Kriegsgerassel
von Jürgen Nieth
Große Töne vom kleinen Kim beschäftigten im April weltweit die Nachrichtenagenturen.
Auf einer Plenarsitzung des ZK der Arbeiterpartei hatte Kim Jong Un Ende März erklärt, das nordkoreanische „Nuklearwaffenarsenal sei »das Leben der Nation« und auch für »Milliarden von Dollar« nicht verhandelbar“. Anfang April kündigte er dann an, den 2007 stillgelegten Plutonium-Reaktor in Yongbyon wieder hochzufahren und die Urananreicherung erneut aufzunehmen. Am 3. April sperrte Nordkorea den Zugang zum gemeinsam mit Südkorea betriebenen Industriepark Kaesong, und einen Tag später „bewilligte Kim dann offiziell »eine gnadenlose Operation der Streitkräfte« – sprich Nuklearschläge – gegen die USA“. Vorausgegangen war dieser Politik der „Drohungen und Hasstiraden“ ein dritter Atomwaffentest am 12. Februar 2013 (alle Zitate Der Spiegel, 08.04.13, S.89).
Der Irre vom Dienst?
Für C. Neidhart (SZ, 16.04.13, S.4) wurde Kim Jong Un damit zum „Buhmann des Jahres“, und für C. Wergin (Die Welt, 13.04.13, S.3) führt sich „der neue Führer […] auf wie ein Berserker“. F. Henning geht in der taz (16.04.13, S.14) noch einen Schritt weiter und wählt die Überschrift „Der Irre vom Dienst“. Vor acht Jahren hatte bereits der Spiegel (7/2005) beim Vater von Kim Jong Un getitelt: „Der Irre mit der Bombe.“ Jetzt begnügte er sich mit „Der Feind der Welt“ (08.04.13).
Drohungen oder reale Kriegsgefahr?
Eine reale Kriegsgefahr sieht C. Wergin (Die Welt, 13.04.13, S.3): „Nordkorea hat Südkorea zur Geisel seiner konventionell bestückten Raketen und seiner Atomsprengköpfe gemacht und könnte möglicherweise auch Japan mit atomarem Feuer überziehen […] Und niemand kann sagen, ob das Regime […] nicht irgendwann den roten Knopf drückt.“ Der Spiegel (08.04.13) verweist auf die Eskalationsgefahr: „Die USA bringen eine mächtige Flotte in Stellung – eine falsche Bewegung könnte eine verheerende Kettenreaktion auslösen.“
Die Gefahr eines Angriffskrieges durch Nordkorea sieht die Mehrheit der in den deutschen Medien zitierten Asienexperten und Kommentatoren allerdings nicht.
Drei Beispiele: In der taz (15.04.13, S.12) stellt M. Fritz fest: „Trotz Kriegsrhetorik gibt es bisher keine Indizien für Angriffsvorbereitungen. Eigene Manöver finden fernab der feindlichen Truppen statt. Die 1,2 Millionen Soldaten bleiben in ihren Kasernen.“
Josef Joffe formuliert im Handelsblatt (11.04.13, S.12): „Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges auf der koreanischen Halbinsel tendiert gegen null […] Der 30-Jährige […] kann keinen Krieg wollen, nicht zuletzt, weil er ihn nicht gewinnen kann […] Kims Kanonen hätten nicht mehr Zeit als eine Minute, dann wären sie das Opfer der radargesteuerten Konter-Artillerie des Klassenfeindes.“
Und B. Bartsch schreibt in der FR (15.04.13, S.11): „Das Regime […] hat […] häufig bewiesen, dass es bei aller Skrupellosigkeit äußerst rational agiert. Eine vollkommene Isolation oder gar ein Krieg wären für Nordkoreas Herrscher politischer Selbstmord.“
Hintergründe
