W&F 2013/3

Jugendliche und Homophobie

Hassgewalt in Südafrika

von Rita Schäfer

Hassgewalt gegen Homosexuelle in Südafrika, die in (Gruppen-) Vergewaltigungen und der Ermordung von Lesben durch jugendliche Täter gipfelt, ist Ausdruck verbreiteter homophober Einstellungen, Besitz ergreifender Sexualitätskonzepte, martialischer Männlichkeit und vielschichtiger Gewaltstrukturen. Diese Gewaltmuster wurden vor und während der Apartheid etabliert; trotz Gesetzesreformen wurden sie bis heute nicht revidiert.

Südafrika wird von westeuropäischen und US-amerikanischen Friedens- und Konfliktforscher/-innen gern als Erfolgsmodell gepriesen. Das bezieht sich auf den Übergang vom repressiven Apartheidregime (1948-1994) zur Demokratie mit staatsbürgerlichen Rechten für alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe und Herkunft. Das gilt auch für die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die politisch motivierte Gewaltverbrechen aus der Zeit zwischen 1960 und 1994 aufdecken sollte und als Vorbild für die Einrichtung ähnlicher Kommissionen nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent galt.

Diese reduktionistische Idealisierung der Transformationsansätze kritisieren etliche südafrikanische Wissenschaftler/-innen, denn sie verstellt den Blick auf grundlegende und geschlechtsspezifische Gewaltmuster. So nehmen außen stehende Forschende (Gruppen-) Vergewaltigungen und die anschließende Ermordung von Lesben – zwischen 1998 und 2008 mindestens 33 Morde, 2012 erneut 15 Morde – kaum wahr bzw. kategorisieren sie als verstörende Einzelfälle pathologischer Täter.

Angesichts der Fokussierung auf »wichtigere« Themen wie Terrorismus und religiöse, ethnische oder politisch motivierte Gewalt herrscht von Seiten deutscher Friedens- und Konfliktforscher/-innen auch weitgehend Ignoranz gegenüber anderen Gewaltformen in Südafrika, wo jährlich zwischen 64.000 und 70.000 Sexualstraftaten polizeilich registriert werden; in den meisten Jahren war über die Hälfte der Opfer minderjährig.1 Über 20% der Bevölkerung sind HIV-positiv, in manchen verarmten und von Gewalt geprägten Provinzen beträgt die HIV-Rate junger Frauen und Mädchen 34-38%. Viele wurden gewaltsam infiziert, denn sogar bei Partnerschaften zwischen Jugendlichen sind die ersten sexuellen Kontakte der Mädchen häufig unfreiwillig. Auch die dokumentierten 15.000 Morde pro Jahr, deren Opfer oft junge Männer in Bandenkriegen sind, über 200.000 schwere Körperverletzungen und zahlreiche tödliche xenophobe Gewaltübergriffe auf Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern rütteln nicht am hiesigen Konstrukt des Erfolgsmodells Südafrika.2

Mangelnde Aufarbeitung geschlechtsspezifischer Gewalt

Um so wichtiger ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Hintergründen der homophoben Gewalt. In ihr bündeln sich wie in einem Brennglas etablierte Gewaltstrukturen, die während der öffentlichen Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission ausgeblendet wurden, zumal diese medial und religiös inszenierten Gegenüberstellungen individueller Opfer und Täter vorrangig auf das »nation building« ausgerichtet waren. Der Systemcharakter der Apartheid sowie die Auswirkungen der Rassentrennungs- und Homelandpolitik, der Landenteignungen und Zwangsumsiedlungen von mindestens 3,5 Millionen Menschen, der Passgesetze, der umfassenden Reglementierungen des Arbeitens und Wohnens sowie des Ehe- und Familienlebens fielen nicht unter das Mandat der Kommission (Marx 2007).

Dennoch hatten namhafte Politologinnen und Juristinnen wie Sheila Meintjes und Beth Goldblatt bereits während der Planung der öffentlichen Anhörungen gefordert, zumindest die geschlechtsspezifischen Strukturen der politisch motivierten Gewalt aufzuarbeiten, um die Fortsetzung der Gewaltmuster zu verhindern (Meintjes 2009). Der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu als Kommissionsvorsitzender beschränkte sich jedoch darauf, in drei Großstädten je eine Anhörung für Frauen anzuberaumen. Während dieser Veranstaltungen fielen einzelne Kommissionsmitglieder dadurch negativ auf, dass sie mit Suggestivfragen verbreitete Geschlechterstereotypen bestätigten. Gleichzeitig ignorierten sie politisch motivierte sexualisierte Gewalt an Männern und Jungen sowie homophobe Gewalt. Dabei hatten Folterungen an den Genitalien verhafteter politischer Aktivisten/-innen sowie die Androhung von Vergewaltigungen zu den verbreiteten Ermittlungsmethoden der zumeist sexistischen und rassistischen Polizisten gezählt (Schäfer 2008).

