Kriegsschauplatz Deutschland
Die bundesdeutsche Presseberichterstattung im Golfkrieg
von Wilhelm Kempf, Ute Palmbach und Michael Reimann
Nicht nur Medienkonsumenten, auch Redakteure und Journalisten fanden sich während des Golfkrieges Anfang 1991 in einem „Mediengefängnis“ (Kunczik, 1990, S.78) wieder, in dem sich mensch „vollkommen eingenebelt“ fühlte und nicht mehr wußte, „wo es lang ging“ (Ludes & Schütte, 1991a, S.20). Sie machten die Erfahrung des Ausgeliefertseins an den Umstand, trotz aller Versuche und Bemühungen keine Informationen über die tatsächlichen Hintergründe und Ereignisse während des Golfkrieges zu erhalten.
Dabei begann die Desinformationskampagne nicht erst mit Inkrafttreten der Zensurbestimmungen Mitte Januar 1991, sondern die US-Regierung hatte bereits in Vorbereitung auf den Krieg maßgebliche Informationen durch Zensur und Propaganda entstellt. „Zudem war der Golfkrieg der erste Krieg, in dem eine Public Relations-Firma – Hill and Knowlton – in den USA für teures Geld Propaganda für einen ausländischen Klienten, nämlich die kuwaitische Regierung, machte, um die Kriegsbereitschaft der Amerikaner zu schüren“ (Ege, 1992, S.1367).
Nach Einschätzung von Philip Knightley diente das Nachrichtenmanagement am Golf hauptsächlich drei Zielen: dem Feind Informationen vorzuenthalten, Unterstützung für den Krieg zu schaffen und die öffentliche Meinung über die Bedeutung des Krieges grundlegend zu verändern: „Der Golfkrieg ist schon jetzt zu einem wichtigen Krieg in der Geschichte der Zensur geworden. Er markiert den Versuch der Politiker und Militärs, die öffentliche Wahrnehmung über das Wesen des Krieges zu verändern.“ (zit. n. taz vom 23.3.1991).
In der Bundesrepublik, die am Golfkrieg zwar nicht militärisch aber propagandistisch und logistisch beteiligt war, und die ihn zu einem erheblichen Teil finanzierte, kam diesem letztgenannten Ziel eine besondere Bedeutung zu. Tonangebende Politiker und Publizisten nutzten den Krieg „um die Debatte über die Neubegründung der Bundeswehr (die nämlich seither einen völlig neuen Auftrag erhielt) und über den Krieg als Mittel der Politik in Gang zu setzen; Schulkinder, die zunächst noch massenhaft gegen den Krieg auf die Straße gingen, wurden als antiamerikanisch, antiisraelisch, antisemitisch usw. diffamiert, bis sie verstört zu Hause blieben (…). In einem besonders verlogenen Propagandafeldzug versuchte man uns einzureden, das Ausland habe kein Verständnis für deutschen Pazifismus.“ (Spoo, 1993, S.604).
Daß diese Propaganda Wirkung zeigte läßt sich nicht nur an der Agonie ablesen, in welche weite Teile der Friedensbewegung seither verfallen sind, sondern vielleicht mehr noch an der Renaissance, welche deutscher Militarismus und Nationalismus unter dem Vorwand gewachsener Verantwortung heute erleben.
