Kein Asyl für Wehrdienstverweigerer
von Charlotte Schmitz
Loskaufen kann Mann sich vom Wehrdienst in der Türkei, verweigern darf er ihn nicht. Verweigerer werden verfolgt, inhaftiert, u.U auch gefoltert. Doch der Protest gegen diese Menschenrechtsverletzung nimmt zu. Initiativen gegen den Krieg bilden sich im Inland und unter den Auslandstürken und -kurden. Doch wer als Wehrdienstverweigerer Asyl braucht, bekommt es bei uns nur sehr schwer.
In Istanbul guckt sich niemand nach ihm um, doch in den meisten anderen Städten der Türkei würde Yasin mit seinen schulterlangen Haaren und knappen Shorts auffallen. Yasin Yildirim widerspricht nicht nur äußerlich dem türkischen Männerbild, er lehnt die herrschende Vorstellung des Mannes als Kämpfer bewußt ab. „Her türk bir asker – Jeder Türke ist ein Soldat“, zitiert Yasin angewidert ein bekanntes Sprichwort. Er möchte niemals Soldat sein und deshalb hat er sich mit einigen Freunden zur »Antimilitaristischen Initiative« AMI zusammengeschlossen.
„Wir leben in einer Gesellschaft der Gewalt“, kritisiert der 23jährige Student, der seit zweieinhalb Jahren mit seiner Gruppe gegen Wehrdienst und Krieg opponiert. Etwa 15 Leute gehören zum harten Kern, an Aktionen beteiligen sich regelmäßig viel mehr. Angefangen hat AMI mit der Unterstützung des Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke. Ülke wurde seit 1996 dreimal inhaftiert, weil er den Militärdienst immer wieder verweigert hatte. Seinen Einberufungsbescheid verbrannte er öffentlich.
Die Türkei gehört zwar den UN und der OSZE an, beides Organisationen, die ein Grundrecht auf Verweigerung anerkennen, verfolgt jedoch Pazifisten unerbittlich. Der heute 28jährige Osman Murat Ülke wurde nach Artikel 155 des Strafgesetzbuches wegen „Distanzierung des Volkes von den Streitkräften„, also Wehrkraftzersetzung, zu insgesamt 25 Monaten Haft verurteilt. Zum Vorwurf, er entziehe sich dem Wehrdienst durch Flucht, sagte Osman Murat Ülke beim vorerst letzten Verhandlungstag im Januar dieses Jahres: „Wirklich auf der Flucht befindet sich der militaristische Apparat, der auf den freien Willen des Menschen keine Antwort weiß. Dieser Apparat zeigt seine Blöße und Unfähigkeit durch das Manöver, die Kriegsdienstverweigerung als »Flucht« zu bezeichnen.“
Im Teegarten gegenüber vom Menschenrechtsverein Istanbul macht ein laues Lüftchen den heißen Sommernachmittag erträglich. Hier treffen sich junge Leute zum Backgammon-Spielen und Diskutieren. Auch die Mitglieder von AMI sind häufige Gäste in dem Gartenlokal. Sie studieren alle noch und haben deshalb bisher keine Einberufungsbescheide bekommen. Anders als den erklärten Verweigerern drohen ihnen deshalb zunächst keine Haftstrafen.
Beobachter schätzen die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Türkei auf rund 200.000. Die große Mehrzahl von ihnen erklärt sich jedoch nicht öffentlich; viele tauchen unter und leben in der Illegalität, um sich dem Waffendienst zu entziehen. Nur etwa 30 junge Männer haben wie Osman Murat Ülke ihre Verweigerung lauthals zu erklären gewagt. AMI unterstützt den inhaftierten Osman Murat Ülke und andere Verweigerer mit Presseerklärungen und Demonstrationen.
Die Öffentlichkeit erfahre wenig von ihren Aktionen, klagt Yasin und erklärt sich das Schweigen so: „Die Türkei wird vom Militär beherrscht und das hat auch die Medien in der Hand.“ Die Presse stelle Kriegsdienstverweigerer in „in eine Ecke mit der PKK„, sagt Yasin. Zwar wünscht er sich eine „politische Lösung“ für den Krieg in den kurdischen Provinzen der Türkei und benutzt damit die gleiche Formulierung wie PKK-Chef Abdullah Öcalan, doch der gewaltfreie Student distanziert sich ausdrücklich von der kurdischen Arbeiterpartei.
Wehrdienstverweigerer sitzen in der Türkei zwischen allen Stühlen. Sie teilen weder den nationalen Kult um die gefallenen Soldaten noch die linke Glorifizierung der Märtyrer der Guerilla. Sie wollen eine gewaltgeprägte Gesellschaft mit pazifistischen Mitteln ändern.
Anders als in Europa schließt der Wehrdienst in der Türkei auch den Ernstfall ein, das bedeutet in diesem Fall die Möglichkeit, in den seit 15 Jahren andauernden Krieg gegen die Guerilla der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) in Kurdistan geschickt zu werden. 300.000 Soldaten sind nach Angaben des türkischen Menschenrechtsvereins IHD ständig in Kurdistan stationiert.
