W&F 2013/1

Kriege, Krisen, Konflikte … und Karten

Ein neuer Blick auf die Welt

von Benjamin D. Hennig

Karten kommt bei Fragestellungen rund um Geopolitik und Konflikte seit jeher eine besondere Bedeutung zu. Dies liegt nicht zuletzt an der symbolhaften Wirkungskraft von Bildern, die oftmals prägnanter sind und räumliche Realitäten vermeintlich objektiver vermitteln als Worte. Den Anspruch der Objektivität konnten Karten allerdings noch niemals erfüllen, da eine kartographische Abbildung des Raumes immer mit einer Verzerrung der Realität verbunden ist und der beabsichtigte Einsatzzweck die jeweilige Abbildungstechnik determiniert. Hinzu kommt die Bildsprache innerhalb der gewählten Abbildungsmethode, die gleichfalls manipulierend wirken kann. Karten können Realitäten also mindestens ebenso bewusst falsch vermitteln – und aufgrund ihrer visuellen Wirkung oftmals nachhaltiger – wie bewusst manipulierende Worte. Dieser Beitrag stellt eine alternative kartographische Visualisierungsform vor, mit der jegliche quantitative Dimension, die die Erde prägt, in neuer Form dargestellt werden kann. Die so erstellten Karten sollen einen Beitrag dazu leisten, die soziale Dimension der Erde durch auf den ersten Blick ungewöhnliche Darstellungsformen besser verständlich zu machen und so ein Problembewusstsein für Fragestellungen rund um das Wirken des Menschen auf diesem Planeten zu schaffen.

Die Visualisierung sozialwissenschaftlicher Daten nahm ihren Anfang in den frühen Tagen der Industrialisierung in Europa. Alle wichtigen Methoden der statistischen Analyse und ihrer aussagekräftigen graphischen Darstellung wurden im 19. Jahrhundert entwickelt und bilden bis heute das Fundament in sozialwissenschaftlicher Forschung und politischer Anwendung.

Die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Globalisierung und die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung in der heutigen Zeit erinnern an die radikalen Umbrüche beim Übergang zur Industriegesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Die Methoden, diese Veränderungen in visueller Form darzustellen, haben sich seit damals jedoch kaum verändert. Die Welt wird bis heute auf Karten gezeigt, die auf Techniken basieren, bei denen der physische Raum zentrale Bedeutung hat. Die Orte menschlichen Handelns sind jedoch auf wenige physische Räume begrenzt: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt mittlerweile in Städten, und 95% der Weltbevölkerung lebt auf nur 10% der Landoberfläche.

Die Karten in einem konventionellen Atlas stellen somit nur eine Dimension des Raumes dar, der die heutige globalisierte Welt prägt. Als Alternative wurden anamorphe Kartendarstellungen, in denen andere Raumdimensionen als der rein physische Raum in den Vordergrund rücken, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt (wenngleich erste konzeptionelle Überlegungen für solche Karten bereits im 18. Jahrhundert angestellt wurden).

Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 2015

Karte 1 Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 2015

Mit anamorphen Kartendarstellungen arbeitet z.B. das Worldmapper-Projekt (worldmapper.org). Die Worldmapper-Karten zeichnen sich durch ihre simple Gestaltung aus. Eine Karte macht Aussagen zu genau einem Thema, und eine durchgängige visuelle Gestaltung erlaubt den raschen optischen Zugang zu den Karten, in denen die Darstellung jedes Landes der Welt gemäß eines Indikators, wie Bevölkerung, Armut, Gesundheit oder Wirtschaftskraft, in seiner Größe verändert wird. So sind in der Weltbevölkerungskarte China und Indien die dominierenden Elemente – wesentlich größer als beispielsweise ein flächengroßes Land wie Russland, das nur eine geringe Bevölkerung aufweist (Karte 1).

