W&F 2003/3

Kritische Anmerkungen zum Konzept der »Human Security«

von Iris Smidoda

In W&F 2-2003 berichtete Dieter Bricke über einen Kongress der Petra-Kelly-Stiftung (6. und 7. Februar 2003 in München) zum UN-Konzept der menschlichen Sicherheit. Die Veranstalter gingen davon aus, dass es – angesichts der Rechtfertigung von Präventivkriegen durch Sicherheitspolitiker – erstrebenswert sei, den für den Normalbürger zentralen Begriff der Sicherheit mit neuen Impulsen zu füllen. Unsere Autorin hat sich auf dem Kongress mit einer kritischen Position in diese Debatte eingemischt. Wir dokumentieren hier ihren Beitrag.
Was tun wir eigentlich, wenn wir grundlegende und völlig verschiedene Aspekte menschlichen Lebens wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Armut oder Verletzung von Menschenrechten in einen Sicherheitszusammenhang stellen? Was tun wir, wenn wir das Wort Sicherheit benutzen? Wer oder was macht einen Sachverhalt zu einer Sicherheitsfrage? Welche Konsequenzen sind damit verbunden, wenn ganz unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche in einen Sicherheitskontext gestellt werden? Welche Absichten sind damit verbunden? Und welche politische Wirkung entfaltet ein solchermaßen erweiterter Sicherheitsbegriff? Der Beantwortung dieser Fragen werde ich mich in vier Thesen nähern:

Sachverhalte, die in einen Sicherheitszusammenhang gestellt werden, entfalten einen Bedrohungscharakter und können so dramatisiert werden

Im Konzept der »Human Security« wird Sicherheit definiert als Abwesenheit von Bedrohung und als Schutz vor plötzlichen und schmerzlichen Störungen im Ablauf des alltäglichen Lebens. Anstatt anzunehmen, dass Sicherheit eine objektive Realität ist, können wir Sicherheit als eine soziale Konstruktion verstehen: Erst indem Sachverhalte als »Sicherheitsfragen« bezeichnen werden, entfalten sie einen bestimmten Charakter – nicht jedoch, weil sie aus sich selbst heraus Sicherheitsfragen sind (Waever 1996,45). Die Ausbreitung der Krankheit Aids, der Drogenkonsum einer Gesellschaft oder eine mangelhafte Ernährung sind nicht aus sich heraus Sicherheitsprobleme.

Die Verwendung des Begriffes »Sicherheit« ist eine spezifische Herangehensweise, um die oben genannten Sachverhalte einzugrenzen. Wenn wir einen Sachverhalt in einen Sicherheitszusammenhang stellen, wird er dramatisiert. Es wird nahegelegt, dass ihm eine absolute Priorität zukommen muss. So kann ein beliebiger Sachverhalt als existenzielle Bedrohung dargestellt werden. Es wird suggeriert: „Wenn wir dieses Problem nicht meistern, wird alles Übrige irrelevant; wir werden nicht mehr in der Lage sein, zukünftige Herausforderungen zu meistern, weil wir dann nicht existent sein werden oder nicht mehr frei sein werden.“ (Waever 1996,48). Dabei ist es unerheblich, ob von den Sachverhalten tatsächlich eine Gefährdung ausgeht. Es geht nicht mehr um ein Abwägen der Ernsthaftigkeit verschiedenartiger Bedrohungen. Allein dadurch, dass der Sachverhalt eine Frage der Sicherheit wird, wird er zur Bedrohung. Nehmen wir das Beispiel Immigration: Wird sie in einen Sicherheitsbezug gestellt, werden Immigranten und Immigrantinnen zur Bedrohung, der Umgang mit ihnen wird zur Bedrohungsabwehr.

Die Möglichkeit der Dramatisierung von Sachverhalten mithilfe des Sicherheitsbegriffs macht das Konzept der »Human Security« politisch attraktiv. Werden Hunger, Flucht, Umweltzerstörung, Unterdrückung von Frauen oder Armut mit dem Begriff »Sicherheit« in Zusammenhang gebracht, ist damit sicherlich auch die Hoffnung verbunden, den politischen Stellenwert der Politikfelder zu erhöhen, die sich mit diesen Problemen befassen – Umweltpolitik, Flüchtlingspolitik, Entwicklungspolitik, Frauenpolitik etc. – und damit natürlich auch den Ressourcenfluss in diese Politikbereiche (Brock 2001, 3). Ich denke, dass diese Hoffnung enttäuscht werden wird und eine Aufwertung der Politikfelder aus dem Bereich der »low politics« ausbleibt. Wahrscheinlicher ist, dass die Erweiterung des Sicherheitsbegriffes dazu führt, dass sich die Außen- und Sicherheitspolitik nun auf den erweiterten Sicherheitsbegriff bezieht. Damit komme ich zur zweiten These.

