W&F 1996/2

Konfliktprävention und Aussenwirtschaftspolitik

Am Beispiel der Beziehungen der EU zum südlichen Afrika

von Gottfried Wellmer

Die Kriege zur Befreiung von Kolonialismus und Rassismus im südlichen Afrika haben die Region wirtschaftlich erschöpft und sozial destabilisiert. Seit der Beendigung des Kontrakrieges in Mosambik (Okt.1992), den ersten allgemeinen demokratischen Wahlen in Südafrika (26.- 28.April 1994) und dem erneuten Anlauf für eine Friedensregelung in Angola gibt es verstärkte Bemühungen in der Entwicklungs-Gemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), den fragilen Frieden in der Region wirtschaftlich zu untermauern. Das demokratische Südafrika ist Mitglied der SADC geworden und bemüht sich, die alten Dominanz-Abhängigkeitsverhältnisse zu den Nachbarländern in kooperative entwicklungspolitische Beziehungen zu gegenseitigem Nutzen umzuwandeln.

Gleichzeitig ist aber mit dem Ende des kalten Krieges das strategische Interesse des Nordens an der Region des südlichen Afrika merklich zurückgegangen. Anstelle einer Friedensdividende spürt das Südliche Afrika den scharfen Wind der neoliberalen Weltwirtschaft. Waren die siebziger Jahre der Schuldeninflation und die achtziger ein Jahrzehnt der Stagflation, so drohen die neunziger mit dem sozialen Desaster der Deflation:

Aufgeblähte Staatsapparate werden scharf zurückgestutzt, die Öffnung der Märkte zugunsten eines globalen Freihandels läßt bis dahin geschützte und auf dem Weltmarkt konkurrenz-unfähige Industrien zusammenbrechen; hundertausende von Arbeitsplätzen gehen verloren; Millionen neu auf den Arbeitsmarkt kommende Jugendliche finden keine Beschäftigung im formellen Wirtschaftssektor. Die schwindenden Staatseinnahmen erlauben keine Ausweitung von sozialen Programmen zur Grundbedürfnisbefriedigung. In sieben von zwölf Mitgliedern der SADC werden Strukturanpassungsprogramme durchgeführt.

In diesem Kontext untersucht der folgende Artikel die Frage, inwieweit die Außenwirtschaftspolitik der EU die spezifischen entwicklungspolitischen Erfordernisse der SADC-Region allgemein wie auch die des demokratischen Südafrika im besonderen in Rechnung stellt und berücksichtigt. Dabei entwickelt der Autor die These, daß die dem sogenannten Freihandel gewidmete Außenwirtschaftspolitik der EU (frei für wen?) entgegen aller geleisteten politischen Absichtserklärungen nicht das Ziel einer Prävention künftiger sozialer Konflikte verfolgt.

Aid or Trade?

Südafrika ist mit Namibia, Botswana, Lesotho und Swaziland in einer Zollunion, SACU. Für die Mitglieder der SACU stellen die Zolleinnahmen einen bedeutenden Anteil an den gesamten Staatseinnahmen dar. (siehe Tabelle 1)

Ein Verlust an Zolleinkünften, verursacht durch eine Liberalisierung der Import-Tarife, stellt daher für alle SACU-Staaten ein Problem dar, das nur schrittweise gelöst werden kann. Selbst wenn eine Erhöhung der Entwicklungshilfe seitens der EU als temporäre Anpassungsmaßnahme geplant wäre, was bisher nicht der Fall ist, müßte diese Erhöhung substantiell sein, um zu erwartende Verluste auszugleichen. Denn die Entwicklungshilfe ist erfahrungsgemäß allemal geringer als der Gewinn aus Warenexporten bzw. dem Zugang zu externen Märkten. (siehe Tabelle 2)