Grundprinzip der anamorphen Kartendarstellungen (Kartenanamorphote, im Englischen »cartogram«) ist eine bewusst Verzerrung des Raumes. Die Distanzen in der Kartendarstellung sind dabei nicht an physischen Distanzen orientiert, sondern proportional zu einem beliebig gewählten Indikator. Damit sind die Verzerrungen nicht willkürlich oder die Realität verfälschend, sondern basieren auf realen Daten und sind somit auch objektiv nachvollziehbar.

Welt der Krisen und Konflikte

Mit anamorphen Kartendarstellungen lassen sich neue Sichten auf die Welt von Krisen und Konflikten erzeugen; sie stellen bestehendes Wissen auf ungewöhnliche und manchmal überraschende Weise dar. Einige Beispiele verdeutlichen, wie anamorphe Karten einen neuen Einblick in die Welt der Kriege geben können, indem die statischen Zahlen in geographische Darstellungen übertragen werden. Die nachfolgende Kartenserie erzählt die Geschichte einer Welt, deren Bevölkerung Krisen, Kriegen und Konflikten in vielfältigen Facetten ausgesetzt ist.

Kartenanamorphote der Militärausgaben im Jahr 2010

Karte 2 Kartenanamorphote der Militärausgaben im Jahr 2010

Kartenanamorphote der Verbreitung von Nuklearwaffen im Jahr 2011

Karte 3 Kartenanamorphote der Verbreitung von Nuklearwaffen im Jahr 2011

Kartenanamorphote der Waffenexporte im Jahr 2003

Karte 4 Kartenanamorphote der Waffenexporte im Jahr 2003

Kartenanamorphote der Waffenimporte im Jahr 2003

Karte 5 Kartenanamorphote der Waffenimporte im Jahr 2003

Dass Kriege ein anhaltendes Phänomen sind, zeigt ein Blick auf die Militärbudgets der Staaten. Kaum ein Land der Erde kommt ohne eine eigene Armee aus; von den größeren Flächenstaaten gehört Costa Rica zu den wenigen Ausnahmen. Und noch weniger Länder investieren nicht in der einen oder anderen Form in die Landesverteidigung und andere Formen militärischer Sicherung, wie die Verteilung der Militärausgaben im Jahr 2010 in der Karte 2 zeigt.

Die Regionen, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges selbst nicht von Kriegen betroffen waren, gehören dabei zu den Gebieten, in denen die höchsten Militärausgaben getätigt werden. Dies lässt sich nicht alleine mit dem Bedrohungspotential dort erklären, auch wenn die Nachwirkungen des Kalten Krieges – in der Karte 3 exemplarisch anhand der Verteilung der Nuklearwaffen 2011 dargestellt – sich bis heute in den geostrategischen Entscheidungen der globalen Verteidigungsbündnisse widerspiegeln.

Zweifelsohne ist der Handel mit dem Krieg längst zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Im Jahr 2003 betrug das Volumen der weltweiten Rüstungsexporte über 19 Mrd. US-Dollar. Exporte der Rüstungsindustrie (Karte Abb. 4) spielen eine wichtige Rolle in den Handelsbilanzen der großen Industrienationen. Während die Exporte in den letzten Jahren bei stark wachsendem absoluten Volumen (1985: 85 Mrd. US-Dollar) weitgehend gleich verteilt geblieben sind, ist die Verteilung der waffenimportierenden Länder je nach geopolitischer Lage stärkeren Schwankungen unterworfen. Die in der Karte 5 dargestellte Verteilung der Waffenimporte im Jahr 2003 zeigt den bis heute wichtigen Handel mit den arabischen Ländern und den weltpolitisch immer wichtiger werdenden Ländern Ostasiens, verdeutlicht aber auch den Handel mit damals entstehenden Krisengebieten in Teilen Afrikas sowie den Ländern, die unlängst im so genannten Arabischen Frühling nicht unwesentlich militärisch gegen die eigene Bevölkerung vorgingen. Hervor sticht auch die Größe Griechenlands, das 2003 mit China und Indien zu den größten Waffenimporteuren gehörte – importiert wurden nicht zuletzt Waffen aus deutscher Produktion.