Informationsbedürfnis und Mediengebrauch
Daß die Golfkriegspropaganda diese Wirkung entfalten konnte, hat wesentlich damit zu tun, daß sie den Krieg als „im Namen der Menschenrechte und des Existenzrechts der Völker“ (Narr & Vack, 1991, S.16f) verkaufte und damit die Lehren in Frage stellte, welche weite Teile der deutschen Bevölkerung aus den Verbrechen des Nationalsozialismus gezogen hatten. Durch die Gleichsetzung von Saddam Hussein mit Adolf Hitler wurde die Formel „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ auf den Kopf gestellt und zur Legitimation des Golfkrieges benutzt. Durch das Aufstellen der gegenteiligen Parole „Nie wieder Faschismus, deswegen Krieg“ wurde die Angst geschürt, womöglich schon wieder vor der Geschichte zu versagen. Mangels differenzierter Informationen über Konfliktursache und Konfliktgenese am Golf, aufgrund widersprüchlicher Äußerungen über die von den USA verfolgten Kriegsziele, und infolge der Ausgrenzung nicht-militärischer Konfliktlösungsversuche aus dem öffentlichen Diskurs, wurde mensch effektiv an einer verantwortungsvollen Einstellung gegenüber dem Krieg gehindert.
Auf welche Seite sich mensch auch schlagen mochte – die der Pazifisten oder die der Bellizisten – mußte mensch sich selbst mißtrauen, ob er nicht doch wieder die falsche Entscheidung getroffen habe. Der Wunsch, nichts mit den Dingen zu tun haben zu müssen, ist so nur die logische Konsequenz eines Szenarios, das von vorneherein auf kein anderes Ziel gerichtet war, als die kritische Öffentlichkeit im Keim zu ersticken, oder – um es mit den Worten von George Bush auszudrücken – dafür zu sorgen, „daß dies kein weiteres Vietnam werden wird“, daß die US-Truppen „die bestmöglichste Unterstützung in der ganzen Welt haben“ werden und daß „man nicht von ihnen verlangen“ wird, mit einer „auf den Rücken gebundenen Hand zu kämpfen“ (zit.n. Kempf, 1991).
Reimann & Kempf (1993) haben diesen Demoralisierungseffekt der Golfkriegsberichterstattung mittels einer Fragebogenuntersuchung nachgewiesen, welche sie 9 Monate nach Kriegsende an einer Stichprobe von insgesamt n=95 PsychologiestudentInnen der Universität Konstanz durchgeführt haben (darunter 84 StudienanfängerInnen).1
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, daß der Mediengebrauch während des Krieges zunächst stark zugenommen hatte, um später auf ein Niveau abzusinken, das weit unter dem Mediengebrauch vor dem Golfkrieg lag.
Wichtigste Informationsquelle aller Befragten waren Fernsehen (88.89%), Tageszeitungen (66.67%) und Radio (56.79%).
Während des Krieges sahen zwei Drittel aller Befragten mindestens einmal täglich die Fernsehnachrichten. Etwas weniger als die Hälfte aller Befragten sah mehrmals wöchentlich, täglich oder sogar mehrmals täglich politische Magazinsendungen und ein Drittel aller Befragten versuchte sich durch sonstige Sendungen zum Thema »Golfkrieg« zumindest mehrmals wöchentlich weitere Informationen zu beschaffen.
Drei Viertel aller Befragten lasen mindestens mehrmals wöchentlich eine Tageszeitung.
Ein Viertel aller Befragten las jede Woche mindestens eine Wochenzeitung; insbesondere »Der Spiegel« und »Die Zeit«.
Ganz ohne Fernsehnachrichten kamen nur knapp 5% der Befragten aus. Ebensoviele kamen ganz ohne Tageszeitung aus. Nur weniger als ein Viertel (22.22%) verzichtete ganz auf die Lektüre von Wochenzeitungen.
Dieser intensive Mediengebrauch während des Golfkrieges zeigt die Intensität, welche das Bedürfnis nach Information angenommen hatte: 90.91% der Studierenden höherer Semester und 75.71% der Studienanfänger berichteten, daß sie während (bzw. zu Beginn) des Golfkrieges häufiger Nachrichtensendungen und politische Magazine im Fernsehen gesehen haben, als vor dem Krieg. Ebensoviele Studierende höherer Semester (90.91%) und fast die Hälfte der Studienanfänger (48.57%) haben während (bzw. zu Beginn) des Krieges häufiger Tageszeitungen gelesen als vorher.
