Konflikten intersektional begegnen
9. Peace Summer School »MIND THE GAPS!«, Augsburg, 19.-21. Juni 2025
Das 375. Jubiläum des Augsburger Hohen Friedensfests forderte dazu auf, »Frieden zu riskieren«, und verwies so auf die prekäre Lage des globalen friedlichen Zusammenlebens und auf die Dringlichkeit, Konflikte der Gegenwart mutig anzugehen. Unter dem dazu passenden Thema »MIND THE GAPS! Intersektionalität erleben, Gesellschaft gestalten« fand vom 19.-21. Juni 2025 die mittlerweile 9. Peace Summer School (PSS) in Augsburg statt. Veranstaltet wurde sie erneut vom ASKA (Alumni und Studierende der Konfliktforschung Augsburg e.V.) in Zusammenarbeit mit dem »Transferzentrum Frieden Augsburg«. Die PSS richtet sich interdisziplinär an Studierende, insbesondere der Augsburger Universität und Hochschulen, und generationenübergreifend an die interessierte Stadtgesellschaft. Im Fokus der Summer School stand die Frage, an welchen Punkten unserer Gesellschaft Lücken entstehen, die unbemerkt Spannungen im Zusammenleben verstärken. Während die öffentliche Debatte dazu neigt, die komplexen Spannungen hinter diesen Lücken durch vereinfachende Einzelperspektiven auf Ausgrenzungserfahrungen aufzulösen, wählte die PSS 2025 eine intersektionale Herangehensweise: Ihr Fokus lag auf den Wirkungen von Diskriminierungsformen und Identitätsdimensionen, die sich explizit aus der Verflechtung sozialer Kategorien wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, race oder religiöser Zugehörigkeit entfalten.
In ihrem ersten Teil näherte sich die PSS in mehreren Workshops sensibilisierend dem Problemfeld. Zum Auftakt fand eine Stadtrallye unter dem Motto »Intersektionalität auf Achse« statt. Die Methode der Stadtrallye ermöglichte es, den abstrakten Begriff der Intersektionalität im Stadtraum erfahrbar zu machen. Angeleitet durch Aufgabenstellungen erkundeten die Teilnehmenden verschiedene Stationen mit architektonischen und historischen Impulsen: An der Stadtmauer konnten sichtbare und unsichtbare Grenzen veranschaulicht werden und Graffiti an einem öffentlichen Platz diente der Visualisierung von Einzel- und Gruppenidentitäten.
Im anschließenden Workshop »Die Leidensmatrix von Arbeit, Klasse und Migration«, analysierten die Teilnehmenden gemeinsam mit Georg Blokus (Politischer Bildner, Organizer und Berater), wie emotionale Isolation als Ergebnis der Verschränkung von Erwerbstätigkeit mit grenzüberschreitender und sozialer Mobilität in kapitalistischen Gesellschaften verständlich werden kann. Es wurden erzähl- und beziehungsorientierte Methoden eingesetzt, um solidarisches Zuhören und Sprechen zu trainieren und aus persönlichen Erzählungen kollektive Handlungsoptionen gegen soziale Vereinsamung abzuleiten.
Die Sozialarbeiterinnen Claire Ruminy und Constanze Ziegler beleuchteten in ihrem Workshop »Soziale Probleme anders sehen, verstehen und verändern«, wie kritische Soziale Arbeit aus einer intersektionalen Perspektive interpretiert werden kann. Es wurde die Beziehungsarbeit des »Community Organizing« praktisch erprobt. Anhand des konkreten Beispiels – dem Wunsch, einen Treffpunkt für Transpersonen in Augsburg zu eröffnen – entwickelten die Teilnehmenden Handlungsschritte und konkrete Ziele und Maßnahmen für die Umsetzung. Dabei stellte sich rasch die zentrale Frage, wie sich spezifische Bedürfnisse gesellschaftlich legitimieren lassen.
