W&F 2022/2

Kongresse und Tagungen

Doing Peace – Die Vielfalt von Friedensarbeit erleben

Fachtagung, Norddeutsches Netzwerk Friedenspädagogik, online, 24.-25. Februar 2022

Frieden ist kein fester Zustand, den wir einmal erreichen und der dann unverändert besteht. Frieden ist vielmehr ein Prozess, der beständig aufrechterhalten werden muss und eine Haltung, die wir uns immer wieder selbst innerlich vor Auge führen müssen. Als dieser Gedanke der Einladung zur Tagung vorangestellt wurde, hatten wir nicht vermutet, auf welch schmerzhafte und schockierende Art und Weise der kurz vor dem Auftakt der Tagung auf die gesamte Ukraine ausgeweitete Angriffskrieg dieser Erinnerung Nachdruck verleihen würde.

Im Verlauf der zwei Tage konnten sich die insgesamt 80 Teilnehmenden in Impulsvorträgen und Workshops zu aktuellen Methoden und Entwicklungen der Friedenspädagogik, verschiedenen Formen von Aktivismus und Friedensarbeit austauschen.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem Impuls zu innerem und äußerem Frieden durch die Theaterregisseurin und Friedensaktivistin Rosmery Schoenborn. Angeleitete Körperübungen können Aktivist*innen unterstützen, sich mit ihrem Selbst zu verbinden, um sich nicht von den Herausforderungen durch strukturelle Ungerechtigkeit und Gewalt überwältigen zu lassen und damit wirksam bleiben zu können.

Einen gemeinschaftsorientierten Ansatz der Selbstverteidigung von einem Territorium und des eigenen Körpers stellten die Frauen des »Vereins der indigenen Frauen aus Santa María Xalapán« in dem von Charlotta Sippel moderierten Workshop »Territorio/Cuerpo/Tierra« vor. Sie beschrieben eindrücklich, wie sich in den Körpern von Frauen und Kindern, dem Körper von Mutter Erde, von Tieren und Pflanzen die multiple Gewalt und Oppression des rassistischen, patriarchalen, neokolonialen kapitalistischen Systems manifestiert und wie sie dieser Gewalt mit Entschlossenheit, Solidarität und Vernetzung gewaltfrei und erfolgreich entgegentreten.

Der ereignisreiche Tag wurde abends durch den Auftritt des Playback Theaters Bremen abgerundet. Die Teilnehmenden waren eingeladen, ihre Eindrücke und Erlebnisse der Tagung mit der Gruppe zu teilen und wurden dafür mit einer künstlerisch-kreativen Verarbeitung des Erlebten durch die Schauspieler*innen belohnt. Kreativ-künstlerische Ansätze wie diese, die das Erleben ins Zentrum des Lernprozesses rücken, fokussieren einen Lernbereich, der im klassischen Schul- oder Universitätsbetrieb häufig weniger sichtbar ist. Statt neue Fakten zu erlernen, erfahren Teilnehmende etwas über sich selbst und ihr Empfinden und anstatt Annahmen oder Haltungen untereinander zu diskutieren, werden Teilnehmende dazu angeregt, diese zunächst für sich selbst intensiv zu prüfen. In dieser angeleiteten Selbstreflexion steckt ein großes Potential zum Erlernen neuer und – vielleicht noch viel wichtiger – zum Verlernen bereits eingeübter Interpretationen und Handlungsmuster.

Eine konkrete Anwendung dialogischer Ansätze stellte Paul Steffen mit seinem Projekt »Denkwerkstatt als Fest der Friedensdialoge mit Freizeitcharakter« vor. Denkwerkstätten sind themenzentrierte Treffen, die sich zwischen Netzwerktreffen und Bürgerfest verorten lassen. Ziel ist es, Menschen in möglichst lockerer Atmosphäre trotzdem thematisch fokussiert ins Gespräch zu bringen und damit Bürgerbeteiligung in die Öffentlichkeit zu bringen. Dahinter steht die Grundhaltung, dass Menschen in diesen Veranstaltungen offen miteinander sprechen können sollen. Um dieser Haltung gerecht zu werden, müssen möglichst hierarchiefreie Räume geschaffen werden, die wenig formelles Expert*innenwissen, beispielsweise in Form von Vorträgen, beinhalten. Außerdem sollten die Themen von den Teilnehmenden gesetzt werden und nicht starr vorgegeben sein, was bereits in der Vorbereitung eine Orientierung an den Bedürfnissen der Zielgruppe voraussetzt. Diese Bedürfnisorientierung ist auch bei der Auswahl des Veranstaltungsortes relevant, denn „der Raum redet mit“. Gelungene Denkwerkstätten stärken einerseits die lokale Bürgerbeteiligung und sind andererseits eine gute Gelegenheit, die integrative Arbeit sichtbar zu machen, die kirchliche Träger, Bürgerinitiativen, Vereine und staatliche Stellen zur Förderung des demokratischen und friedlichen Zusammenlebens täglich leisten.

