W&F 2014/1

Konflikt um Homoehe

Eine reaktionäre Massenbewegung in Frankreich

von Bernard Schmid

Im Frühjahr 2013 kam es in Frankreich zu einer Welle von Demonstrationen gegen ein Gesetz für gleichgeschlechtliche Ehen. Wochenlang hielt diese Auseinandersetzung die französische Gesellschaft in Atem.

Als der Sommer des Jahres 2013 kam, hätte man zunächst glauben können, dieses Kapitel sei nun wirklich abgeschlossen: Am 17. Mai des Jahres hatte das französische Verfassungsgericht das zuvor vom Parlament verabschiedete Gesetz zur Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare für verfassungskonform erklärt. Am 18. Mai wurde es durch die Unterschrift von Staatspräsident François Hollande in Kraft gesetzt. Die letzte große Protestdemonstration gegen das Gesetz wurde unter Beteiligung von Hunderttausenden am 26. Mai in Paris abgehalten. Am 29. Mai 2013 fand die erste Eheschließung zwischen zwei Männern im südfranzösischen Montpellier statt, wo das Rathaus durch fast 300 Beamte der Polizei und Gendarmerie gegen eventuelle Störungen abgeschirmt wurde. Am 27. August 2013 meldete »Radio France Inter« die Zahl von 596 Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Partner, weitere 1.000 Hochzeitstermine waren angemeldet worden. Und was kommen musste, kam dann auch: Am 29. Oktober wurde die erste gleichgeschlechtliche Scheidung von zwei Frauen angekündigt, die vier Monate zuvor in Toulouse eine Ehe eingegangen waren.

Die Annahme, nunmehr sei in dieser Frage in jeglicher Hinsicht »Normalität« eingetreten, erwies sich allerdings als verfrüht. Der seit November 2012 anhaltende, von religiösen, konservativen und faschistischen Kräften getragene Protest setzte sich fort. Die Führung der stärksten Oppositionspartei in Frankreich, der »Union pour un mouvement populaire« (UMP), die bereits vor dem letzten breiten Protest vom 26. Mai über ihre Teilnahme an der Demonstration gespalten war, zog sich nach diesem Termin aus den Massenprotesten ganz zurück – mit dem Argument, dass ein einmal in Kraft getretenes »Gesetz der Republik« respektiert werden müsse, da sonst die Untergrabung der Staatsautorität drohe. Doch nicht alle ihre AnhängerInnen hörten darauf und schon gar nicht die ganze Palette aus religiösen Fanatikern, das Vergnügen der (Pseudo-) Revolte frisch entdeckenden Jungrechten und jungen Bourgeois aus den »besseren Vierteln« sowie den faschistischen Aktivisten.

Ein »Märtyrer«

Ihr Protest erhielt neue Nahrung, als im Juni 2013 der damals 23-jährige Student Nicolas Bernard-Busse zu zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, um ein Exempel zu statuieren. Er war zum zweiten Mal in Folge bei einer illegalen Demonstration gegen die Homo-Ehe aufgegriffen worden, hatte bei der Polizei eine Fantasieidentität angegeben und die Abgabe einer Speichelprobe für einen DNA-Test verweigert.

Dass überhaupt aufgrund solcher Delikte »wider die öffentliche Ordnung« Haft- und nicht nur Geldstrafen verhängt werden können, liegt an der »Sicherheits«gesetzgebung, die durch die damals regierende Rechte – zunächst mit Nicolas Sarkozy als Innenminister, später als Präsident – in den Jahren 2002 bis 2012 eingeführt und ausgebaut wurde. Dieselbe konservative Rechte gab sich jetzt auf heuchlerische, aber öffentlichkeitswirksame Weise empört. Der auf dem rechten Flügel der UMP angesiedelte Abgeordnete Hervé Mariton besuchte Bernard-Busse in den letzten Junitagen zusammen mit weiteren Mandatsträgern in der Haftanstalt. Mariton hatte bereits vor mehreren Jahren offen mit der extremen Rechten zusammengearbeitet und amtierte 1998/99 als Vize des mit den Stimmen der Konservativen und des Front National gewählten damaligen Regionalpräsidenten von Lyon, Charles Millon.