Zwischen 1960 und 1990 wurden 100.000 Menschen inhaftiert – viele ohne Anklage; mindestens 20.000 wurden gefoltert. Zahllose Opfer wagten es nicht, nach ihrer Entlassung über die erlittenen Qualen zu sprechen. Sie fürchteten, als Verräter/-innen verdächtigt zu werden, die nur überlebt hatten, weil sie Nachbarn oder Verwandte denunziert hätten. Sogar bei Inhaftierungen aufgrund von Passvergehen, denen etwa 500.000 Menschen pro Jahr zum Opfer fielen, und der Inhaftierung mehrerer tausend Kinder und Jugendlicher kam sexuelle Folter zum Einsatz. Auch im Zivilrecht waren Körperstrafen an jungen schwarzen Männern verbreitet. In manchen Jahren wurden bis zu 40.000 Auspeitschungen als Strafe etwa für Ungehorsam gegenüber Weißen angeordnet. Diese oftmals sadistische und sexistische Strafmethode ging auf die zwischen 1658 und 1834 praktizierte Sklaverei und darauf aufbauende koloniale Gesetze zurück. Unter anderen Vorzeichen bestätigte sie gewaltsam die Hierarchien zwischen älteren weißen und jungen schwarzen Männern (Marx 2012). Ergänzt wurden diese durch Besitz ergreifendes Sexualverhalten weißer Farmer gegenüber jungen schwarzen Arbeiterinnen, was wiederum deren Ehemänner demütigte.

Das Kolonial- und Apartheidsystem basierte auf Gewalt. Sie war im weit verzweigten staatlichen Kontrollapparat institutionalisiert, was die Militarisierung der gesamten Gesellschaft zur Folge hatte. So kooperierte die Sicherheitspolizei mit kriminellen Banden: Seit dem Schüleraufstand 1976 in Soweto gegen die rassistische Bildungspolitik, als die Polizei mindestens 575 Kinder und Jugendliche erschoss, belästigten Jugendbanden politisch aktive Schüler sowie deren Schwestern und Freundinnen (Marx 2002). Sie erhielten von der Polizei Unterstützung, um den Kampfgeist der jungen Regimegegner/-innen durch sexualisierte Gewalt als Einschüchterungsstrategie zu brechen.

Geschlechtsspezifische Gewalt diente auch in der weißen Gesellschaft als Machtmittel, beispielsweise in Form ehelicher und familiärer Gewalt, sowie zur Demütigung junger Männer, etwa bei Initiationsriten an privaten Jungenschulen, die zahlreiche Weiße besuchten. Im Militärdienst, der für junge Weiße verpflichtend war, sorgte sexualisierte Gewalt an Rekruten für den Erhalt institutionalisierter Hierarchien zwischen Männern. Viele nahmen die traumatischen Übergriffe, bei denen sie wie untergebene Frauen behandelt wurden, als homosexuelle Gewalt wahr und reagierten mit verstärkter Homophobie. Gleichzeitig galten homosexuelle Rekruten als Bedrohung der martialischen Männlichkeit im Militär und wurden mit Elektroschocks und Hormonen traktiert, um ihre sexuelle Orientierung zu ändern. Einige wurden unfreiwilligen Geschlechtsumwandlungen unterzogen.

Während der Apartheid war Homosexualität auf Druck christlicher Missionare offiziell verboten. Dennoch duldeten Betreiber von Gold- und Kohleminen sexuelle Kontakte zwischen schwarzen Männern, so genannte »mine marriages«, um die Arbeiter von Prostituierten fernzuhalten, die als Verbreiterinnen von Syphilis galten. Junge Wanderarbeiter mussten sich in die Rolle unterwürfiger Frauen begeben, für ältere Arbeiter kochen, waschen und sexuell zu Diensten sein. Dafür wurden sie von den Älteren vor der Auspeitschung durch weiße Vorarbeiter geschützt und erhielten etwas Geld. Das konnten sie für die Brautpreiszahlung sparen, die bei der späteren Eheschließung vom jeweiligen Brautvater verlangt wurde (Range/Schäfer 2013). Folglich mussten junge Minenarbeiter zwei gegensätzliche sexuelle Sozialisationen bewältigen: eine öffentlich tabuisierte, unfreiwillige als »junge Ehefrau« in einer »mine marriage«und eine kulturell geforderte als Bräutigam in einer heterosexuellen Ehe.