Versuche den Sicherheitsbegriff durch Erweiterung zu entmilitarisieren und so positiv zu besetzen, dass er für die eigenen Belange nutzbar wird, waren in der Vergangenheit wenig erfolgreich und werden auch in der Zukunft nicht erfolgreich sein.

Auch das Konzept der »Human Security« verfolgt das aus friedenspolitischer Sicht durchaus nachvollziehbare Ziel, die Bedeutung des Militärs zu relativieren. Dies geschieht durch den Verweis auf vermeintliche Gefahren für die Sicherheit, die mit den traditionellen sicherheitspolitischen Instrumenten nicht zu beheben sind. Umweltzerstörung, Bevölkerungswachstum, Flüchtlingsbewegungen, Entwicklungsunterschiede. Der Sicherheitsbegriff soll »entmilitarisiert« werden. Die Frage ist, funktioniert das?

Öko-Aktivisten haben zu Beginn der 90er Jahre Umweltprobleme in einen Sicherheitskontext gestellt. Die Menschheit sei mit irreparablen Umweltschäden konfrontiert und wenn diesen Fragen nicht absolute Priorität eingeräumt würde, würde es bald zu spät sein, die Schäden in begrenztem Rahmen zu halten. Umweltzerstörung wurde als existentielle Bedrohung wahrgenommen. Was ist aus der Diskussion um ökologische Sicherheit geworden? Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffes hat lediglich dazu geführt hat, dass sich die Sicherheitspolitik selbst nun auf den erweiterten Sicherheitsbegriff bezieht – aber nicht in seiner entmilitarisierten Form, sondern in der Weise, dass die aus dem erweiterten Sicherheitsbegriff ableitbaren Konfliktpotentiale neue Aufgaben für militärisches Eingreifen mit sich bringen. Dem Militär sind jenseits der Verteidigungsaufgaben Interventionsaufgaben zugewachsen (Brock 2001,4). Heute sind nicht nur Umweltgefährdung und die Steuerung von Fluchtbewegungen (Kosovo), sondern auch Terrorbekämpfung (Irak) und die Durchsetzung von Frauenrechten (Afghanistan) in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptierte Legitimationsfiguren für militärisches Eingreifen. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Zum einen ist es eben ein Irrtum anzunehmen, dass der Begriff »Sicherheit« an sich schon eine bestimmte Bedeutung besitzt, die an alle erdenklichen Spezifikationen angeknüpft werden kann wie z.B. »nationale Sicherheit«, »individuelle Sicherheit«, »ökologische Sicherheit«, »Gender Security«. Auch im Konzept der »Human Security« wird angenommen, dass Sicherheit eine zunächst unproblematische Bedeutung hat, die auf alle beliebigen Bereiche übertragbar ist. Tatsächlich aber ist es so, dass die Bedeutung von Sicherheit, die in all den erweiterten Sicherheitsbegriffen mitschwingt, die der »nationalen Sicherheit« ist. Die Bedeutung von Sicherheit als den führenden Leitprinzip der internationalen Politik – wird immer analog verstanden, wenn ein gesellschaftlicher Bereich mit dem Begriff »Sicherheit« in Verbindung gebracht wird

Zum andern darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden, wer in einer Gesellschaft die Definitionsmacht über Begriffe hat.

Die Erweiterung des Sicherheits- begriffes führt zu einem Verlust an analytischer Schärfe

Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs wie sie im Konzept der »Human Security« vorgenommen wird, kann zu unhaltbaren Verallgemeinerungen führen, indem ganz verschiedene Sachverhalte unter den Begriff der Sicherheit subsummiert werden. Brock (1997 und 2001) weist darauf hin, dass die Subsumption dieser unterschiedlichen Sachverhalte unter den Begriff der Sicherheit dazu verführt, die Aufmerksamkeit auf das Herausarbeiten von Typologien zu richten, statt auf die Herausarbeitung von Zusammenhängen. Statt der Frage nachzugehen, in welcher Form soziale Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung, Gesundheitsgefährdung etc. denn mit Sicherheit zusammenhängen, begnügt man sich damit, ihr Vorhandensein als eine Form der Unsicherheit zu definieren. Der dargestellte Zusammenhang zwischen Sicherheit und den oben genannten Problembereichen ist recht diffizil, wird aber in dem Konzept nicht ausreichend analysiert. Vieles bleibt im Nebel, selbst so elementare Fragen, was denn nun abhängige, was unabhängige Variable ist. Ein Beispiel ist der im Bericht hergestellte Zusammenhang von Sicherheit und Entwicklung. Einerseits wird argumentiert, menschliche Sicherheit bestehe darin, die von Entwicklung hergestellten Optionen wahrnehmen zu können, andererseits wird konstatiert, Sicherheit sei durch nachhaltige Entwicklung erst zu erreichen (v. Braunmühl 2002, 45).

