W&F 2004/4

John Kerry: Ein liberaler Falke?

Anmerkungen zur künftigen demokratischen Außenpolitik

von Jürgen Wagner

Bush bedeutet Krieg, Kerry Frieden. Auf diese Formel reduzieren viele in den USA, aber auch in Europa, die außenpolitische Programmatik der beiden Kontrahenten. Das geht sogar soweit, dass der amerikanische Philosoph Richard Rorty all diejenigen, die nicht bereit sind die Wahl Kerrys bedingungslos zu unterstützen, beschuldigt, sie würden verhindern, dass Amerika zu den friedfertigen Wurzeln seiner Außenpolitik zurückkehren könne. Und der Militärexperte und Bush-Kritiker Andrew J. Bacevich bezeichnet die anstehenden Wahlen gar als „ein Referendum gegen das Empire.“1 Doch wie berechtigt ist die Hoffnung auf eine gemäßigte amerikanische Außenpolitik unter Kerry? Jürgen Wagner über die außenpolitischen Vorstellungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten und seiner Think Tanks.

Kommt es unter einem demokratischen Präsidenten Kerry zu einer Abkehr von der aggressiven Außenpolitik eines George W. Bush? Allen, die auf einen Wandel in Ziel und Substanz – und nicht nur in Stil und Methode – gehofft hatten, verpasste Randy Beers, Kerrys designierter nationaler Sicherheitsberater, einen Dämpfer: „Der Großteil amerikanischer Außenpolitik ist überparteilich. Die Ziele stehen meist nicht zur Debatte; es geht um den Stil, die Art und Weise wie wir diese erreichen.“2 Für den Journalisten John Pilger ist es dann auch nur „ein Mythos …, dass John Kerry über ein anderes Weltbild verfügt als George W. Bush.“3

Da Kerrys Aussagen bezüglich seiner Außenpolitik eher schwammig und diese während des Wahlkampfes ohnehin mit Vorsicht zu genießen sind, lohnt sich ein Blick auf das Umfeld des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, insbesondere auf die Vorstellungen der so genannten »Neuen Demokraten«, denen Kerry zuzurechnen ist.

Die »Neuen Demokraten« und der Democratic Leadership Council

Die beiden großen amerikanischen Parteien teilen sich bezüglich ihrer außenpolitischen Programmatik grob gesagt jeweils in zwei Hälften.

Innerhalb der Republikaner gibt es den Flügel der Konservativen bzw. der Realisten, die für die strikte und eng gefasste Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik an den nationalen Interessen eintreten und die eher selten für den Einsatz militärischer Gewalt plädieren. Dem gegenüber stehen die Neokonservativen, die die derzeitige Außenpolitik eindeutig dominieren und für die militärische Interventionen ein probates Mittel zur Bewahrung der amerikanischen Hegemonialposition sowie zur Verbreitung amerikanischer Werte darstellen.

Die Demokraten waren historisch gesehen dem Einsatz militärischer Gewalt alles andere als abgeneigt. Nach dem Trauma von Vietnam bildete sich innerparteilich jedoch ein starker, militärischen Interventionen kritisch gegenüberstehender Flügel heraus. Dies haftet der Partei heute noch vielfach als »Makel« an: „Die Linke gilt den meisten Amerikanern in Kriegsdingen als unzuverlässig, seit sie 1972 mit George S. McGovern einen Vietnam-Gegner nominierte. Das Image von Friedensträumern ist sie nie wieder losgeworden, und Präsidenten hat sie nur noch im Frieden gestellt.“4

Dagegen sehen sich die so genannten Neuen Demokraten in der Tradition Woodrow Wilsons und Harry S. Trumans. Sie treten für eine offensiv ausgerichtete Außenpolitik ein und versuchen hiermit, das Image der Antikriegspartei abzustreifen. Diese Spaltung trat zuletzt bei der Abstimmung zum Irakkrieg offen zutage: „Es ist zentral sich daran zu erinnern, dass die Demokraten in der Frage, dem Präsidenten die Befugnis zu erteilen Krieg gegen den Irak zu führen, exakt in der Mitte gespalten waren. Diese Spaltung spiegelt die fundamentalen außenpolitischen Differenzen zwischen »Neuen Demokraten« – der ehemalige Präsident Clinton, der designierte Außenminister Richard Holbrooke und Kerry selbst – und Demokraten der alten McGovernschen Schule, vertreten von Howard Dean und dem Außenseiter Ralph Nader, wieder.“5