Die Affäre um den inhaftierten Studenten goss Benzin ins Feuer des rechten Protests. Am 30. Juni 2013 etwa zogen dessen Unterstützer in einem Autokorso mit mindestens 200 Fahrzeugen hupend und Fahnen schwenkend durch die Pariser Innenstadt. Bernard-Busse wurde einige Tage später in zweiter Instanz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und nach knapp drei Wochen vorzeitig aus der Haft entlassen. In der am 8. August 2013 erschienenen Ausgabe des rechtskonservativen bis rechtsextremen Wochenmagazins »Valeurs actuelles« schilderte er ausgiebig, wie er als ordentlicher Bürgersohn die Wochen in Haft mit gar schrecklichen Gestalten habe zubringen müssen.

Sinnfälliges Symbol des auch danach noch anhaltenden rechten Protests war die »Tour de France« im Juli 2013, bei der das Fernsehen Etappe um Etappe die GegnerInnen der Homo-Ehe mit ihren rosaroten und blauen Fahnen zeigte.

Die extreme Rechte

Auf politischer Ebene kündigte am 26. August 2013 eine Bürgermeisterin öffentlich ihre Absicht an, sich dem neuen Gesetz zu widersetzen und die Eheschließung zwischen zwei Frauen in »ihrem« Rathaus standhaft zu verweigern. Es handelte sich um Marie-Claude Bompard, Rathauschefin im südfranzösischen Bollène, die bei der letzten Kommunalwahl im März 2008 über eine vermeintlich unpolitisch-konservative Einheitsliste gewählt wurde. Ihre politische Zuordnung zur extremen Rechten fällt jedoch nicht schwer: Ihr Ehemann Jacques Bompard ist seit 1995 Bürgermeister der Nachbarstadt Orange und gehörte von Anfang der 1970er Jahre bis zum Herbst 2005 dem Front National an; danach war er Mitglied mehrerer rechten Kleinparteien und steht heute der (zusammen mit den »Identitären« betriebenen) rechtsextremen Regionalpartei »Ligue du Sud« vor.

Als Madame Bompard für ihren offenen Gesetzesbruch ein Strafverfahren angedroht wurden, knickte sie wenige Tage später jedoch ein und ließ ihre Beisitzerin die Eheschließung vornehmen. Selbst der Vizepräsident des Front National, Florian Philippot – in Fragen der Homo-Ehe vertritt er den vergleichsweise moderaten Flügel innerhalb seiner Partei –, hatte ihr Verhalten kritisiert. Er postulierte, wenn das Gesetz nun einmal beschlossen sei, müsse man sich als Stadtoberhaupt auch daran halten. Das sehen aber beileibe nicht alle Anhänger und Parteifunktionäre des Front National so.

Tatsächlich war die mit Abstand stärkste Partei der extremen Rechten in Frankreich, der Front National, über die Demonstrationen gespalten. Die 44-jährige Parteichefin Marine Le Pen war persönlich reserviert, was eine Teilnahme betraf: Zum einen war sie überzeugt, dass es in Wirklichkeit eher „die wirtschaftlichen und sozialen Themen“ seien, die die französische Gesellschaft im Allgemeinen und die Wählerschaft ihrer Partei im Besonderen berührten. Mit so genannte weichen oder postmateriellen Themen wie der Debatte um die Homo-Ehe lenkten die etablierten Parteien die Aufmerksamkeit lediglich von der wirtschaftlichen Misere weg. Zum anderen wollte Marine Le Pen anfänglich aber auch vermeiden, dass ihre Partei in der öffentlichen Wahrnehmung in der erzreaktionären Miefecke steht. Da sie sich seit ihrem Antritt als Parteivorsitzende im Januar 2011 verstärkt um neue WählerInnenschichten – Frauen, jüngere Generationen, Personen mit höherem Bildungsgrad – bemüht, die bislang dem Front National eher fern standen, und zunächst nicht vom Erfolg der Demonstrationen überzeugt war, blieb sie auf Abstand.

Diese Haltung war in ihrer Partei allerdings stark umstritten. Ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, erklärte seine Unterstützung für die Proteste, ohne freilich selbst teilzunehmen, was mit seinem hohen Alter (85) zusammenhängen könnte. Und ihre Nichte, Marion-Maréchal Le Pen, 23 Jahre junge Abgeordnete in der Nationalversammlung, sowie deren parteiloser, aber für den Fronat National gewählter Parlamentskollege Gilbert Collard nahmen persönlich an den Demonstrationen teil.

