar städtischen Dörfer komplett zerstört. Auf den Ruinen einiger Dörfer wurden später neue Kolonien errichtet. (Tamari 1999, 77 f.), oder es entstanden dort die Jerusalem im Westen umgebenden Natur-Reservate und Parks.

Die verbliebenen palästinensischen Quartiere und Gebäude wurden noch 1948 fast ausnahmslos mit europäischen jüdischen Migranten besetzt. Eine weitere Maßnahme, die neuen Verhältnisse festzuschreiben und die jüdische Präsenz zu stabilisieren, war die Erklärung des palästinensischen Grundbesitzes als »verlassener Besitz« per Gesetz und danach die Übereignung in staatlichen Besitz. Auf diese Weise wurden in kurzer Zeit etwa 10.000 Wohnungen und Wohnhäuser nach israelischer Gesetzgebung »legal« enteignet, nicht mitgezählt die Geschäfte, Fabriken und Werkstätten.

In den folgenden Jahren begann der Ausbau der Weststadt zur Metropole Israels, basierend auf der Erklärung Jerusalems im Jahre 1950 zur Hauptstadt Israels durch die Knesset. Es folgten der Transfer der meisten Ministerien und Regierungseinrichtungen in die Neustadt, der Ausbau von Straßen und Autobahnen, der Bau zentraler Einrichtungen und die Verdichtung und Vergrößerung der Wohngebiete.

Ost-Jerusalem expandierte ebenfalls, wenn auch in geringerem Maße. Die ehemaligen Vorstadtviertel wurden ausgebaut. Nach dem Verlust des zentralen Einkaufszentrums der Neustadt, der Jaffastraße, wurden die Salaheddinstraße und das Bab al Zahra-Viertel neue Geschäftszentren; die Altstadt blieb mit ihren Märkten und Geschäften das Herz der Stadt und damit auch das Handels- und Einkaufszentrum für die West Bank-Bewohner. Die vielen Flüchtlinge überfüllten die Altstadt, die Wohnungen boten kaum genügend Raum. Es fehlten der Stadt unter der jordanischen Oberhoheit die notwendigen Mittel. Modernisierungen, der Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur blieben weitgehend aus. Aufgrund der Enge, der fehlenden Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten folgten weitere Auswanderungswellen.

Die »Vereinigung der Stadt« führt zur verschärften Ethnisierung

Am 7. Juni 1967 eroberten israelische Truppen die Altstadt von Jerusalem. Danach waren die wichtigsten und entscheidenden Schritte:

  • Zerstörung des Maghrebviertels und die Vertreibung seiner etwa 6.000 Bewohner;
  • Niederreißung der Wohnhäuser und Geschäfte, die die Altstadtmauern vom Jaffator bis zum Neutor und Musrara umgaben und seit 1948 im Niemandsland gestanden hatten;
  • Bereinigung des Niemandsland-Gebietes, die Sprengung der meisten Bauten
  • »Census« vom 26.7.1967, der die Oststadt unter strikte Ausgangssperre stellte und nur als Jerusalemer registrierte, wer gerade in der Altstadt und in den Vierteln außerhalb der Altstadt anwesend war (wie auch in den übrigen besetzten Gebieten geschehen): es wurden nur noch 66.000 palästinensische Jerusalemer registriert, davon 22.000 aus neu eingemeindeten Gebieten;
  • Klassifizierung der Ost-Jerusalemer Palästinenser als »Permanente Bewohner« , nicht Bürger, nach dem israelischen »Law of Entry«-Gesetz von 1952;
  • »legale« Annexion Ost-Jerusalems in neu definierten Grenzen durch die Knesset am 27.7.1967;
  • »Vereinigung« der Stadtverwaltung am 28.7.1967 und
  • Erweiterung der Stadtgrenzen um das dreifache – von Bethlehems Nordgrenze bis nach Kalandia im Süden Ramallahs, unter Ausschluss dicht bevölkerter palästinensischer Vororte wie Ar-Ram, Abu Dis, Izariyya und große Teile des Kalandia Flüchtlingslagers;
  • Amtsenthebung des Bürgermeisters von Ost-Jerusalem am 29.7.1967;
  • Schließung aller Banken, Handels- und Geschäftshäuser, gefolgt vom zwangsweisen Anschluss an das israelische Steuern-, Banken- und Handelssystem.