Keine soziale Wohlfahrt als Ersatz für Handelsprotektionismus

Entwicklungspolitisch stellt der Zugang zu externen Märkten die beste Chance für diese Länder dar, neue Arbeitsplätze zu schaffen und mögliche Verluste, die aus der Liberalisierung des Handels entstehen werden, durch den Aufbau stärkerer Netze sozialer Sicherheit auszugleichen. Schließlich leben in Afrika südlich der Sahara 54% der Bevölkerung in Armut; im Gold und Diamanten produzierenden Südafrika selbst sind es 52.8%. Der Aufbau eines tragfähigen Systems sozialer Wohlfahrt für alle Bürger muß in allen SACU-Staaten erst noch geleistet werden und braucht daher eine längere Frist zur Realisierung. Bei der Frage von »Aid or Trade« fällt daher die Antwort eindeutig zugunsten des Handels aus. Aufgrund der mangelnden Konkurrenzfähigkeit ihrer Industrien auf dem Weltmarkt erbitten sich aber die SACU-Staaten eine Angleichungsphase, innerhalb derer der Abbau von Zollschranken asymmetrisch verläuft, so daß ihre Industrie eine Chance zur regional durchgeführten Reorganisation hat. Deshalb beantragte Südafrika Zugang zum Lome-Abkommen. Aus der Sicht der Nachbarstaaten Südafrikas ist aber auch der Zugang zu Südafrikas Märkten besonders interessant. (siehe Tabelle 3)

Die Handelsbilanz zwischen Südafrika und seinen Nachbarn war seit der Kolonialzeit einseitig zu Südafrikas Gunsten gestaltet. Dies ist bis heute so geblieben. Nach 1990 expandierten Südafrikas Exporte in die SADC-Region um 20% und die regionalen Exporte nach Südafrika um 40%; gleichwohl bleibt die Handelsbilanz unausgewogen und liegt in einem Verhältnis von 4:1 zu Südafrikas Vorteil.

Pläne zur einer Reform regionaler Beziehungen: kooperative Entwicklung

Als im August 1994 Südafrika Mitglied der SADC wurde, war das Ziel der Aufbau einer neuen Beziehung: weg vom alten Hegemoniedenken des Apartheidstaates und hin zu dem Modus der Entwicklungskooperation. Man wollte einen regionalen Markt von 130 Millionen Menschen schaffen und so eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen mit den globalen Wirtschaftsmächten schaffen.

Im Idealfall hätten die SADC-Staaten erstens ausreichend Zeit gehabt, gemeinsam industrielle Entwicklung und Standortfragen zu klären, zweitens sich über ein neues regionales Handelsregime zu einigen und dieses zu etablieren und drittens würden die südafrikanischen Tarife für Importe aus der SADC-Region niedriger liegen als gegenüber Importen vom Rest der Welt – wenigsten solange, bis SADC Exportindustrien frei um Marktanteile konkurrieren könnten.

In der Tat hatte schon 1993 eine Forschungsgruppe des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) programmatisch erklärt, daß die Aussichten auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Südafrika und in der Region sich wechselseitig bedingen. Die Negativwirkungen der Destabilisierungspolitik des ausgehenden Apartheidregimes würden jetzt schon in der Form verstärkten Waffen- und Drogenhandels auf Südafrika zurückwirken und den Neuaufbau im demokratischen System behindern. Die historisch entwickelten Muster regionaler Hegemonie und Dependenz seien nicht länger aufrecht zu erhalten. Sie müßten durch neue Handelsmodelle ersetzt werden; gleichzeitig müsse die Infrastruktur der Region verbessert werden und die Region müsse gemeinsam über Industrie-Standorte entscheiden. Ebenfalls müßten Instrumente entwickelt werden, um benachteiligte Regionen für mögliche Verluste aufgrund verstärkter regionaler Kooperation und Marktintegration zu entschädigen bzw. sie entwicklungspolitisch aufholen zu lassen.4 Kooperative Beziehungen mit SADC wurden als integraler Bestandteil des ANC Wahlprogramms zu Wiederaufbau und Entwicklung angesehen. Innerhalb dieser neuen, positiv bewerteten Beziehung zur Region des südlichen Afrika rief der ANC auch zu einer Reform der Zollunion mit den SACU Mitgliedern auf. Im März 1994 – noch vor den Wahlen – kam es zu einer großen Konferenz über die Zukunft der SACU. Auf Wunsch der SACU-Mitglieder wurde beschlossen, die Zollunion aufrecht zu erhalten, sie aber zu demokratisieren: z.B. sollten die SACU-Tarife nicht mehr allein von Südafrika, sondern von allen Mitgliedern bestimmt werden. SACU-Mitglieder wollten nicht länger Kompensationen für verhinderte Industrialisierung erhalten, sondern zogen es vor, Einnahmen aus Zolleinnahmen entsprechend ihrem Handelsvolumen zu erhalten, dafür aber ungehinderte Industriepolitik führen zu können. Die Konferenz akzeptierte die Notwendigkeit einer gemeinsam formulierten Industriepolitik (Standortfragen, gemeinsame Qualitätsnormen, gleiche Steuern, Löhne und soziale Rechte). Im August 1994 wurde Südafrika formell SADC-Mitglied, gegen den Widerstand der südafrikanischen Industrie- und Handelskammer SACOB. In der Folge zeigten sich reale Probleme und Spannungen. Erstens wurde die Handelsbilanz zwischen Südafrika und der Region nicht schnell genug ausgeglichen. Zweitens profitierten südafrikanische Konzerne von Wirtschaftskrise und den Privatisierungen bei den Nachbarstaaten, die im Gefolge der IWF (Internationalen Währungsfonds) verordneten Strukturanpassungspolitik auf der Tagesordnung standen. Drittens gab es einen „brain drain“ der besser qualifizierten Techniker und Profis aus den SADC-Ländern nach Südafrika, wo höhere Löhne verdient werden konnten. Schließlich drängten externe Einflüsse Südafrika stark in Richtung des alten Konzepts „regionale Hegemonialmacht“.