Mit dem Ende des Krieges ist der Mediengebrauch jedoch so stark zurückgegangen, daß dies durch bloße »Normalisierung« des Informationsbedürfnisses nicht erklärt werden kann: 41.98% der Befragten sehen heute weniger Nachrichtensendungen und politische Magazine im Fernsehen als vor dem Krieg und fast ein Drittel der Befragten (28.39%) lesen heute seltener Tageszeitungen als vor dem Krieg. Ein heute gegenüber der Vorkriegszeit häufigerer Konsum von Nachrichtensendungen und politischen Magazinen im Fernsehen wurde dagegen von den Studierenden höherer Semester in keinem einzigen Fall berichtet. Auch von den Studienanfängern wurde dies kaum berichtet. Auch Tageszeitungen werden heute lediglich von 6.17% aller Befragten häufiger gelesen als vor dem Krieg.
Auffallend ist ebenfalls, daß der Rückgang des Mediengebrauches bereits vor Kriegsende eingesetzt hat: So ist der Prozentsatz der Studienanfänger, welche häufiger Nachrichtensendungen und/ oder politische Magazine im Fernsehen gesehen haben als vor dem Krieg, mit 32.86% gegen Ende des Krieges nur noch weniger als halb so groß wie zu Beginn des Krieges mit 75.71%. Der Prozentsatz der Studienanfänger, welche häufiger Tageszeitungen gelesen haben als vor dem Krieg, ist mit 20.00% gegen Ende des Krieges ebenfalls auf weniger als die Hälfte jener 48.57% abgesunken, welche zu Kriegsbeginn häufiger Tageszeitungen gelesen hatten als vorher.
Mißbrauchte Opfer
Wenn wir im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen von einem Demoralisierungseffekt sprechen, so wird dadurch jedoch nur ein Aspekt des Medienverhaltens der Befragten beleuchtet. Der andere Aspekt lautet, daß dieses Verhalten eine durchaus angemessene Reaktion auf die Realitätshaltigkeit der Medienberichterstattung darstellt. So haben Reimann & Kempf (1993) zeigen können, daß die Funktionsweise der Medien als Instrumente der Desinformation auch solche Gegenstände mit einschloß, die in keiner Weise Gegenstand der Zensur waren, wie z.B. die völkerrechtlichen Bestimmungen der Genfer Konvention zum Schutze der Kriegsgefangenen.
Die Nachrichtenmedien dienten dabei als Instrumente der Desinformation. Insbesondere zeigt sich dies daran, daß der Informationsstand über einige Bestimmungen der Genfer Konvention umgekehrt proportional zum Ausmaß des Medienkonsums während des Golfkrieges war. D.h.: Es gibt eine Reihe von Bestimmungen, deren Verankerung in der Genfer Konvention umso weniger geglaubt wurde, je stärker der Medienkonsum war. Dazu gehören der in Artikel 13 der Genfer Konvention festgelegte Schutz vor Einschüchterung, Schutz vor Beleidigung und Schutz vor öffentlicher Neugier ebenso, wie die im Zusatzprotokoll 1, Artikel 57, festgehaltene Vorschrift, wonach die kriegsführenden Parteien angehalten sind, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um sicherzustellen, daß die Ziele ihrer Angriffe weder Zivilisten, noch zivile Objekte oder besonders geschützte Objekte, sondern ausschließlich militärische Ziele sind.
Dabei stellte die Genfer Konvention ein durchaus prominentes Thema der Kriegsberichterstattung dar. Allerdings nur in dem Maße, wie sie zum Aufbau des Feindbildes »Saddam« und zur Rechfertigung der Eskalation der Kriegsziele gegen Irak funktionalisiert werden konnte. Ihren Höhepunkt erreichte die Thematisierung der Genfer Konvention im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die »Vorführung« abgeschossener oder abgestürzter alliierter Piloten im irakischen Fernsehen.