All dies geschah binnen weniger Wochen, die Ausweisung der Bewohner und Geschäftsinhaber aus dem Maghreb-Viertel geschah binnen weniger Stunden. (vgl. Tleel 1999, 30f, Waltz/Zschiesche 1986, 350ff., PASSIA 1999, 263 ff.)

Danach wurden Politik und Planung der israelischen Verwaltung und der zionistischen Organisationen in der Altstadt und um die Altstadt strategisch von folgenden Leitmotiven bestimmt:

  • Konfiszierung von palästinensischem Land und Gebäuden;
  • Versetzung so vieler jüdisch-israelischer Bewohner wie nur möglich;
  • Systematischer Bau von Kolonien;
  • Reduzierung der palästinensischen Bewohnerschaft mit den unterschiedlichsten Mitteln;
  • Abtrennung Jerusalems von der West Bank und Zerstörung der traditionellen Beziehungen zwischen Ost-Jerusalem und seinem Hinterland.

Die Stadtplanung exekutiert bis heute einen großen Teil dieser Schritte.

In offiziellen Verlautbarungen der Stadtplaner heißt es: „Die Analyse der Rolle Jerusalems für den nationalen und den Hauptstadtzusammenhang […] war der erste Schritt bei der Planung. […] Der Wunsch, eine jüdische Mehrheit aufrechtzuerhalten und die Hoffnung, Jerusalems Status als der nationalen Kapitale zu sichern – haben die Idee eines schnellen Aufbaus und einer schnellen Entwicklung geleitet. […] Die überragenden und undiskutierbaren Prinzipien für die Planung in Jerusalem ist die Verwirklichung der Einheit.“ (vgl. The Jerusalem Institute for Israel Studies 1985, 82, 1982, 2) Im einzelnen dazu im folgenden.

Konfiszierung von Land und ethnische Besiedlung

Seit 1967 werden kontinuierlich Kolonien, exklusiv jüdisch-israelische Siedlungsgebiete, in drei Ringen um die Oststadt errichtet. Es werden unterschieden:

  • das »Nordtor«: Hier entstanden die größten Siedlungsgebiete mit etwa inzwischen 90.000 Siedlern und der Großsiedlung Ramot Allon und Bet El;
  • das »Osttor« mit der Großsiedlung Maale Adumim und etwa 40.000 Siedlern;
  • das »Südtor« mit etwa 50.000 Siedlern und den Großsiedlungen Gilo und Efrat.

Für diese Großkolonien wurden Ländereien der umliegenden Dörfer und Vororte konfisziert, wie Beit Iksa, Beit Hanina, Neve Samuel, Hizma, Jaba’, Al-Jeeb, Beitunia, Bir Naballa, Shuafat, Ras Khamis, Ras Shuhade, Abu Dis, Aizeriyeh, Issawiyeh, Anata, Silwan, Tur, Za’yim, Um Tuba, Bethlehem, Beit Safafa und Beit Jala; außerdem wurden Beduinen von ihrem traditionellen Land vertrieben. (vgl. The Closure of Jerusalem, 199, 12ff.)