Der Krieg lastet drückend auf dem Land: 30.000 Menschen fielen seit 1984 den Kämpfen in den kurdischen Provinzen zum Opfer, über 3.000 Dörfer wurden zerstört, fünf Millionen Menschen sind geflohen. 10 Milliarden US-Dollar gibt die türkische Regierung jährlich allein für die Kriegsführung im eigenen Land aus, schätzt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
„Wir gehen nicht zum Militär und wir gehen nicht in die Berge„, bekräftigt Yasin seinen Widerspruch. In der Türkei gebe es 590.000 Soldaten. „Wenn die sich organisieren würden, könnte der Krieg zu Ende gehen„, hofft der Student. Während die PKK den unerklärten Krieg in den kurdischen Provinzen als „schmutzig“ charakterisiert, widerspricht der Wehrdienstgegner heftig: „Es gibt keinen schmutzigen Krieg, alle Kriege sind schmutzig„. Er begreife sich als Anarchist: „Kein Mensch soll einen anderen zu etwas zwingen können„, meint er. Auch einen Zivildienst als Alternative – in der Türkei bisher unbekannt – würde er ablehnen.
Die Studentengruppe rund um Yasin würde gerne Kontakt aufnehmen zu den Familien der im Krieg Gefallenen oder zu entlassenen Soldaten, die unter dem sogenannten »Vietnam-Syndrom« leiden. Das sind Männer, die nach dem Einsatz in den Kriegsgebieten psychologisch gestört sind, ein wachsendes Problem für die Armee. Doch kleine Gruppen wie AMI haben große Schwierigkeiten, mit solchen potentiellen Kriegsgegnern in Kontakt zu treten. Der Krieg in den kurdischen Provinzen ist und bleibt ein Tabuthema in der Türkei.
AMI bieten sich nur kleine Foren. Die Kriegsdienstgegner diskutieren den Gedanken des »zivilen Ungehorsams« in der Zeitschrift »Rebellion«, einem von libertären Gedanken geprägten Blättchen, das in den Buchläden des intellektuellen Istanbul ausliegt. Begriffe wie »ziviler Ungehorsam« und »Gewissensentscheidung« sind in Klammern auf Englisch hinter die türkische Übersetzung gestellt. Für die türkische Sprache sind diese Worte neu – sie müssen erst mit Inhalten gefüllt werden.
Längst haben die Wehrdienstverweigerer internationale Kontakte geknüpft. Sie reisten aus Istanbul zur Europäischen Friedenskonferenz im Mai in Osnabrück, um sich mit ähnlichen Initiativen in anderen Ländern auszutauschen. Auch in Deutschland hat sich eine Gruppe von Verweigerern des türkischen Wehrdienstes etabliert. Ungefähr 200 in Deutschland lebende Männer mit türkischem Paß haben bisher öffentlich ihre Verweigerung erklärt, sagt Cemal Sinci vom Verein der Kriegsgegner Frankfurt. Unter dem Dach der DFG/VK (Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner) treffen sich hier Kurden und Türken, um Strategien gegen den Militarismus zu beraten.
Wer Geld hat, dem stellen sich all diese Probleme nicht. In Deutschland lebende Türken mit »Gastarbeiterstatus« können sich dem Wehrdienst fast völlig entziehen: Gegen Zahlung von 10.000 Mark müssen sie lediglich an einem einmonatigen Grundwehrdienst teilnehmen. In diesem Monat werden sie auch nicht an der Waffe ausgebildet. Cemal Sinci von den Frankfurter Kriegsdienstgegnern läßt diese Möglichkeit nicht gelten: „Der Grundwehrdienst ist eine nationalistische Gehirnwäsche“, winkt er ab.
Studenten und Flüchtlinge erfüllen sowieso die Voraussetzungen für die Freikauf-Regelung nicht. Flüchtlinge, die den Wehrdienst verweigert haben, werden deshalb nicht unbedingt als Asylanten anerkannt. Der Frankfurter Rechtsanwalt Ernst Ronte hat sich mit dem Thema eingehend beschäftigt: „Keine Chance“ in einem Asylverfahren biete sich demjenigen, der sich auf die Wehrdienstverweigerung als einzigen Grund berufe, erklärt er. Das liege daran, daß die Wehrdienstverweigerung kein Grundrecht sei. Dennoch müsse in einer individuellen Einzelfallprüfung untersucht werden, ob ein Kriegsdienstverweigerer aus politischen Gründen verfolgt werde. Da ergebe sich meist eine »Gemengelage« von Gründen, so Rontes Erfahrung, denn selten nur entschließe sich jemand zur Kriegsdienstverweigerung, gehe aber ansonsten mit dem Staat konform.
„Die Türkei betrachtet alle, die nicht zum Militär gehen, als Separatisten„, meint Rudi Friedrich von Connection e.V. in Offenbach, der sich um eine internationale Vernetzung von Wehrdienstverweigerern bemüht. Er weiß von 20 in Deutschland lebenden KDVlern mit türkischem Paß, die in Deutschland Asyl bekamen. Wer sich öffentlich vor einem Konsulat zu seiner Verweigerung bekenne, müsse in der Türkei mit Verfolgung rechnen, meint Friedrich. So konnte mancher Pazifist als asylberechtigt anerkannt werden, obwohl die Wehrdienstverweigerung bis heute nicht zu den erklärten Menschenrechten gehört.
Dr. Charlotte Schmitz arbeitet als freie Publizistin in Frankfurt/Main