In der Bildungsarbeit des »Kompetenzzentrums Perspektivwechsel«, das den Workshop »Antisemitismus in pädagogischen Kontexten begegnen« anbot, spielt die Positionierung der Teilnehmer*innen eine wichtige Rolle: In welcher Weise bin ich von Antisemitismus betroffen – als Freund*in, Berater*in, beruflich oder privat? Wo habe ich mit diesem Thema und/oder seinen Auswirkungen zu tun? Bei der Arbeit mit dem Thema Antisemitismus sind eigene Erfahrungen oder das eigene Ringen mit dessen Ausdrucksformen und Auswirkungen oft verwoben mit einem beruflichen Auftrag. Für die meisten Teilnehmer*innen spielte dann auch eine Rolle, dass sie sich selbst immer wieder fragen, wo ihnen selbst nicht bewusst ist, dass sie in antisemitische »Fallen« tappen oder dass sie unsicher sind bei der Einschätzung medialer Debatten. Die Arbeit mit ganz »alltäglichen«, »harmlosen« Äußerungen – zusammengestellt aus realem Material aus Beratungssituationen –, die auf ihren antisemitischen Gehalt abgeklopft wurden, half an dieser Stelle, dass Teilnehmer*innen die vorher erarbeiteten Definitionen von Antisemitismus, seine Wirkungsweisen und Absichten nachvollziehen und (wieder) erkennen konnten.

Die Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischer Bildung ist nicht unkompliziert. Der Workshop »Schule und außerschulische Bildungsarbeit im Dialog« fragte daher, was es für eine erfolgreiche und unter Umständen auch langfristige Zusammenarbeit braucht. Ein wichtiges Thema, so wurde deutlich, ist die Verständigung über die Ziele und Wege, die mit der Kooperation bzw. mit konkreten Veranstaltungen verbunden sind. Sind diese eigentlich für beide Seiten klar und passen sie zusammen? Transparenz und Offenheit spielen eine wichtige Rolle. Für derartige Prozesse der Verständigung braucht es Zeit, die es einzuplanen gilt, wenn man aufeinander zugeht. Dabei sind die Klärung von Rahmenbedingungen (wie bspw. den personellen und finanziellen Ressourcen), zeitlichem Rahmen, sowie die Analyse unterstützender Institutionen und Strukturen wichtige Schritte auf dem Weg zu einer erfolgreichen Kooperation.

Am Schluss der Tagung standen Praxisbeispiele zur Institutionalisierung von Friedensbildung in Jordanien, Deutschland und Nordmazedonien und eine anschließende Diskussion über die Relevanz von und die Herausforderungen bei der Etablierung von Friedensbildung in Schule und Universität. Dem Verein LOJA in Nordmazedonien ist es gelungen, über jahrelange Beziehungsarbeit ein Curriculum »Peace Education« in der Lehrkräfteausbildung einzuführen. Darüber hinaus bietet LOJA jungen Menschen die Möglichkeit, sich interkulturelle Kompetenzen anzueignen, die im nordmazedonischen Kontext wesentlich für die Überwindung ethnischer Konflikte sind. Wenn wir nicht aufhören, die Vergangenheit ins Zentrum zu stellen, ändert sich nichts“, so Aleksandra Sargjoska und Bujar Luma von LOJA, „aber wenn wir uns fragen ‚Wie stellen wir uns unsere (gemeinsame) Zukunft vor?‘ – diese Perspektive ändert alles!“

Anne Kruck von der Berghof Foundation und der Servicestelle Friedensbildung in Baden-Württemberg berichtete über die Zusammenarbeit mit Projekten in Jordanien und die eigene Arbeit in Deutschland. Beide Ansätze versuchen, Friedensbildung in der Schule so zu institutionalisieren, dass staatlicherseits Ressourcen dafür bereitgestellt werden (müssen), also z.B. Stellen oder Räumlichkeiten geschaffen werden oder Friedensbildung als Bestandteil der Lehrkräftebildung verankert wird. Dabei hat es sich als erfolgreiche Strategie erwiesen, danach zu suchen, wo in Verfassungen, Gesetzen oder auch programmatischen Reden Frieden und Friedensbildung benannt werden und sich in den zu erarbeitenden Konzepten darauf zu berufen und politisch Verantwortliche in die Pflicht zu nehmen.

Konstantin Leimig und Susanne Umbach

Transnationale Gewalt­ordnungen und Konflikte

Workshop AK Gewaltordnungen DVPW, Universität Bayreuth, 3.-4. März 2022

Im ersten Präsenzworkshop (mit hybriden Elementen) des AK Gewaltordnungen wurden die ambivalenten und komplexen Zusammenhänge zwischen lokal verankerten sozialen und politischen Dynamiken (wie lokaler Bewegungen und Proteste), nationaler, regionaler und transnationaler Politik sowie globalen Veränderungen (u.a. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel) diskutiert, die sich konfliktiv manifestieren und dann als »transnationale Gewaltordnungen« verstanden werden. Zentral ist hierbei die Feststellung, dass mit Blick auf die meisten Gewaltkonflikte die analytischen Grenzen zwischen internationaler und innerstaatlicher Ebene, aber auch zwischen akuten Gewaltkonflikten mit physischer Eskalation und anderen Formen politischer, sozio-ökonomischer sowie struktureller Gewalt verschwimmen. Die Beiträge und Diskussionen des Workshops setzten an dieser Schnittstelle an, um diese Ordnungen, die durch Gewalt entstehen oder von Gewalt geprägt sind, konzeptionell sowie empirisch zu durchdringen.

