W&F 2008/2

Klimafluch(t)

von Editha von Colberg

Die Ergebnisse der Wissenschaft sind unmissverständlich: Der globale, anthropogen bedingte Klimawandel findet statt, die Folgen sind spürbar, ohne rasches Gegensteuern drohen unkontrollierbare Risiken. Der vierte Sachstandsbericht des International Panel on Climate Change (IPCC), der den wissenschaftlichen Konsens zur Klimaforschung en gros wiedergibt, macht explizit deutlich: Die globale Klimaerwärmung hat fatale Konsequenzen für das Leben auf unserer Erde. In den letzten 100 Jahren hat sich die globale Durchschnittstemperatur um ca. 0,74 °C erhöht, ab einem Anstieg um 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten wird eine „gefährliche“ Veränderung des Klimas erwartet. Bei ungebremstem Emissionsanstieg wird bis Ende des 21. Jahrhunderts eine Zunahme um bis zu 4 °C befürchtet. Andere Berichte wie der Stern-Review prophezeien unter Berücksichtigung sogenannter »Rückkoppelungseffekte« (wie das Entweichen von Methan durch auftauende Permafrostböden) bereits bis Mitte des Jahrhunderts 2 bis 5 °C Erwärmung. Die Folgen? Erhöhter Niederschlag, verstärkte Kondensation, steigende Meerespegel, extreme Wetterereignisse wie unkalkulierbare Sturmdynamiken oder ungewöhnliche Regen- bzw. Dürreperioden - der gesamte Wasserhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht. Die Ausbreitung von Wüsten sowie die Verschärfung internationaler Süßwasser- und Ernährungskrisen, um nur einige Konsequenzen zu nennen, sind vorprogrammiert.

In der aktuellen Diskussion um den Klimawandel gewinnt der Begriff des »Klimaflüchtlings« zunehmend an Bedeutung. Bewegen oder zwingen klimabedingte Veränderungen der natürlichen Umwelt tatsächlich Menschen zum Verlassen ihrer Heimat? Schließlich ist der Zusammenhang im Einzelfall schwer nachweisbar und Schätzungen über potenzielle globale Entwicklungen sind aufgrund des langen Zeithorizonts kaum verlässlich. Zudem wird argumentiert, dass selten Umweltveränderungen allein den Ausschlag zur Migration geben; die mit dem Konstrukt des »Klimaflüchtlings« transportierte Vorstellung, vor dem Klima per se zu fliehen, würde den Sachverhalt nicht treffend umschreiben. Doch ob nun jemanden statt als »Klimaflüchtling« als »Wirtschaftsflüchtling« bezeichnet wird, der flieht, weil er seinen degradierten Ackerboden nicht mehr bewirtschaften kann, oder als »Armutsflüchtling« nicht die Mittel und das Know-how hat, sich mittels kostspieliger Anpassungsmaßnahmen wie dem Bauen von Deichen etc. vor möglichen Überschwemmungen zu schützen, - die Kategorien bleiben fließend, der Problemdruck mindert sich indes nicht. Laut Stern-Review leben gegenwärtig ca. 200 Millionen Menschen weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, ferner wurden beispielsweise allein zwischen 1945 und 1990 ca. 1,2 Milliarden Hektar Land von dem Prozess starker bis sehr starker Wüstenbildung ergriffen - dies entspricht immerhin der Gesamtfläche Chinas und Indiens. Der Großteil der Bodenzerstörung findet in Entwicklungsländern statt, wo es wiederum die ärmsten Gesellschaftsgruppen am meisten betrifft. Drei Viertel der Menschen, die in absoluter Armut leben, siedeln in ländlichen Gebieten und sind unmittelbar von landwirtschaftlichen Erträgen abhängig. Der Klimawandel wirkt sich also gerade in denjenigen Regionen besonders heftig aus, die zugleich die anfälligsten Systeme und deren Gesellschaften die geringsten Kapazitäten für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels aufweisen. Gerade hier leben die ärmsten Gesellschaftsgruppen, die nicht nur exponentiell am meisten gefährdet, sondern auch strukturell in höchstem Maße verwundbar sind. Die schon bestehende Problemkonstellation aus Armut, Hunger, Wassermangel und Krankheiten wird durch die Folgen des Klimawandels zusätzlich verschärft; Naturkatastrophen führen hier sehr schnell zu sozialen Katastrophen, die Umweltproblematik wird zum Entwicklungsproblem.

Vor diesem Hintergrund liegt die Schlussfolgerung nahe: Wenn Regionen infolge von klimabedingten Umweltveränderungen unbewohnbar werden oder nicht mehr bewirtschaftet werden können, bleibt Migration unter den Bedingungen fehlender, alternativer »coping capacities« die einzig mögliche Anpassungsstrategie. Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms gibt es inzwischen bereits mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge, auch wenn diese in den offiziellen Statistiken des UNHCR nicht aufgeführt werden. Dessen Angaben basieren nämlich auf einem verengten Flüchtlingsbegriff, welcher existenzielle Notlagen nicht als Grund für unfreiwillige Migrationsbewegungen akzeptiert und damit Millionen Entwurzelter ins völkerrechtliche Nichts degradiert. Doch auch dieses Rechtsverständnis rechtfertigt die Praxis der Zielländer von Migrationsprozessen keineswegs, die meinen, sich durch bedarfsgesteuerte Einwanderungs- bzw. Abschottungsgesetze dem Handlungsdruck entziehen zu können. Im Gegenteil: Gerade die OECD-Länder tragen als Hauptverursacher der globalen CO2-Emissionen Verantwortung. Sie sind an der Produktion von Schubkräften für unfreiwillige Migrationsprozesse maßgeblich beteiligt, und es liegt an ihnen, die globale Klimaerwärmung nicht nur als reines Umwelt-, sondern auch als Weltordnungsproblem zu begreifen und es als solches anzugehen.

Ihre Editha von Colberg

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/2 Migration und Flucht, Seite