W&F 2004/3

Klimapolitik ist Friedenspolitik

Wird weniger Öl und Gas verbraucht profitieren Frieden und Umwelt

von Detlef Bimboes und Joachim H. Spangenberg

Die durch den Menschen ausgelöste Klimaänderung schreitet unerbittlich voran. Die extremen Wetterlagen der letzten Jahre – Dürren, Fluten, Hitzewellen – sind unübersehbare Warnsignale. Wenn die mittlere globale Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius über den Werten vor dem Industriezeitalter liegt, führt das zu unkontrollierbaren Folgen für Mensch und Natur. Ein erheblicher Teil des technisch-sozial noch zu bewältigenden Toleranzbereichs ist bereits ausgeschöpft und mehr ist fest programmiert. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, aber anstatt zu handeln, werden weiter fossile Energieträger ungebremst verbraucht.

Europa ist inzwischen der weltweit größte Importeur von Öl und Gas, gefolgt von den USA und Japan. Hohe und immer stärkere Nachfrage besteht in Süd- und Ostasien. Indien und China haben einen dramatisch wachsenden Bedarf an Öleinfuhren. Er steigt jährlich um 20 – 30 Prozent. In 12 Jahren werden die dynamisch wachsenden Volkswirtschaften Ostasiens soviel Rohöl auf dem Weltmarkt einkaufen wie derzeit in der Golfregion gefördert wird (Grobe 2003, S. 3).

Ende der Öl- und Gasvorräte in Sicht

Gleichzeitig mit der steigenden Nachfrage schrumpfen die globalen Vorräte an leicht förderbarem Öl und Gas. Die Schere zwischen Verbrauch und Vorräten klafft immer weiter auseinander. Die Unsicherheit der Reserven und die Schwierigkeit ihrer Erschließung wachsen. So musste der Ölkonzern RoyalDutch/Shell bereits das dritte Jahr in Folge seine von ihm als nachgewiesen und rentabel förderbar eingestuften Ölvorräte nach unten korrigieren (FR 2004, S. 13). Damit beginnt erstmals sichtbar zu werden, was schon lange vorhergesagt wurde: Um 2005 herum, spätestens 2010 dürfte die Hälfte dieser leicht förderbaren Erdölvorräte – bezogen auf die Ausgangsmenge seit Beginn des Ölzeitalters – verbraucht sein. Dann ist der Höhepunkt erreicht oder anders gesagt, ist »das Glas nur noch halb voll«. Rund um den Globus werden jährlich ca. 3,65 Mrd. Tonnen Öl und ca. 2,4 Billionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Demgegenüber werden jährlich gerade noch ca. 10 Mrd. Barrel Erdöl neu gefunden, was in etwa 1,3 Mrd. Tonnen entspricht (Campbell 2002, S. 30). Das Maximum der weltweiten Gasförderung könnte um das Jahr 2020 oder sogar schon früher erreicht sein (Campbell 2002, S. 111). Während die Weltförderung an Öl und Gas ab 2015 (plus/minus 5 Jahre) sinken dürfte, wird allein der Konsum des schon bisher größten Energieverschwenders, der USA, bis dahin um rund ein Drittel steigen.

Dem Argument, dass die sicheren Reserven an leicht förderbarem Öl und Gas recht begrenzt und in absehbarer Zeit erschöpft sind, wird seitens der Energiewirtschaft entgegen gehalten, dass es darüber hinaus große Vorräte an so genanntem nicht konventionellen Öl- und Gasvorräten gibt, die noch auf lange Zeit eine Nutzung von Öl und Gas ermöglichen würden. Dabei handelt es sich um Schweröle, Teersand, Ölschiefer, Öl- und Gasvorkommen in Tiefseegewässern und Polarregionen. Allen gemeinsam ist, dass ihre Förderung teuer ist, sie zumeist geringe Förderraten haben und ihre Nutzung schwere Umwelt- und Klimaschäden nach sich ziehen würde. Hinzu kommt der Energieaufwand für die Gewinnungsprozesse, der zusätzlich erhebliche Mengen an klimaschädlichem Kohlendioxid entstehen ließe.