Sammelbecken und Koordinationszentrum dieser »Neuen Demokraten« ist der Democratic Leadership Council (DLC) sowie der dazugehörige Think Tank, das Progressive Policy Institute (PPI). Für dessen Vorsitzenden, Will Marshall, gleichzeitig Mitbegründer des DLC, sind die Positionen der beiden demokratischen Flügel prinzipiell unvereinbar: „Es gibt immer noch ungelöste Fragen die durch die Luft schwirren: Grundsätzlich geht es darum, ob die Demokraten die Antikriegspartei – die McGovern Partei – sind, oder sind sie die Partei des muskulösen Internationalismus eines John F. Kennedy oder Harry S. Truman.“6 Die »Neuen Demokraten« beziehen diesbezüglich eindeutig Stellung, denn seit seiner Gründung im Jahr 1988 „setzt sich der DLC für eine wirtschaftsfreundliche und militaristische demokratische Partei ein – eine, die der Vergangenheit, repräsentiert durch die Achse McGovern-Mondale-Dukakis, entsagt.“7 Mit seinem Programm des »Progressiven Internationalismus« plädiert der DLC für einen „klügeren Imperialismus“, den er gegen die Bush Administration in Stellung bringt, während gleichzeitig die kriegskritischen Kräfte in den eigenen Reihen vollständig marginalisiert werden sollen. „Es ist ein Konzept, das von Demokraten des Establishments ausgeheckt wurde, um mögliche Unterstützer in der wirtschaftlichen und politischen Welt davon zu überzeugen, dass sie Amerikas Macht und Einfluss in der Welt erhalten werden, falls sie ins Weiße Haus einziehen, allerdings auf eine freundlichere, klügere Art und Weise als die gegenwärtige Regierung.“8

Die Demokratische Nationale Sicherheitsstrategie

Das bei weitem wichtigste und aufschlussreichste Dokument der »Neuen Demokraten« ist die vom Progressive Policy Institute im Auftrag des DLC verfasste Demokratische Sicherheitsstrategie (DSS) mit dem Titel »Progressive Internationalism: A Democratic National Security Strategy«9. Hierbei dürfte es sich um die Blaupause der künftigen demokratischen Außenpolitik handeln. Die Autoren der DSS stammen aus dem innersten Führungszirkel der »Neuen Demokraten«, viele von ihnen werden schon jetzt als sichere Kandidaten für hohe Posten innerhalb einer Kerry-Administration gehandelt. Beteiligt waren unter anderem Ronald D. Asmus, der sich für eine gewaltsame Transformation des Mittleren Ostens einsetzt; Michael McFaul, der eine »Freiheitsdoktrin« militärisch herbeizuführender Regimewechsel autokratisch regierter Staaten fordert; sowie Kenneth M. Pollack, der mit seinen flammenden Appellen für den Angriffskrieg auf den Irak demokratische Schützenhilfe für die neokonservativen Hardliner leistete.10 Des Weiteren wirkten noch andere prominente Demokraten wie Kurt Campbell, Philip H. Gordon, Bob Kerrey und natürlich auch Will Marshall mit, deren Positionen allesamt weit radikaler und militaristischer sind als die der demokratischen Mehrheit. Dass Kerry in seinem Wahlkampf-Buch »A Call to Service: My Vision for a Better America«, weitgehend, zum Teil sogar wörtlich, die Formulierungen der DSS übernimmt, zeigt den außerordentlichen Einfluss des DLC und seiner Programmatik auf dessen künftige Außenpolitik.11