Kartenanamorphote der Todesopfer durch Landminen im Jahr 2010

Karte 6 Kartenanamorphote der Todesopfer durch Landminen im Jahr 2010

Kartenanamorphote der Kriegsopfer im Zeitraum 1945 bis 2000

Karte 7 Kartenanamorphote der Kriegsopfer im Zeitraum 1945 bis 2000

Kartenanamorphoten der Herkunfts- (oben) und Zielländer (unten) von Flüchtlingsströmen im Jahr 2011

Karte 8 Kartenanamorphoten der Herkunfts- (oben) und Zielländer (unten) von Flüchtlingsströmen im Jahr 2011

Kartenanamorphote der Teilnehmer an Irak-Antikriegsdemonstrationen 2002/03

Karte 9 Kartenanamorphote der Teilnehmer an Irak-Antikriegsdemonstrationen 2002/03

Die Folgen von Kriegen drücken sich – neben dem materiellen Schaden – in der tragischen Zahl von Kriegsopfern aus. Opfer von Waffen gibt es dabei nicht nur während der kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern zum Teil Jahre und Jahrzehnte darüber hinaus. Die Karte 6 zeigt die Verteilung der 4.191 Landminenopfer, die für das Jahr 2010 nachgewiesen sind.

Noch viel höher sind die Opferzahlen in den Kriegen und Konflikten selbst. Es wird geschätzt, dass zwischen 1945 und 2000 über 51 Millionen Menschen Opfer von Kriegen wurden. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist Europa – abgesehen vom früheren Jugoslawien – dabei von der Weltkarte der Kriegsopfer verschwunden (Karte Abb. 7).

Eine oft direkte Folge von Konflikten sind internationale Flüchtlingsströme, die eine sehr dynamische Komponente dieses Themenfeldes darstellen. Statistiken für das Jahr 2012 zeigen, dass mit mehr als 4,3 Millionen neuen Flüchtlingen die Zahl der betroffenen Menschen so hoch wie nie in den letzten zehn Jahren war. Neu entstandene Krisenherde wie die Elfenbeinküste, Libyen, Somalia und Sudan trugen zu einem erheblichen Anstieg von Flüchtlingsströmen bei; sie sind zu den bestehenden Konfliktgebieten wie Afghanistan hinzugekommen. Vielfach sind die Flüchtlingsströme auf die benachbarten Länder ausgerichtet, wie die Gegenüberstellung der Herkunfts- und Zielländer in der Karte 8 zeigt.

Doch auch die wohlhabenderen Staaten sind an kriegerischen Handlungen beteiligt – wenn sie nicht sogar Auslöser von neuen Konflikten sind. Die zuvor erwähnten hohen Investitionen in die Militärhaushalte werden in diesen Fällen nicht (nur) zur Verteidigung der eigenen Hoheitsgebiete, sondern (auch) für internationale Interventionen eingesetzt. Dies stößt jedoch nicht immer auf Zustimmung in der eigenen Bevölkerung. Besonders groß war der internationale Widerstand gegen den Irakkrieg 2003, gegen den global geschätzte 15,9 Millionen Menschen demonstriert haben – vornehmlich in den über 25 an dem Krieg beteiligten Ländern (siehe Karte 9).

Als Referenz für die hier gezeigten Karten bietet die konventionelle Vorstellung der Welt in ihrer Verteilung von Land und Wasser eine ungeeignete Grundlage. Vielmehr ist die Karte 1 der Weltbevölkerung eine korrektere Basis für die dargestellten Themenfelder.