Neben dem Front National und der UMP, die um Einfluss in der rechten Protestbewegung konkurrierten und dabei jeweils in den eigenen Reihen auf Widersprüche stießen, gingen auch zahlreiche kleinere rechtsextreme Organisationen gestärkt aus dem monatelangen konservativ-reaktionären Massenprotest hervor. Dies gilt etwa für die katholisch-nationalistische, militante Gruppierung »Renouveau français«, die Reste der monarchistisch-nationalistischen »Action française«, aber auch den eher neuheidnisch als christlich orientierten »Bloc identitaire«. Sie alle hatten versucht, sich an die Spitze des Protests zu setzen und sich im April und Mai im Anschluss an die regelmäßig stattfindenden Demonstrationen fast allabendlich gewaltförmige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Auf politischer Ebene versuchte ferner das katholisch-fundamentalistische »Institut Civitas«, angeführt vom ehemaligen Vorsitzenden des belgischen »Front national belge« (FNB), Alain Escada, die Proteste zu radikalisieren. Das »Institut Civitas«, das gegen die »freimaurerische Republik« wettert, demonstrierte bei den größeren Protestzügen, so am 13. Januar und am 26. Mai 13, auf getrennter Route mit eigenen Parolen.

Gesellschaftlicher Hintergrund

Warum aber konnte die Bewegung über organisierte Rechtsextreme einerseits und in ihrer Weltanschauung gefestigte Kirchenkreise andererseits hinausgehen und eine derartige Dynamik auslösen? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, die sowohl aktueller wie struktureller Natur sind.

Auf der ersten Ebene ist die schmähliche Bilanz der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Grünen angesiedelt: Außer dem tatsächlich eingelösten Versprechen, die Homo-Ehe einzuführen, hat sie keine sonstigen Erfolge vorzuweisen. Insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik zeigt sie keinerlei Gestaltungswillen, sondern beruft sich auf kapitalistische »Sach-« und europäische »Sparzwänge«, exekutiert den Willen »der Wirtschaft« und verfolgt kaum eine andere Politik als ihrer Vorgängerregierung. Die Unterschiede zwischen den großen politischen Lagern haben sich infolgedessen sehr weitgehend verwischt – bis auf die symbolpolitischen Themen, bei denen von beiden Seiten Wertvorstellungen mobilisiert werden, ohne an den Fragen der Verteilung zwischen Kapital und Arbeit rühren zu müssen.

Hinzu kommt als strukturelles Element das historische Erbe aus der französischen Geschichte, das in einem Teil der Gesellschaft weiter wirkt. In einem Milieu, das sich durch die Bindungswirkung »katholischer Werte« und konservativer Einstellungen auszeichnet, würde in anderen Ländern vielleicht eher eine unpolitische Haltung oder die Einrichtung im Bestehenden vorherrschen. In Frankreich aber ist ein Teil gerade dieses Milieus durch die Erinnerung an den Epochenbruch von 1789 geprägt: Modernisierung und Abkehr vom Überkommenen wird hier dauerhaft mit einem vermeintlich traumatischen Erlebnis – dem Zusammenbruch einer als »natürlich« vorgestellten Ordnung – assoziiert. Deswegen besteht in einem Teil des konservativen bis reaktionären gesellschaftlichen Milieus stets eine auf den ersten Blick erstaunlich wirkende Bereitschaft, sich »notfalls« auch aktiv der Politik der Regierenden zu widersetzen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Regierenden einem als »feindlich« wahrgenommenen politischen Lager angehören, dem seit der Enthauptung des Königs im Januar 1793 und der Trennung von Kirche und Staat im Dezember 1905 alle möglichen »Schandtaten« zugetraut werden. Ein solcher aktivistischer Konservativismus ist etwa in Deutschland eher unbekannt.

Die meiste Zeit bleibt diese Mobilisierungsbereitschaft konservativer Kreise im Latenzzustand. Wenn aber ein Thema, wie die als bedrohlich wahrgenommene Reform der staatlichen Finanzierung für die katholischen Privatschulen im Frühjahr 19841 oder aktuell die Homo-Ehe, als besonderer Stachel wahrgenommen wird, dann schlägt die Situation um. Dies gilt insbesondere, wenn die Straße dem rechten Protest überlassen bleibt, weil die Basis der Linksparteien und ein Gutteil der Gewerkschaften desorientiert, frustriert und perspektivlos vor sich hin starren.