Neoliberaler Gegenwind

Die Ansätze zu einer neuen entwicklungspolitischen Kooperation zwischen den SACU- und SADC-Staaten wurden durch externe Kräfte zunehmend in Frage gestellt. IWF und Weltbank destabilisierten den regionalen Handel durch die Abwertung der Währungen verschiedener SADC-Staaten und die Aufforderung an Länder mit SAPs, sog. Export Processing Zones anzulegen: Steuer-Exklaven, welche die regionale Planung von Industrie-Allokation in Frage stellen. Auch förderten Weltbank, IWF, EU verschiedene Studien, welche eine regionale Marktintegration nur als Zwischenstufe zum Abbau aller Handelsbarrieren und für die Öffnung der Region für den Außenhandel der globalen Wirtschaftsmächte betrachteten.5 Die Studie ging über SADC-Erfahrungen hinweg und ignorierte SADC-Vorschläge zur regionalen Handelsförderung. Statt dessen bot die EU an, jedes Land mit Beträgen von 30-50 Mio US $ zu belohnen, das sich dem neo-liberalen Aktionsprogramm der »Cross Border Initiative« verpflichten wolle. Zambia und Malawi öffneten daraufhin komplett ihre Grenzen und Märkte – mit katastrophalen Folgen für ihre lokalen Industrien und Lohnarbeitsplätze. Das EU / Weltbank / CBI-Aktionsprogramm versäumte es vor allem, regional ausgewogene Handels- und Investitions-Strategien von den regionalen Akteuren selbst entwickeln zu lassen. Keine Überlegungen wurden angestellt, wie die De-Industrialisierung der wirtschaftlich schwächer entwickelten Gebiete der Region – verursacht durch die Übermacht externer Industriemächte – durch zuvor vereinbarte Regulierungsmechanismen oder spezifische Förderprogramme aufgefangen werden könnte. (Die neue EU-Initiative, der Welt ein neues multilaterales Investitionsabkommen aufzudrücken, das die transnationalen Konzerne jeder sozialen oder steuerlichen Kontrolle durch Staaten entzieht, soll im Dezember dieses Jahres auf die Agenda der WTO-Konferenz kommen. Dies gilt es im Interesse der unterentwickelten Staaten zu verhindern). Noch vor den Wahlen in Südafrika machte die EU in der Luxemburg-Erklärung des Rates der Außenminister vom April 1994 das Angebot eines neuen Handels- und Kooperationsabkommens mit Südafrika. Dies hat den praktischen Effekt gehabt, die anstehenden Neuverhandlungen über die südafrikanische Zollunion und über ein neues SADC-Handels-Protokoll zu verzögern. Das Gewicht der EU als wichtigster Handels- und Investitions-Partner Südafrikas wirft seine Schatten auf die Neugestaltung regionaler Entwicklungskooperation.

