Kommunikation auch im Krieg
15. Fachtagung, Norddeutsches Netzwerk für Friedenspädagogik, Ratzeburg, 23.-25. Februar 2023
Die 15. Fachtagung des Norddeutschen Netzwerk Friedenspädagogik (NNF) konnte nach zwei pandemiebedingten Online-Tagungen wieder in Präsenz stattfinden. Insgesamt etwa 60 Personen aus Wissenschaft und Praxis nutzten die Gelegenheit, um neue Ansätze und Methoden der Friedensbildung kennenzulernen, ihre praktischen Erfahrungen untereinander auszutauschen und sich erneut oder neu zu vernetzen.
Die russische Invasion der Ukraine jährte sich am 24. Februar, dem zweiten Konferenztag. Wie schon im vergangenen Jahr war auch diesmal die Frage nach dem Umgang mit dem Krieg in der Ukraine sehr präsent und wurde teilweise sehr kontrovers diskutiert. Es bleibt ersichtlich, dass Friedensbewegte immer noch um Positionen ringen: Sind Waffenlieferungen unter den gegebenen Umständen sinnvoll? Wie gelingt Kommunikation bei sehr polarisierten Positionen und Versionen von »Wahrheit«? Welche Rolle spielt Friedenspädagogik in stark eskalierten Konflikten? Und wie reduziert Friedenspädagogik Gewaltpotentiale in Gesellschaften? Umso wichtiger sind sichere Räume für den Austausch der jeweiligen Positionen, wie auch die gemeinsame Aushandlung einer möglichen Stellungnahme zum Kriegsgeschehen verdeutlichte.1 Die Tagung war allerdings nicht darauf ausgelegt, eine Lösungsstrategie für den Ukraine-Krieg zu diskutieren. Friedenspädagog*innen beschäftigen sich aus unserer Sicht eher mit den Fragen, wie Menschen über den Themenkomplex »Krieg und Frieden« ins Sprechen kommen, darin kriegerische Logiken zu hinterfragen lernen und sich Kompetenzen der Konfliktbearbeitung aneignen können.
Die Tagung selbst stand unter dem Titel »Verständigen. Verstehen. Verbinden. Frieden heißt in Verbindung sein«. Das Motto kann als Erinnerung verstanden werden, dass auch in kriegerischen Zeiten kommunikative Lösungen gefragt sind und eben nicht nur Waffen sprechen sollten. Die Tagung sollte daher (1) theoretische Annahmen der Konflikttransformation diskutieren, (2) Wege zu einer friedenslogischen Haltung aufzeigen, (3) praktische Methoden der Friedensbildung vermitteln und (4) Beispiele für gelungenes In-Verbindung-Bleiben anbieten.
Zu Beginn der Tagung konnten die Teilnehmer*innen eine direkte Erfahrung mit dem Ansatz der Tiefenökologie machen. Emotionales Lernen, das Erleben in den Mittelpunkt stellt, ist eine der vielen Ebenen auf denen Lernen stattfinden kann. Dem NNF liegt viel daran, auf seinen Tagungen viele dieser Lernebenen anzusprechen, um möglichst alle Teilnehmenden abzuholen. »The Work That Reconnects« (Macy 2017), oder auf Deutsch eben die »Arbeit der Tiefenökologie«, soll Menschen über schwere Themen und Schwierigkeiten der Welt gemeinsam in der Gruppe miteinander in Kontakt bringen und einen Raum bieten, sich diesen gemeinsam zu stellen. Die damit verbundene Hoffnung ist, dass das gemeinsame Erleben von Erfahrungen und Emotionen und die Öffnung, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen, dazu führt, die gegenseitige Verbundenheit sowie die Kraft zum Handeln und für Veränderungen wiederzufinden. Dieses emotionale Erleben am ersten Tag der Konferenz führte bei einem Großteil der Anwesenden zu intensiven Verbindungen zwischeneinander und ließ die Gruppe der Konferenzteilnehmer*innen sich mehr als Gruppe denn als einander im Wesentlichen fremde, je einzelne Menschen spüren.
Die intensive Selbstreflexion des ersten Tages diente vielen der Teilnehmenden als Impuls und Kraftquelle, um an den weiteren Konferenztagen zentrale Fragen der Friedensbildung anzugehen: Welche Strukturen formen unsere Gesellschaft maßgeblich? Wie können wir friedenslogisch denken? Wann handeln wir persönlich nach welchen Strukturen?
