W&F 2003/3

Kriegsgründe und die Realität

von Jürgen Nieth

Kriegsbegründung

US-Außenminister Powell in seiner 75minütigen Rede vor der UNO am 5. Februar 2003: Bagdad betreibe weiterhin geheime Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. „Hier wird getäuscht, hier wird versteckt und verborgen.“ Bagdad verfüge über ausreichende Möglichkeiten, um Pockenviren und Milzbranderreger zur Nutzung in biologischen Waffen herzustellen. Der Irak habe Kanister für seine Jagdbomber umgebaut, um dadurch Nervengas oder bakteriologische Waffen ausbringen zu können. Saddam Hussein sei im Besitz von 100 bis 500 Tonnen biologischer und chemischer Kampfstoffe und versuche sein Atomprogramm voranzutreiben. Irakische Wissenschaftler entwickelten Raketen mit bis zu 1.200km Reichweite. Weiter sprach Powell von Verbindungen des Irak zum Terrornetzwerk Al Qaida. (FR 06.02.2003)

Gläubige

„Ich bin bestürzt, weil ich weiß, dass die Bundesregierung über Informationen verfügt, dass es Massenvernichtungswaffen im Irak gibt.“ Friedbert Pflüger, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion am 4. Februar 2003. „Die Bedrohung durch Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen ist real.“ Angela Merkel, CDU-Vorsitzende am 8. Februar. (zitiert nach Freitag)

Suchende 1

„Wir haben zahlreiche Anlagen im Irak untersucht, die uns von den Geheimdiensten genannt wurden. Nur in drei davon fanden wir überhaupt etwas, und auch das hatte nichts mit Massenvernichtungswaffen zu tun.“ Hans Blix, Chef der UN-Waffeninspekteure am 6. Juni in New York. Blix fragte weiter: „Wenn das das Beste war (was uns die Geheimdienste bieten konnten), und wir haben nichts gefunden, was war dann erst mit ihren restlichen Informationen.“ (zitiert nach FAZ 07.06.2003)

Suchende 2

„Alle angeblichen Beweise der US-Regierung (zu einem Atomwaffenprogramm des Irak) haben sich als nicht stichhaltig erwiesen, teilweise sogar als plumpe Fälschungen.“ Mohamed al Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und stellvertretender Leiter der UN-Inspekteure im Irak im ZDF Magazin Frontal am 6. Mai 2003.

Suchende 3

Er sei überzeugt gewesen, dass vorrückende britische oder amerikanische Truppen noch vor Erreichen der Hauptstadt Bagdad mit chemischen oder biologischen Waffen angegriffen würden, so der Kommandant der US-Marineinfanteristen im Irak, General James Conway. Die amerikanischen Soldaten seien zwischen der kuwaitischen Grenze und Bagdad durch nahezu jedes Munitionsdepot gegangen, „aber die Waffen sind einfach nicht da.“ (Neue Zürcher Zeitung 31.05.03)

Suchende 4

Die »US-Übergangsverwaltung« hat für Hinweise auf mobile Labors zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak eine Belohnung ausgesetzt. In einem am 27.05. über den Rundfunk ausgestrahlten Aufruf wurde möglichen anonymen Informanten Schutz zugesichert. Wie die FAZ (28.05.03) schreibt, wurde in früheren Ankündigungen von bis zu 200.000 Dollar Belohnung gesprochen.

Eingeständnis 1

Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice musste am 9. Juni eingestehen, dass „Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar auf der Grundlage falscher Informationen dem Irak vorgeworfen habe, Uran für Atombomben bei afrikanischen Staaten erworben zu haben. Zum Zeitpunkt der Rede vor beiden Häusern des Kongresses, sei man aber noch von der Richtigkeit der Information überzeugt gewesen.“ (FAZ 10.06.03)

Eingeständnis 2

„Es wäre besser gewesen, wenn wir das Dossier nicht veröffentlicht hätten,“ so der britische Innenminister Blunkett in BBC. Gleichzeitig entschuldigte sich der britische Kommunikationsminister beim britischen Geheimdienst MI 6 für das Dossier, das auch Außenminister Powell vor der UNO als Beleg gedient hatte. Dazu die FAZ (10.06.03): „In dem Dossier hatte es geheißen, das Regime Saddam Husseins sei in der Lage, im Falle eines Krieges chemische und biologische Waffen binnen 45 Minuten einzusetzen. Diese Information stammte jedoch nicht vom Geheimdienst MI 6, sondern aus der veralteten Arbeit eines kalifornischen Studenten, welche Mitarbeiter der Regierung im Internet ausfindig gemacht und ohne Angabe der Quelle in das Dossier aufgenommen hatten.“

Eingeständnis 3

„Die Wahrheit ist, dass wir uns aus Gründen, die sehr viel mit der Regierung der Vereinigten Staaten selbst zu tun haben, auf einen Punkt geeinigt haben, mit dem jeder einverstanden sein konnte: Massenvernichtungswaffen als wesentlicher Kriegsgrund.“ Paul Wolfowitz, stellvertretender US-Verteidigungsminister im Interview mit dem Magazin Vanity Fair am 30. Mai 2003.

Das Letzte

Bush als Obergrüner

Joscha Schmierer, langjähriger Vertrauter von Joschka Fischer und im Planungsstab des Außenministeriums tätig, zeigte vor der Friedrich-Ebert-Stiftung Verständnis für die „extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts“ durch die USA. Aus seinen Ausführungen ergab sich die logische Schlussfolgerung, dass er ähnlich wie die Bush-Administration den Irakkrieg 2003 als eine Fortsetzung des Golfkrieges von 1991 sieht. Damit wäre der Krieg dann auch völkerrechtlich legitimiert gewesen. Schmierer bezeichnete Georg W. Bush als jemanden, der in seinen Reden eine „konsequente Weltinnenpolitik“ vertrete. Der US-Präsident betrachte die Welt schließlich so, als würde es andere Staaten gar nicht geben, „sondern nur die USA und die Menschenrechte, welche die USA rund um die Welt verwirklichen.“ Bush sei deshalb ein „wirklicher Weltinnenpolitiker und insofern ein Obergrüner.“ (zitiert nach TAZ 12.05.03) Für den Generalsekretär des maoistischen »Kommunistischen Bund Westdeutschlands«, Joscha Schmierer, waren die USA noch der imperalistische Hauptfeind.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/3 Globalisierte Gewalt, Seite