Beeinflusst wurden die politischen Diskussionen in den Tagen rund um den Workshop vom Angriffskrieg auf die Ukraine. Deshalb wurde anlassbezogen zunächst ein Diskussionsraum geschaffen, um diese Ereignisse aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung zu diskutieren. Die medial und politisch vielfach geäußerte »Überraschung« wurde zwar von vielen geteilt, die »Unabsehbarkeit« des Krieges allerdings auch in Frage gestellt. Teilnehmer*innen stellten die gefühlte Nähe zu den Orten der Gewalt heraus, die auch durch die mediale Präsenz und soziale Medien verstärkt wurde, und analysierten die unterschiedlichen Vorstellungen von den »Zeitlichkeiten« des Krieges, die der jeweiligen Berichterstattung zugrunde lagen. Thematisiert wurden zudem die ausländischen Kämpfer*innen, die in das Kriegsgebiet ausreisen (wollen), sowie Russlands vorangegangenen militärischen Interventionen in anderen Ländern. Hier betonten die Teilnehmer*innen, dass die Kriegsführung in diesen Fällen teils sehr starke Ähnlichkeiten mit der Invasion in der Ukraine aufweisen. Letztlich jedoch entspann sich die Diskussion hauptsächlich um die Legitimierungsmuster und Rechtfertigungsdiskurse Russlands sowie die Rationalitäten, die hinter dem Krieg stehen, die die Workshopteilnehmer*innen aus ihren jeweiligen Forschungshintergründen zu entschlüsseln suchten.

Welchem Wandel transnationale Gewaltordnungen unterworfen sind, sei es in konzeptioneller wie auch empirischer Hinsicht, wurde im ersten Panel besprochen. Alex Veit hinterfragte mit seinem Vortrag die Sinnhaftigkeit einer scharfen analytische Grenze zwischen Bürgerkriegen und Kriegen zwischen Staaten und plädierte für die Nutzung des Begriffs »Internationale Bürgerkriege«. Denn, so fragte er, was verbände Kriege ohne eine solche analytische Grenzziehung und gibt es nicht in vielen lokalen Konflikten internationale Unterstützungsmuster, ohne die Rebellengruppen gar nicht überleben könnten? Zudem versuchten verschiedene, transnational agierende Akteure zur Veränderung von Gewaltordnungen beizutragen. Hierzu gehörten z.B. professionalisierte Konfliktbearbeitung durch internationale Organisationen und NGOs, zivilgesellschaftliches Engagement, Diplomatie oder Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis. Dieses Streben nach Wandel manifestiere sich mehr oder weniger interventionistisch und in unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie Wandel von Gewaltordnungen gelingen könne und welche Art von Wandel – hin zu welcher Form von Ordnung – erstrebenswert sei. Mariam Salehi bereicherte die Diskussion mit ihrem Vortrag zum Verhältnis von technokratischem und emanzipatorischem »Worldmaking« mit Blick auf Tunesien. Sie argumentierte, dass trotz der vorherrschenden Annahme von technokratisierten Transitional Justice-Prozessen in Tunesien versucht wurde (zumindest in begrenztem Maße) emanzipatorischen Wandel zu erzeugen, was sich vor allem über die kritische Einbeziehung von kolonialen Hinterlassenschaften in Gerechtigkeitsvorstellungen erklärt.

Im Fall von gewalttätigen, nichtstaatlichen wie staatlichen, Akteuren lässt sich eine zunehmende »Hybridisierung« im Hinblick auf transnationale Ordnungen beobachten. So haben mehrere innerstaatliche Konflikte wie die afghanischen Bürgerkriege und der Algerienkrieg wesentlich zur Transnationalisierung der islamistischen Bewegung(en) beigetragen, die durch die jüngeren Konflikte im Irak, Libyen, Jemen und Syrien jedoch noch einmal einen deutlichen Aufwind erhalten hat. Die Interaktionen zwischen internationalen und lokalen Akteuren führen aber auch immer wieder zu Konflikten, die durch einen gemeinsamen Diskurs z.B. des Islamismus oder Dschihadismus nur unzureichend überdeckt werden. Regine Schwab stellte in ihrem Beitrag daher einen neuen theoretischen Ansatz vor, um die diversen Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen in komplexen Bürgerkriegen zu verstehen, die von verschiedenen Formen des (gewaltsamen) Konfliktes bis zu enger Kooperation reichen. Aufbauend auf ihrer Analyse des syrischen Falls entwickelte Regine Schwab eine neue Typologie von Beziehungen, die auch auf staatliche Akteure angewendet werden kann. In diesem Zusammenhang lässt sich auch David Teiners Beitrag einordnen, der das globale Netzwerk des Islamischen Staats vorstellte und auf dessen Resilienz überprüfte. Sein Beitrag argumentierte dafür, das Netzwerk mit organisationssoziologischen Ansätzen zu fassen, um analytisch zwischen lokalem Handlungsraum und internationaler Vernetzung zu überbrücken.

