W&F 2002/1

Kriegskritik (berufs-)verboten

von Jürgen Nieth

Bernhard Nolz, Gesamtschullehrer in Siegen, Sprecher der bundesweiten Initiative »Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden« (PPF), Vorstandsmitglied von W&F und engagiert im Siegener Zentrum für Friedenskultur ist seit dem 18. September vom Dienst suspendiert, ab dem 5. Dezember soll er zwangsversetzt im 70 km entfernten Kierspe (Hochsauerlandkreis) arbeiten. Sein Fehler: Er hat auf einer Trauerkundgebung für die Opfer des 11.9. für den Fall eines Krieges zur »Kriegsdienstverweigerung« aufgerufen. Die Dienstaufsichtsbehörde sieht darin einen Verstoß gegen die Mäßigungspflicht des Beamten und »Störung des Schulfriedens«.
Die Siegener Gesamtschule, an der Nolz Lehrer ist, ist nach Bertha von Suttner benannt, Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin. Eigentlich eine Verpflichtung, sollte man denken. Doch nicht so für die Siegener Politprominenz. Für sie ist Bernhard Nolz, der sich seit Jahren für die friedliche Lösung von Konflikten, gegen Gewalt und Krieg engagiert, offensichtlich seit langem ein Störfaktor, den es von eben von dieser Schule zu entfernen gilt. Eine Kundgebung für die Terroropfer des 11.09. war jetzt der willkommene Anlass.

Eine Rede gegen den Krieg…

Für den 18.09. hatten Siegener Schüler und Schülerinnen zu einem Trauermarsch für die Opfer des Terrors eingeladen. Auf der anschließenden Kundgebung »Gegen Terror, Krieg und Gewalt« spricht auf Bitten der SchülerInnen auch Bernhard Nolz. Er verurteilt den Terror, solidarisiert sich mit den Opfern und erinnert an Bertha von Suttner: „Die millionenfachen Opfer des Terrors in aller Welt mahnen uns zu Toleranz und Nächstenliebe. Es darf kein Klima des Hasses und des Misstrauens entstehen (…) Auch die Konflikte von Staaten und Bevölkerungsgruppen gehören an den Verhandlungstisch. Das war auch Bertha von Suttners Idee. Sie forderte die Politiker immer wieder auf, zu Friedenskonferenzen zusammen zu kommen, statt mit Soldaten aufeinander los zu gehen.“

Aber Nolz kritisiert auch die Politik der USA: „Seit vielen Jahren beeinträchtigen die USA die Arbeit der Vereinten Nationen. Das reichste Land der Welt kommt seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach und bezahlt seine Beiträge nicht. Derselbe Staat stellt jetzt 40 Milliarden bereit, um aufzurüsten und andere Länder mit Krieg zu überziehen.“ Die Schüler ruft er auf, wenn sie wehrpflichtig werden, „den Kriegsdienst zu verweigern. Damit setzt ihr ein Zeichen für den Frieden.“ 1

Eine Rede, die viel Beifall fand, aber im Nachhinein auch Kritik. Es gibt den Vorwurf, Nolz sei zu wenig auf die Betroffenheit und Trauer der Schüler und Schülerinnen angesichts des Terroranschlags in New York eingegangen und er habe anti-amerikanische Äußerungen von sich gegeben.

…und eine Hetzkampagne

Die erzkonservative Siegener Zeitung nutzt die Gelegenheit. Für sie hat der Gesamtschullehrer die Veranstaltung dazu genutzt, sein „eigenes politisches Süppchen zu kochen.“ Er habe „in unglaublicher Weise“ die USA angegriffen und dazu aufgerufen, „den Wehrdienst zu verweigern.“2 Eine Leserbrief-Kampagne folgt und dann meldet sich auch der Siegener CDU-MdB und wehrpolitische Sprecher der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, über die Bildzeitung zu Wort. Er wirft Nolz vor, „dass er eine klammheimliche Freude über das in New York Geschehene empfindet“ und nennt ihn das „fünfte Rad am Wagen des Terrorismus.“ 3

Auch der Schulleiter einer anderen Gesamtschule greift ein, um der Konkurrenzschule eins auszuwischen. Er bedauert, dass die Schülerinnen und Schüler der Bertha von Suttner Schule „ausgerechnet einen Lehrer als Kundgebungsredner wählen, der sie dann auch noch in Sachen Frieden belehrt.“ Er spricht von mangelnder Anteilnahme mit den Opfern, einem fehlenden „Bezug zum Trauermarsch“ und vom „Aufruf zur Wehrdienstverweigerung“, obwohl Nolz ausdrücklich von „Kriegsdienst“ gesprochen hatte. Vorwürfe, die später unter dem Eindruck der Kampagne auch von Schülervertretern wiederholt wurden.

Störung des Schulfriedens oder…

Offensichtlich vor dem Hintergrund dieser öffentlichen Kampagne suspendiert die Schulaufsichtsbehörde Bernhard Nolz zunächst für begrenzte Zeit von seinen Dienstpflichten und leitet Vorermittlungen für ein Disziplinarverfahren ein.

