W&F 2003/4

Konflikte gewaltfrei austragen

von Christine Schweitzer

„Wir werden heutzutage von den erstaunlichsten Entdeckungen im Bereich der Gewaltanwendung überrascht. Ich vertrete jedoch die Ansicht, dass noch weit unerhörtere und scheinbar noch unmöglichere Entdeckungen im Bereich der Gewaltlosigkeit gemacht werden können.“ Dieses Zitat von Mohandas K. Gandhi ist Leitmotiv und Programm des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (IFKG). Ziel dieses 1992 gegründeten Institutes ist es, gewaltfreie Methoden der Konfliktaustragung zu erforschen und stärker in die öffentliche und wissenschaftliche Debatte einzubringen. Trotz der Stärkung der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland, die in den letzten Jahren zu verzeichnen ist, ist das IFGK weiterhin das einzige Institut in der Bundesrepublik, das sich mit Konflikt und Konfliktbearbeitung mit einem erklärten Interesse an Gewaltfreiheit befasst.
Zentrales Anliegen des IFGK ist der Frieden in einem umfassenden und »positiven« Sinn (J. Galtung). Die Hoffnung auf eine »Friedensdividende« nach 1989 hat sich als kurzlebige Illusion erwiesen. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Weltordnung des 21. Jahrhunderts dadurch geprägt sein wird, dass die einzig verbliebene Weltmacht und einige regionale Mächte durch Einsatz von militärischer Gewalt weitgehende Kontrolle über wichtige strategische und ökonomische Ressourcen zu bewahren trachten (USA in Afghanistan und Irak, China in Tibet usw.), während gleichzeitig unterhalb dieser Ebene ein hohes Maß an innergesellschaftlicher Gewalt zwar beklagt aber letztendlich hingenommen wird. Andere bewaffnete Konflikte, so genannte neue Kriege, werden vielmals ignoriert – trotz aller Lipppenbekenntnisse zum Vorrang von Konfliktprävention und ziviler Konfliktbearbeitung, wie sie von vielen europäischen Staaten, der Europäischen Gemeinschaft und bis hin zur Weltbank in den letzten zehn Jahren geäußert wurden. Interveniert wird dann und mit militärischen Mitteln, wenn dies eigene Interessen erforderlich erscheinen lassen.

Orientierungsrahmen und Arbeitsfelder

Während die Friedens- und Konfliktforschung sich ausführlich mit den verschiedenen Phänomenen der Gewalt befasst, ist das Thema der gewaltfreien Konfliktaustragung immer noch ein Stiefkind. Nur wenige WissenschaftlerInnen und wenige Projekte befassen sich mit historischen oder aktuellen Fällen gewaltfreien Widerstands von BürgerInnen oder mit explizit gewaltfreier Konfliktintervention.

Hier versucht das IFGK eine Lücke zu füllen. Aktive Gewaltfreiheit als »dritter Weg« zwischen Gewalt und Nichtstun (Gandhi, King) soll mehr Aufmerksamkeit und größere Wirkungskraft erhalten. Dabei geht es nicht um einen utopischen Zustand konfliktfreier Harmonie. Da Konflikte lebensnotwendig immer neu entstehen, kann das Ziel »nur« ein bestimmter Modus des Umgangs mit Konflikten sein. Aus der Perspektive der Philosophie der Gewaltfreiheit haben selbsttragende Konfliktlösungen wechselseitige Respektierung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Konfliktpartner zur Grundvoraussetzung. Wohlbegründete Zweifel bezüglich der ethischen Rechtfertigbarkeit jedweder Form von verletzender und tötender Gewalt und die systematisierbare und durch aktuelle Ereignisse immer wieder belegbare historische Erfahrung, dass Gewalt in aller Regel wie ein Bumerang wirkt und sich zum Selbstzweck entwickelt, lassen Gewaltfreiheit als striktes Orientierungsprinzip erscheinen.