»Queeres Pilgern« durch das Augsburger Stadtviertel ›Am Schäfflerbach‹, so lautete das Motto des letzten Workshops im sensibilisierenden Teil der PSS. Begleitet wurden die Teilnehmenden beim Pilgern als bewegte Meditationsübung von Jermaine Irebor (Religionspädagoge und Diversitätsforscher). Die Teilnehmenden durften Erzählungen bewegter Biografien an der Überschneidung von Queerness und Religion erleben, die zur Reflexion individueller Ausschlusserfahrungen anregen sollten. Die kritische Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Vulnerabilitäten zielte darauf, gelebte Beziehungen zwischen Menschen als Grundlage einer umfassenden Solidarität zu verstehen: Tragfähige Beziehungen lassen sich über die Anerkennung mehrdimensionaler Realitäten herstellen, was eine intersektionale politische Praxis erst möglich macht.
Der zweite Teil der PSS verfolgte das Ziel, die Sensibilisierung aus dem ersten Teil mit dem Themenkomplex des individuellen und kollektiven Empowerments zu verbinden. Zunächst wurden die Teilnehmenden mittels Methoden einer kritisch-intersektionalen Pädagogik – wie dem »Bodymapping« – dazu angeregt, eigene Positionierungen in sozialen Machtgefügen zu reflektieren und sich individueller Privilegien sowie Diskriminierungserfahrungen bewusst zu werden. Später ging es darum, die gewonnene intersektionale Perspektive in konkrete politische Aktionen zu übersetzen. Im Fokus stand dabei soziale Veränderung – von der Identifikation struktureller Hindernisse bis zur Entwicklung partizipativer Lösungsansätze. Ob sich dies bewähren wird, blieb erwartungsgemäß offen. Die PSS nutzte deshalb »Herald«, den Friedensbotschafter – eine von URBAN REALITIES konzipierte, durch Augsburg wandernde Briefkasten-Installation – als Plattform, um die Erkenntnisse an die Stadtgesellschaft zu übermitteln und zur öffentlichen Diskussion zu stellen.
Zum Ausklang wagte die PSS einen Sprung ins Augsburger Nachtleben – denn »Clubs sind weit mehr als Bass und Strobo«, so die programmatische Vorgabe: sie sind historisch (und gegenwärtig) Orte der Selbstermächtigung für marginalisierte Communities, an denen die Intersektionalität gelebt wird. Unter dem Motto »RECLAIM THE NIGHT!« brachte eine Diskussionsrunde mit Akteur:innen der inklusiven Nachtszene diese emanzipatorische Tradition auf den Punkt: Bevor getanzt wurde, fand eine Podiumsdiskussion darüber statt, wie sich diese historische Kraft der Clubkultur heute neu beleben lässt. Konkret wurden strukturelle Bedingungen angesprochen und debattiert, wie die Auswirkungen von ungleich verteilten Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe für das Nachtleben. Ebenso wurde konkret problematisiert, inwiefern Awarenesskonzepte und Barrierefreiheit tatsächlich inklusive Räume schaffen können – jenseits von kommerziell motivierten Behauptungen einer vorgeblichen Diversität und unter der Berücksichtigung wahrhaft intersektionaler Maßstäbe.
Die diesjährige PSS hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Teilnehmenden nicht nur für die Verschränkung von Diskriminierungsformen zu sensibilisieren, sondern auch die aktivierende Wirkung des Intersektionalitätsansatzes erfahrbar zu machen. Dies beinhaltete neben der kritischen Behandlung von Pluralität und Ungleichheit auch, Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement aufzuzeigen und gegebene Verschränkungen von Identitäten als positiven Ausgangspunkt zu verstehen. Die Organisierenden standen vor bekannten Herausforderungen der machtkritischen Vermittlung: der Umgang mit den Erwartungen eines heterogenen Publikums sowie das Spannungsfeld zwischen dem gruppeninternen Harmoniebedürfnis der Teilnehmenden einerseits und andererseits der didaktisch notwendigen Konfrontation mit den Macht- und Gewaltverhältnissen, die die involvierten Identitäten prägen. Erschwerend wirkten von Intersektionalität zu unterscheidende Verständnisse von Vielfalt und additiver Mehrfachdiskriminierung, die nach wie vor weit verbreitet sind und einen grundlegenden Perspektivwechsel erforderlich machen. Die PSS leistete hierzu im Sommer 2025 wichtige Grundlagen- und Transferarbeit.
Selina Burger, Nicki K. Weber, Alexandra Nägele, Niklas Krüger

