Krieg um die Köpfe
Kongress der NGfP, 3.-8. März 2015, Berlin
von Raina Zimmering
Die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) organisierte in Berlin den Kongress »Krieg um die Köpfe. Diskurs der Verantwortungsübernahme«, und nahm damit ein drängendes politisches Problem in Augenschein.
Die seit 1991 bestehende NGfP versteht sich als „Zusammenschluss von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen aus der Psychologie und deren Nachbarprofessionen“; ihr Ziel ist die „methoden- und gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit psychologischen Themen“. Der interdisziplinär angelegte und praxisorientierte Anspruch kommt im Untertitel der NGfP: »Gesellschaft für Theorie und Praxis der Sozialwissenschaften«.
In der NGfP befassen sich Psychologen und Sozialwissenschaftler mit der psychologischen Verfasstheit politischer und sozialer Einstellungen, Handlungen und Entscheidungen und im Umkehrschluss auch mit der gesellschaftlichen und politischen Konstitution des psychologischen Verhaltens von Individuen und Gruppen und deren kollektiver Einstellungen und politischem Handeln. Damit deckt die Gesellschaft ein außerordentlich wichtiges Forschungs- und Praxisfeld der Sozialwissenschaften ab, das heute oft nur noch Randerscheinung im offiziellen Forschungs- und Lehrbetrieb der Universitäten und anderer Institutionen ist. Mit dem Niedergang von und der Ignoranz gegenüber der »Frankfurter Schule« in den Sozialwissenschaften geriet dieses Forschungsfeld ins Abseits. Der psychologisch verankerte Ansatz für politische Einstellungen, Überzeugungen, Verhaltensweisen und Handlungen ist durch seine Fixierung auf Methoden der empirischen Sozialforschung, überdies meist quantitativ ausgerichtet, seines normativen Gehalts verlustig gegangen. Umso höher ist das Anliegen der Gesellschaft zu werten, den Zusammenhang und die Kausalität zwischen Psychologie und Gesellschaft normativ zu erfassen.
Seit 2014 beschäftigt sich die Gesellschaft mit dem Zusammenhang von Krieg und Gesellschaft und begann eine multidisziplinäre Diskussion zu diesem Thema. Hierbei erwiesen sich die bei einem vorbereitenden Symposium von Klaus-Jürgen Bruder, »Nicht zum Frieden, man muss zum Krieg planvoll erziehen«, und von Almuth Bruder-Bezzel, »Krieg in die Köpfe: brain storming zum Thema«, gegebenen Inputs als besonders wichtig: Es kommt darauf an herauszufinden, wie Menschen durch Politik und offizielle Medien auf Krieg eingeschworen und vorbereitet werden und welche politischen Einstellungen sich daraus ergeben. Diese Frage war nun das Hauptthema des Kongresses »Krieg um die Köpfe«.
Am ersten Tag der Konferenz wurde über »Neoliberale Identitäten« gesprochen, wobei die Identitätskrise und Neofundamentalismus (Klaus Ottomeyer), neoliberale Bildungsprogramme in Mexiko (Carina López Uribe) und psychologische Auswirkungen der neoliberalen sozialen Ökonomisierung (Ulrike Mensen) behandelt wurden. Moshe Zuckermann schilderte am ersten Abend des Kongresses am Beispiel Israels eindrucksvoll, wie sich Krieg als Strukturelement in die Gesellschaft frisst und die Einstellungen und das Handeln der Bürger bestimmt. Seine These: Israel bediene seit seiner Gründung nicht den Frieden, sondern den Krieg als Politikziel, und dies präge die gesamte Gesellschaft. Israel sei damit ein warnendes Beispiel für andere Gesellschaften, deren Bürger durch den Krieg geprägt seien und die keinen Ausweg aus dem Krieg mehr erkennen könnten.