Kempf & Reimann (1993) haben die bundesdeutsche Presseberichterstattung über diese Ereignisse untersucht2 und dabei ein von Herman & Chomsky (1988) entwickeltes Propaganda-Modell zugrundegelegt, das erklären soll, warum bestimmte Themen von den Medien aufgegriffen werden, während andere unter den Tisch fallen und keine Beachtung finden.
Herman & Chomsky sprechen in diesem Zusammenhang u.a. von »worthy« und »unworthy victims«: Opfern staatlicher oder zwischenstaatlicher Gewalt, deren Leiden objektiv vergleichbar, im einen Fall aber nützlich, da als Waffe gegen den gerade aktuellen Feind brauchbar, und im anderen Fall unnütz, uninteressant sind, da die Verantwortung hier im eigenen (Macht-) Bereich liegt und ihre Thematisierung den eigenen Interessen eher schadet als nützt.
Nach Herman & Chomsky unterscheidet sich die Berichterstattung über worthy und unworthy victims sowohl hinsichtlich der Thematisierung und Untermauerung von Vorwürfen gegen die Täter als auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Taten und der Opfer. Im Falle von worthy victims werden die Vorwürfe in einem überzeugten Stil vorgetragen, der keinerlei Kritik oder alternative Interpretationen zuläßt und Unterstützung durch Autoritätsfiguren bemüht. Die Ausgestaltung der Taten und ihrer Opfer bedient sich einer zornmobilisierenden Wortwahl, und sucht die Verantwortung für die Taten an höchster Stelle; die Ereignisse werden dramatisiert, und die Opfer humanisiert und mit großem Detail und Kontext ausgestaltet.
In der Untersuchung von Kempf & Reimann konnte dieses Propaganda-Modell sowohl hinsichtlich der Thematisierung und Untermauerung von Vorwürfen gegen den Irak als auch hinsichtlich der Ausgestaltung alliierter Opfer weitgehend bestätigt werden. In Abweichung von den von Herman & Chomsky beschriebenen Propagandastilen zeigte sich jedoch, daß bei der Thematisierung und Untermauerung von Vorwürfen gegen den Irak verstärkt auch von zweiseitigen Mitteilungen Gebrauch gemacht wurde. Gegenargumente und alternative Interpretationen werden nicht ganz so strikt vermieden, wie von Herman & Chomsky prognostiziert, sondern mitunter wird auch Kritik an den Vorwürfen thematisiert um die erzielten Einstellungsänderungen durch Vorwegnahme von Gegenargumenten gegenüber Gegenpropaganda immun zu machen.
Bezüglich der Ausgestaltung der alliierten Opfer konnte, über den von Herman & Chomsky beschriebenen Propagandastil hinaus auch noch die propagandistische Konstruktion von Rührgeschichten aufgezeigt werden, sogenannter »human-interest«-Stories, wie man sie vor allem vom Fernsehen her kennt, und die gleichsam als Kompensation für vorenthaltene Informationen dienen: „positive Geschichtchen von 'unseren Jungs', Gesichter und Gefühle, (…) Bilder von Betenden, ob Bush, Genscher oder Saddam“ (Holly, 1991, S.5).
Mit 27.3% fand in mehr als einem Viertel aller von Kempf & Reimann analysierten Textpassagen eine propagandistische Funktionalisierung der Berichterstattung statt: dabei werden zumeist dem Feindbild Irak entsprechende Vorwürfe erhoben (85.9%), während Vorwürfe gegen beide Kriegsparteien (3.4%) oder Verteidigung des Irak (1.8%) kaum vorkommt. So gut wie nie wird eine kritische Haltung gegen die Alliierten eingenommen und zwei Drittel der Textpassagen bedienen sich entweder des von Herman & Chomsky beschriebenen Propagandastiles (38.5%) oder des Propagandamittels der Rührgeschichten (27.3%).