Die Welt der Menschen

Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 1950

Karte 10 Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 1950

Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 2100

Karte 11 Kartenanamorphote der Weltbevölkerung im Jahr 2100

Die Verteilung der Weltbevölkerung verändert sich langsam, aber stetig. Sie wächst (noch) nicht nur in absoluten Zahlen, sondern zeigt dabei ganz spezifische geographische Muster. Eine Betrachtung auf jährlicher Basis würde dabei nur geringe Veränderungen aufzeigen, während man in einer Betrachtung über mehrere Jahrzehnte diese Schwerpunktverlagerung auch im Kartenbild deutlich erkennen kann – mit entsprechenden Auswirkungen auf die globalen Machtgefüge und die daraus entstehenden Krisenpotentiale. Während die Karte 1 den gegenwärtigen Stand zeigt, zeigen die Karten 10 und 11 die Bevölkerungsverteilung für 1950 und (nach Schätzungen der Vereinten Nationen) für 2100.

Bevölkerung ist also ein wesentliches Element für die Grundlage des Verständnisses der heutigen Welt. Die Worldmapper-Karten können dieses in einfacher und gleichzeitig eindrucksvoller Weise auch in ihrer zeitlichen Dynamik darstellen (siehe animierte Beispiele auf worldmapper.org). Die Simplizität ist jedoch auch ein Problem der hier vorgestellten Worldmapper-Karten: Der Detailgrad, der in den Karten dargestellt werden kann, ist auf Länderebene limitiert. Somit bieten diese Karten keine sinnvolle Basis für die Darstellung anderer Themen als des gewählten Indikators. Es sind vielmehr immer noch relativ beschränkte Karten, denen bestimmte Grundeigenschaften von Karten fehlen (wie etwa die Darstellung weiterer Informationen und Raumelemente).

Ein Schritt zur Optimierung anamorpher Darstellungen ist demgemäß die Entwicklung einer Methode, mittels derer die Karten auch als Basis für die Darstellung weiterer räumlicher Informationen geeignet sind. Dies kann erreicht werden, indem anstatt der Daten für eine spezifische administrative Einheit (wie eines Landes) ein gleichmäßiges (und somit gleichzeitig objektives) Raster an Bevölkerungsdaten zur Transformation verwendet wird. Jede einzelne Rasterzelle wird bei der Kartenerstellung mit jeder anderen Rasterzelle gegengerechnet, um daraus die korrekte Relation der Verzerrung abzuleiten und zu berechnen. Karten können sowohl global als auch auf jeder beliebigen regionalen Ebene generiert werden, so dass mit der gleichen Datenbasis unterschiedliche Maßstabsebenen realisierbar sind. Der zugrundeliegende Computeralgorithmus ist zudem so gestaltet, dass die Verformung der einzelnen Rasterzellen möglichst gleichmäßig vorgenommen wird, so dass die quadratische Form jeder Rasterzelle weitestmöglich beibehalten wird. Bei hoher Auflösung der Basisdaten können dabei Zusatzinformationen wie Grenzen mittransformiert und -visualisiert werden. Damit können diese Bevölkerungskarten auch als Grundlagenkarte für weitere thematische Informationen dienen und gehen somit weit über die Visualisierungskapazitäten früherer Kartenanamorphote hinaus.

Die daraus resultierenden so genannten Rastertransformationskarten (gridded cartograms) zeichnen ein neues Bild der Welt, in dem erstmals ein objektiver Raum für eine andere Dimension als den physischen Raum geschaffen wird. Während jede Rasterzelle eine physisch identische räumliche Einheit darstellt, repräsentiert in den neuen Rastertransformationskarten die Größe der Zellen die reale Bevölkerungsverteilung innerhalb des jeweils gewählten Gebietes: Die größten Rasterzellen stellen die höchsten Bevölkerungswerte in ihrer tatsächlichen Relation zu den übrigen Gebieten dar, während bevölkerungsleere Gebiete so weit verkleinert werden, dass sie – wie dicht gedrängte Isolinien in Landkarten – kaum noch erkennbar sind. Den dicht bevölkerten Gebieten wird in diesen Karten somit der meiste Platz eingeräumt.