Ölquellen sind Kriegsquellen

70 Prozent der Weltrohölreserven und 40 Prozent der Welterdgasreserven befinden sich in einem politischen Krisenbogen, der vom Persischen Golf über das Kaspische Becken bis nach Zentralasien reicht. Bereits in den nächsten Jahren wird der Anteil des Persischen Golfes (inklusive Irak und Iran) an der globalen Rohölproduktion kontinuierlich wachsen und der Anteil des Atlantischen Beckens (Nordamerika und Europa) abnehmen. Der Kampf um die Verteilung des »Kuchens« hat längst begonnen. Die abnehmende Kurve der Verfügbarkeit von Energieressourcen und die ansteigende Nachfrage nähern sich ihrem Kreuzungspunkt. Ist die Nachfrage auf dem gegenwärtigen Preisniveau nicht mehr zu befriedigen, werden steigende Energiepreise mit allseits durchschlagender Wirkung unausweichlich (Scheer 2000, S. 308). Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist tief in die Strukturen aller Wirtschaftssysteme der »fossilen Moderne« eingegraben. Deshalb kann bei steigenden Preisen nicht beliebig mit Verbrauchsverringerungen reagiert werden. Vor diesem Hintergrund sind kurz- und mittelfristig keine flexiblen Anpassungen an die Preissignale der Märkte zu erwarten, sondern eher eine ausgedehnte Phase wirtschaftlicher Krisen und sozialer Härten.

Ölquellen sind Kriegsquellen. Wer über diese Quellen herrscht, Förderung und Transport kontrolliert, übt entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die Volkswirtschaften der Welt aus. Auch deshalb stehen US-Truppen an den Energiequellen und in der Nähe der Pipelines im gesamten Krisenbogen.

Die USA sind mit dieser Strategie keineswegs alleine: Bereits seit 1991 wird die Militärstrategie der NATO mit der Sicherung des weltweiten Zugangs zu strategischen Ressourcen wie Erdöl begründet. Die sich immer klarer abzeichnende Militarisierung der EU- Außen- und Sicherheitspolitik hat ebenfalls diesen Krisenbogen im Blick, wobei langfristig angelegte Energieinteressen eine zentrale Rolle spielen. Inzwischen wird auch in Deutschland in außenpolitisch meinungsbildenden Kreisen – so in den Reihen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – in diese Richtung argumentiert (Umbach 2003).

Kurswechsel zur Sonnenenergie

Das Schrumpfen der Öl- und Gasvorräte ist – anders als es die ressourcenökonomische Theorie wahrhaben will – unvermeidlich und der bereits ebenso unvermeidliche, aber noch begrenzbare Klimawandel schränkt die Möglichkeiten ein, auf Kohle als Ersatz zurückzugreifen. Aus dieser Situation gibt es nur einen unbequemen, aber verlässlichen Ausweg. Er besteht darin, die Nachfrage nach Öl und Gas dauerhaft unter das (sinkende) Niveau der Förderung und damit langfristig auf einen Wert nahe Null zu senken.

Eine zukunftsfähige Energieversorgung setzt auf »weniger und besser«, auf Energiesparen und die Energiewende. Langfristig sind Solarenergie, Rest-Biomasse, Geowärme, Wind und Wasser sowie Wasserstoff als Sekundärträger in der Lage, den gesamten Bedarf an Strom, Wärme und Kraftstoffen zu decken, wenn der Energieverschwendung Einhalt geboten wird. Das ist nicht neu – mehrere Enquetekommissionen des Deutschen Bundestags, die wissenschaftlichen Beiräte der Bundesregierung und viele andere Experten stützen diese Forderungen seit mehr als einem Jahrzehnt und haben die Machbarkeit massiver Einsparungen ohne Verlust an Lebensqualität vielfach nachgewiesen. Solche Veränderungen sind aber nur zumutbar, wenn Arbeits- und Sozialpolitik dem Rechnung tragen: Statt stagnierender Realeinkommen und zunehmender Armut muss mehr und nicht weniger soziale Sicherung geboten werden. Die Energiewende ist also kein technisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Projekt.

Technisch ist die Kombination von Energiesparen und solarer Energiewende ohne weiteres möglich. Die Enquete-Kommission »Nachhaltige Energieversorgung« hat sich dafür ausgesprochen, dass in Deutschland der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent reduziert wird. Sie zeigt, dass auf die Dauer eine solare Vollversorgung in der Bundesrepublik möglich ist. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes kann der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent vermindert werden (UBA 2003). Die Empfehlung aus dem Weißbuch der EU-Kommission, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 von lediglich 6 auf 12 Prozent zu erhöhen, bleibt jedenfalls weit hinter dem zurück, was möglich ist und zeigt die Handschrift der fossilen Energiewirtschaft.