Zwar waren 72.7% der analysierten Textpassagen durch eine einigermaßen sachliche Berichterstattung gekennzeichnet, doch wurde das Thema der gegen Irak erhobenen Vorwürfe von diesen häufig nur am Rande berührt (50.9%) und bediente sich ein Viertel dieser Textpassagen immer noch des Feindbildes Irak (23.3%).
Feindbild Saddam
Im Zentrum der Feindbildkonstruktionen, mittels welcher der Krieg am Golf legitimiert wurde, stand die Person Saddam Husseins, der nach der Annektion Kuwaits im August 1990 „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“ avancierte (Krell, 1991, S.135).
Wie dies vonstatten ging, ist Gegenstand einer Untersuchung von Palmbach (1992), die den Wandel der Berichterstattung vom iranisch-irakischen Krieg (1980-1988) zum zweiten Golfkrieg (1990-1991) zum Gegenstand hat und Texte aus den überregionalen Tageszeitungen »taz«, »Frankfurter Rundschau«, »Süddeutsche Zeitung«, »Frankfurter Allgemeine« und »Die Welt« einer inhaltsanalytischen Auswertung unterzog. Dabei wurden alle Texte auf den Titelseiten sowie die Kommentare analysiert, die an bestimmten Stichtagen über den Irak berichten.
Diese Stichtage wurden über sog. parallelisierte Ereignisse definiert, die in beiden Golfkriegen anzutreffen sind, und auf Grundlage einer Chronolgie der Golfkrise festgelegt wurden: (1) Irak beschuldigt seine Gegner; (2) Irakische Truppen überschreiten die Grenze des gegnerischen Landes; (3) Eingreifen der UNO in den Konflikt, Verabschiedung einer ersten Resolution gegen Irak; (4) Irakische Angriffe auf zivile Ziele des Gegners; (5) Irakische Angriffe auf wirtschaftlich bedeutende Ölzentren des Gegners; (6) Vorgehen des irakischen Militärs mit chemischen Kampfstoffen gegen die oppositionelle Zivilbevölkerung (Kurden, Schiiten); (7) Irakisches Einlenken bereitet den Weg zum Waffenstillstand; (8) Verkündung des Waffenstillstandes durch die UNO; (9) Inkrafttreten des Waffenstillstandes.
Sämtliche Handlungsbeschreibungen, in denen der Irak oder irakische Akteure als Urheber einer Handlung genannt waren, wurden erfaßt.
Untersucht wurde (1) welche Akteure bzw. Urheber von Handlungen in den Zeitungstexten genannt werden; (2) mit welchen Arten von Handlungen die Akteure in Verbindung gebracht werden; (3) welches die Gegenstände bzw. Opfer dieser Handlungen sind; (4) mit welchen Bezeichnungen und Beschreibungen die Akteure und Handlungen belegt werden: sind sie eher als neutral einzustufen oder suggerieren sie eine bestimmte Wahrnehmungsweise (emotionale Konnotation).
Die Ergebnisse der Analysen zeigen, daß im zweiten Golfkrieg eine quantitative und qualitative Veränderung der Berichterstattung stattfand. Diese Veränderung äußert sich zum einen in einer umfangreicheren Berichterstattung und zum anderen in einer zunehmenden Konzentration auf Saddam Hussein. Außerdem wird im zweiten Golfkrieg deutlich häufiger ein den Irak bzw. Saddam Hussein diffamierender Berichterstattungsstil an den Tag gelegt. Im iranisch-irakischen Krieg wurde über den Irak dagegen sowohl weniger als auch neutraler berichtet.
Wie die Analyse der irakischen Akteure zeigte, fand im zweiten Golfkrieg zudem eine Personalisierung der Berichterstattung statt. Von 4 identifizierten Berichterstattungsstilen gibt es nur einen der fast ausschließlich Personen (94%) als Akteure anführt. Dieser kommt im ersten Golfkrieg von allen 4 Stilen am seltensten vor (7,1%). Im zweiten Golfkrieg wird er zum meist verwendeten Stil (33,53%). Dies ist bei allen 5 Tageszeitungen zu beobachten, wobei der personalisierende Berichterstattungsstil in der FAZ (42,96%) am häufigsten im zweiten Golfkrieg Verwendung findet und in der FR (23,23%) am seltensten.