Soziales Konfliktpotential in Südafrika

Die Stellvertreterkriege in der Region wurden mit dem Ende des Kalten Krieges eingestellt. Die politische Apartheid in Südafrika ist als System beseitigt. Aber die zerstörten Landschaften der Raubwirtschaft des Krieges sind in Angola und Mosambik die aktuelle Rahmen-Bedingung für einen neuen Anfang. In Südafrika selbst wird es Jahrzehnte dauern, bis die soziale Apartheid durch ein Programm der Befriedigung der Grundbedürfnisse, durch Landreform und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, durch verbesserte Erziehung und berufliche Ausbildung usw. beseitigt sein wird. (siehe Tabelle 4)

Nach empirischen Forschungen lag für 52.8 Prozent der Bevölkerung 1993 das monatliches Einkommen unter 92 US $ bzw. 301 Rand. Arbeitslosigkeit lag in dieser Bevölkerungsgruppe bei 43%. Für knapp 29% der Bevölkerung lag das Monatseinkommen unter 178 Rand. In diesem ärmsten Teil der südafrikanischen Bevölkerung liegt die Arbeitslosenrate bei 53,4 %.7 Das Bruttoinlandsprodukt ist äußerst ungleich verteilt. Gerade diese krasse Kluft zwischen reich und arm reizt zu sozialen Konflikten. In Abwesenheit eines tragfähigen und allgemeinen sozialen Wohlfahrtssystems wurde Armutsbekämpfung durch Grundbedürfnisbefriedigung zur sozialpolitischen Priorität der ersten demokratisch gewählten Regierung. Um dieses Sozialprogramm finanzieren zu können, muß Südafrika durch gesteigerte Exporte das Einkommen steigern und neue Arbeitsplätze schaffen. Am Billigsten geschieht dies in arbeitsintensiven Beschäftigungen (Landwirtschaft, Straßenbau, Baugewerbe). Daher das Interesse Südafrikas, mehr landwirtschaftliche Produkte in Europa zollfrei absetzen zu können, ohne seine Zölle auf Warenimporte aus der EU in gleichem Maße abbauen zu müssen. Das hätte Südafrika die Atempause gegeben, seine Industriesektoren neu zu strukturieren und wettbewerbsfähig zu machen, bevor es seine Importzölle reduziert und langfristig gänzlich eliminiert hätte. Dieser Typ des asymetrischen und nicht reziproken Handelsabkommens ist im Lomé-Abkommen möglich.

Lomé-Abkommen versus Freihandel

Mitgliedschaft im Lomé-Abkommen hätte Südafrika auf gleiche Ebene mit den anderen SADC-Staaten gestellt und die regionale Kooperation zwischen den SADC-Staaten wesentlich gefördert. Die SADC-Staaten und die übrigen AKP-Staaten im Lomé-Abkommen unterstützten Südafrikas Antrag. Die EU hatte sich ihrerseits frühzeitig selbst verpflichtet, Südafrika bei der Armutsbekämpfung und Projekten regionaler Integration zu unterstützen, so in einer Luxemburg-Erklärung der EU-Außenminister. Aber seit Mitte 1995 weigert sich die EU, Südafrikas besondere Entwicklungsproblematik zur Kenntnis zu nehmen. Südafrikas Antrag auf Aufnahme in die Lomé-Konvention wurde im Blick auf Handelsfragen abschlägig beschieden. Die EU-Komission schlug stattdessen vor, eine bilaterale Freihandelszone zwischen EU und Südafrika auszuhandeln.

Der Freihandel solle 90 Prozent des gesamten Handelsvolumens abdecken. Volle Reziprozität im beiderseitigen Zollabbau solle nicht nach (wie ursprünglich angenommen), sondern innerhalb einer zehnjährigen Gnadenfrist realisiert werden. Während die EU den größten Teil ihres vorgesehenen Zollabbaus innerhalb von vier Jahren vollziehen würde, müßte Südafrika, so der Vorschlag, nur die Hälfte des geplanten Zollabbbaus in dieser Frist realisieren.

Das klingt zunächst fair. Aber da die EU aufgrund des GATT-Abkommens ohnehin Zölle abbauen muß, sieht es konkret so aus, als müsse die EU nur bei weiteren 3% ihrer Warenimporte aus Südafrika Zölle beseitigen, um die 90% Marke zu erreichen, während Südafrika in vier Jahren die Zölle auf etwa 46% seiner Warenimporte aus der EU abbauen müßte. Südafrika müßte etwa sechs mal so viel an Handelsimporten liberalisieren wie die EU.