Energieeffizienz, erneuerbare Energien und solarer Umbau sind auch die angemessene, weil friedliche Antwort Europas auf die Falle von Konkurrenz, Gewalt und Kriegen um die zur Neige gehenden Vorräte an Öl und Gas (Scheer 1999, Campbell 2002, Altvater 2003). Zudem ist eine solche Energiewende trotz erheblicher Umstellungskosten volkswirtschaftlich attraktiv: heute gibt die EU jährlich ca. 240 Milliarden Euro für Öl- und Gasimporte aus, das entspricht 6% der Gesamtimporte oder 1,2% des BIP (1999, nach Umbach 2004).

Das realistische Etappenziel heißt: Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ist der Weltenergieverbrauch zu stabilisieren und überwiegend auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Fossile Energieträger, also Gas, Öl und Kohle werden dann nur noch ergänzend und übergangsweise gebraucht. Eine solare Weltwirtschaft ist eine friedensfähige Grundlage – ob sie eine friedlichere Welt bringen wird, wird nicht zuletzt von der Lösung der sozialen Fragen abhängen.

Klimaschutz ohne Biss, die Energiewirtschaft auf der Bremse

Der weltweit kommerziell erfasste Primärenergiebedarf, der sich heute zu 85 Prozent aus Kohle, Erdöl und Erdgas speist, führte bereits 1990 zu einem Ausstoß von knapp 21 Mrd. Tonnen Kohlendioxid. Berechnungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) für einen wirksamen Klimaschutz zeigen, dass der Kohlendioxid-Ausstoß in den Industriestaaten bis 2050 um 80 Prozent auf weltweit durchschnittlich 1,1 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr gesenkt werden muss. Die von der Bundesregierung avisierte Verminderung um 40 Prozent bis zum Jahre 2020 ist insofern ein plausibles Zwischenziel.

Diesen Ansprüchen genügt das sog. Kyoto-Protokoll nicht. In Kyoto war vereinbart worden, die wichtigsten Treibhausgase in einem Zeitfenster zwischen 2008 und 2012 gegenüber 1990 weltweit um bescheidene 5,2 Prozent zu vermindern (für die Bundesrepublik um 21%). Zurzeit droht die Europäische Union durch den Anstieg der Treibhausgase in einer Reihe von EU-Staaten, darunter Deutschland, damit zu scheitern, die von ihr übernommenen Verpflichtungen zur Reduzierung umzusetzen. Hauptursache ist die Steigerung der CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor um 20% seit 1990. Der von großem politischen Wirbel begleitete Emissionshandel wird nur einen begrenzten Beitrag dazu leisten können, die Treibhausgasemissionen einzudämmen, zumal seine Zielsetzungen vor kurzem vollends verwässert wurden.

Konservative und Liberale treten ganz offen für den Weg des »weiter so wie bisher« ein und wollen Klimaschutz »light« vor allem außerhalb Deutschlands betreiben. Da will auch der SPD-Bundeswirtschaftsminister nicht zurückstehen. Er setzt gemeinsam mit der Kohlelobby und Teilen der Gewerkschaften auf den Bau von Kohlekraftwerken und propagiert eine neue Kraftwerksgeneration, mit der durch die Abtrennung von Kohlendioxid bei der Verbrennung »Nullemission« erreicht werden soll (FR 2004, S. 11). Diese Strategie wird sehr clever mit dem Hinweis auf die Versorgungssicherheit verkauft – der größte Teil der Kohlenvorräte liegt nicht in Krisenregionen. Es werden weder die erheblichen Kosten noch der notwendige Energieaufwand (insbesondere für Transportpipelines, Tiefenverpressung in ehemalige Öl- und Gaslagerstätten) erwähnt. Zudem wird nicht auf die Tatsache hingewiesen, dass die Zuverlässigkeit einer dauerhaft umweltverträglichen Speicherung von Kohlendioxid, d. h. seines dauerhaften Ausschlusses aus der Biosphäre, ebenfalls nicht endgültig geklärt ist (UBA 2003, S. 30).

Im Übrigen dürfen Stein- und insbesondere Braunkohle nicht nur wegen ihrer hohen spezifischen Kohlendioxid-Emissionen, sondern auch infolge der anderen gravierenden Probleme für Mensch und Natur bei Förderung und Nutzung keine führende Rolle mehr in der Planung für eine zukunftsfähige Energieversorgung einnehmen. Innerhalb der fossilen Brennstoffe ist stattdessen auf Erdgas umzusteuern, da es aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung die geringsten spezifischen Emissionen an Kohlendioxid aufweist.

