W&F 2004/2

Kultur der Prävention – Anspruch und Wirklichkeit

Ziviles Konfliktmanagement in der europäischen Sicherheitspolitik

von Elisabeth Schroedter

Die EU hat in den letzten Jahren die politischen und militärischen Entscheidungsstrukturen zur Krisenbewältigung systematisch ausgebaut. Mit der neuen militärstrategischen Planung sollen jetzt offensichtlich die Voraussetzungen geschaffen werden, um den Entscheidungsstrukturen die militärischen Kapazitäten zur Durchsetzung an die Seite zu stellen. Elisabeth Schroedter schildert vor diesem Hintergrund die Entwicklungen auf dem Gebiet der zivilen Konfliktbearbeitung und geht der Frage nach, inwieweit diese als Ergänzung des militärischen Handelns oder aber als Alternative gesehen werden.

Mit dem Beschluss des Europäischen Rates in Köln 1999 haben die EU-Mitgliedstaaten Kriseneinsätze, wie sie die WEU als »Petersberg-Aufgaben«1 definierte, als Herzstück der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erklärt: „Im Hinblick darauf muss die Union die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, deren Einsatz zu beschließen, um – unbeschadet von Maßnahmen der NATO – auf internationale Krisensituationen zu reagieren.“2 Im neuen Grundlagenvertrag von Nizza wird die qualifizierte Mehrheit ausgeweitet und die für das autonome Handeln bedeutsame politische und militärische Leistungs- und Entscheidungsstruktur offiziell eingesetzt. Das »Politische und Sicherheitspolitische Komitee« (PSK) erhielt die Funktion eines Krisenstabes bei entsprechenden Operationen. Neben »Militärausschuss« und »Militärstab«, zusammengesetzt aus Militärexperten der Mitgliedstaaten, wurden auch im Ratssekretariat Einheiten geschaffen, um die für die Krisenreaktion notwendigen politisch-militärischen Expertisen beizusteuern.

Die Dominanz des militärischen Arms in der ESVP

Verfolgt man die großen Reden zum Thema Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), scheint die Europäische Union im Moment mit allen ihren politischen Kräften damit beschäftigt zu sein, dieser Entscheidungsstruktur die entsprechenden militärischen Kapazitäten zur Seite zu stellen und in ersten Einsatzfeldern ihre Rolle als neue Militärmacht in der Welt zur Schau zustellen.

Entgegen des bisherigen Anspruches der Europäischen Union, sowohl sozialökonomisch als auch friedenspolitisch ein Gegenmodell zur führenden US-Politik darzustellen, folgt die Europäische Politik in den letzten Jahren stärker dem US-Prinzip und untermauert durch militärische Stärke ihre wirtschaftliche Führungsrolle in der Welt. Besonders Frankreich drängt auf eine von der USA unabhängige militärische Einsatzfähigkeit der Europäischen Union. Nun sei „die Union in der Lage, einige Operationen zur Krisenbewältigung durchzuführen“, hieß es in der Abschlusserklärung des Gipfels vom Dezember 2001 in Laeken, die fehlende parlamentarische Kontrolle für solche Einsätze ignorierend. Bestandsaufnahmen zum verfügbaren militärischen Gerät, den notwendigen Neuanschaffungen und der Mobilität der Truppe von 60.000 Soldaten prägten daraufhin die Beschlüsse zur ESVP. Zur Form der Gemeinsamkeit gibt es unterschiedliche Interpretationen. Was für die einen bereits die EU-Truppe darstellt, ist für die anderen der Zusammenschluss nationaler Truppenteile. Zudem ist ein Teil der Mitgliedstaaten der Meinung, dass nur mit der Zustimmung der NATO für den Zugang der EU zu ihren militärischen Möglichkeiten die reale Einsatzfähigkeit gegeben ist.

»Zivile Konfliktprävention«: Erfolge trotz Schattendasein

Ohne Zweifel steht das zivile Konfliktmanagement im Schatten der dynamischen Entwicklung der neuen Militärpolitik Europas. Trotzdem sind auch dort bedeutende Fortschritte zu verzeichnen, die vor einigen Jahren von FriedenspolitikerInnen zwar als notwendig erachtet, aber im politischen Alltagsgeschäft als chancenlos betrachtet wurden.

Maßgeblich haben dazu die finnische und die schwedische Präsidentschaft beigetragen. Die Regierungen hatten ein großes Interesse daran, um gegenüber der eigenen Bevölkerung zu beweisen, dass sie in der Lage sind, eigene Akzente in der ESVP zu setzen. Beide haben es geschafft, das zivile Konfliktmanagement der militärischen Dimension gleichzusetzen. Ihnen lag daran, dass auch hier Ziele festgelegt werden, die im Rahmen eines Aktionsplanes Aufträge an die jeweilige Präsidentschaft erteilen, über deren Umsetzung diese dann Bericht erstatten muss.