Hybride Gewalteskalationen zwischen analogen und digitalen Räumen untersuchten Kerstin Eppert, Mitja Sienknecht und Timothy Williams in ihrem Vortrag und argumentierten, dass diese Zusammenhänge neuartige Formen von Gewalt hervorbringen, die differenzierter Analysekategorien bedürfen. Ebenfalls um digitale Interaktionen in Gewaltkonflikten, die transnationale Räume ermöglichen und bedingen, drehte sich der Vortrag von Maria Ketzmerick. Sie beschäftigte sich empirisch mit dem anglophonen Konflikt in Kamerun und den Transnationalisierungsbemühungen der ambazonischen Unabhängigkeitsbewegung, die ihr Gewalthandeln im Kontext postkolonialer Kontinuitäten sehen. Damit beleuchtete sie nicht nur die Interaktionen im Scharnier zwischen lokalem Konflikt und internationalem Publikum, das die Gewaltdynamiken verstärkte, sondern diskutierte auch die Temporalitäten von Konflikten in postkolonialen Hinterlassenschaften. Letztlich zeigten die Beiträge des Panels, dass historisierende und kontextualisierende Perspektiven gleichermaßen von Bedeutung sind, um die Transnationalisierungsphänomene in digitalen und analogen Gewalträumen in wechselseitiger Bedingtheit zu verstehen.

Im letzten Block des Workshops verwiesen zwei Beiträge auf den regionalen Raum transnationaler Interaktion von Gewaltakteuren. Regine Schönenberg beschäftigte sich empirisch mit den Primeiro Comando da Capital, einer nun transnational agierenden kriminellen Organisation, um den peripheren Raum jenseits staatlicher Strukturen auszuleuchten. In dem Beitrag von Philipp Lottholz (zusammen mit Maria Ketzmerick) wurden transnationale Sicherheitsregime in den zwei Regionen Zentralasien und Zen­tralafrika ins Zentrum gestellt. Damit sollten insbesondere die konstruierten Sicherheitsbedrohungen, wie etwa Demonstrationen, Aufstände und Terrorismus, thematisiert werden, die in global-peripheren Regionen sichtbar werden und trotz unterschiedlicher historischer Bezugsräume – Sozialismus und Kolonialismus – in beiden Fällen ähnliche Gewaltdynamiken zeigten

Was das Transnationale in Konflikten bedingt und welche Konsequenzen damit für soziales und politisches Handeln seitens der konfliktbeteiligten Akteure – sei es gewalttätig oder friedlich – geschaffen werden, wird die Forschung noch weiter beschäftigen. Fragen danach, auf welchen Ebenen Akteure oder Strukturen sich aus welchen Gründen »transnationalisieren«, tragen damit nicht nur zu einem besseren Verständnis von Gewaltdynamiken bei, sondern ermöglichen es auch, konkrete Resolutionsmechanismen von Gewaltkonflikten zu ergründen.

Maria Ketzmerick, Mariam Salehi, Regine Schwab

Rassismus betrifft uns – auch in der Friedensarbeit

Heidelberger Gespräch, AGDF, online, 17.-18. März 2022

»Rassismus betrifft uns. Wege zu einer rassismuskritischen und diversitätsorientierten Praxis« war der Titel des diesjährigen Heidelberger Gespräches. Es fand mit 20 Teilnehmenden und den zugeschalteten Referentinnen pandemiebedingt als Videokonferenz statt. Das Heidelberger Gespräch ist eine jährliche Fachtagung der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und der Forschungsstätte der Evang. Studiengemeinschaft (FEST), die sich an Mitarbeitende der 31 AGDF-Mitgliedsorganisationen richtet und unterschiedliche Themenbereiche in den Fokus nimmt. Es umfasst Impulse aus der Forschung, Berichte aus der Praxis und den Erfahrungsaustausch in einem vertrauensvollen Rahmen. Ein zentrales Element des klassischen Heidelberger Gesprächs, der Erfahrungsaustausch unter den AGDF-Mitgliedsorganisationen, konnte dieses Jahr im digitalen Format allerdings nur sehr eingeschränkt stattfinden.

Zu Beginn erläuterten die beiden Moderatorinnen Anthea Bethge und Augusta Muhimpundu von EIRENE im Dialog, wie eine gewaltfreie Kommunikation über Rassismus gelingen kann. Dieser sehr persönliche Einstieg sensibilisierte für die kontinuierliche Präsenz des Themas Rassismus, auch im Rahmen der Tagung, und gab Anregungen, wie und in welcher Form die Teilnehmenden in diesem digitalen Raum über diese sensible Thematik in ihrer unterschiedlichen Positionierung und Betroffenheit sprechen können.