Die DSS (S. 6) bestätigt die Übereinstimmung mit den Republikanern, wenn es um die Bewahrung der amerikanischen Hegemonialposition geht: „Demokraten glauben, dass eine entschiedene US-Führerschaft wesentlich dafür ist, eine Welt im Einklang mit unseren Interessen und Werten zu formen.“ Auch die Mittel hierfür sind Bush-kompatibel: „Die Demokraten werden die technisch fortschrittlichste und fähigste Arme erhalten und wir werden nicht davor zurückschrecken sie zur Verteidigung unserer Interessen überall in der Welt einzusetzen.“ (DSS: S. 5) Zwar kritisiert die DSS (S. 9) die Entscheidung der Regierung Bush, die Präemption „von einer Option, die jeder amerikanische Präsident sich im Stillen offen gehalten hat, zu einer erklärten nationalen Sicherheitsdoktrin erhoben zu haben, die Freunde wie Feinde erschreckt“, eine Absage an solche Militäraktionen gibt es jedoch nicht. Im Gegenteil, Kerry betonte mehrfach, Präemption werde auch integraler Bestandteil seiner Außenpolitik sein.12

Die militärische Absicherung neoliberaler Globalisierung

Völlige Übereinstimmung zwischen Bush und Kerry herrscht hinsichtlich der Bedrohungsanalyse und ihren sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen. Die größte Gefahr gehe von einem „gefährlichen Nexus aus Terrorismus, fehlgeschlagenen Staaten, Schurkenstaaten und Massenvernichtungsmitteln“ aus, so die DSS (S. 12).

Diese Bedrohungsanalyse ist auch Grundlage der derzeitigen US-Sicherheitspolitik, die wesentlich auf den Analysen des Pentagon-Beraters und langjährigen Demokraten, Thomas P. Barnett, beruht. Für ihn bedeutet Sicherheitspolitik im Zeitalter der Globalisierung, diesem »Gefahrennexus«, der interessanterweise ausschließlich in Ländern auftritt, die sich westlichen Ordnungsvorstellungen – „Demokratie und freien Märkten“ – widersetzen, frühzeitig militärisch zu begegnen. Gerade aus den Erfahrungen des 11. Septembers leitet Barnett die Notwendigkeit und das Recht ab, Staaten der »Nichtintegrierten Lücke«, die sich nicht in das Schema neoliberaler Globalisierung einpassen (lassen), zur vorbeugenden Gefahrenabwehr mit militärischen Mitteln in die bevorzugte Weltwirtschaftsordnung einzugliedern. „Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine ungleich höhere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen entsenden werden. […] Umgekehrt gilt: Funktioniert ein Land halbwegs im Rahmen der Globalisierung, dann sehen wir in der Regel keine Veranlassung, unsere Truppen zu schicken, um für Ordnung zu sorgen, oder eine Bedrohung zu beseitigen.“13

Auch für die DSS (S. 6) hat die Verbreitung des Neoliberalismus Priorität: „Amerika hat ein vitales Interesse daran, ein regel-basiertes System weltweiten Handels auszuweiten. […] Darum befürworten wir lebhafte, unternehmerische Märkte, Freihandel und aktives Regieren um ehrlichen Wettbewerb zu gewährleisten.“ Dass das Militär integraler Bestandteil dieser Strategie ist, vertritt auch Will Marshall: „Mit dem Argument, dass Staaten mit verantwortlichen Regierungen weniger wahrscheinlich innenpolitische Gewalt oder externe Aggression schüren, haben die Demokraten die Erweiterung der Gemeinschaft der Demokratien zu einem »strategischen Imperativ« erhoben. […] Die Demokraten sollten eine ambitionierte Strategie entwickeln, die unser Militär transformiert um besser den Terrorismus bekämpfen und Proliferation verhindern zu können und die die Märkte im gesamten Großraum des Mittleren Ostens öffnet.“14 Gegenwärtig wird bereits das amerikanische Militär auf Grundlage von Barnetts Bedrohungsanalyse umstrukturiert. Es soll künftig als »Systemadministrator«, das neoliberale Wirtschaftsmodell gegen die von ihm selbst permanent produzierten Krisen und Konflikte absichern.