Die Anpassungskosten dieser kurzfristigen Liberalisierung wären extrem hoch für Südafrika. Zusätzlich hat die EU-Kommission gerade die südafrikanischen Waren a priori aus dem Freihandel ausgeschlossen, bei denen Südafrika sich Chancen für ein Export-Wachstum ausrechnete.

Der vorgeschlagene Freihandel ist also gar nicht so frei, wie er zuerst aussieht; er gibt Südafrika keine Gnadenfrist, in der es seine Industrie wettbewerbsfähig machen könnte; und er nimmt keine Rücksicht auf Südafrikas Partner in der Zollunion, die ihre Marktanteile in Südafrika an die europäische Konkurrenz verlieren würden. Eine ganze Serie von Industrien in Südafrika und seinen Nachbarstaaten würden mit großer Wahrscheinlichkeit zusamenbrechen, die Arbeitslosenrate im formellen Sektor der Wirtschaft würde rapide ansteigen. Die Fleisch- und Fischexporte Namibias an Südafrika z.B. würden zurückgehen, die Zuckerexporte Swazilands nach Südafrika wären stark gefährdet. Freihandel würde noch mehr Familien verarmen lassen. Darüberhinaus würden die Staaten der Zollunion mindestens ein Drittel ihrer Zolleinnahmen verlieren und große Schwierigkeiten haben, Defizite im Regierungsbudget zu vermeiden. Verluste bei Regierungseinnahmen würden zur Schließung von Schulen, Gesundheitsposten und anderen sozialen Dienstleistungen (Bereitstellung von sauberem Wasser, einer funktionierenden Kanalisation oder sozialem Wohnungsbau z.B.) führen.

Darüberhinaus weigert sich die EU, die Probleme, die aus dem vorgeschlagenen Freihandel mit Südafrika für die SACU- & AKP-Staaten hervorgehen, überhaupt mit den SACU- & AKP-Staaten zu verhandeln. Schließlich erklärt die EU, das Freihandelsabkommen mit Südafrika werde das Modell für alle zukünftigen Handelsabkommen mit anderen Ländern bzw. Wirtschaftsregionen werden. Den anderen SADC-Staaten eröffnet sich damit die Perspektive, daß sie die Vergünstigungen des Lomé-Abkommens nach 1999 verlieren werden und danach auch ein EU-Freihandelsabkommen zu akzeptieren hätten, das auch für ihre Industrie verheerende Folgen zeitigen würde.

Das kurzfristige Angebot der Allgemeinen Handelspräferenz

Neben den Verhandlungen über das langfristige Handels- und Kooperationsabkommen muß die EU auch noch über ihr kurzfristiges Angebot entscheiden, Südafrika zum Nutznießer des Standardsystems der Allgemeinen Handelspräferenz (APS) zu machen. Dies würde Südafrika in einzelnen Fällen Zollerleichterungen bis zu 15% im Vergleich zum gegenwärtigen Status gewähren. Wieder zeigten sich in den Vorverhandlungen die deutschen Landwirtschafts-Ministerialen als Bremsblock. Sie forderten, daß das APS dort außer Kraft treten solle, wo das EU-Mandat für die Freihandelszone a priori 40% der Agrarexporte Südafrikas vom Freihandelsabkommen mit der EU ausschließen soll. Nun ist dieses Mandat ja nur die Verhandlungsbasis der EU für das langfristige Abkommen, nicht aber beiderseitig beschlossene Sache. Im übrigen hat das bornierte Verhalten des deutschen Ministeriums für Landwirtschaft mehr mit der Angst vor dem Freihandel und dem Subventionsverlust zu tun, als mit dem spezifischen Abkommen mit Südafrika.