Bevölkerungsrastertransformationskarte der Welt

Karte 12 Bevölkerungsrastertransformationskarte der Welt

Auf der Weltkarte (Karte 12) werden die dicht besiedelten megaurbanen Regionen Ostasiens sichtbar. Sie zeigt beeindruckend die Dominanz der Bevölkerung in diesen Gebieten – z.B. den Ostprovinzen Chinas und weiten Teilen Indiens –, wohingegen das flächengrößte Land der Erde, Russland, kaum noch wahrzunehmen ist. Die durch das zugrunde liegende Raster entstehenden Muster ermöglichen zudem eine weitere Interpretation der Bevölkerungsverteilung: So ist in Russland mit der Bündelung der Bevölkerung im Westen des Landes auch das Macht- und Bevölkerungszentrum Moskau zu erkennen. Die entvölkerten Gebiete Westchinas oder die menschenleeren Wüstenregionen Nordafrikas, die nahezu den Verlauf der Wendekreise nachzeichnen, sind ebenfalls deutlich zu erkennen.

Rastertransformationsdarstellung der Bevölkerung Deutschlands

Karte 13 Rastertransformationsdarstellung der Bevölkerung Deutschlands

Verändert man den Maßstab auf die nationale Ebene, so lassen sich sogar regionale Unterschiede visualisieren, was die Sichtweise auf die räumlichen Realitäten stark beeinflusst. So können diese Darstellungen auch bei für uns vermeintlich bekannten Ländern zu neuen Einblicken beitragen – und das in einer ganz anderen Dimension, als dies in üblichen Kartenprojektionen möglich ist. Betrachtet man Deutschland mit dieser Methode (Karte 13), werden nicht nur die Bevölkerungsunterschiede zwischen Ost und West sofort erkennbar, sondern auch die große Dominanz von Ballungsräumen wie dem Rhein-Ruhrgebiet. Die hier gezeigte Karte projiziert wie in einer konventionellen Kartendarstellung zudem das Relief Deutschlands auf die Bevölkerungskarte und vermittelt so eine Vorstellung davon, welche Geländehöhen wie dicht besiedelt sind. So verschwinden die dünn besiedelten Mittelgebirgszüge nahezu, während etwa die Ebenen am Niederrhein und im Rheinland durch ihre dichte Besiedlung stark hervorgehoben werden. Dies mag den landeskundlich bewanderten Betrachter kaum verwunderten, kann aber zum Verständnis der demographischen Strukturen weniger bekannter Regionen der Erde bedeutend beitragen.

Überträgt man das Prinzip auf Themen wie Krisen und Konflikte, wird die Darstellung allerdings dadurch erschwert, dass eine verlässliche Datenbasis oftmals nicht vorliegt. Bewusste Fehlinformationen, aber auch das Fehlen von Informationen über die Kriege unserer Zeit, machen eine objektivere Betrachtung und Bewertung schwer. Wo derartige Daten existieren, können alternative Betrachtungsweisen zu neuen Einblicken führen – und wo keine neuen Einblicke entstehen, so zumindest zu ungewöhnlichen neuen Darstellungen, die den Blick auf das Thema neu fokussieren.

Karten der Kriegsopfer im zweiten Irakkrieg (konventionelle Karte links, Bevölkerungsrastertransformationskarte rechts)

Karte 14 Karten der Kriegsopfer im zweiten Irakkrieg (konventionelle Karte links, Bevölkerungsrastertransformationskarte rechts)