Im ersten Golfkrieg überwog dagegen ein umfassender Berichterstattungsstil, in dem mehrheitlich (70%) staatliche Institutionen als irakische Akteure auftreten und nur seltener (23,5%) Personen.
In einem weiteren Untersuchungsschritt zeigte sich, daß die personalisierende Berichterstattung im zweiten Golfkrieg zugleich auch eine Konzentration der Berichterstattung auf Saddam Hussein bedeutete. Dabei wurde untersucht, welche staatlichen Institutionen (Staat Irak, Regierung, Ministerien, Armee, staatlicher Rundfunk etc.) bzw. Personen (Präsident, Minister, Beamte, Soldaten, etc.) in den Zeitungen als Akteure angeführt werden.
Als zweithäufigster Stil der Berichterstattung wurde hierbei ein Stil identifiziert, der durch die ausschließliche Nennung von Personen (100%) charakterisiert ist. Dabei wird Saddam Hussein in 97,3% als Akteur genannt. Allermeistens wird er im Text nicht explizit erwähnt, es ist aber aus dem Kontext zu erkennen, daß er der Akteur ist (»er« oder Aufzählen von mehreren Handlungen, die durch »und« verbunden sind). Wird er doch ausdrücklich im Text genannt, so wird er mit Bezeichnungen wie »Alleinherrscher«, »Diktator«, »Faschist« oder ähnlich diffamierenden Worten bezeichnet.
Die restlichen 3 Stile weisen entweder den Staat Irak oder (seltener) die irakische Armee bzw. Soldaten als Handelnde auf.
Während des ersten Golfkriegs ist der Saddam Hussein-Berichterstattungsstil der am seltensten in den Zeitungen anzutreffende Stil (8,3%). Dagegen wird er im zweiten Golfkrieg vor allen anderen Stilen bevorzugt (37,42%). Damit wird Saddam Hussein im zweiten Golfkrieg viermal häufiger als Akteur in den Zeitungstexten genannt als im ersten Golfkrieg.
Unter Berücksichtigung der parallelisierten Ereignisse zeigt sich, daß Saddam Hussein am häufigsten bei den Ereignissen „irakische Angriffe auf zivile Ziele“ (42,07%), „irakische Angriffe auf wirtschaftliche Ziele“ (34,98%) und „Kurdenverfolgung“ (34,61%) als Akteur genannt wird. Er wird also überdurchschnittlich häufig in Zusammenhang mit Verstößen gegen die Genfer Menschenrechtskonventionen genannt.
Schließlich wurde untersucht, mit welchen Bezeichnungen und Charakterisierungen Saddam Hussein in den Zeitungen belegt wird, wenn er als Akteur einer irakischen Handlung genannt wird.
Dabei wurde ein neutraler Berichterstattungsstil identifiziert, der mit 76% auch der häufigere ist. Hier wird Saddam Hussein entweder nicht nochmals explizit im Text erwähnt oder mit Saddam Hussein, Hussein oder als Staatspräsident bezeichnet.
Darüberhinaus findet sich ein diffamierender Berichterstattungsstil, bei dem Saddam Hussein zum Teil als totalitärer Herrscher (Diktator, Faschist), als Präsident mit totalitärem Anklang (Partei-, Staatschef) oder mit reinen Beschimpfungen (Psychopath, Irrer, Der Schlächter von Bagdad) tituliert wird. Zum Teil wird er aber auch nur als Saddam bezeichnet, was wegen der phonetischen Nähe zu »Satan« oder »verdammt«, aber auch durch die Kontexte, in denen diese Bezeichnung Verwendung fand, als Diffamierung definiert wurde.
