W&F 2024/4

»Konfliktokratie«: über Konflikt und Demokratie sprechen

8. Peace Summer School, Universität Augsburg, 19-21.7.2024

Auch in diesem Sommer fand in Augsburg die alljährliche Peace Summer School (PSS) statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Verein für Alumni und Studierende der Konfliktforschung Augsburg (ASKA e.V.) – und erstmals in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten »Transferzentrum Frieden Augsburg«. Das Transferzentrum verbindet die Friedensarbeit in der Stadt Augsburg mit dem Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg. Die PSS, eingebettet in das Rahmenprogramm des jährlichen Augsburger Hohen Friedensfests, stand in diesem Jahr unter dem Motto »Konfliktokratie: über Konflikt und Demokratie sprechen«. Mit dem neuen Kompositum »Konfliktokratie« wurde das Verhältnis von Demokratie und Konflikten in den Fokus gerückt und damit letztere als ein zentraler Bestandteil demokratischer Systeme betrachtet.

Die PSS startete am Freitagabend mit einer öffentlichen Diskussionsrunde in der Soho Stage, einem urbanen Augsburger Musikclub. Unter dem Titel »Stimmen der Demokratie: Wie wir heute miteinander reden« diskutierten Claudia Pichler (promovierte Literaturwissenschaftlerin und Kabarettistin) und Thomas Laschyk (Gründer des politischen Weblogs »Volksverpetzer«) mit Nicki K. Weber (Universität Augsburg) über die Rolle von Medien und Kleinkunst in der demokratischen Debatte. Die Fishbowl-Methode bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich aktiv am Podiumsgespräch zu beteiligen.

Ein Stadtspaziergang mit Max Zeidler (Stadtführer Max) beleuchtete am Samstagvormittag die Bedeutung demokratischer Orte in Augsburg. Er bot den Teilnehmer*innen die Gelegenheit, ihre Mitwirkungsmöglichkeiten als Bürger*innen in der Demokratie wiederzuentdecken: Teil des Spaziergangs war der Besuch von Institutionen, informellen Orten der Demokratie und das Treffen mit einem Stadtpolitiker. Abschließend waren die Teilnehmenden dazu aufgefordert, eine eigens angemeldete Demonstration inhaltlich zu konzipieren, zu choreografieren und vor dem Sitz der Regierung von Schwaben durchzuführen – es wurde für eine »Inklusionspauschale« und ein »Reichtumsbefreiungsgesetz« demonstriert.

Im Workshop »Demokratie gestalten – People Power: gesellschaftliche Konfliktbearbeitung durch soziale Bewegungen« analysierten die Teilnehmenden mit Juliane Prüfert (Church and Peace) und Christina Pauls (Universität Augsburg) die Rolle von sozialen Bewegungen in demokratischen Prozessen, mit einem Fokus auf gesellschaftliche Machtverhältnisse. Am Ende wurden gemeinsam entsprechende Strategien für eine konstruktive Konfliktbearbeitung entwickelt.

Julia Dieckhoff leitete parallel den Workshop »Demokratie erleben – Kreativität und Spontaneität wahren«, der die Methode des Soziodramas nutzte, um gesellschaftliche Konflikte spielerisch zu erforschen. Hier standen theaterpädagogische Ansätze im Vordergrund, die es ermöglichen sollen, neue Perspektiven auf Konflikte zu gewinnen und kreative Lösungsansätze zu entwickeln.

In einem weiteren Workshop zum Thema »Experiencing Democracy: A Simulation Game« führte Dr. Gal Harmat (Senior Gender Expert and Associated Researcher, swiss­peace) die Teilnehmenden durch realitätsnahe Simulationen, die die Herausforderungen demokratischer Entscheidungsprozesse so erlebbar machten. Im anschließenden Reflexionsprozess wurden Machtverhältnisse und die Rolle intersektionaler Identitäten in demokratischen Systemen kritisch beleuchtet.

Schon mit dem Diskussionsabend am Freitagabend wurde das Ziel der Veranstalter*innen erreicht, Dialoge an subkulturelle Orte zu tragen, die als wichtige Ausdrucksformen kultureller Vielfalt oft kaum oder keine Berücksichtigung finden und erst recht nicht als »Orte der Demokratie« verstanden werden. Die Fishbowl-Methode wurde dabei von den Anwesenden rege genutzt, um aktiv an der Diskussion teilzunehmen. Dabei wurde deutlich, dass Demokratie auch das Spannungsverhältnis beinhaltet, sich Gehör verschaffen zu müssen, aber auch in bestimmten Momenten zu schweigen und zuhören zu können – die eigenen Bedürfnisse also gleichermaßen nach vorne zu stellen und zurückzustellen.