Im ersten Vortrag von Prof. Dr. Maisha Auma, Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ging es um Rassismuskritik aus intersektionaler Perspektive. Sie wies darauf hin, dass diejenigen, die wie Schwarze Frauen von einer Mehrfach-Vulnerabilisierung betroffen sind, im Mainstream nicht zu Wort kommen. Aber, so betonte sie, gerade die Lage von Marginalisierten sollte der strategische Ausgangspunkt für Veränderungen sein. Die Etablierung von Strukturen, wie beispielsweise das Antidiskriminierungsrecht, kann nach Prof. Auma nicht für Gerechtigkeit zu sorgen. Für Prof. Auma sollte Intersektionalität als Gerechtigkeitsinstrument der analytische Ausgangspunkt sein, insbesondere mit der Frage, wie das Leiden der Mehrfachmarginalisierten konkret gelindert werden kann. Sie beobachte aufgrund der weltweiten Pandemie zuletzt ein Nachlassen der Aufmerksamkeit für Diskriminierungen – in Forschung, Praxis und Politik –, während sich zugleich rechtspopulistische Angriffe häuften. Daher plädierte sie für eine übergreifende intersektionale Solidarität und die Fokussierung auf den Schutz der Angegriffenen.

In der anschließenden Diskussion ging es u.a. um geeignete Begriffe für den Diskurs: Prof. Auma plädierte dabei für ein pragmatisches Herangehen, das auch ohne den Anspruch auskomme, alle Verletzungen und Diskriminierungen zu beschreiben. So sei auch »Inklusion« als Überschrift für das verfolgte Anliegen sinnvoll, da sich viele Institutionen damit bereits befassen. Bei »Diversität« bestehe zwar die Gefahr, dass eine strukturelle Ungleichheit in den Institutionen aus dem Blick gerate, zugleich sei es ein Türöffner für das Gespräch über Intersektionalität, worüber die beiden Ansätze in ein produktives Verhältnis gesetzt werden könnten. Unabhängig vom begrifflichen Zugang bleibe die zentrale Herausforderung die Dekonstruktion der strukturellen Gewalt.

Die AGDF und die FEST sind (auch) in der evangelischen Kirche verwurzelt, weshalb im zweiten Impulsvortrag Sarah Vecera, stellvertretende Leiterin der Abteilung Deutschland und Bildungsreferentin mit Schwerpunkt »Rassismus in Kirche und Theologie« der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) der Frage nachging, wie es um diesen wichtigen gesellschaftlichen Akteur bestellt ist. Die VEM wird von Kirchen aus dem globalen Norden und Süden getragen, zuletzt Genannte stellen die Mehrheit im Leitungsgremium. Trotz dieser fortschrittlichen Struktur sitze der Rassismus tief, so Vecera. Es sei wichtig wahrzunehmen, dass der Rassismus alle beschädigt habe, und im Umgang damit in der Kirche »gnädig« miteinander zu kommunizieren.

Angesichts der Mehrdimensionalität des Themas sollte die Anti-Rassismusarbeit breit angelegt sein und müsse in Deutschland dabei anders ausgerichtet werden, als in anderen Staaten. Angeschaut werden müssen mindestens die Rolle des Christentums bei der Kolonialisierung, die zugrundeliegende Ideologie und die emotionalen Standards, die beispielsweise durch Bilder von einem weißen Jesus gesetzt werden. Vecera betonte, auch angesichts eines institutionellen Rassismus müsse der Mythos der Gleichheit in der Kirche in Frage gestellt werden. Als Arbeitsauftrag formulierte sie, dass es um Verantwortungsübernahme und Reparationen gehe. Trotz ihrer kritischen Binnenperspektive auf die Kirche sieht Vecera dort ein großes Potential für Veränderung. So sei die Expertise der VEM in der Kirche zunehmend gefragt.

Der dritte Vortrag von Mariette Nicole Afi Amoussou, Beraterin und Trainerin für entwicklungspolitische Bildungsarbeit, stellte die Frage ins Zentrum, wo die AGDF und ihre Mitgliedsorganisationen zu verorten sind. Amoussou verdeutlichte in ihrem Impuls die Verantwortung, die jede Institution für sich trage: „Wir repräsentieren jeweils unsere Institution und müssen täglich Dekonstruktionsarbeit leisten“, d.h. ein kontinuierliches Hinterfragen und Aufarbeiten von 400 Jahren Erfahrungen und Gewalt des Kolonialismus und Rassismus. In globalen Partnerschaften gelte es, so Amoussou, an unserer jeweiligen Haltung im Miteinander zu arbeiten und Privilegien wahrzunehmen.

In der anschließenden Diskussion erläuterte Amoussou, dass als Weiße gelesene Menschen sich zunächst selbst mit Lösungen für ihr Reden und Handeln auseinandersetzen müssen und die Verantwortung für einen rassismuskritischen Veränderungsprozess (mit-)tragen sollten. BiPoC sollten nicht per se als Expert*innen für das Thema in einer Organisation herangezogen werden, ohne sich selbst diese Rolle auch ausgesucht zu haben. Weiter wies sie mit dem Blick auf globale Partnerschaften darauf hin, dass koloniale Kontinuitäten im Globalen Süden ebenso präsent und wirksam seien. Daher sollten Dekolonialisierungsprozesse nicht nur im Globalen Norden, sondern überall und auch in einer gemeinsamen Reflexion erfolgen.