Dieser abwertende Berichterstattungsstil findet sich erwartungsgemäß im zweiten Golfkrieg dreimal häufiger in den Zeitungen als während des ersten Golfkriegs (26,21% bzw. 8,53%).
Diese Ergebnisse bestätigen, daß Saddam Hussein im zweiten Golfkrieg nicht nur um ein Vielfaches häufiger als Akteur von irakischen Handlungen genannt wird, er wird gleichzeitug wesentlich häufiger in einer diffamierenden und abwertenden Weise dargestellt. Wie abrupt dieser Wechsel stattgefunden hat, „läßt sich exemplarisch anhand der heute-Sendeprotokolle nachvollziehen: Am 2. August [1990] wird er im Text des Redakteurs im Studio als Präsident bezeichnet, am 4. August als Diktator“ (Ludes & Schütte 1991b, S.24).
Diese Bereitschaft und Schnelligkeit, mit der sich die Medien an die je offizielle Sprechart anpaßten und damit zum verläßlichen Multiplikator der politisch gewollten Eskalationsschritte am Golf geworden sind, ist wohl kaum darauf zurückzuführen, daß sie sich bewußt in den Dienst von Propaganda und psychologischer Kriegsführung gestellt hätten. So kommt Ege (1992, S.1366) selbst angesichts systematischer Fehlinformationen, wie sie von der Public Relations-Firma Hill and Knowlton im Auftrag der kuwaitischen Regierung verbreitet wurden, zu dem Schluß, daß die Desinformation „meist wenig mit Verschwörungen derer an der Macht zu tun“ habe, „sondern mit der Profitorientierung geschuldeten Zwangsläufigkeiten in den kommerziellen Medien“.
Was hätte mensch auch tun sollen? Weiße Seiten drucken um das Fehlen von Informationen augenfällig zu machen? Als Instrumente der psychologischen Kriegsführung funktionalisierbar wurden die Medien bereits dadurch, daß sie schon allein aus Gründen der Medienkonkurrenz die eigene Verunsicherung und Orientierungslosigkeit verdrängten und den Versuch unternehmen mußten, ihrem Informationsauftrag nachzukommen, so gut das eben ging. Der Echtzeit-Journalismus hat das Übrige dazu beigetragen. Im Wettlauf um vermeintliche Aktualität griffen die Medien nach jedem Thema und jedem Bild, das ihnen die Zensurbehörden überließen, wie der Ertrinkende nach einem Strohalm. So wurde z.B. die Vorführung alliierter Kriegsgefangener im irakischen Fernsehen nicht zuletzt deshalb von unseren Medien so freudig aufgenommen, weil sie nach Tagen des Videospiel-Krieges erstmals einen Eindruck von den Kriegsfolgen zu vermitteln schien: „mit einem erschreckenden Bild von gedemütigten und augenscheinlich gequälten Menschen“ (Kaiser, 1991, S.12). Wären die Medien darauf eingegangen, daß die Gesichtsverletzungen der abgeschossenen Piloten vom Ausstieg mit dem Schleudersitz verursacht waren, so wäre ihnen selbst „dieses authentische Bild“ (Kaiser, 1991, S.12) noch genommen worden. So hat denn auch nur die Frankfurter Rundschau in einem Fünfzeiler darüber berichtet – und in der Welt stand zu lesen, man solle solche Erklärungen nur ja nicht glauben.
Literatur
Augenstein, J., Beller, J., Vogel, S., 1986. Wissenschaftsverständnis und Studienzufriedenheit von Psychologiestudierenden. Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik, 11/3, 17-23.
Ege, K., 1992. Der Mythos von der vierten Gewalt. US-Medien und Golfkrieg. Blätter für deutsche und internationale Politik, 37, 1366-1374.
Herman, E.S., Chomsky, N., 1988. Manufacturing Consent. The Political Economy of Mass Media. New York: Pantheon Books.
Holly, W., 1991. Bumerang Propaganda. Medium 21/1, 5.