Solare Zukunft braucht Sicherheit und Zusammenarbeit

Die EU verbraucht mit 6% der Weltbevölkerung 16% der kommerziellen Weltenergie. Ihre Abhängigkeit von Importen für Öl und Gas wird – wenn die Vorräte weiter so verschleudert werden wie bisher – von gegenwärtig 70 Prozent bei Öl und 40 Prozent bei Gas auf fast 80 Prozent für Öl und fast 70 Prozent für Gas im Jahre 2020 anwachsen (EU-Kommission 2001, S. 23). In den kommenden Jahren wird eine großräumige, breit gefächerte Energieinfrastruktur – Kraftwerke, Speicheranlagen, Pipelines etc. – mit Anbindung an Lieferländer außerhalb der EU (vor allem Russland, Kaspi-Region, Mittlerer Osten, Nordafrika) entstehen. Bestehende Systeme werden modernisiert und ergänzt. Dafür hat die Sprecherin der weltweiten Energiebranche, die Internationale Energieagentur (IEA) einen Finanzbedarf von 2,1 Billionen Dollar errechnet. Weltweit schätzt sie, dass bis 2030 nicht weniger als 16 Billionen Dollar in die fossile Energiestruktur investiert werden müssen, davon 60% für die Stromerzeugung.

Allein in Deutschland müssen bis 2025 mindestens 40 Prozent der Kraftwerke aus Altersgründen durch neue Kraftwerke ersetzt und ein großer Teil der restlichen Kraftwerke modernisiert werden. Da Kraftwerke eine Laufzeit von ca. 50 Jahren haben heißt das, dass jetzt über die Energiestruktur entschieden wird, die noch 2050/60 am Netz sein wird (Trittin, FR 2003, S. 7) Damit würde auf Jahrzehnte hinaus die Nutzung fossiler Energievorräte zementiert (präziser: clementiert) und der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien blockiert (UBA 2003).

Diese Situation nutzen die nach wie vor aktiven Fürsprecher der Atomenergie, an ihrer Spitze die für Energie und Verkehr zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio, um diese als vorgebliche Lösung des CO2-Problems anzupreisen. Auch der EU-Kommission müsste jedoch bekannt sein, dass ein verstärkter Ausbau der Kernenergie – neben allen bekannten Risiken – ökonomisch als Kohlendioxid-Treiber wirkt, weil er dazu beiträgt, dass dann für die notwendige Reduktion des Ausstoßes an Kohlendioxid um 80 Prozent bis 2050 entsprechend weniger Finanzmittel bereitstehen (Sauer, 2001, S. 69 ff.).

Energieversorgung friedlich sichern

Setzt sich der Kurs der Energiekonzerne durch, dann wächst die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Öl- und teilweise auch von Gaslieferungen aus Krisenregionen. Das Interesse der EU an einer langfristig gesicherten Energieversorgung ist legitim, aber die Wahl der Mittel und Methoden dazu ist nicht beliebig. Die zunehmende Militarisierung der Außenpolitik, das Verständnis von Handlungsfähigkeit als die Fähigkeit zum militärischen Eingreifen widerspricht dem Ziel, stabile internationale Beziehungen aufzubauen und damit den Sicherheits- und Wohlstandsinteressen der EU ebenso wie den Eigeninteressen der potenziellen Partner. Die Fixierung sowohl der europäischen als auch der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auf militärische Handlungsfähigkeit ist ein Pawlowscher Reflex auf die militärisch orientierte Neudefinition von Macht und Legitimität in den USA. Aber wieso sollte ein Europa diesem Kurs folgen wollen, das friedliche Kooperation, die Suche nach gemeinsamen Interessen, Konfliktmoderation und -prävention über viele Jahre als Erfolgsmodell – auch als wirtschaftliches – erlebt hat?

Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, mit so vielen Staaten wie möglich und getragen von Geist und Buchstaben der KSZE Schlussakte von Helsinki, das schafft für alle Beteiligten die nötige Sicherheit für die Zukunft. Dazu gehört, dass durch eine Energiewende die Konkurrenz um schrumpfende Vorräte mittelfristig entspannt wird (eine überfällige neue Entspannungspolitik), und die Militarisierung der Außen- und Wirtschaftspolitik, die mit der in Brüssel am 12.12.2003 beschlossenen europäischen Sicherheitsstrategie forciert wurde, wieder zurückgefahren wird.