Einer der häufigsten Einwände gegen diese Option ist die Annahme, dass Gewaltfreiheit nur bei geringer Konflikteskalation, bevor offene Gewaltanwendung die Auseinandersetzung dominiert, Aussicht auf Erfolg habe. Sie sei zwar immer gewaltsamem Handeln vorzuziehen, könne es aber nicht in jedem Fall ersetzen; Gewalt bleibe das »letzte Mittel«. Dieser meist pauschal vorgetragenen Auffassung widersprechen viele KonfliktforscherInnen (z.B. Sharp, Ebert, Galtung), die sich mit aktiver Gewaltfreiheit befasst haben, aber auch etliche historische Beispiele des letzten Jahrhunderts (etwa Prag 1968, Philippinen 1986, Kosovo 1989-1997). So wurde das Konzept der »Sozialen Verteidigung« für die größte annehmbare Gewaltanwendung, den Angriffskrieg, entwickelt und beruht auf Erfahrungsschätzen aus zahlreichen Konflikten, in denen von einer Seite keine Gewalt angewendet wurde.1 Tatsächlich scheint in vielen Fällen Gewaltfreiheit, nicht aber Gewalt, das »letzte Mittel« (gewesen) zu sein. Sie war das Instrument der Konfliktaustragung, das auch dann zur Verfügung stand, wenn Gewalt nicht möglich schien, z.B. weil keine Waffen zur Verfügung standen, das Militär auf der anderen Seite stand oder ihm nicht zu trauen war (Kapp-Putsch 1920, Prag 1968, Philippinen 1986) oder weil man wusste, dass Gewalt zur Vernichtung führen würde (Kosovo bis 1997).

Die bewusst wertgebundene Festlegung auf Gewaltfreiheit bedeutet aber nicht, dass die wissenschaftliche Arbeit des IFGK als solche wertend erfolgt. Ob und wie Gewaltfreiheit »funktioniert«, diese Frage muss für jeden Fall immer wieder neu gestellt und beantwortet werden. Eine Antwort darauf bedarf im konkreten Fall einer sorgfältigen Analyse der Beziehungen der Konfliktparteien und ihrer inneren Stärken und Schwächen. Die theoretisch-methodologische Orientierung des IFGK ist allerdings gekennzeichnet durch eine pragmatische Perspektive. Das besagt: Wesentliches Kriterium für die Qualität einer Methode oder theoretischen Konzeption soll deren Produktivität im Hinblick auf gewaltfreie Konfliktlösungen sein.

Forschung zu Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktaustragung bedeutet für das IFGK auch, sich kritisch mit den angesprochenen gewaltträchtigen Methoden der Konfliktbearbeitung auseinander zu setzen. Die Ergebnisse der Projekte sollen aber möglichst durchweg der praktischen Friedensarbeit zugute kommen. Daher sucht das Institut einen kontinuierlichen Austausch mit den sozialen Bewegungen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Erhaltung der Lebensgrundlagen engagieren. Zusätzlich zu selbstentwickelten Fragestellungen will man diese Bewegungen mit Forschungsarbeit entlang ihren aktuellen Problemlagen unterstützen. Ein Begleitforschungsprojekt zum »Balkan Peace Team« (durchgeführt von Barbara Müller und Christian Büttner in den Jahren 1997-1999), Übersetzungen wichtiger Forschungsergebnisse (Arbeitspapiere zu »Peace Brigades International« 1997 und zu den Perspektiven eines Friedensprozesses in Kosovo 1999), die über das IFGK abgewickelte Arbeit von Barbara Müller für die »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung« und die Arbeit von Christine Schweitzer als Research Director des internationalen Friedensdienstprojektes »Nonviolent Peaceforce« sind Beispiele für diese Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis.

Arbeitsfelder des IFGK sind, neben der Erstellung von Dokumentationen und Evaluationen, die Durchführung von Studientagen, zu denen NachwuchswissenschaftlerInnen eingeladen werden, laufende Forschungsarbeiten zur Diskussion zu stellen, die Betreuung von Studien- und Abschlussarbeiten, Lehr- und Bildungstätigkeit zum Thema »Gewaltfreie Konfliktaustragung« und die Publikation von Arbeitspapieren und Studien, vor allem zu Problemen der Grundlagen- und der Aktionsforschung (Reihe »Studien zur Gewaltfreiheit« im Lit-Verlag, Münster). So wurden u.a. eine Vergleichsstudie über gewaltfreie Interventionen angefertigt, eine Arbeit über Kampagnen der Friedensbewegung und eine Arbeit über die Rolle des Konzepts des »gerechten Krieges« bei der Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien. Derzeit läuft eine von der Deutschen Stiftung Friedensforschung geförderte Studie über gewaltfreie Interventionen im Raum Jugoslawien zwischen 1988 und 2001.