Schlußfolgerung

Die von der EU vorgeschlagene Handels- und Außenwirtschaftspolitik gegenüber Südafrika hat keinerlei innere Kohärenz mit den politischen Zielen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der EU mit Südafrika. Was immer die Entwicklungspolitik an Armutsbekämpfung leisten möchte, wird von der sehr viel gewichtigeren Außenwirtschaftspolitik der EU a priori ausgehebelt und negiert. Entgegen aller geleisteten politischen Absichtserklärungen der EU-Außenminister verfolgt die EU-Außenwirtschaftspolitik gegenüber Südafrika nicht das Ziel, soziale Konfliktpotentiale einzudämmen und die Befriedigung von Grundbedürfnissen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Ausweitung der sozialen Dienstleistungen wie Gesundheit und Ausbildung zu ermöglichen. Im Gegenteil, derartige soziale Konflikte werden sich noch weiter zuspitzen und mit vermehrter Dynamik neu ausbrechen, sollte sich die gegenwärtige Handelspolitik der EU durchsetzen.

Tabelle 1:
SACU: Anteil der Zollerhebungen an Staatseinnahmen 1991
(in %)
Botswana 14,5 %
Lesotho 57,7 %
Namibia 43,8 %
Swaziland (91/92) 43,7 %
Südafrika (1995) 16,1 %1
Tabelle 2:
Vergleich SACU-Zolleinkünfte mit Entwicklungshilfe für SACU/AKP- Staaten
(in '000 Rand), 1992/93:
Länder Zolleinkünfte ODA (bilateral)
in Rand in Rand % zu Zolleinkünften
Botswana 1.341.965 322.050 24
Lesotho 547.680 404.700 74
Namibia 806.541 399.000 49,5
Swaziland 359.030 139.000 38,7
Summe 2.845.216 1.264.750 44,32
Tabelle 3:
Handel, Dienstleistungen und ausgewählte Transfers zwischen Südafrika und anderen SADC-Mitgliedern 1990
(in Mio Rand)
1. Sichtbarer Warenhandel
1.1 Exporte SA's an SADC-Länder 12.474,7
1.2 Importe von SADC-Ländern - 2.454,3
Handelsbilanz 10.020,4
2. Dienstleistungen und Transfers
2.1 Energielieferungen an SADC-Länder 127,9
2.2 Löhne an Migranten aus SADC-Länder - 650,8
2.3 Verteilung der Zolleinnahmen an SACU-Länder - 2.011,3
2.4 Importe von Elektrizität -10,5
Zwischenbilanz Dienstleistungen/Transfers - 2.544,7
3.Gesamtbilanz zu Gunsten Südafrikas 7.475,73
Tabelle 4:
Indikatoren Sozialer Apartheid
Weisse Schwarze
Reales BIP pro Kopf (US $) 15.670 1.800
Arbeitslosenrate 4,3 % 38,3 %
Lebenserwartung bei Geburt ( 1992, Jahre) 75 60
Alphabetisierungsrate (von Hdt. ,1992) 98,4 % 53,1 %
Telephonanschlüsse pro 100 Personen 60 1
Anzahl der Kinder pro Frau 1,7 4,9
Kindersterblichkeit 1987 (auf 1.000 Lebendgeorene) 7,0 80,0
Gesundheitsausgaben pro Kopf (1987, in US $) 293 68
Erziehungsausgaben pro Kopf (1989, in US $) 1.296 322
% erfolgreicher Schulabschlüsse (1989) 96,0 % 41,4 %
% der Kandidaten die Eintritt in Uni schaffen (1989) 42,4 % 9,7 %6

Anmerkungen

1) Quelle: SADC, Regional Relations and Cooperation Post-Apartheid. A Macro Framework Study Report, Gaberone 1993. Zurück

2) Quelle: SADC, Regional Relations, a.a.O. Zurück

3) Quelle: SADC, Regional Relations, a.a.O., Seite 23. Zurück

4)) MERG, Making Democracy Work: A Framework for Macroeconomic Policy in South Africa. A Report to members of the Democratic Movement of South Africa. UWC Kapstadt 1993, Seiten 277-281. Zurück

5))Worldbank, Regional Integration Initiative to Facilitate Cross Border Trade, Payments and Investment in Eastern and Southern Africa, 1992. Zurück

6) Quelle: Schweizer Bankgesellschaft, Hrs., South Africa. Now the Hard Part. Sept. 1994. Zurück

7))Ministry in the Office of the President: Reconstruction and Development Programme, Key Indicators of Poverty in South Africa. Cape Town October 1995. Zurück

Gottfried Wellmer ist freier Journalist und arbeitete viele Jahre im südlichen Afrika.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/2 Größer – Stärker – Lauter, Seite