Soziale und nachhaltige wirtschaftliche Wohlfahrt sind nicht ohne stabile Abnahmepreise und langfristige Lieferverträge mit den Ländern zu haben, mit denen man dauerhaft zusammenarbeitet. Sie sind entscheidende Voraussetzung für deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung (das gilt insbesondere für Russland, vgl. Medvedev 2004) und sie ermöglichen auch die Vorbereitung auf das postfossile Zeitalter, wie es in Kuwait traditionell und in Kasachstan aktuell politisch vorangetrieben wird. Kuwait investiert seit Jahren massiv in Sektoren außerhalb des Ölgeschäfts, um auch nach dessen Ende noch Einkünfte zu haben. Kasachstan hat jetzt, nachdem zuerst alles privatisiert wurde, mit Auflagen begonnen, wie viel Prozent der Zulieferungen aus nationaler Produktion kommen müssen, um eine Binnenwirtschaft aufzubauen, die die Grundlage für künftigen Wohlstand bilden soll.

Gemeinsam in die solare Moderne

Die EU bezieht 10% ihres Rohöls aus Libyen und 29% ihres Erdgases aus Algerien; dies und die weiteren Öl- und Gasvorkommen in Marokko, Tunesien und Mauretanien sind Thema der 1995 in Barcelona beschlossenen »strategischen Partnerschaft« von EU und Anrainerstaaten des Mittelmeers. Trotz seiner breiten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Grundlage ist der Prozess bislang nur unzureichend zur strategischen Zusammenarbeit genutzt worden.

Eine solche Partnerschaft der Union gibt es noch nicht mit den östlichen Nachbarn, aber auch hier ist längerfristig eine Kooperation viel versprechend und plausibel. So haben die CIS – Wirtschaftsgemeinschaft aus Russland, Ukraine, Weißrussland und Kasachstan – und die Europäische Union weitaus mehr konvergierende Eigeninteressen als strategische Differenzen. Sie alle können nicht dabei gewinnen, wenn sie sich im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen oder Bündnisstrukturen (NATO) den Interessen der USA unterordnen. Stattdessen können alle Staaten beider Wirtschaftsgemeinschaften in der Zusammenarbeit gewinnen. So ermöglicht die Kombination von Kapital und Technik aus Westeuropa mit Ressourcen und Märkten in Osteuropa eine für beide Seiten viel versprechende Partnerschaft. Insbesondere die Gasreserven Russlands, die zweitgrößten der Welt, und die ebenfalls erheblichen Reserven Kasachstans sind für eine Übergangsstrategie zu einer klimagerechten Energieversorgung attraktiv.

Deshalb ist die zwischen der EU und Russland im Herbst 2000 proklamierte strategische Energiepartnerschaft zügig durch Abkommen zu vertiefen. Dabei wären künftige Energielieferungen, wie bereits 1999 von Russland ins Gespräch gebracht, nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro zu verrechnen. Das wäre ein erster Schritt um unabhängiger vom US-Dollar zu werden, der noch die Weltenergiemärkte beherrscht.

EU – Russland: Enge Kooperation statt Würgegriff

Die Europäische Union sieht, wie der Beschluss der EU-Außenminister zur Zusammenarbeit mit Russland vom 23.2.2004 zeigt, noch viele humanitäre und institutionelle Probleme, die einer engen Zusammenarbeit im Wege stehen, aber fast alle lösbar sind. Allerdings dürfte das EU-Verlangen nach einer Liberalisierung der russischen Gasindustrie für Russland so kaum hinnehmbar sein. Denn dahinter verbirgt sich das Ziel der europäischen Energiewirtschaft, die russischen Energieressourcen nicht nur zu nutzen, sondern auch zu besitzen. Der Schlüssel dafür ist der Energie-Charta-Vertrag, den etliche Staaten der Kaspi-Region bereits unterzeichnet haben, nicht jedoch bislang Russland und die USA. Er verpflichtet die Unterzeichner auf die Privatisierung der Ressourcenvorräte wie der Transitwege, sowie auf den freien Transfer der in einem Land erwirtschafteten Gewinne. Russland hat dagegen für Naturressourcen das »natürliche Monopol« des Staates aufrechterhalten. Die zudem von Russland verlangten »marktgerechten Energiepreise« dürften faktisch auf eine Freigabe der Energiepreise auf dem russischen Energiebinnenmarkt hinauslaufen. Das würde Russland empfindlich treffen, denn bislang werden mit den höheren Exportpreisen für Öl und Gas und den daraus resultierenden Einnahmen die niedrigen inländischen Gaspreise für Industrie und Bevölkerung subventioniert. Würde dies aufgegeben, dann ginge die bisherige bescheidene Konsolidierung der russischen Staatsfinanzen und der seit geraumer Zeit anhaltende wirtschaftliche und soziale Aufschwung verloren. Im Übrigen steht europäischen Investitionen auch ohne die Deregulierung des russischen Energiebinnenmarkts nichts im Wege, wie das erfolgreiche Beispiel der Firma Ruhrgas zeigt.