In enger Verbindung mit dem IFGK, wenngleich organisatorisch eigenständig, ist seit 1997 die Arbeitsgruppe Gütekraft tätig. Diese von dem Essener Berufsschulpfarrer Martin Arnold initiierte und geleitete Gruppe hat sich der genaueren Untersuchung der Wirkungsweise gewaltfreien Handelns verschrieben. Unter »Gütekraft« versteht sie eine Form der gewaltfreien Konfliktaustragung, die am ehesten dem entspricht, was Gandhi als Satyagraha bezeichnete. Aus der Arbeit der Gruppe sind bereits mehrere Publikationen hervorgegangen, zuletzt, als IFGK-Arbeitspapier Nr. 18, der Basistext: „Was untersucht die Gütekraft-Forschung?“2

Beispiel: Forschung über Friedensallianzen3

Die Förderung friedensorientierter Kräfte vor Ort und deren externe Unterstützung werden zunehmend als wichtiges Element von Konfliktbearbeitung wahrgenommen und konzeptionell ausgearbeitet. Wie funktioniert die Förderung von Friedensallianzen? Inwiefern bietet das Konzept der »Peace Constituencies« (Friedensallianzen) von John Paul Lederach externen UnterstützerInnen eine strategische Orientierung beim Aufspüren der tatsächlichen oder potenziellen TrägerInnen? Dieser Frage ist das IFGK in den Jahren 1999 und 2000 mit einem von Barbara Müller durchgeführten Aktionsforschungsprojekt in Split und in der Region Knin, Republik Kroatien, nachgegangen. Das Hauptaugenmerk des Projekts lag auf den Möglichkeiten, die Basisorganisationen haben, wenn sie mit dem Konzept von Friedensallianzen arbeiten wollen.

Vornehmlich an einer Diskussion mit PraktikerInnen interessiert, führte das IFGK drei Workshops durch: Im Juni 1999 mit einem kleinen Kreis von lokal aktiven Graswurzel-AktivistInnen aus Dalmatien und ihren Basis-Partnerorganisationen aus dem Ausland. Die Ergebnisse wurden verglichen mit denen eines zweiten Workshops mit Akteuren der Friedensarbeit in Deutschland im Januar 2000. Als weiterer Workshop in Kroatien fand ein Treffen von mehr als 50 VertreterInnen verschiedener kroatischer und ausländischer Institutionen, Organisationen und Gruppen statt, die mit der Problematik der Flüchtlingsrückkehr und der Entwicklung der durch den Krieg besonders betroffenen Region um Knin, Krajina, befasst waren. Die Ergebnisse wurden durch Feedbackrunden und nachträgliche Befragungen eingeholt. Während des Projektes entwickelte sich so ein Instrumentarium mit der Abfolge: Workshop mit Konzepttransfer → Evaluation → Bewertung der aktuellen Konfliktsituation → Planung → themenbezogener Workshop → Evaluation → Bewertung der aktuellen Konfliktsituation.

Die Ergebnisse des Projektes sind auf drei Ebenen angesiedelt: Konzeptionell, praktisch und akteurbezogen. Interne und externe NGOs auf der Basisebene können das Konzept nutzen zum Aufbau von strategischen Netzwerken, sie können sich ihrer eigenen Rolle vergewissern und bewusst und gezielt Beziehungen entwickeln und aufbauen. Praktische Ergebnisse wurden durch Organisieren eines Treffens der Akteure zu einem in der Region relevanten Thema erzielt. Es wurden thematisch orientierte Workshops als Einstieg in die Beziehungsbildung von Akteuren und eine Prozedur zur gezielten externen Begleitung und internen Entwicklung einer Friedensallianz entwickelt. In diesem Prozess nahmen interne und externe Basisorganisationen die folgenden spezifischen Rollen ein: Interne Basisorganisationen fungierten als Experten für den Konflikt und die Konfliktakteure, externe Basisorganisationen dienten als Brückenbildner, Initiator, Klammer zu anderen Ebenen und Gestalter von Begegnungsräumen.