Innenpolitische Gründe sind für fast alle Kommentatoren ausschlaggebend für das Kriegsgerassel. So schreibt M. Pohl in der FAZ (15.04.13, S.7): „Nach seiner gut einjährigen Amtszeit hat Kim Jong-un machtpolitisch noch lange nicht das Format seines Vaters Kim Jong-il oder gar seines Großvaters Kim Il-sung – er steht unter einem enormen Legitimationsdruck gegenüber Partei […] und Militär.“ Die Mentoren des jungen Kim „müssen nun das militärische Establishment aufbrechen, die Rolle der Partei stärken und aus dem jungen Diktator einen militärischen Führer machen.“ Pohl verweist auf notwendige Wirtschaftsreformen. Zur anderen „Seite der Imagekampagne für Kim Jong-un“ gehöre, dass der einst geschasste Wirtschaftsreformer Pak Pong-ju jetzt als Regierungschef die Aufgabe habe, die Versorgungslage zu verbessern. Auch C. Neidhart geht in der SZ (16.04.13, S.4) auf den Hunger in Nordkorea ein und meint: So kann es nicht weitergehen, „der junge Kim soll – und will wohl auch – das Los seines Volkes verbessern […] Die freien Märkte, die heute mehr als die Hälfte der Versorgung Nordkoreas leisten, sind […] 1994/95 als (illegale) Selbsthilfe-Instrumente entstanden. Das Regime […] unterdrückte sie vorübergehend wieder, akzeptiert sie aber heute.“
Eskalation statt Deeskalation
Trotzdem bringen die USA eine Streitmacht in diese Region, „wie sie die Welt lange nicht mehr gesehen hat: Zwei US-Flugzeugträger mit Begleitschiffen sind auf dem Weg in den Westpazifik. Zwei Lenkwaffen-Zerstörer und die selten zur Schau gestellte Radarplattform SBX-1 zur Raketenabwehr sind bereits dort; in den kommenden Tagen wird das Atom-U-Boot USS »Charlotte« eintreffen […] Die US-Luftwaffe unterstützt diese Armada mit B-52-Langstrecken- und B-2-Tarnkappenbombern. Beide können Atombomben tragen.“ (Der Spiegel, 08.04.13, S.88) Auch aus Japan und Südkorea kommen den Konflikt eskalierende Forderungen. Japans Premier Shinzo Abe „erhöhte zum ersten Mal seit elf Jahren den Verteidigungsetat. Dem Nationalisten Abe kommen Kims Provokationen entgegen, denn er will sowieso die pazifistische Verfassung revidieren, die seinem Land 1946 […] aufgezwungen wurde.“ (ebd., S.92) Und in Seoul wird der Ruf nach eigenen Atomwaffen lauter. „Wenn Washington kein nukleares Südkorea will, dann muss es wenigstens taktische Nuklearwaffen in unser Land verlegen“, zitiert der Spiegel (15.04.13, S.84) Chung Woo Taik von der Regierungspartei.
Spirale der Gewalt durchbrechen
„Es wird dringend Zeit, diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen […] Die Politik der Konfrontation, die seit […] Georg W. Bush den Umgang mit diesem Regime in Pjöngjang bestimmt hat, ist an ihr Ende gelangt […] eine vorsichtige Lockerung der UN-Sanktionen, unter denen die Nordkoreaner sehr leiden, [könnte] ein Schritt sein, um Vertrauen zu schaffen.“ (S. Hebestreit, FR, 09.04.13, S.11) Auch für den Asien-Korrespondenten des Guardian ist die „Zeit […] reif, einen neuen Ansatz im Umgang mit Nordkorea zu suchen – den direkten Dialog“ (Freitag, 11.04.13, S.8). In dieselbe Richtung geht R. Klüver (SZ, 12.04.13, S.4): Die USA „müssen Nordkorea signalisieren, dass sie selbst unter diesen Umständen mit sich reden lassen“. Sie haben „den Schlüssel zur Lösung der Krise in der Hand“.
Ihr Jürgen Nieth