Innerhalb des politischen Widerstands, wie im African National Congress (ANC), wurden diese Strukturen nicht diskutiert, vielmehr herrschten homophobe Einstellungen vor. Gleichzeitig grenzten sich weiße Homosexuelle von der Problemsituation schwarzer Menschen ab, obwohl sie ungeachtet der Strafgesetze teilweise junge schwarze Partner hatten. Erst die internationale Kritik an der mangelnden Solidarität weißer Homosexueller mit den mehrfach diskriminierten und oftmals inhaftierten schwarzen Schwulen setzte Diskussionen in Gang. Regimekritische Homosexuelle, die ins Exil geflohen waren, verlangten vom ANC, die Rechte von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in die neue südafrikanische Verfassung aufzunehmen. Auf juristischem Wege erreichten sie 2006 die Legalisierung homosexueller Partnerschaften und Ehen. Diesen rechtlichen Veränderungen folgten jedoch keine politische Reformen oder staatliche Informationsprogramme mit dem Ziel eines Einstellungswandels in der Gesellschaft, etwa an Schulen. Vielmehr wird hier bis heute entgegen der auf Geschlechtergleichheit abzielenden Bildungsvorgaben Sexismus erlernt und verbreitet, der den Nährboden für geschlechtsspezifische Gewalt bietet.

Opfer und Täter

Am 4.2.2006 wurden Zoliswa Nkonyana, am 7.7.2007 Sizakele Sigasa und Salome Masooa und am 28.4.2008 Eudy Simelane, Mittelfeldspielerin in der südafrikanischen Frauenfußballnationalmannschaft Bafana-Bafana, ermordet. Einige jugendliche Täter wurden nach jahrlangen Prozessen zu vergleichsweise milden Strafen verurteilt, andere entkamen mit Hilfe des korrupten Gefängnispersonals aus der Untersuchungshaft. Nur im Mordfall von Zoliswa Nkonyana ging der Richter von homophober Hassgewalt als Tatmotiv aus. Der Lobbyarbeit von Homosexuellenorganisationen war es zu verdanken, dass den Beschuldigten überhaupt der Prozess gemacht wurde. Mitarbeiterinnen dieser Organisationen schätzen, dass landesweit jährlich etwa 500 junge lesbische Frauen und Mädchen vergewaltigt werden. Dennoch sehen Politiker/-innen weiterhin keinen Handlungsbedarf und schrecken nicht vor homophoben Äußerungen zurück.

Diese politischen Signale bewerten etliche Täter als Bestätigung; wie ihre Opfer wohnen sie in verarmten, infrastrukturell desaströsen und von kriminellen Banden beherrschten Townships. Zur Legitimation ihrer häufig kollektiven Gewaltakte geben diese vor, im Sinne patriarchaler Geschlechterhierarchien Ordnung wiederherzustellen, Lesben von ihrer Homosexualität zu »heilen« und sie davon abzuhalten, andere junge Frauen und Mädchen »zu verführen«. Dabei beziehen sie sich auf verbreitete Besitz ergreifende Sexualitäts- und Maskulinitätsvorstellungen. Gleichzeitig verurteilen sie die staatliche Frauenförderpolitik als Verrat und fühlen sich mit hoher Arbeitslosigkeit, Drogenproblemen und familiärer Gewalt perspektivlos allein gelassen.

Die Polizei registriert bei Vergewaltigungsfällen nicht die Geschlechtsidentität/-orientierung, offizielle Statistiken dokumentieren also keine homophobe Hassgewalt. Viele Polizisten unterstellen Vergewaltigten, für die Übergriffe selbst verantwortlich zu sein. Zudem beschuldigen die Staatsdiener deren Familien, bei der Erziehung versagt zu haben. Vielerorts werden trotz anders lautender Vorschriften Ermittlungen mit der Begründung abgelehnt, dass man wichtigere Fälle wie Raubmord aufzuklären habe. Diese Straflosigkeit leistet weiteren Gewaltakten Vorschub (HRW 2011; Anguita 2012).