Als wichtigste Ergebnisse können die folgenden Thesen zur Förderung von Friedensallianzen von außen und unten festgehalten werden:

  • Friedensallianzen entwickeln sich aus Zivilgesellschaften.
  • Friedensallianzen sind konkrete Prozesse der Beziehungs- und Netzwerkbildung und Aktivität rund um zentrale Konfliktthemen.
  • Horizontale und vertikale Integration stellen Schlüsselelemente dar.
  • Externer Impuls – interne Führung – äußere Unterstützung: Friedensallianzen können von außen gefördert werden, brauchen aber eine Verankerung im Inland.
  • Friedensallianzen entstehen zwischen gesellschaftlich sehr unterschiedlich positionierten Beteiligten. Um die Ansprache aller Ebenen sicherzustellen, kann es notwendig sein, dass sich mehrere externe Förderer zusammenfinden und zu diesem Zweck zusammenarbeiten.

Wie das IFGK funktioniert

Das IFGK ist ein gemeinnütziger Verein, gebildet von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in verschiedenen Orten Deutschlands ansässig sind. Damit praktiziert das Institut eine ganz moderne Form der Zusammenarbeit: Statt in einem Haus mit mehreren Arbeitszimmern und Schreibtischen (und den daraus zumeist für private Institute resultierenden extremen Problemen der Finanzbeschaffung) arbeiten die MitarbeiterInnen an ihrem Wohnort – Email, Internet und halbjährige Mitgliedertreffen mit Studientag sorgen für die notwendige Vernetzung.

Derzeit hat das IFGK zwei hauptamtliche wissenschaftliche MitarbeiterInnen und eine auf 400-Euro-Basis beschäftigte Bürokraft. Die beiden WissenschaftlerInnen finanzieren sich über Mittel, die von Projekt zu Projekt eingeworben werden müssen – ein bekanntlich mühsames Geschäft. Es mangelt nicht an Problemen noch an Ideen – was fehlt, sind meist die Ressourcen, um die Ideen der Problembearbeitung umzusetzen. Die übrigen Mitglieder des IFGK sind entweder als WissenschaftlerInnen bei anderen Institutionen angestellt oder betreiben Wissenschaft zusätzlich zu ihrem Beruf, z.B. als ReferentIn in einem Bildungswerk oder als MitarbeiterIn einer Friedensorganisation.

Mit dieser Beschreibung der Arbeitsweise ist auch schon die größte Schwäche des IFGK angesprochen: Ohne finanzielle Mittel für Stellen ist es mehr »Durchlauferhitzer«, als dass es jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine berufliche Perspektive bieten könnte. Einige sind geneigt, sich dem IFGK quasi auf Zeit anzuschließen – solange sie eine einschlägige Arbeit im Bereich der Gewaltfreiheit schreiben –, um dann wieder ihrer Wege zu gehen. Das IFGK ist offen für neue MitarbeiterInnen und Mitarbeiter – nur müssen diese die erforderlichen finanziellen Mittel selbst mitbringen bzw. beschaffen. Die anderen MitarbeiterInnen stehen dabei zwar gerne unterstützend zur Verfügung, aber das IFGK hat keine »FundaiserIn«, die für andere Forschungsmittel herbeischafft.

Das IFGK ist im Übrigen basisdemokratisch organisiert – das heißt, es wird erwartet, dass alle MitarbeiterInnen neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit Verantwortung für das Funktionieren des Instituts übernehmen. Es gibt keine Institutsleitung oder dergleichen – organisatorische und administrative Aufgaben werden unter allen aufgeteilt.

Anmerkungen

1) Siehe Barbara Müller (1996): Zur Theorie und Praxis von sozialer Verteidigung. IFGK-Arbeitspapier Nr. 3.

2) Siehe auch Burkhard Bläsi (2001): Konflikttransformation durch Gütekraft. Interpersonale Veränderungsprozesse. Münster.

3) Die folgende Darstellung wurde entnommen: Barbara Müller (2002): Möglichkeiten der Förderung von Friedensallianzen in Konfliktregionen durch externe Basisorganisationen. Bericht über ein Aktionsforschungsprojekt in Kroatien. IFGK-Arbeitspaier Nr. 17. Geschäftsstelle und Kontakt: IFGK e.V., Hauptstr. 35, D-55491 Wahlenau/Hunsrück, Tel.: +49/(0)6543/980 096 Fax +49/(0)6543/500 636 Email: BMuellerIFGK

Christine Schweitzer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im IFGK und Research Director der internationalen NGO »Nonviolent Peaceforce«

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/4 Friedensforschung, Seite