In insgesamt vier Arbeitsgruppen wurde dann die Praxis von AGDF-Mitgliedsorganisationen im Umgang mit den Herausforderungen von Rassismus und kolonialen Kontinuitäten vorgestellt und diskutiert: In der ersten Arbeitsgruppe wurde der rassismuskritische Veränderungsprozess beim internationalen ökumenischen Friedensdienst EIRENE vorgestellt, der sowohl die gesamte Organisation, als auch die Mitarbeitenden als Individuen mit einbezieht. Betont wurde, wie bedeutsam die Einrichtung eines Ombudsbüros war, das bewusst nicht direkt bei der Organisation angesiedelt ist. Ein weiterer Erfolg des Prozesses ist, dass innerhalb weniger Jahre die Geschäftsstelle deutlich diverser aufgestellt werden konnte.

Für ICJA – Freiwilligenaustausch weltweit informierte in der zweiten Arbeitsgruppe die Rassismusbeauftragte über den Prozess in den letzten 20 Jahren. Die Anti-Rassismus-Thematik wurde durch Leitfäden, Methodenhandbuch, Fortbildungen für Teamer*innen, Empowermenträume, diverse Leitungsteams u.a. in der Bildungsarbeit verstärkt und ist auf der Strukturebene beispielsweise Teil der Aufgabenplanung. Die Rolle der mehrheitlich weißen Organisation im weltweiten Partner-Netzwerk ist eine weitere Ebene. Hier läuft aktuell ein von der EU gefördertes Antirassismus-Projekt mit den anderen europäischen ICJA-Organisationen.

In der dritten Arbeitsgruppe stellte die KURVE Wustrow ihren Intersektionalitätsprozess und das entwickelte Analysetool »Intersektionalitätsmatrix« vor. Begleitet von der internen Arbeitsgruppe »Wegekreuzung« hat der Prozess eine Institutionalisierung mit Innenblick zum Ziel, also alle Beteiligten aktiv mit in diesen Prozess einzubeziehen und darin bestehende Grenzen (u.a. Sprachkenntnisse, Fachkenntnisse) zu überwinden. Herausgefordert wird die kontinuierliche Arbeit an diesem Prozess von den bisher fehlenden finanziellen Ressourcen, um dem formulierten Anspruch gerecht zu werden.

Als viertes stellte der Geschäftsführer des Friedenskreis Halle Lernprozesse und Erfahrungen in der Organisation zu Diskriminierung und Rassismus vor. Durch breit angelegte Kommunikation und Veränderungsprozesse wurde viel erreicht, zugleich sei es nur begrenzt gelungen, mehr Diversität in der Geschäftsstelle zu erreichen. Als offene Fragen nannte er u.a. die Rolle der Leitung, den Umgang mit Sprachbarrieren sowie die unterschiedliche Breite der Auseinandersetzung mit dem Thema und der Sensibilität im Umgang bei den Mitarbeitenden und in der Mitgliedschaft. Der Lernprozess soll fortgeführt und konzeptionell stärker mit der Friedensarbeit verwoben werden.

Friedensarbeit rassismuskritisch und diversitätsorientiert zu praktizieren ist eine Daueraufgabe, bei der die AGDF-Mitglieds­organisationen insgesamt noch am Anfang stehen. Das Heidelberger Gespräch zeigte, dass viele Friedensorganisationen sich auf den Weg gemacht haben, bestehende und gewachsene Strukturen zu analysieren und zu verändern. Gefragt waren daher seitens der Teilnehmenden Hinweise auf gute Tools, Handreichungen und weiterführende Literatur. Ebenso betonten die Teilnehmenden die Bedeutung des Erfahrungsaustausches und der regelmäßigen gemeinsamen Reflexion unter den AGDF-Mitgliedsorganisationen, um auf einem gemeinsamen, wenn auch unterschiedlichen Weg hier einen guten Lern- und Austauschraum zu schaffen. Daher wird der Fachaustausch zum Thema Rassismus und Intersektionalität sicher weitergehen.

Jan Gildemeister

Ungleichheit, Frieden und Konflikt

53. AFK-Kolloquium, Universität Konstanz/hybrid, 17.-19. März 2022

Was bedeutet eigentlich Ungleichheit in sozialer, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht? Wie manifestiert sie sich? Welche Bereiche sind von Ungleichheit betroffen und welche Dimensionen weist Ungleichheit als Forschungsgegenstand auf? Diese und weitere Fragen wurden im diesjährigen AFK-Kolloquium thematisiert und aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung diskutiert.