Der Diskurs über die Erweiterung des Sicherheitsbegriffes entfaltet seine eigene Dynamik, die einem friedlichen Miteinander nicht unbedingt förderlich ist.

Ein Sicherheitsdiskurs argumentiert und empfindet von Bedrohungen und Gefahrenabwehr her. Ich zitiere Claudia von Braunmühl (2002, 46): „Der Begriff Sicherheit… denkt sich als »Sicherheit gegen« oder »Sicherheit vor«.“ Sie führt weiter aus, dass „wenig darauf hinweist, dass durch die Formulierung von Sicherheitsinteressen Solidarität und Umverteilungsbereitschaft mobilisiert werden.“ Wenn wir unterstellen, dass die größte Gefährdung des Friedens von den immer infamer werdenden Verteilungsstrukturen auf der Erde ausgeht, ist das natürlich ein gravierender Mangel! „Sicherheitsdenken hat vor allem die Gewährleistung der eigenen Sicherheit im Auge und verlässt schwerlich die eingefahrenen Gleise von Interessen- und Machtpolitik. Angesichts der globalen Fülle an Mangel, Katastrophen- und Chaospotential ist schwerlich daran zu glauben, dass hier je ein Zustand der Entspannung und des friedlichen Miteinanders erreichbar sein könnte“ Weiter führt sie aus: „Es macht einen großen Unterschied, ob Politik im globalen Entwurf sich mit einer Argumentationsfigur darstellt, die auf Angst, Bedrohungsgefühl und Abwehr setzt… oder ob dem Denken und Fühlen eine Konfiguration angeboten wird, in dem Zuwendung, Mitmenschlichkeit und essentielle Verbundenheit tragende Säulen sind. Es macht auch einen Unterschied, ob Sicherheitspolitik in menschenrechtlichen Erwägungen begründet oder Menschenrechtspolitik sich in einem Sicherheitsdiskurs ansiedelt“ (v. Braunmühl 2001,49).

Eine Alternative zum Sicherheitsgedanken sieht von v. Braunmühl darin, weiterhin auf den Rechtsgedanken zu setzen: „Der Rechtsgedanke ist ermächtigender im Sinne von empowerment als der Sicherheitsgedanke mit seinen unweigerlichen Dilemmata von Schutz und deren Preis… und nicht zuletzt den unheiligen und machtvollen Weggefährten, die er auf den Plan ruft. Der Sicherheitsgedanke ist voller Schließungen und verbaut eher das globale Transformationspotential, das dem Gedanken nachhaltiger menschlicher Entwicklung als Menschrecht innewohnt.“ (v. Braunmühl 2001, 49)

Ich plädiere daher für einen möglichst eingeschränkten Sicherheitsbegriff und für Vorsicht im Umgang mit dem machtvollen Begriff »Sicherheit«.

Literatur

Braunmühl, v. Claudia: Sicherheit für wen und wovor? Kritische Anfragen zum Sicherheitskonzept der Vereinten Nationen, in: epd-Entwicklungspolitik 1/2002, 44-49.

Brock, Lothar: Gewalt in den internationalen Beziehungen, in: Berthold Meyer (Hrsg.), Formen der Konfliktregelung, Opladen 1997, 108-123.

Brock Lothar: Von der ökologischen Sicherheit zum nachhaltigen Frieden, in: Politik und Zeitgeschichte 12/2001, 3- 5.

Müller, Harald: Das Leben selbst ist lebensgefährlich. Kritische Anmerkungen zum erweiterten Sicherheitsbegriff, in: Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (Hrsg.) HSFK Standpunkte 4/1997.

Waever, Ole: Sicherheit und Frieden. Erweiterte Konzepte – engere Freiräume für Politik, in: antimilitarismus information 11/1996, 45-57.

Iris Smidoda ist Referentin bei »Ohne Rüstung Leben – ökumenische Aktion für Frieden und Gerechtigkeit«

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/3 Globalisierte Gewalt, Seite