Kriegstüchtig? Friedensfähig!
Zivilklausel-Kongress 2024, Frankfurt am Main, 16.-17.3.2024
Zivilklauseln stellen eine Selbstverpflichtung von Hochschulen dar, nicht für militärische Zwecke zu forschen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Kriege zwischen Russland und der Ukraine oder auch in Israel/Palästina werden derzeit wieder Forderungen von Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft lauter, die Zivilklausel zu »überdenken« oder gar abzuschaffen. Viele Hochschulmitarbeiter*innen, Studierende, Gewerkschaftler*innen und Friedensaktivist*innen sehen dagegen in dieser Forderung eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit sowie eine Unterordnung der Wissenschaft unter die Interessen einer kriegstreiberischen Außenpolitik. Ausgehend von dieser Situation organisierte die »Bundesweite Initiative der Zivilklausel-Aktiven« den Zivilklauselkongress, der im IG-Farben Gebäude der Goethe-Universität Frankfurt stattfand. Der Kongress hatte einen politisch-aktivistischen Charakter, an den Wänden des großen, gut gefüllten Raums hingen Banner, die Stimmung im Raum war kameradschaftlich und entschlossen.
Aktuelle Entwicklungen erfordern Aktivismus
Der erste Impuls von Christoph Marischka (IMI) informierte über die starke Involviertheit des Militärs in Technikforschung und -entwicklung. Er thematisierte dabei unter anderem ein Projekt mit EU-Finanzierung in dem »zu zivilen Zwecken« Technologien entwickelt wurden, die nun in Gaza militärisch zum Einsatz kommen. Thematisch daran anknüpfend sprach Wolfgang Liebert (BoKu Wien) über die Problematik der Doppelverwendungsfähigkeit (»Dual-Use«) von Forschungsergebnissen und zeichnete eine Entwicklung nach, die von der Durchführung augenscheinlich ziviler Projekte mit »militärischer Nutzungsmöglichkeit« zur aktuell lautstarken Forderung der Zusammenlegung ziviler und militärischer Forschung aus Gründen der »ökonomischen Effizienzsteigerung« reicht. Die folgende Diskussion thematisierte besonders die Bedeutung der Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften und ihrer Verzahnung mit Natur- und Technikwissenschaften. Beides sei zentral, um die kritische Auseinandersetzung mit Technikfolgen und Verantwortung fest in der Forschung zu verankern.
Der zweite Teil des Tages widmete sich Berichten der Teilnehmenden über die Situation der Zivilklausel(-kämpfe) an ihren jeweiligen Standorten. Diese zeichneten das Bild einer sehr diversen bundesdeutschen Lage – mit gut vernetzten und hochschulpolitisch starken Zivilklauselaktivist*innen in der einen und einer kaum existenten oder nicht gehörten Zivilklauselbewegung in der anderen Stadt. Wie auch der Kongress als ganzer, diente die Berichterunde vor allem der bundesweiten Vernetzung, dem Austausch von aktivistisch starken mit aktivistisch eher schwachen Regionen und dem Ziel des Lernens voneinander.
Die Zivilklauselbewegung als wissenschaftlicher Antifaschismus
Der zweite Kongresstag griff das Thema der am Vorabend gezeigten Dokumentation »Die Glücklichen Tage« (2013) von Gilles Perret auf und schlug über die Wissenschaftsfreiheit eine Brücke vom französischen Widerstandskampf gegen den Nationalsozialismus zur Zivilklauselbewegung der heutigen Tage. Der Geoinformatiker Benjamin Ruß, der aufgrund seiner linken politisch-aktivistischen Verortung nicht von der LMU München angestellt wurde, stieß durch seinen Vortrag eine breite Diskussion über die Wissenschaftsfreiheit an. In dieser ging es unter anderem um den Zusammenhang der Militarisierung der Hochschulen mit faschistischen und neoliberalen Logiken. So müssten Wissenschaftsfreiheit und Zivilklausel vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der universitären Gleichschaltung im Hitler-Faschismus als Instrumente für eine friedliche, humane und soziale Gesellschaft verstanden werden. Heute seien genau diese Werte jedoch nicht nur durch Militarismus gefährdet, der als Mittel zur Verteidigung der freiheitlichen Welt propagiert werde, sondern auch durch Profitlogik, da Wissenschaft immer stärker an Konzerninteressen orientiert sei. Diese Logiken seien es auch, aus denen heraus die politisch Linke bekämpft werde. Es brauche daher politische Auseinandersetzung an Universitäten und Vernetzung unter Aktivist*innen. Es wurde zudem die Frage diskutiert, wie mit Forschungsergebnissen umzugehen sei, die in Widerspruch zu Freiheit und Menschenwürde stehen. Hier scheint der sich durch den Kongress hindurchziehende Gedanke relevant, dass Wissenschaftsfreiheit nicht die Freiheit davon sein darf, sich über die Konsequenzen der eigenen Forschung Gedanken machen zu müssen.
Von auferlegter Kriegstüchtigkeit zu Friedensfähigkeit
Im letzten Impuls-Block sprach Jürgen Scheffran (Uni Hamburg) über die Geschichte der (natur-)wissenschaftlichen Bewegungen gegen Kriegsforschung und stellte dabei die Bedeutsamkeit internationaler Kooperationen heraus, die in den vorangegangenen Diskussionen des Kongresses schon angeklungen war. Andreas Keller (GEW) griff den Gedanken der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaftler*innen auf und plädierte für den Ausbau der Friedensforschung. Er thematisierte in dem Zusammenhang zudem die Arbeitsprekarität an den Hochschulen als Hindernis für hochschulpolitische Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Im darauffolgenden Gespräch wurde vor allem diskutiert, wie man sich der Vereinnahmung der Hochschulen durch Partikularinteressen und den militärisch-industriellen Komplex widersetzen könne. Diese Frage zog sich bis in die Besprechung der gemeinsamen Abschlusserklärung. Beantwortet wurde sie damit, dass Wissenschaft nicht im Dienste des Krieges und des Marktes, sondern des Friedens stehen, zur Lösung aktueller globaler Krisen beitragen und Instrument für die internationale Verständigung sein müsse. Es sei daher ein Anknüpfen an die Geschichte und damit der Aufbau einer wissenschaftlichen Friedensbewegung nötig, die Länder- und Professionsgrenzen transzendiert. Eine Herausforderung bleibt, dies zu bewerkstelligen, ohne diskreditierend als Pazifist*innen, Russlandversteher*innen oder Antisemit*innen dargestellt zu werden.
Mehr Informationen und Newsletter: zivilklausel.de.
Lucie Heck