Der Aufbau dieser Kolonien geschah in drei Etappen (vgl. PASSIA 1999, 271, Waltz/Zschiesche 1986, 350 ff.):

  • Erster Siedlungsgürtel, 1968-1973: Er stellt die nördliche Verbindung zwischen der Hadassah Universität auf dem Mount Scopus zur Weststadt dar und trennt damit die Altstadt und Sheikh Jerah von den nördlichen Stadtteilen Shuafat und Beit Hanina.
  • Zweiter Siedlungsgürtel, 1970-1985: Er stellt die südliche Verbindung zwischen den beiden Teilen der Stadt dar und bildet einen weiteren Kreis um das östliche Zentrum der Stadt von Gilo im Süden bis Ramot Allon im Nordwesten.
  • Dritter Siedlungsgürtel, 1975 bis heute: Er umfasst die drei Großsiedlungen im weiteren Umkreis der Oststadt wie Beit El im Norden, Maale Adumimm im Osten und Efrat im Süden, die als Eckpunkte des seit 1980 bekannt gewordenen »Groß-Jerusalem«-Planes gelten, nach dem Bethlehem und Ramallah in die Stadtgrenzen einbezogen werden sollen.

Inzwischen wurde der dritte Ring zu einer Siedlungskette verdichtet.

Entsprechende Straßenführungen ergänzen das Konzept der Teilung (der palästinensischen Gebiete) und Verbindung (der israelischen) durch neue Autobahnen und By-Pass-Straßen, die dem Prinzip der Vermeidung des direkten Kontakts mit den palästinensischen Siedlungsgebieten und den Flüchtlingslagern entlang der Straßen folgen.

»Beseitigung der Trennung« – Israelisierung des Umfeldes der Altstadt

Die Planungsprojekte im Umkreis der Altstadt dienen vor allem der Anbindung der Altstadt an die Neustadt durch Projekte auf dem ehemaligen Niemandsland im Westen des Jaffatores und des Neutores über Mamilla und Musrara. Dazu gehören:

  • der Grüngürtel um die Wälle,
  • die Umwandlung des Musrara-Geländes zum Haupttaxi- und Busverbindungsplatz,
  • die Wohnparkanlage Davids City, Busbahnhof und Hotels auf dem Mamilla-Gelände,
  • die »Kulturmeile« mit Windmühlenviertel, Open Air Theater an den Salomon-Teichen und Cinematheque,
  • der Archäologiepark, unterhalb des Maghrebviertel und der Al-Aqsa-Moschee,
  • die Silwan-Quelle mit Archäologiepark,
  • die Promenade im Südosten bei Abu Tur,
  • das Regierungsviertel und die Hotel- und Kongressbauten um Sheich Jerah
  • die Nutzung des Ölberges als jüdischem Hauptfriedhof
  • der Ausbau der Hebrew University.

Daneben sind Siedler in die östlichen Stadtviertel außerhalb der Altstadt eingedrungen, so in Silwan, Abu Dis, Sheick Jerah, Sowane und am Ölberg. (vgl. Seidemann 1998, 31 ff., Waltz/Zschiesche 1986, Kroyanker 1982, 27)

Die Altstadt selbst im Zentrum der Israelisierung

Die offiziellen Planungsveränderungen in der Altstadt betreffen vor allem:

  • das Jüdische Viertel;
  • die Pilgerplätze und musealen Orte: Sie werden touristische Orte in der sterilen Art der europäischen Fußgängerzonen wie Via Dolorosa, Damaskustor, Jaffator und der Ausbau der Zitadelle als jüdisches Museum der »David-Stadt«.
  • den Tunnel: 1998 wurde gegen internationale Proteste ein Tunnel eröffnet, der von der Klagemauer bis zur Via Dolorosa auf der Höhe der dritten Station reicht und seitdem das Viertel durch Body-Guards, Polizisten und Soldaten verunsichert.

Die konkrete Israelisierung geschieht daneben durch aggressive Siedlergruppen wie Shuvat Banim und Young Israel-Gruppen, die mit der ultrarechten Siedlerbewegung Gush Emmunim zusammenarbeiten und so etwas wie ein Konzept der »Hebronisierung« verfolgen (vgl. Seidenmann 1998). Wo immer die Siedler sich etablieren, folgen Polizei und Militär. Inzwischen wurden in jedem Kleinquartier Polizeistationen errichtet, die mit über 100 Kameras das Geschehen in den palästinensischen Vierteln verfolgen. (vgl. Waltz 1996, Dumper 1992)