Eigentlich sollten die neue Verfassung von 1996 und umfassende Gesetzesreformen zum Schutz von Frauen-, Kinder- und Homosexuellenrechten einen Neubeginn markieren. Darauf bauen politische Leitlinien zur Geschlechtergleichheit auf. Allerdings wurde bei diesen Reformen die Problemlage junger Männer ignoriert, die zuvor das rassistische Apartheidregime bekämpft hatten und in einer auf martialischer Männlichkeit basierenden Gewaltkultur sozialisiert worden waren. Bildung und berufliche Perspektiven wurden ihnen vorenthalten, und viele mussten unter gewalttätigen Vätern leiden – Probleme, die aus der repressiven Apartheidpolitik resultierten. Die aus dem Anti-Apartheidkampf hervorgegangene ANC-Regierung setzte ab 1999 auf eine einseitige neo-liberale Wirtschaftspolitik und vernachlässigte den Bildungs- und Gesundheitssektor sowie den Infrastrukturausbau und die Jugendförderung.

Seit der politischen Wende 1994 wachsen sozial marginalisierte Jugendliche damit auf, dass Lehrer und andere Staatsdiener homophobe Einstellungen verbreiten und dass sexuelle Gewalt ein Machtmittel ist, um den eigenen Status zu erhöhen. Tagtäglich erleben Schüler, dass Lehrer, die häufig HIV-positiv sind, Schülerinnen mit Drohungen und Geld zu sexuellen Kontakten zwingen. Dieses erpresserische Sexualverhalten, das zumeist nicht strafrechtlich und nur in Ausnahmefällen disziplinarisch verfolgt wird, hat Vorbildfunktion: Es schlägt sich in sexualisierter Gewalt durch Schüler nieder. Währenddessen sehen Jugendliche, die oft wegen fehlender finanzieller Mittel keine Sekundarschule besuchen, wie kriminelle Banden sich mit Waffengewalt Geld, Macht und die Kontrolle über Mädchen verschaffen. Selbst Jungen, die eine staatliche Sekundarschule besuchen, müssen damit rechnen, wegen ihrer miserablen Ausbildung keinen Arbeitsplatz zu finden. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt etwa 50%, 2012 bestanden 25% aller Sekundarschüler/-innen nicht das Abschlussexamen.

Um so wichtiger ist die Informationsarbeit von Homosexuellenorganisationen an Schulen, Jugendzentren und über Radiosender, die Jugendliche erreichen. Im Idealfall können sie zur Überwindung homophober Meinungen und Gewalt sowie zur Toleranz gegenüber Homosexuellen beitragen.

Literatur:

Anguita, Luis Abolafia (2012): Tackling corrective rape in South Africa: The engagement between the LGBT CSOs and the NHRIs (CGE and SAHRC) and its role. The International Journal of Human Rights, 16:3, S.489-516.

Human Rights Watch (2011): »We’ll show you you’re a woman«. Violence and discrimination against black lesbians and transgender men in South Africa. New York: Human Rights Watch Publications.

Marx, Christoph (Hrsg.) (2003): Jugend und Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika. Münster: Lit-Verlag, Periplus – Jahrbuch für außereuropäische Geschichte, Band 12.

Marx, Christoph (Hrsg.) (2007): Bilder nach dem Sturm. Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Münster: LIT Verlag.

Marx, Christoph (2012): Südafrika – Geschichte und Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.

Meintjes, Sheila (2009): »Gendered truth?« Legacies of the South African Truth and Reconciliation Commission. African Journal on Conflict Resolution, vol. 9, no. 2, S.101-112.

Range, Eva und Schäfer, Rita (2013): Wie mit Homophobie Politik gemacht wird. Menschenrechte und Verfolgung von LSBTI-Aktivist_innen in Afrika. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Schäfer, Rita (2008): Im Schatten der Apartheid. Münster: Lit-Verlag.

Anmerkungen

1) David Smith: South Africa – Teenage lesbian is latest victim of »corrective rape« in South Africa. The Guardian, 9 May 2011.

2) South African Police Service – Crime Research and Statistics: Total sexual offences in RSA for April to March 2004/2005 to 2011/2012. www.saps.gov.za.

Dr. Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin des Buches »Frauen und Kriege in Afrika« (2008); frauen-und-kriege-afrika.de.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/3 Jugend unter Beschuss, Seite 17–19