Die Transformation des Mittleren Ostens

Die DSS legt ebenso wie Kerry großen Wert darauf, die amerikanische Abhängigkeit vom Persischen Golf zu reduzieren: „Unser Energieplan für ein stärkeres Amerika wird in neue Technologien investieren, […] so dass kein junger Amerikaner in Uniform jemals Geisel unserer Abhängigkeit vom Öl des Mittleren Ostens werden wird.“15 Da allerdings selbst mit äußerster Anstrengung eine wirkliche Alternative erst in zehn bis 15 Jahren verfügbar wäre, scheinen sich auch die »Neuen Demokraten« keinen Illusionen hinzugeben, auf die Kontrolle der Region künftig verzichten zu können. Umso mehr, da Kerry es geflissentlich vermeidet, eines der Hauptprobleme anzusprechen: Amerikas horrenden Pro-Kopf-Ölverbrauch.

Aus diesem Grund stimmt die DSS (S. 11), was das künftige Einsatzgebiet des US-amerikanischen Militärs anbelangt, weitgehend mit der jetzigen Regierung überein: „Für Demokraten ist die Transformation des Großraums Mittlerer Osten – des riesigen Krisenbogens, der sich von Nordafrika nach Afghanistan erstreckt – die zentrale Herausforderung unserer Zeit.“ Die DLC-Leute sehen in der erzwungenen Neustrukturierung des Iraks entlang neoliberaler Vorgaben Ausgangspunkt und Vorbild für die Neuordnung der gesamten Region.16 Aus diesem Grund befürwortet die DSS (S. 15) den Angriffskrieg gegen Bagdad und tritt für die dauerhafte Besatzung des Landes ein: „So lange, wie es dauert dem Land Sicherheit und Stabilität zu geben, werden wir eine robuste Militärpräsenz im Irak aufrechterhalten.“

Bekanntester Vertreter dieser Position ist Ronald Asmus, der zusätzlich versucht die widerwilligen Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks mit ins Boot zu ziehen. Da Wohl und Wehe der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung vom Öl des Mittleren Ostens abhängen und dort auch Terrorismus und Proliferation massive Gefahren darstellten, solle sich die NATO einem neuen »Transatlantischen Projekt« widmen, nämlich der „Transformation des Mittleren Ostens“. Das Projekt solle „auf eine neue Form der Demokratie hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit und Würde verhilft.“ Dies sei die einzige Möglichkeit „die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen“ zu bekämpfen und beinhalte „zweifellos auch eine militärische Komponente“, da die gesamte Region unter „einer Krise der Regierbarkeit leidet, die mit der Unfähigkeit seiner Staaten einhergeht, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen.“17 Auch die DSS (S. 17) übernimmt Asmus’ Vorschlag, indem sie fordert, „die NATO neu auf die Herausforderung einer Transformation des Großraums Mittlerer Osten auszurichten.“

Transatlantischer Honeymoon?

Im Gegensatz zu Bush will Kerry also alle europäischen Verbündeten stärker einbeziehen.

Doch Kerrys Multilateralismus hat einen stark instrumentellen Charakter: „»Wir wollen viel von Europa, sehr viel«, hat gleich zu Beginn des Parteitages Joseph Biden gerufen, neben Richard Holbrooke gegenwärtig der heißeste Anwärter auf den Posten des Außenministers. Und Sandy Berger schreibt: »Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Bushs Unilateralismus unsere Alliierten vom Haken lässt«. Die Verbündeten erhielten »eine Entschuldigung«, sich im Irak nicht an der Nachkriegsverwaltung zu beteiligen und sich »vor anderen Verantwortlichkeiten in der Welt zu drücken«. Eine demokratische Regierung werde sich »bei Themen, die unseren Alliierten wichtig sind, nicht mehr so abschätzig« verhalten. Um dann aber auch mehr von den Freunden zu erwarten.“18