Von Bedeutung für den gesamten Umdeutungsprozess sind die folgenden planerischen Massnahmen:

  • Masterpläne für die arabischen Viertel, die Baugebiete erheblich beschneiden und den größten Teil des palästinensischen Raumes für Grünflächen und Erweiterungsgebiete der jüdischen Siedlungen ausweisen;
  • Konfiszierung von palästinensischem Bodeneigentum für diverse stadtplanerische Zwecke, mehr als ein Drittel der Ostjerusalemer Fläche wurde auf derart »legale« Weise für die neuen Kolonien enteignet;
  • Festlegung einer niedrigen Bebauungsdichte, eine Dichte von 25% bis 50% lässt nur ein- bis zweigeschossige Bauweise zu, während in israelischen Vierteln mit einer Dichte von 120 – 136% gebaut werden darf – dadurch können in den palästinensischen Gebieten nur maximal noch 5.000 Wohneinheiten neu errichtet werden;
  • Begrenzte Vergabe (Olmer spricht von 10% der Baugesuche), Verweigerung von Baulizenzen, was vor allem im Wohnbereich notgedrungen illegales Bauen zur Folge hat
  • Radikaler Abriss von sogenannten illegalen Wohnbauten: Zwischen 1993 und 1998 wurden allein 144 Häuser abgerissen, über 4 000 Häuser sind durch Bescheide vom Abriss bedroht. (vgl. The Closure of Jerusalem 1999, 30)
  • Begrenzung von Gewerbegebieten: Nur 0,5% des gesamten palästinensischen Stadtgebietes ist nach den Plänen für Gewerbe und Industrie vorgesehen. (vgl. Ir Shalem 1998)

Hinzu kommen politische Diskriminierungen, vor allem die Konfiszierung der Jerusalemer Identitäts-Ausweise. Allein 788 Palästinensern wurden 1998 die Jerusalemer Identitätspapiere abgenommen, bzw. nicht erneuert,

  • weil sie die Summe der Papiere nicht vollständig nachweisen konnten, die ihren Lebensmittelpunkt Jerusalem für die letzten 7 Jahre belegen könnten;
  • weil sie einen Ehepartner außerhalb Jerusalems geheiratet haben;
  • weil sie mehrere Jahre – z. B. zum Studium – im Ausland waren;
  • weil sie in der West Bank arbeiten etc. (vgl. The Closure of Jerusalem 1999, 36)

Fazit

Israelische Planungen und Entwicklungen auf der Ostseite Jerusalems haben in der »vereinten« Stadt Jerusalem unter den oben angesprochenen Leitideen immer nur eines verfolgt:

  • Erhalt der Macht und der Mehrheit,
  • Übernahme der Strukturen der besetzten Gesellschaft und Überformung, sowie
  • Verdrängung und Zerstörung der autochthonen, besetzten Gesellschaft.

Und das sind nichts anderes als die Ziele einer Siedlergesellschaft, die die autochthone Gesellschaft politisch, sozial und kulturell in die Knie zwingen will.

Aus der einst so kosmopolitisch aufstrebenden neuen Stadt Jerusalem ist inzwischen durch den zionistischen Plan ein ethnisches Ghetto geworden. Ein Ende des Prozesses der Enteignung Jerusalems von seinen ursprünglichen palästinensischen Bewohnern ist nicht abzusehen. Man kann nur hoffen, dass Jerusalem nicht in Kürze das Schicksal Jaffas ereilt, das die Tel-Aviver gern »unsere Altstadt« nennen; gereinigt von arabischer Anwesenheit, ein steriles Museum, eine unlebendige religiöse Stadt oder ein ethnisches Ghetto der israelischen Juden allein.

Literatur:

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Dr. Viktoria Waltz ist Dozentin an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund, Schwerpunkte: Migration und Stadt, Entwicklungspolitik, besonders Naher Osten, Palästina/Israel. Sie war von 1997 bis 2000 Beraterin im palästinensischen Wohnungsministerium in Gaza und Ramallah.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/4 Israel – kein Friede in Sicht, Seite