Ausblick

Die GegnerInnen der Homo-Ehe meldeten sich auch im Laufe des Herbstes 2013 ungebrochen zu Wort, etwa mit den Störaktionen und Pfiffen gegen einen Auftritt von Präsident François Hollande auf den Pariser Champs-Elysées am 11. November, einem gesetzlichen Feiertag in Frankreich, der auf das Datum des Kriegsendes im November 1918 verweist. Es kam dabei zu insgesamt 73 vorübergehenden Festnahmen. Zwei Tage zuvor wurden drei bekannte Aktivisten der Bewegung gegen die Homo-Ehe erwischt, als sie auf der Pariser Ringautobahn eine Mautstelle für LKWs zerstörten. Diese sollte der Erhebung der zunächst zum 1. Januar 2014 geplanten und infolge eines aus diffusen Motiven gespeisten Protests inzwischen auf frühestens 2015 verschobenen Ökosteuer dienen. Dabei versuchten die GegnerInnen der Homo-Ehe, aktiv an den gegen die Maut-Einführung gerichteten, überwiegend steuerfeindlich-mittelständisch geprägten und ressentimentbehafteten („gegen Ökokram“) Protest anzudocken.

Einige Ausdrücke ihres Protests glitten zur selben Zeit in offenen Rassismus ab. Dies gilt insbesondere für mehrere Aktionen und »Empfänge« gegen Auftritte der Justizministerin Christiane Taubira, die bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs zur Homo-Ehe und seiner Vorstellung im Parlament eine wichtige Rolle spielte und den Homophoben deswegen besonders verhasst ist. Die schwarze Karibikfranzösin wurde wiederholt explizit aufgrund ihrer Hautfarbe ins Visier genommen. Am 25. Oktober wurde Taubira im westfranzösischen Angers erstmals von GegnerInnen der Homo-Ehe in aller Öffentlichkeit mit Bananen »begrüßt«. Kinder, die offensichtlich von ihren Eltern gesteuert wurden, bezeichneten sie gleichzeitig als „Affenweibchen“. Hinter dieser Inszenierung wurde zunächst die extreme Rechte vermutet. Eine Studierendengruppe des Front National konterte den gegen sie gerichteten Verdacht, indem sie eine sehr aktive Lokalpolitikerin der UMP als Teilnehmerin der rassistischen Aktion outete. Ein Video, das die rechtsextremen Studenten der Tageszeitung »Le Figaro« zuspielten und das dort am 6. November publiziert wurde, ließ wenig Zweifel an der Rolle der fanatisiert auftretenden Konservativen.

Zu den Kommunalwahlen, die in ganz Frankreich am 23. und 30. März 2014 stattfinden, werden prominente Mitglieder der Bewegung gegen die Homo-Ehe auf Listen der Parteien der politischen Rechten – sowohl der UMP als auch der extremen Rechten sowie zwischen ihnen stehenden, rechtsbürgerlichen Kräften – kandidieren. Im südwestfranzösischen Rodez bildeten lokale Aktivisten der Bewegung mit dem örtlichen Front National eine gemeinsame Bündnisliste. Zur Europaparlamentswahl am 25. Mai 2014 will die rechtskatholische Politikerin und Ex-Ministerin Christine Boutin eine eigene Liste von Abtreibungs- und Homo-Ehen-GegnerInnen antreten lassen. Diese stellte sie im Oktober 2013 u.a. unter Mitwirkung des früheren führenden Front-National-Politikers Jean-Claude Martinez bei einer Pressekonferenz vor. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass diese Liste ein zu schmales politisches Segment anspricht, denn es wird auch auf der sonstigen Rechten an Konkurrenz mit ähnlichen thematischen Positionen nicht mangeln.

Die Demonstrationen rissen unterdessen nicht ab. Am 15. Dezember 2013 konnte die rechte Protestbewegung zwischen 6.000 (Polizeiangaben) und 30.000 (Angabe der Veranstaltenden) TeilnehmerInnen nach Versailles mobilisieren. Gleichzeitig demonstrierten zwischen 1.600 und 3.000 Personen im zentralfranzösischen Blois sowie mehrere Hundert in Montpellier. Offizielles Thema war die „Familienphobie der Regierung“, eine soeben durch die Gegner der Homo-Ehe erfundene Wortschöpfung, mit der der Vorwurf der Homophobie gekontert werden soll. Für den 2. Februar 2014 sind weitere Protestzüge in Paris geplant, zu denen landesweit mobilisiert wird.

Anmerkung

1) Die damaligen Millionenproteste fielen zeitlich mit dem Durchbruch des Front National als Wahlpartei mit Massenanhang zusammen.

Dr. Bernard Schmid lebt seit zwanzig Jahren in Paris, wo er als Jurist für eine Nichtregierungsorganisation zur Rassismus- und Diskriminierungsbekämpfung arbeitet. Er hat zahlreiche Bücher zur extremen Rechten geschrieben.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/1 Konfliktdynamik im »Globalen Norden«, Seite 10–12