Nicht nur, dass Kerry für eine massive Ausweitung des NATO-Einsatzes in Afghanistan plädiert, vor allem seine Forderung der Allianz eine Schlüsselrolle bei der Besatzung des Iraks zukommen zu lassen, könnte dazu führen, dass sich europäische Soldaten mitten in dem von den USA fabrizierten Schlamassel wieder finden. Dies gilt sowohl für den Irak selbst, da Kerry nicht daran denkt die Besatzung grundsätzlich in Frage zu stellen, das gilt aber auch für den gesamten Großraum Mittlerer Osten. Denn von Seiten der Neuen Demokraten wird offen gefordert, das NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« auf diese Region auszudehnen. Damit wären dann auch europäische NATO-Staaten dort langfristig militärisch involviert, mit allen Konsequenzen einer solchen Entscheidung.19

So hebt sich Kerrys Ansatz in puncto Multilateralismus tatsächlich von Bush ab: Man wolle „Führung primär nicht durch Erpressung, sondern Überzeugung auszuüben“, so die DSS (S. 5). Kerry selbst versucht sich in seinem Wahlkampf-Buch generös zu geben, was allerdings ziemlich misslingt. Er hoffe, dass „Jacques Chirac seine törichte Rebellion gegen die Atlantische Allianz beendet.“ Wenn ja, solle Amerika „den reuigen Europäern auf halbem Weg entgegenkommen.“20 Offen bleibt allerdings, wie sich Kerry verhalten wird, falls sich die Verbündeten trotz aller freundlichen Worte nicht überzeugen lassen, bei einer aggressiven Politik mitzuwirken. Zumal das transatlantische Auseinanderdriften nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass sich Bush, Rumsfeld und Co. hin und wieder kräftig im Ton vergreifen, es basiert auch auf realen Interessensunterschieden. Diese traten bereits unter Clinton zu Tage und haben sich unter Bush verschärft. Schließlich betont auch die DSS (S. 16) allen Bekenntnissen zum Multilateralismus zum Trotz: „Unser Leitprinzip ist, zusammen wenn wir können, allein wenn wir müssen.“

Pepsi oder Cola?

Man sollte bei aller Kritik jedoch nicht übersehen, dass es unter Kerry in einigen Bereichen durchaus zu Verbesserungen gegenüber Bush kommen könnte. Diese dürften aber vor allem innenpolitischer Natur sein, z. B. in den Bereichen Abtreibung, Arbeiterrechte, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Minderheitenrechte. Auch sein Versprechen, die Steuersenkungen für die Reichen zurückzunehmen und zu einer wenigstens in Ansätzen ausgeglichenen Haushaltspolitik zurückzukehren, ist zu begrüßen. Wobei sich hier die Frage stellt, wie er dies anstellen will, ohne den Rüstungshaushalt zu kürzen.

Außenpolitisch dürfte der größte Wandel sich im Atomwaffen- und Rüstungskontrollbereich einstellen. So kritisierte Kerry die Entscheidung neue Atomwaffen zu bauen, die zur nuklearen Präemption geeigneten Bunkerknacker: „Ich glaube nicht, dass unsere Welt oder unser Land mit benutzbareren Atomwaffen sicherer sein wird.“21 Auch die Tatsache, dass mit Joseph Biden ein erklärter Gegner des im Aufbau befindlichen Raketenabwehrschildes als potenzieller Außenminister gehandelt wird, gibt Anlass zur Hoffnung. Zudem scheint Kerry der Rüstungskontrolle als Mittel zur Proliferationsbekämpfung deutlich mehr und ernsthafteres Interesse als Bush entgegenzubringen. Dies könnte sich ebenso positiv auf den Abschluss eines Vertrags, der die Verbreitung spaltbaren Materials reguliert wie auf die Biowaffenkonvention auswirken, die hauptsächlich aufgrund amerikanischer Blockadepolitik stagnieren.22