Zentrale Programmpunkte: Ungleichheit, Prekarität, Ukraine

Die von Anke Hoeffler vorgetragene Keynote »The Uneven Burden of Conflict in International Perspective« befasste sich mit der Quantifizierung der Last von Konflikten, genauer den menschlichen und ökonomischen Kosten kollektiver Gewalt und Möglichkeiten der Kalkulation dieser, im Rahmen einer ökonomischen Analyse. Auch hierbei offenbarten sich Ungleichheiten, wie etwa die genannten starken Unterschiede im Wert eines statistischen Lebens zwischen den Weltregionen. Auf die in der Diskussion aufgekommene Frage nach der ethischen Vertretbarkeit dieser Formen der Analyse erklärte Hoeffler, dass Überlegungen dieser Art kontinuierlich implizit geführt würden (z.B. erhielten Frauen niedrigere Entschädigungszahlungen) und sie deshalb genau diese explizite Kostendebatte als wichtig erachte, um die zugrunde liegenden Ungleichheiten sichtbar zu machen.

Das Kolloquium bot auch mehrere Räume zur Reflektion der eigenen Strukturen des Wissenschaftsbetriebs und dessen Ungleichheiten. So trafen sich die Teilnehmer*innen im Rahmen des Roundtables zur Prekarität in der Wissenschaft und die Arbeitsgruppe Diversität stellte ein interaktives Austauschformat zur Verfügung. Werner Distler, Roos van der Haer und Victorija Ratković lieferten beim Roundtable erste theoretische und erfahrungsbasierte Impulse. Ziel der Plenarsitzung war es, die aktuellen Diskurse (z.B. #ichbinhanna) aufzugreifen und potentielle Veränderungsmöglichkeiten innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung und in der AFK zu analysieren. Die Diskussion zeigte, wie schwierig es ist, zu akzeptablen Bedingungen Fuß in der Wissenschaft zu fassen. Das Hangeln von Projektstelle zu Projektstelle, permanente Teilzeitbeschäftigung und die Fesseln des WissZeitVG verunmöglichen eine zuverlässige und langfristige Beschäftigung für viele Wissenschaftler*innen, besonders für solche, die ortsgebunden sind oder in familiären Zusammenhängen leben. Es wurde aber auch deutlich, dass die Ungleichheiten sich nicht nur in statusübergreifenden Debatten zeigen, sondern auch innerhalb von Statusgruppen. So wurde die unterschiedliche finanzielle und personelle Ausstattung von Professuren und der Mehraufwand durch hohe Fluktuationen ebenfalls angesprochen.

Ein seit fast 30 Jahren etablierter Versuch der AFK, Ungleichheiten in frühen Status­ebenen entgegenzuwirken, ist die aktive Nachwuchsförderung. So wurden auch dieses Jahr zwei Arbeiten mit dem Christiane-Rajewsky-Preis ausgezeichnet und prämiert. Den Preis für die beste eingereichte Masterarbeit erhielt Max Wegener für seine Arbeit zu »When Extermination Is Encouraged From Above: Ideological Elite Discourse and the Justification of Mass Atrocity Crimes Against the Rohingya in Myanmar«. Die prämierte Dissertation stammte in diesem Jahr von Regine Schwab zu »Let’s fight each other another day. How armed opposition groups managed challenges to cooperation and postponed conflict in Syria’s multiparty civil war« (2012-2019). Eine pointierte Darstellung der Arbeiten durch die Preisträger*innen selbst findet sich auf der AFK-Homepage.

Aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage wurde auch ein Gespräch zu den Ereignissen bezüglich des Konflikts in der Ukraine in den Tagungsablauf aufgenommen. Dort kamen Sabine Fischer, Wolfgang Seibel und Annick Wibben mit ihrer Einschätzung des Themas zu Wort. Fischer öffnete mit einem Überblick über die Ursachen (der momentanen Situation), die sie in der abschottenden russischen Außenpolitik und Selbstwahrnehmung sieht. Diese sei jedoch keine »Zeitenwende«, sondern eher als Fortschreibung von längeren Entwicklungen zu betrachten, die durch die Pandemie und eine geschwächte NATO verstärkt worden wären. Unter dem Einbau eigener Erfahrungen leitete Seibel die von ihm gezogene Parallele zur Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion ein. Er beschrieb, wie damalige Umstände heute durch Putin umgeschrieben werden und etwa Gorbatschow, der die Macht der Zivilgesellschaft anerkannte, als Zerstörer der sowjetischen Hegemonie angesehen würde. Annick Wibben schloss sich der analytischen Perspektive Fischers an und ergänzte dazu, dass es auch im Ukraine-Konflikt eine Marginalisierung von, u.a., feministischen Perspektiven gäbe. So wären Frauen sehr wohl präsent im Konflikt, sowohl im zivilen als auch militärischen Kontext, seien jedoch nicht in die Verhandlungen involviert, während gleichzeitig gerade durch die mediale Darstellung die militärische Männlichkeit manifestiert werde.