Klaus-Jürgen Bruder bearbeitete das Thema Krieg und Frieden am zweiten Tag der Konferenz unter dem Stichwort »Verantwortungsübernahme«. Er stellte dar, dass heute – wie vor den beiden großen Kriegen des vergangenen Jahrhunderts – Angst geschürt werde, die gegenwärtige Politik ihre Argumentation nun jedoch unter dem Begriff der Verantwortungsübernahme subsumiere. Die „Deutschen“ sollten für Konfliktregionen „Verantwortung übernehmen“, indem sie sich durch „humanitäre Einsätze“ in den Kriegsgebieten einmischen. Die Bewusstseinslage dafür müsse durch den „Krieg um die Köpfe“ hergestellt werden. Bei der Bewusstseinsarbeit existiere eine Arbeitsteilung zwischen der politischen Klasse und den Medien: Während die Rolle der Medien überwiegend darin bestehe, durch abstoßende Kriegsbilder und starke Symbole Ängste und Empörung zu schüren und Feindbilder zu konstruieren, stelle die Regierung den „vertrauensbildenden Untergrund“ dar, der auf die Verantwortung zum Handeln verweise und das Staatsbürgerpublikum darauf einschwöre, sich aktiv bei der „Verhinderung von Völkermorden“ einzubringen. Dabei würden auf subtile Weise Ängste und Verantwortungsübernahme verknüpft, und es würde so eine Bereitschaft zum kriegerischen Eingreifen erzeugt. Verantwortungsübernahme basiere dabei auf der Instrumentalisierung von fundamentalen integrativen gesellschaftlichen Symbolen wie dem Holocaust, der kein zweites Mal geschehen dürfe. Dabei würden mediale Lügen, beispielsweise die Lüge über Massengräber mit Opfern der Serben im Vorfeld des Jugoslawienkrieges, aktiviert; die spätere Aufklärung durch Expertengruppen der Vereinten Nationen darüber, dass diese nicht existierten, hingegen würden ignoriert, nicht wahrgenommen und demzufolge aus der Politik der Verantwortungsübernahme exkludiert.
Mit diesem Thema beschäftigten sich weitere Beiträge der Konferenz, wie der Vortrag »Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?« von Mechthild Klingenburg-Vogel, »Die Parteilichkeit der ‚Verantwortung’. Zur legitimierenden Rhetorik der Opfer-/Täter-Figur in den Stellungnahmen deutscher Intellektueller zum Jugoslawienkrieg 1991-1999« von Steffen Hendel, »Orientierungsrahmen parlamentarischer Kontrolle: Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland« von Stefan Beck, »Traumatherapie als Kriegsdienst. Zur Geschichte der Militärpsychiatrie und Psychotherapie« von Almuth Bruder-Bezzel, »Das neue alte ‚Reich des Bösen’: Wie ein Kriegs-Feindbild aufgefrischt wird« von Alexander Bahar oder »Resilienz im neoliberalen Diskurs der ‚Eigenverantwortung’ aus der Sicht einer Hilfsorganisation« von Thomas Gebauer und viele andere mehr.
Auch die Rolle der Medien zur Einschwörung der Bevölkerung auf Krieg wurde mehrfach zum Thema gemacht. Hier kam es vor allem darauf an, die Bewusstseinsbildung und psychische Beeinflussung im Sinne der Schaffung von Angst sowie die Aufforderung zur Übernahme von Verantwortung, die sich in Handlungspflicht übersetze, in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders erwähnenswert sind die Beiträge »Die Enteignung des Zuschauers. ARD & ZDF lügen wie gesendet« von Uli Gellermann und »Der Krieg – Die Rolle der Medien. Vom ‚German Hun’ zu den ‚new Hitlers’ der neuen Welt-Kriegsordnung« von Rainer Rupp. Die Macht der Bilder löst Gefühle aus, die zu Überzeugungen und Einstellungen führen.
Schade war, dass die Medien selbst kaum Interesse an der Analyse ihrer Innung aus psychologischer Perspektive und im Kontext des Kriegsthemas zeigten. Ledglich ein Mitarbeiter der tageszeitung (taz) war anwesend.
Insgesamt war die Konferenz ein großer Erfolg für die gesellschaftliche Verankerung und interdisziplinäre Ausrichtung der Psychologie. Sie kann als gelungener Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs gewertet werden, der den psychologischen Ursachen und Hintergründen für die Erzeugung von kriegerischem Bewusstsein und der psychologischen Vorbereitung von Kriegen auf die Spur kommen will. Es ist zu wünschen, dass die Erkenntnisse im breiteren sozialwissenschaftlichen und politischen Diskurs aufgenommen und verarbeitet werden und dazu beitragen, Kriegsbewusstsein in der Gesellschaft zu verhindern und zu bekämpfen und in Zeiten multipler Krisen und kriegerischer Konflikte Friedenseinstellungen zu stärken.
Raina Zimmering