Kaiser, U., 1991. Journalisten und der Golfkrieg: Die Ohnmacht der Medien. Journalist 3/91, 11-17.
Kempf, W., 1991. Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, 9/3, 59-62.
Kempf, W., Reimann, M., 1993. Worthy Victims. Die Berichterstattung über alliierte Kriegsgefangene und ihre Nutzbarmachung für die Eskalation der Kriegsziele im 2. Golfkrieg. Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 22.
Krell, G., 1991. Krise und Krieg: Zur politischen Anatomie des Golf-Konflikts, in: Krell, G., Kubbig, B.W. (Hrsg.), Krieg und Frieden am Golf. Frankfurt/Main: Fischer.
Kunczik, M., 1990. Die manipulierte Meinung. Nationale Image-Politik und internationale Public Relations. Köln: Böhlau.
Ludes, P., Schütte, G., 1991a. Dünne Suppe. Fritz Pleitgen im Gespräch über die Golfkrieg-Sendungen des deutschen Fernsehens. medium 2/1991, 21, 18-23.
Ludes, P., Schütte, G., 1991b. Militärische Optik. Die Invasion Kuwaits und der Krieg gegen den Irak in »Tagesschau« und »heute«. medium 2/1991, 21, 24-26.
Narr, W.-D., Vack, K., 1991. Streitbarer Pazifismus! Friedenspolitik und Friedensbewegung nach dem Golfkrieg. Sensbachtal: Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Palmbach, U., 1992. Begriffswandel und emotionale Konnotation der bundesdeutschen Presseberichterstattung über den Irak im Vorfeld des Golfkriegs (1991) – Eine psychometrische Studie. Psychol. Diplomarbeit, Universität Konstanz.
Reimann, M., Kempf, W., 1993. Informationsbedürfnis, Mediengebrauch und Informiertheit über Völkerrechtsverletzungen im Zweiten Golfkrieg. Forum Kritische Psychologie 31, 124-144.
Spoo, E., 1993. Demütig um ein Deutschland von innen bittend. Blätter für deutsche und internationale Politik, 38, 603-605.
Anmerkungen
1) Die Stichprobe kann somit keineswegs als repräsentativ für die bundesdeutsche Bevölkerung angesehen werden. Berücksichtigt man, daß sich Psychologiestudenten (insbesondere zu Beginn ihres Studiums) traditioneller Weise durch eine besonders hohe demokratisch-sozialpolitische Motivation auszeichen (vgl. Augenstein et al., 1986), und stellt man in Rechnung, daß es vor allem Schüler und Studenten gewesen waren, die in der Bundesrepublik den Kern des Widerstandes gegen den Golfkrieg gebildet hatten, so erfaßt die untersuchte Stichprobe jedoch zweifellos einen für die Fragestellung der Untersuchung relevanten Ausschnitt der Bevölkerung. Zurück
2) Untersucht wurden die großen überregionalen Tageszeitungen »taz«, »Frankfurter Rundschau«, »Süddeutsche Zeitung«, »Frankfurter Allgemeine« und »Die Welt«. Außerdem die »Bildzeitung« als bei weitem auflagenstärkste Tageszeitung der Bundesrepublik, sowie der »Südkurier« und die »Stuttgarter Zeitung« als große baden-württembergischen Regionalzeitungen und die wegen ihres seriösen Journalismus oft gelobte »Neue Züricher Zeitung«. Aus diesen Zeitungen wurden die Artikel der aktuellen Berichterstattung zum Golfkrieg analysiert. Kommentare, Leitartikel sowie Artikel aus anderen Teilen der Zeitungen, wie dem Kultur- oder Wirtschaftsteil blieben unberücksichtigt. Zurück
Wilhelm Kempf ist Professor für psychologische Methodenforschung; Ute Palmbach ist Diplom-Psychologin in einer psychosomatischen Klinik; Michael Reimann ist Student der Psychologie in Oldenburg.