Aus den Panels

Auch in den vielfältigen parallelen Panels wurde sich dem Thema Ungleichheit auf unterschiedliche Weise gewidmet, dies soll nachfolgend an einigen Beispielen verdeutlicht werden. Eine eindrucksvolle Analyse hinsichtlich intersektionaler Ungleichheit, die sich auf sozialer und forschungsethischer Ebene vollzieht, lieferte das Panel zu »Ungleichheit in geberfinanzierter Konfliktbearbeitung«. Der Beitrag »Girls Empowerment: Lässt sich globale Armut durch Selbstbewusstsein und harte Arbeit reduzieren?« von Anne Menzel beleuchtete, wie sich Ungleichheit in den unterschiedliche Lebenswelten der Parteien widerspiegelt. Sindyan Qasem ging im Beitrag »Rassismuserfahrung als Radikalisierungsfaktor? Ein kritischer Blick auf das schwierige Verhältnis von Rassismuskritik und Islamismusprävention« wiederum darauf ein, wie Framing und Labelling verschiedener Gruppen (hier pauschal Angehörige der muslimischen Glaubensgemeinschaft) ihre Ungleichheiten im Versuch Prävention voranzutreiben verstärkt, Gräben vertieft und dabei seine Ziele verfehlt. Samantha Ruppel zeigte abschließend in ihrem Beitrag »Partnership for Peace. Analyzing the role of partnership in NGO-lead Peacebuilding«, dass sich Ungleichheit auch in der Beziehung zwischen verschiedenen Partner*innen in der Entwicklungshilfe und im Peacebuilding manifestieren kann, z.B. durch eine vermeintliche Expertise des Westens gegenüber Expertenwissen lokaler Akteure. Als übergreifendes Element ließ sich hier die Rolle des Westens als »Lehrer«, als »Architekt« von (vermeintlich) sozialem Frieden und als »Geber« von funktionierender gesellschaftlicher Infrastruktur identifizieren. Ankerpunkte zur Lösung wurden in der »Critical Whiteness Theory« und anti-kolonialen sowie antirassistischen Ansätzen identifiziert. Ziel dieser Ansätze ist, die ungleichen Verhältnisse zwischen dem Westen und dem Globalen Süden, bzw. zwischen Weißen und BIPoC durch Selbstreflexion und der Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte dieser Ungleichheiten sichtbar, erforschbar und dem fachlichen wie öffentlichen Diskurs zugänglich zu machen.

Das World Café »Transnational Gendered Inequalities« zeigte, wie vielfältig die Panels auf dem AFK-Kolloquium sein können. Moderiert von Eva-Maria Hinterhuber, Victoria Scheyer, Madita Standke-Erdmann und Simone Witsotzki wurden in diesem Panel verschiedene aufgezeichnete Interviews gezeigt, die später zu einem spannenden Austausch zwischen Teilnehmer*innen führten. Die Interviews präsentierten Stimmen von Menschen, welche sich täglich mit verschiedenen Formen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten internationaler Konflikte auseinandersetzen. Die Arbeit mit Geflüchteten auf Lesvos, das Peacebuilding, sowie die Prävention von Rechtsextremismus waren die Kontexte, mit denen sich die Interviewten befassten. Dies unterstrich noch einmal den intersektionalen Ansatz des Cafés, dass sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten in verschiedenen sozialen Beziehungen, organisatorischen und politischen Praktiken entfalten und sich mit anderen Formen von Ungleichheiten wie Klasse, Sexualität und »Rasse/race« überschneiden. In dem folgenden Austausch teilten die Teilnehmer*innen eigene Erfahrungen aus ihrer Arbeit und betonten die Notwendigkeit, feministische Perspektiven in die Arbeit der Friedens- und Konfliktforschung miteinzubeziehen.

Auch auf reflexiv-methodischer Ebene wurde sich mit Ungleichheit beschäftigt. In dem Panel »Alternative Perspektiven auf Frieden« bestand nach dem Wegfall von zwei Beiträgen sehr viel Raum und Zeit, um intensiv über Lena Merkles Beitrag zu »Participatory Online Research in Peace and Conflict Studies« zu sprechen. Lena Merkle betonte in ihrem Vortrag den Mehrwert, der aus den in der Not geborenen neuen Formen der virtuell gestützten Forschungsmethoden entstanden ist und erläuterte, inwiefern dies nicht nur die zweitbeste Option ist, sondern einen eigenen Mehrwert gerade bei ethnografischer Forschung bietet. Im Anschluss wurde insbesondere auch über partizipative Ansätze in der Forschung gesprochen, die das Ungleichgewicht zwischen Forschenden und Beforschten minimieren sollen.

Insgesamt zeigten die diskutierten Beiträge die Relevanz des Themas »Ungleichheit« aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktforschung – in Fallbeispielen ebenso wie in der Selbstreflexion des Wissenschaftssystems und der Forschenden. Auch die Organisation des Kolloquiums selbst versuchte Ungleichheiten zu begegnen und flexibel auf pandemiebedingte Ausfälle einzugehen. So war das Kolloquium erstmalig in der Geschichte der AFK hybrid gestaltet und eine Teilnahme in Präsenz ebenso wie virtuell möglich. Dies ermöglichte auch den Personen, die aufgrund von Risikoabwägungen, Quarantänebestimmungen oder mangelnden finanziellen Möglichkeiten nicht in Präsenz teilnehmen konnten, eine Partizipation an den Debatten und Beiträgen.

Christine Buchwald, Konstanze Döring, Lilli Kannegießer und Hannah Schöninger

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/2 Kriegerische Verhältnisse, Seite 53–58