Dass Kriegsdienstverweigerung grundgesetzlich garantiert ist, dass es ein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt, scheint nicht mehr zu zählen. Auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft Siegen feststellt: „Unser Ergebnis war eindeutig, dass in dieser Rede nicht die Straftaten in den Vereinigten Staaten gebilligt wurden.“ 4

Offensichtlich spielt auch keine Rolle, dass Bernhard Nolz den Schülern und Schülerinnen wie der Schulleitung unmittelbar nach der Kundgebung Gespräche angeboten hatte, um den Dissens nach Möglichkeit aufzuklären. Angebote, die nicht angenommen wurden. Heute erklärt der Schulleiter: „Es gab einen Zeitpunkt, wo Gespräche vieles hätten ausräumen können. Das war unmittelbar nach dem Trauermarsch, spätestens seit die »Bild-Zeitung« sich eingeschaltet hat mit einer plakativen Überschrift »Lehrer greift Amerikaner an!« ist es schwer Gespräche zu führen.“5

Und nicht nur ein Schulleiter kuscht vor der öffentlichen Stimmungsmache. Nach über anderthalb Monaten Suspendierung vom Dienst hat die Bezirksregierung Arnsberg jetzt beschlossen Bernhard Nolz zwangsweise zu versetzen.

…Kampagne gegen Kriegsgegner?

Was im Augenblick noch wie ein Einzelfall aussehen mag, hat Methode. So wie es im Bundestag bei der Abstimmung über den Kriegseinsatz nicht um die parlamentarische Mehrheit ging sondern darum, die Kritiker in den eigenen Reihen der Regierungskoalition mundtot zu machen, so geht es im Fall Nolz nicht um die »Störung des Schulfriedens» sondern um die Abstrafung einer kriegskritischen Position per Disziplinarverfahren. CDU-Breuer spricht da Klartext: „Er gehört nicht in den Schuldienst. Ein solcher Mann muss aus dem Verkehr gezogen werden. Er hat als Beamter Neutralitätspflicht und er kann sich nicht gegen diesen Staat wenden, so wie er das in vielfacher Weise getan hat. ich will die anti-amerikanischen Äußerungen, die er gebracht hat, gar nicht nennen.“ 6

Folgerichtig möchte die Siegener CDU die Situation nutzen, um auch das anerkannte Zentrum für Friedenskultur (ZFK), dessen ehrenamtlicher Geschäftsführer Bernhard Nolz ist, abzustrafen. Die für die USA und die Terroropfer „äußerst verletzende Rede“ müsse auch Folgen für das ZFK haben, dessen Internet-Präsentationen „offenbarten eine erschreckende Geisteshaltung“. Sie machten den „beklemmenden Eindruck, dass das ZFK letztlich nicht für die wehrhafte, gegen Terror zu verteidigende Demokratie eintrete, sondern diese schwächen wollte.“ Das ZFK sei „ein Netzwerk von Gesinnungstätern“, die in „eine unheimliche Allianz mit den Terroristen“ geraten.7 Breuer setzt in der bereits zitierten Monitorsendung noch eins drauf. Für ihn betreibt das Zentrum für Friedenskultur „geistige Umweltvergiftung“. Er fordert, nur Organisationen zu bezuschussen, die „im Sinne dieses Staates tätig sind.“

Der CDU-Stadtverband fordert von der Stadt, jede Zusammenarbeit mit dem ZFK sofort abzubrechen und der CDU-Bürgermeister vollzieht das unmittelbar:

  • Er annulliert einen Computer-Kurs für Migrantinnen, der mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt vertraglich vereinbart war, im Zusammenhang mit einer mit dem ZFK gemeinsam geplanten Veranstaltung im Rahmen des Landesprogramms gegen Rassismus und für Toleranz.
  • Er teilt der »Agenda-21-Gruppe MigrantInnen« mit, dass er die lange zugesagte Schirmherrschaft über eine ebenfalls gemeinsam mit dem ZFK geplante Veranstaltung zurückziehen wird, wenn die Gruppe nicht die Zusammenarbeit mit dem ZFK aufgebe.
  • Er annulliert die Durchführung einer Ausstellung von mehreren Friedensorganisationen in der Rathausgalerie, weil das ZFK beteiligt ist.

Fazit

Der Satz »In jedem Krieg stirbt als erstes die Wahrheit« wird oft zitiert. Fast immer bezieht er sich auf die Informationen über den Krieg: die Kriegsziele, den Kriegsverlauf, die Kriegsopfer etc. Er beschreibt eine Situation, in der die kriegführenden Parteien – für sie unangenehme – »Informationen vom Schlachtfeld« unterdrücken und zensieren. Die Frankfurter Rundschau verbindet – als einzige deutsche Tageszeitung – deshalb ihre Kriegsberichterstattung mit dem Hinweis an ihre Leser: „Wesentliche Informationen über die aktuellen militärischen Aktionen und ihre Folgen unterliegen einer Zensur durch diejenigen Stellen der beteiligten Konfliktparteien, von denen sie verbreitet werden. Eine unabhängige Überprüfung solcher Angaben ist der Redaktion in vielen Fällen nicht möglich (…)“

Wurden seit dem Golfkrieg verstärkt die »Informationen über den Krieg« zensiert, so erleben wir seit Beginn des US-amerikanischen Feldzuges gegen Afghanistan und der »uneingeschränkten Solidarität« der Bundesregierung – nicht nur in Siegen – Versuche eine neue Qualität der Zensur durchzusetzen: die Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit.

Anmerkungen

1) Rede Nolz siehe: www.zfk-siegen.de

2) Siegener Zeitung vom 19.9.01

3) BILD vom 21.9.01

4) Monitor-Sendung vom 08.11.01

5) Monitor, s.o.

6) Monitor, s.o.

7) Westf. Rundschau vom 22.9.01

Jürgen Nieth, verantwortlicher Redakteur von W&F

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/1 Terror – Krieg – Kriegsterror, Seite