Ein weiterer Stachel in den Beziehungen ist die Strategie der EU für einen euroasiatischen Transportkorridor. Er dient im Wesentlichen dem Ziel, Europa unter Umgehung Russlands mit Öl und Gas aus den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres zu versorgen und eigene Hegemonialinteressen in dieser Region durchzusetzen. Eine tragende Säule dafür ist die Unterstützung der EU und Deutschlands für die politisch, ökologisch und ökonomisch stark umstrittene Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan.

Beide Beispiele machen deutlich, das einerseits zwar mit Russland weiterhin im Bereich der Energieversorgung kooperiert, andererseits aber zugleich eine neuerliche Ausdehnung seines Macht- und Herrschaftsbereichs unterbunden werden soll (Umbach, 2004). Solch eine Politik des Umzingelns, gekoppelt mit »Teilen und Herrschen« im Umgang, schürt von vornherein Misstrauen. Damit bauen sich nicht nur latente und offene Spannungen zwischen der EU und Russland auf, sondern ebenso wird die Gestaltung der Beziehungen Russlands zu seinen Nachbarn als ein langfristig angelegtes, kooperatives Miteinander erschwert. Stattdessen werden alte, kontraproduktive Strukturen des Ringens um Macht und Einfluss verstärkt.

Literatur

Altvater, Elmar: Die Währung des schwarzen Goldes, in: Internationaler Rundbrief Nr. 17 von ATTAC, S. 1 vom 16.01.2003.

Altvater, Elmar: Die Gläubiger entmachten, in: Freitag Nr. 44, S. 5 vom 24. Oktober 2003.

Campbell, Colin et al: Ölwechsel! – Das Ende des Ölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft, DTV, München 2002.

EU-Kommission: Grünbuch – Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit, S. 23, Luxemburg 2001.

Frankfurter Rundschau: Zweifel am Niveau der Förderreserven der Ölmultis wachsen, in: FR Nr. 12, S. 13 vom 15.01.2004.

Frankfurter Rundschau: Feuer unterm Dach beim Emissionshandel, in: FR Nr. 24, S. 11 vom 29.11.2004;

Grobe, Karl: Putins großes Spiel, in FR Nr. 262, S. 3 vom 10.11.03.

Medvedev, Sergei: Putins Second Republic: Russian Scenarios, in: Internationale Politik und Gesellschaft Nr. 1, S. 96-114, 2004.

Sauer, Gustav W.: Die ökologische Herausforderung – Umweltzerstörung als sicherheitspolitische Determinante, Deutscher Universitäts-Verlag, S. 69 ff, Wiesbaden 2001.

Scheer, Hermann: Solare Weltwirtschaft – Strategie für die ökologische Moderne, Kunstmann Verlag, München 1999.

Scheer, Hermann: Kein friedliches Europa ohne eine solare Revolution, in: Mader, G. et al.: Ökonomie eines friedlichen Europa – Ziele, Hindernisse, Wege; Schriftenreihe des ÖSFK, Studien für europäische Friedenspolitik, Bd 6, Agenda Verlag, Münster 2000.

Trittin, Jürgen: Klimaschutz ist ein Markt ungeahnter Größe, in: Frankfurter Rundschau Nr. 209, S. 7 vom 08.09.2003.

Umbach, Frank: Security Partnership and Strategic Energy Resources, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin, Januar 2004.

Umbach, Frank: Globale Energiesicherheit – strategische Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Oldenbourg Verlag, München 2003.

Umweltbundesamt: Anforderungen an die zukünftige Energieversorgung – Analyse des Bedarfs zukünftiger Kraftwerkskapazitäten und Strategie für eine nachhaltige Stromnutzung in Deutschland, Berlin, August 2003.

Dr. Detlef Bimboes ist Diplombiologe. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden; Joachim H. Spangenberg ist Diplombiologe und Ökologe. Er lebt in Köln, lehrt in Versailles und arbeitet in Wien. Die Langfassung dieses Beitrages kann unter http://www.natwiss.de/11-05-04tonnenweisefrieden-jsdb-fin.pdf heruntergeladen werden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/3 Ziviler Widerstand, Seite