Die Unterscheidung von Friedenslogik und Sicherheitslogik zeigte mögliche Antworten auf. Im Kern handelt es sich bei friedenslogischem Denken um einen Ansatz und eine Haltung, Gewalt zu vermeiden und die Beziehung zwischen Konfliktparteien neu zu gestalten. Dabei spielt auch das eigene Selbst in der Lösungsfindung, die eigene Selbstreflexion und Korrektur der Handlungen eine große Rolle. In den Diskussionen des Ansatzes wurde deutlich, dass sicherheitslogische Haltungen stark in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert sind. Ansätze wie die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg brechen mit Sicherheitslogik und laden ein zum Hineinwachsen in eine friedenslogische Haltung auf interpersoneller Ebene. Die Etablierung solcher Ansätze – beispielsweise durch Friedensbildung an Schulen – stärkt wiederum gesamtgesellschaftliche Handlungsfähigkeit in Konflikten und wirkt so in gesellschaftliche Strukturen zurück, transformiert diese von innen heraus.
Ein weiterer Ansatz der gewaltfreien Konfliktbearbeitung, der auf der Tagung sehr viel Anklang fand, war die Soziale Verteidigung. Hier zeigte sich, dass die Verteidigung nationaler Grenzen, die militärische Operationen in der Regel zum Ziel haben, für die Menschen keine zentrale Rolle spielen. Diesen geht es vielmehr um gesellschaftliche Werte und soziale Gegebenheiten, wie sie die Soziale Verteidigung in den Mittelpunkt stellt. Militärische Verteidigung zerstört oft genug genau das, was den Menschen wichtig ist. Beispielsweise geht mit der Ausrufung des Kriegsrechts der Verlust demokratischer Rechte einher (Freizügigkeit, Kriegsdienstverweigerung, Meinungsfreiheit). Krieg, so das Fazit der Diskussion, habe „antidemokratische Tendenzen“, auch indem sich Werte verschieben: Während in einer demokratischen Gesellschaft die Auseinandersetzung in der Diskussion und der Konsensfindung gesucht werde, seien im Krieg lange Entscheidungsfindungsprozesse verpönt bis (scheinbar) unmöglich. »Patriarchale« Werte (körperliche Stärke, Angriffslust, Gewinner-Verlierer-Mentalität) würden wichtiger. Im Verlauf des Workshops wurde sehr deutlich, dass Soziale Verteidigung als Konzept tatsächlich schwer zu denken oder zu träumen ist. Unsere Vorstellungen von Sicherheit und Wehrhaftigkeit sind zutiefst geprägt von der Idee des Krieges und vom Einsatz von Gewalt, wenn es um »Verteidigung« geht. Die Fähigkeit, sich alternative Vorgehensweisen vorzustellen, scheint ernsthaft eingeschränkt.
Auffällig war die Vielfalt der Perspektiven auf das Feld der Friedenspädagogik, die die Tagungsteilnehmer*innen einbrachten. Einige sahen es als vordergründiges Ziel der Friedenspädagogik, zunächst Frieden in einem selbst herzustellen, da die eigene innere Haltung ein ganz entscheidender Faktor für (Konflikt-)Transformation sei. Andere setzten stärker auf kognitive Dimensionen der Pädagogik, indem sie betonten, dass aktiv abrufbares Wissen über internationale Friedensakteure ein entscheidender Faktor für eine konstruktive Beschäftigung mit Krieg und Frieden darstelle. Gleichzeitig wurde von den Teilnehmenden teils sehr deutlich gefordert, dass strukturelle und kulturelle Gewalt und damit einhergehende Systemkritik einen höheren Stellenwert in der friedenspädagogischen Arbeit einnehmen müssten. Widersprechen sich Frieden und postmoderner Kapitalismus gar gänzlich? Grundsätzliche Einigkeit bestand bei der Annahme, dass Friedensbildung einen höheren Stellenwert in unserem Bildungssystem bekommen sollte. Die Teilnehmenden waren überzeugt, dass das Verstehen von eigenen und »fremden« Bedürfnissen, Interessen und Positionen, Wissen über Ansätze konstruktiver Konfliktbearbeitung und die Etablierung von Strukturen zur Bearbeitung von Konflikten die Wahrscheinlichkeit gewaltvoller Konfliktaustragung reduziert. Es bleibt daher unverständlich, warum selbst Grundlagen konstruktiver Konfliktbearbeitung in vielen formellen und informellen Bildungssystemen kaum präsent sind.
Anmerkung
1) Die finale Stellungnahme wurde nicht im Namen des Netzwerks oder aller Konferenzteilnehmer*innen unterzeichnet oder verbreitet, sondern nur im Namen individuell Unterzeichnender.
Konstantin Leimig, Maria Höppe und Susanne Umbach