Die Auswertung der über Wikileaks veröffentlichten Daten des letzten Irakkrieges ergibt ein Bild der geographischen Verteilung von fast 110.000 Kriegstoten. Die Zahl, die auch über 66.000 zivile Opfer beinhaltet, war weit höher als offizielle Angaben des US-Militärs, und die Veröffentlichung der Dokumente im Jahr 2010 hatte eine erneut kontroverse Debatte um den Irakkrieg zur Folge. Ein kartographischer Blick auf die veröffentlichten Daten zeigt die deutliche Konzentration der Kriegstoten entlang der zentralen Flussläufe des Landes (Karte 14), ein Punkt entspricht dabei 100 Kriegsopfern). Eine entsprechende Rastertransformationskarte, basierend auf der Bevölkerungsverteilung, bestätigt dabei, dass das resultierende Muster in weiten Teilen den dicht besiedelten Gebieten des Landes entspricht, wohingegen – kaum verwunderlich – in den unbesiedelten Regionen eher wenige Kriegstote registriert wurden. Die alternative Darstellung zeigt aber auch, dass eine große Anzahl von Opfern in den weniger dicht besiedelten Regionen nördlich von Bagdad konzentriert ist.

Dieses alternative Bild des Krieges zeigt im Ansatz, dass Karten unterschiedliche Geschichten erzählen können. Es liegt in der Verantwortung des Kartenerstellers, mit den Informationen verantwortungsvoll umzugehen, aber auch in der Verantwortung des Kartenbetrachters, die dargestellten Informationen kritisch zu bewerten und die Art der Darstellung zu hinterfragen.

Ausblick

Die hier vorgestellten Kartenbeispiele zeigen, dass die Verwendung von Kartenanamorphoten neues Potential bietet, den Menschen und sein Handeln auf der Erde in einer alternativen Weise zu zeigen. Es handelt sich bei anamorphen Karten nicht um eigenwillige willkürliche Verzerrungen, sondern um neue Projektionsmethoden, die im Beispiel der Rastertransformationskarten auf äußerst detaillierten Bevölkerungsdaten basieren. Die daraus resultierenden Karten sind nicht weniger objektiv als konventionelle Kartendarstellungen und fördern ein neues Verständnis von globalen wie regionalen Realitäten. Zudem können die Rastertransformationskarten durch eine Kombination mit weiteren Daten zu multithematischen Karten erweitert werden, was bislang nur in konventionellen Karten zu verwirklichen war. Diese Darstellungmethode ermöglicht es, der Relevanz des Menschen in der Visualisierung der sozialen Realitäten erstmals ausreichend Raum zu geben.

Bevölkerungsrastertransformationsdarstellung der Erde bei Nacht

Karte 15 Bevölkerungs­raster­transformations­darstellung der Erde bei Nacht

Krisen, Konflikte und Kriege sind in der heutigen Welt nicht mehr nur das Ergebnis des Strebens nach mehr Macht und Einfluss, sondern oftmals auch das Ergebnis einer Welt, in der ungleiche Lebensbedingungen zur Entstehung von Spannungen führen. Eine Welt, in der Menschen allerorts gleiche Lebenschancen haben, gab es zwar nie, doch nie zuvor waren Armut und Reichtum so ungleich verteilt. Das Sehen und Verstehen dieser Realitäten ist der erste Schritt, um Lösungen zu finden für eine gerechtere und weniger konfliktgeladene Welt.

Ein Blick auf die Erde bei Nacht, die viele Menschen seit ihrer ersten Veröffentlichung fasziniert hat, zeigt, wie stark der Kontrast zwischen Wohlstand und Armut ist (Karte 15): Dargestellt in einer Bevölkerungsprojektion zeigt die Erde bei Nacht ein Bild von den Orten, an denen es sich die Menschen leisten können, den Nachthimmel mit Licht zu bestrahlen, während ein Großteil der Menschheit in Afrika, Asien und Südamerika in Dunkelheit lebt.

Literatur

Hennig, B.D. (2013). Rediscovering the World: Map Transformations of Human and Physical Space. Heidelberg/New York/Dordrecht/London (Springer).

Dr. Benjamin D. Hennig promovierte zum Worldmapper, ist Research Associate am Department of Geography der University of Sheffield in Großbritannien und unterhält die Website viewsoftheworld.net.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/1 Geopolitik, Seite 35–38