Entscheidender Teil der PSS jedoch war die Zusammenführung der Workshopergebnisse am Sonntag und die Präsentation der Erlebnisse der drei Tage. Je nach Workshop war der Fokus auf spezifische Konfliktdimensionen dabei unterschiedlich. Während die einen die körperliche Ebene von Konflikten hervorhoben und diese mit der Methode des »Statuen-Theater« aus dem Theater der Unterdrückten darstellten, hatten sich andere Teilnehmende einen konkreten gesellschaftlichen Konflikt herausgesucht und überlegt, wie dieser durch eine zivilgesellschaftliche Kampagne bearbeitet werden könnte. Auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, Gewohnheiten und deren Rolle in Entscheidungsfindungsprozessen waren Teil der Sammlung der Workshopergebnisse.

Anhand unterschiedlicher Konflikte arbeiteten die Teilnehmenden heraus, wie verschieden nicht nur der jeweilige analytische Zugang zum Verhältnis von Demokratie und Konflikten sein kann, sondern auch, wie unterschiedlich dieses Verhältnis erlebt, gestaltet und wahrgenommen wird. Die PSS ermöglichte es den Teilnehmenden, aktiv unterschiedliche Rollen und Positionen einzunehmen und durch diese Perspektivwechsel die Bedeutung der Konfliktbearbeitung sowohl für aktuelle als auch grundsätzliche Herausforderungen demokratischer Gesellschaften zu reflektieren. Wie ist es zum Beispiel, wenn man die Rolle eines Aggressors einnimmt und wie wirkt das auf andere im Raum? Oder wie lässt sich eine Kampagne planen, um einen latenten Konflikt an die Oberfläche zu holen und aktiv Einfluss auf eine Konfliktdynamik zu nehmen? Ob Protest oder soziale Bewegung, wortlose Darstellung von Konflikten mit Gesten oder Analyse von Konfliktdynamiken nach der Simulation von demokratischen Prozessen – die Teilnehmenden zeigten in der Abschlussrunde auf, was es bedeutet, Konflikte zu bearbeiten und inwiefern dies für den Erhalt demokratischer Verhältnisse von Relevanz ist: Demokratische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, wie sie mit Konflikten umgehen und diese bearbeiten.

Das Ziel des ASKA e.V., die theoretischen Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Konflikten von der Universität in die Stadtgesellschaft zu tragen, wurde durch das abwechslungsreiche Programm und die Diversität unter den Teilnehmenden erreicht. So trafen nicht nur Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen und mit verschiedenen Fachhintergründen aufeinander, auch die Workshopleitenden und Impulsgebenden bereicherten die PSS mit ihren disziplinübergreifenden Perspektiven.

Die diesjährige PSS bot den Teilnehmenden nicht nur tiefgehende Einblicke in die Thematik »Konfliktokratie«, sondern verdeutlichte auch, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, in denen solche komplexen Themen für die breitere Gesellschaft zugänglich und offen diskutiert werden können. Die PSS hat erneut gezeigt, dass solche Formate entscheidend sind, um demokratische Prozesse zu stärken und konstruktive Konfliktbearbeitung zu fördern, wenn nicht gleich zu erlernen. Es wurde deutlich, dass interaktive Formate sich besonders eignen, das Verhältnis von Demokratie und Konflikt auf erfahrbare Weise zu vermitteln sowie gleichzeitig einen macht- und herrschaftskritischen sowie diversitätssensiblen Blick anzuregen.

Die Peace Summer School konnte in diesem Jahr dank der Kooperation mit dem Friedensbüro Augsburg, der Stadt Augsburg, dem Evangelischen Forum Annahof und durch die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch das Programm »Demokratie Leben!« sowie der Bürgerstiftung Augsburg realisiert werden.

Weitere Informationen zur Peace Summer School und zum ASKA e.V. unter: uni-augsburg.de/peacesummerschool

Rachel C. Mayr und Alexandra Nägele

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/4 Eskalationen im Nahen Osten, Seite 66–67