W&F 2010/4

Kreative Vielfältigkeit

von Christiane Lammers

In fast 15 Jahren ist in Deutschland ein inzwischen professionalisiertes Arbeitsfeld entstanden, das sich unter dem Stichwort »Zivile Konfliktbearbeitung« (ZKB) zusammenfindet. Es bildeten sich differenzierte Arbeitsstrukturen, Arbeitsschwerpunkte haben sich dorthin verlagert, Ausbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten wurden geschaffen, mit der »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung« gibt es ein gemeinsames Netzwerk, seitens des Staates wird eine, wenn auch nicht ausreichende und immer wieder von Kürzungen bedrohte, Finanzierung zur Verfügung gestellt. Trotzdem ist die Kenntnis über diesen Teil von Friedensarbeit selbst bei friedenspolitisch Interessierten oft eher gering. Der Zivile Friedensdienst mag noch als Begriff die Öffentlichkeit erreicht haben, aber schon der Unterschied zu den Freiwilligendiensten ist nur Wenigen bekannt. Wer kennt schon Projekte der ZKB (nicht der humanitären Hilfe) in Afghanistan? Wer misst dem Wissen, das viele Nichtregierungsorganisationen über Konflikte vor Ort gesammelt haben, eine wesentliche Bedeutung zu? Wer hält die ZKB für friedenspolitisch tatsächlich relevant?

Ein nahe liegender Grund für diese Unkenntnis mag die Einschätzung sein, dass es sich bei der ZKB – insbesondere angesichts der bestehenden Konfliktlagen und den militärischen Interventionen – um eine »Spielwiese«, also ein marginales Feld handelt. Eine weitere Ursache ist die nicht stattfindende Öffentlichkeitsarbeit über ZKB. Eine Lücke, die die Organisationen der ZKB selbst nicht füllen können. Da genügt es auch kaum, eine bunt gestaltete Broschüre unters Volk zu bringen, so wie es der Ressortkreis der Bundesregierung zur Zivilen Krisenprävention beschlossen hat. Stattdessen sollte sich der Ressortkreis diesbezüglich ein Beispiel an der Bundeswehr nehmen: Ein Werbeetat von mehren Mio. Euro, verbunden mit weit reichender Unterstützung anderer staatlicher Subsysteme, könnte schon einiges bewirken. Ein exklusiver Zugang in die Schulen, garantiert durch Kooperationsverträge mit den Bundesländern, wäre auch der ZKB sehr dienlich.

Beides, die Dominanz der unbedingt notwendigen Diskussion zu den militärischen Interventionen wie auch die mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit über ZKB, sind jedoch nicht hinreichend, um die Unwissenheit bis hin zur Tabuisierung der ZKB zu erklären.

Weitere Erklärungsansätze sind m.E. in der ZKB selbst zu finden. Zunächst einmal: Zivile Konfliktbearbeitung setzt an komplexen gesellschaftlichen Prozessen an, trotzdem ist sie eher kleinteilig, langfristig und meist unspektakulär. Damit eignet sich die ZKB wenig für flotte Sprüche, kurzfristige Erfolgsmeldungen und strahlende Highlights.

In die Praxis der ZKB eintauchend werden weitere Dilemmata offensichtlich, die einfache Darstellungen und Positionen schwierig werden lassen. Einige Beispiele zur Illustration:

In einem asymmetrischen Konflikt stellt sich die ZKB natürlich der Aufgabe, zu einem Empowerment der Benachteiligten bzw. Opfer beizutragen. Eine solche Eindeutigkeit kann jedoch zur weiteren Eskalation des Konflikts beitragen, im schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Gewalttätigkeiten auf der einen wie auf der anderen Seite. Wie verhält sich die ZKB im Spannungsfeld Eskalation-Deeskalation?

Intervention von außen vs. Lösungen von innen: Drittparteien haben oft andere Möglichkeiten zur Bearbeitung festgefahrener Konflikte. Damit kommen aber auch die Interessen, die Kultur und die Sichtweisen von Dritten, nämlich der Intervenierenden, mit ins Spiel. Wer hat die Ownership in der ZKB?

Staat vs. Gesellschaft: Rechtstaatlichkeit und Gewaltmonopol sind großen Errungenschaften. Staatliche Souveränität ist ein Grundbaustein der internationalen Friedensordnung. In gewaltförmigen Konflikten ist der Staat jedoch oft nicht in der Lage, seine Funktionen hinreichend auszuüben. Projekte der ZKB zielen z.T. auf die Kompensation dieser Leerstellen ab. Das Problem spitzt sich zu, wenn der Staat selbst Konfliktpartei ist. Können Akteure der ZKB staatliche Gewalt in Anspruch nehmen, sollen sie mit »dem Staat« zusammenarbeiten? Soll ZKB die staatliche Souveränität hinterfragen? (Weiteres hierzu bei J. Neumann/B. Rieche (Hrsg.), Zivile Konfliktbearbeitung in Deutschland, Bonn 2008)

In der Praxis werden meist sinnvolle, pragmatische Lösungen für viele dieser Fragen gefunden; sie motivieren »die Szene« zu reflexivem Nachdenken und konzeptioneller Weiterentwicklung. Doch wie lässt sich darüber eine öffentliche, friedenspolitische Diskussion gestalten, ohne dass ein Rechtfertigungsdruck die Positionen dominiert und dies – kontraproduktiv – zu Allmachtsphantasien, Frustration/Phlegmatismus oder Reduktion auf wenige Instrumentarien führt?

Mit der Intention, die kreative Vielfältigkeit ziviler Ansätze der Konfliktbearbeitung aufzuzeigen und Rahmenbedingungen wie auch Problemstellungen zu formulieren, ist dieses Schwerpunktheft entstanden.

Ich wünsche eine interessante Lektüre!

Christiane Lammers

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/4 Konflikte zivil bearbeiten, Seite 2