Weiter positiv anzumerken ist Kerrys Absicht, Verhandlungen mit Nordkorea und dem Iran aufzunehmen. In den meisten außenpolitischen Bereichen sind jedoch kaum Differenzen zwischen Kerrys Position und der der Neokonservativen auszumachen. So gibt es z.B. keine Anzeichen dafür, dass Kerry Ariel Sharon und die israelische Besatzungspolitik kritischer sieht.23 Die Ernennung von Randy Beers als seinem derzeitigen Sicherheitsberater verheißt gleichfalls nichts Gutes. Beers, bis vor kurzem noch in hoher Position für Terrorismusbekämpfung innerhalb der Bush Administration zuständig, gilt als Hardliner, insbesondere was Lateinamerika anbelangt. Er war unter Clinton einer der wichtigsten Architekten der aggressiven US-Politik gegenüber Kolumbien.24 Auch Kerry greift in seinen Reden neben Kolumbien immer wieder vor allem Kuba und Venezuela an. Dessen Präsidenten Hugo Chavez beschuldigte er, das Land zu einem „sicheren Hafen für Drogenterroristen“ gemacht zu haben, die kolumbianische Guerilla zu unterstützen und somit „unseren Interessen abträglich zu sein.“25 Auch seine heftigen Angriffe gegen Saudi Arabien lassen aufhorchen.

Trotz einiger Teilbereiche also, in denen sich kleine Verbesserungen gegenüber der Bush-Administration einstellen dürften, stehen die »Neuen Demokraten« und damit auch Kerry für ein aggressiv-interventionistisches Konzept. Folgerichtig vergleicht John Pilger deshalb die US-Präsidentschaftswahlen im November mit der Wahl zwischen Cola oder Pepsi.26

Anmerkungen

1) Tyson, Ann: US ‚empire’ and its limits, Christian Science Monitor, 09.10.03

2) Peterson, John: John Kerry‘s Foreign Policy, Socialist Appeal No. 13, URL: http://www.socialistappeal.org/usa/kerry_foreign_policy.html (10.08.04).

3) Pilger, John: Bush Or Kerry?, New Statesman, 04.03.04.

4) Kleine-Brockhoff, Thomas: Im Ernst, Europa!, Die Zeit, 29.07.04.

5) Hulsman, John: The coming foreign policy civil wars: part 1 – The Democrats, Opendemocracy, 01.07.04.

6) Marshall, Will: Closing the National Security Gap, DLC Blueprint Magazine, 25.07.04.

7) Moore, Russel: Whither the Democrats?, Henry Institute, 26.05.03.

8) Hand, Mark: It’s Time to Get Over It, Counterpunch, 18.02.04.

9) Progressive Internationalism: A Democratic National Security Strategy, PPI, 30.10.04.

10) McFaul, Michael: The Liberty Doctrine, in: Policy Review (April-May 2002); Pollack, Kenneth: The Threatening Storm, New York 2002.

11) Hand 2004.

12) Guggenheim, Ken: Kerry Backs Much of Bush‘s Pre-Emption Doctrine, AP, 17.07.04.

13) Barnett, Thomas: Die neue Weltkarte des Pentagon, in: Blätter 5/03, S. 554-564.

14) Marshall 2004, Hervorhebung J. W.

15) Kerry, John: Speech to the 2004 Democratic National Convention, 29.07.04.

16) Guilliard, Joachim: „Souveränität“ bei vorgehaltener Pistole, in: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (August 2004), S. 12-16.

17) Asmus, Ronald/Pollack, Kenneth: The New Transatlantic Project, in: Policy Review (October-November 2002).

18) Brockhoff 2004.

19) Asmus, Ronald/McFaul, Michael: Let‘s Get Serious About Democracy in the Greater Middle East, PPI, 09.03.04.

20) Hand 2004.

21) Kerry, John: Making America Secure Again, CFR, 03.12.03.

22) Korb, Lawrence: Bush’s policy endangers U.S. security, IHT, 09.08.04.

23) Zunes, Stephen: Kerry‘s Foreign Policy Record Suggests Few Differences with Bush, Commondreams, 05.03.04.

24) Donahue, Sean: The Toxic Career of Rand Beers, Counterpunch, 26.01.04.

25) Hand 2004.

26) Pilger 2004.

Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und im Redaktionsteam von W&F

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/4 Think Tanks, Seite