W&F 2009/1

Kein Frieden mit der NATO!

von Jürgen Wagner

Am 3. und 4. April 2009 will die NATO ihr 60-jähriges Jubiläum in Straßburg und Baden-Baden zelebrieren und sich dort als Friedensbündnis feiern. Tatsächlich war und ist die NATO aber eine Militärallianz, deren Hauptzweck darin besteht, die Interessen ihrer (wichtigsten) Mitgliedsstaaten notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Deshalb konnte und durfte das Bündnis nach dem Ende der Sowjetunion auch nicht aufgelöst werden. Denn nachdem die westlich-kapitalistischen Staaten Anfang der 1990er Jahre die Vorherrschaft im internationalen System errungen hatten, ging es fortan darum, diese Position mit Hilfe der NATO militärisch abzusichern. Hierfür setzte die Allianz auf eine doppelte Expansion: territorial brachte sie mit ihrer Erweiterung rasch große Teile der sowjetischen Konkursmasse unter ihre Kontrolle, während sie funktional ihren formalen Schwerpunkt von der Landesverteidigung auf die Durchführung weltweiter Militärinterventionen im Ausland verlagerte.

Doch die westliche Vorherrschaft wird nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise zunehmend brüchig. Nicht nur in der sog. Dritten Welt schwindet die Akzeptanz, sich der herrschenden Weltordnung bedingungslos zu unterwerfen. Mit Russland und China sind neue Staaten (oder: je nach Sichtweise: »Rivalen«) auf den Plan getreten, die den westlichen Dominanzanspruch mittlerweile teils offen und effektiv in Frage stellen. Angesichts dieser »Herausforderungen« scheinen sich derzeit die - zweifellos vorhandenen - transatlantischen Interessenskonflikte zugunsten einer erneuten gemeinsamen Frontstellung einzuebnen (»The West against the Rest«). Spätestens mit der Wahl des US-Präsidenten Barack Obama zeichnet sich eine »Neue Transatlantische Partnerschaft« ab, die ihren institutionellen Niederschlag in einer vitalisierten NATO finden dürfte.

Womöglich noch 2009, spätestens aber im darauf folgenden Jahr soll zu diesem Zweck eine neue NATO-Strategie verabschiedet werden. Die Blaupause hierfür liegt bereits auf dem Tisch. Im Januar 2008 veröffentlichten fünf hochkarätige NATO-Strategen - unter ihnen der frühere Oberkommandierende der Allianz, John Shalikashvili, und der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärkomitees, Klaus Naumann, - eine 150seitige Studie (»Toward a Grand Strategy for an Uncertain World«), in der sich nahezu alles finden lässt, was das Militaristenherz begehrt. Besonders weit reichend sind dabei die Vorschläge zur institutionellen Runderneuerung des Bündnisses. So soll künftig das Konsensprinzip auf nahezu sämtlichen Ebenen abgeschafft und Länder, die sich nicht an einem NATO-Krieg beteiligen wollen, sollen jeglicher Mitspracherechte beraubt werden. Zudem wollen die NATO-Strategen künftige Militärinterventionen explizit auch ohne Autorisierung des UN-Sicherheitsrates durchführen: „Wir erachten die Anwendung von Gewalt auch bei Abwesenheit einer Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat als legitim, wenn die Zeit nicht ausreicht, ihn zu involvieren oder sich der Sicherheitsrat als unfähig erweist, zeitnah eine Entscheidung zu treffen, sollten Maßnahmen nötig sein, eine große Anzahl von Menschen zu schützen.“ Vor allem rohstoffreiche Länder, denen offen gedroht wird, ihre Ressourcen nicht als »Waffe« gegen den Westen einzusetzen, scheinen dabei ins Visier zu rücken und selbst der atomare Ersteinsatz wird als Option erwogen: „Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.“

Die Begründung für ihre militaristische Wunschliste liefern die NATO-Strategen gleich mit: „Womit sich die westlichen Verbündeten konfrontiert sehen, ist eine lang anhaltende, proaktive Verteidigung ihrer Gesellschaften und ihrer Lebensart. Hierfür müssen sie die Risiken auf Distanz halten und gleichzeitig ihr Heimatland (homeland) beschützen.“ Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe kritischer Wissenschaft nicht nur darin herauszuarbeiten und klar zu benennen, dass der Zweck der NATO darin besteht, die der westlichen Lebensart zugrunde liegenden internationalen Herrschafts- und Hierarchiestrukturen abzusichern. Vielmehr ist es ebenso wichtig, einen Beitrag zur Überwindung dieser Ursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit zu leisten. Die Proteste gegen den NATO-Gipfel im April 2009 bieten hierfür eine hervorragende Gelegenheit. Wir hoffen deshalb mit dieser Ausgabe von »Wissenschaft und Frieden« auch einen Beitrag zum Gelingen dieser Proteste leisten zu können.

Jürgen Wagner

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/1 60 Jahre Nato, Seite