Finnischer Aktionsplan für ziviles Konfliktmanagement

Finnland entwickelte während seiner Präsidentschaft (2. Halbjahr 1999) den ersten Aktionsplan zur nichtmilitärischen Krisenbewältigung. Das finnische Konzept geht davon aus, dass es in erster Linie notwendig ist, die vorhandenen Erfahrungen bzw. beträchtlichen Ressourcen von Union und Mitgliedstaaten zu bündeln. Im vorgeschlagenen Aktionsplan wurden drei Ziele formuliert. Als Erstes sollten die vorhandenen nationalen und europäischen Instrumente verbessert werden, Überschneidungen vermieden und ihre Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Die Finnen bezogen das nicht nur auf die staatlichen, sondern auch auf die zivilgesellschaftlichen Kapazitäten, also die der Nichtregierungsorganisationen (NROs). Außerdem lag der finnischen Regierung daran, die nichtmilitärischen Instrumente der EU sowie die Krisenarbeit der internationalen Organisationen, wie der Vereinten Nationen und der OSZE zu stärken. Autonome Aktionen der EU schlossen sie dabei nicht aus. Letztendlich lag der finnischen Präsidentschaft auch daran, die Krisenprävention in der EU als kohärentes Ziel aller Politikbereiche zu betreiben. Außenwirtschaftspolitik, Agrarsubventionen und Finanzhilfen sollten den politischen Präventionsstrategien in gleicher Weise unterworfen sein. Um diese Ziele zu erreichen, schlugen die Finnen mehrere Aktionen vor. Dazu gehörte auch der Vorschlag, einen Reaktionsmechanismus zu schaffen, um im Konfliktfall schnell personelle, materielle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu haben. Konkret gemeint war ein Sonderfonds bei der Kommission, der für Kriseneinsätze eingerichtet werden sollte. In einer Datenbank sollten die vorhandenen Instrumente und Kapazitäten erfasst werden, die im Krisenfall schnell zur Verfügung stehen. Eine Studie sollte die zukünftigen Fähigkeiten und Möglichkeiten der EU ermitteln, nichtmilitärisch auf Krisensituationen zu reagieren, z.B. die Fähigkeit, kurzfristig eine bestimmte Zahl von Polizeikräften zu verlegen und diese für einen bestimmten Zeitraum einsatzfähig zu halten. Das Konzept war vor allem geprägt durch die Erfahrung des Kosovo-Konfliktes, wo im Vorfeld der Eskalation die Staatengemeinschaft sich nicht in der Lage sah, der Bitte der OSZE um einen umfassenden Polizeieinsatz zu entsprechen. Auch in Bosnien-Herzegowina zog sich die Ablösung des Militärs durch eine zivile Ordnungsmacht hin, weil keine einsatzfähigen Polizeikräfte zur Verfügung standen. Deshalb schlug die finnische Regierung ihren EU-Kollegen ebenfalls vor, die Instrumente der zivilen Krisenreaktionsfähigkeiten einer Stärken-Schwächen-Analyse zu unterziehen und bewährte Verfahren untereinander auszutauschen. Sie wollte einen gemeinsamen Ausbildungsstandard entwickeln und bilaterale bzw. multilaterale Projekte auf dem Gebiet fördern. Die Finnen bestanden darauf, dass im Ratssekretariat neben den militärischen Organen auch ein permanenter Koordinierungsmechanismus für die nichtmilitärische Krisenintervention mit der Befähigung zu einem Ad-hoc-Koordinierungszentrum im Krisenfall aufgebaut wird.

Im Gegensatz zur militärischen Zusammenarbeit, die sich nicht über die Ebene der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit von Nationalstaaten hinaus bewegt, wurde der Europäischen Kommission im nichtmilitärischen Krisenmanagement eine zentrale Rolle zugeschrieben. Dadurch hat in der ESVP allein das nichtmilitärische Krisenmanagement einen wirklichen europäischen Charakter.

Schweden entwickelt europäische Kultur der Prävention

Die schwedische Präsidentschaft (1. Halbjahr 2001) nahm den Auftrag von Helsinki, die zivile Konfliktbearbeitung weiterzuentwickeln, sehr ernst. Schweden ging, wie auch die Finnen, davon aus, dass die EU durch die Kombination von ökonomischen, sozialen und politischen Instrumenten große Potentiale hat, diese aber nicht wirksam und zusammenhängend genug einsetzt. Schweden nahm die Zielsetzung der finnischen Präsidentschaft wieder auf und verlieh der Zusammenarbeit mit der OSZE und der UN im Konfliktmanagement stärkeres Gewicht. Die schwedische Präsidentschaft setzte gezielt auf die Zusammenarbeit mit NROs und bereitete mit Experten aus den Mitgliedsstaaten und einer internationalen NRO-Konferenz ein europäisches Programm zur Konfliktprävention vor. Welche Priorität die Schweden der Konfliktprävention einräumten, wurde bei jedem Treffen des Allgemeinen Rates deutlich, wo man stets dieses Thema auf der Tagesordnung fand. Auch der schwedische Abschlussgipfel von Göteborg beschäftigte sich mit dem zivilen Krisenmanagement. Zum ersten Mal wurden konkrete Ziele in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Zivilverwaltung und Bevölkerungsschutz festgelegt. Der Bericht der schwedischen Präsidentschaft forderte aber auch zum ersten Mal die Entwicklung neuer Instrumente und Modalitäten für die zivil-militärische Zusammenarbeit.

Im Vordergrund der schwedischen Präsidentschaft stand jedoch der Auftrag der portugiesischen Präsidentschaft (erstes Halbjahr 2000): das Aufstellen einer Polizeitruppe und einer Rechtsexpertengruppe für den langfristigen Nacheinsatz in den Konfliktherden des Balkans. Ziel war es, bis 2003 im Rahmen einer freiwilligen Zusammenarbeit bis zu 5.000 Polizeibeamte bereitzustellen, von denen 1.000 innerhalb von 30 Tagen einsetzbar sind. Die Kommission übernahm in dieser Zeit das WEU-Polizeiprogramm in Albanien. Ferner brauchte man eine Kerngruppe von 200 Experten für den Bereich Rechtsstaatlichkeit. Für die Expertenreserve, die ein breites Aufgabenspektrum in der Zivilverwaltung abdeckt, sollte von den Mitgliedstaaten im Bereich Zivil- und Katastrophenschutz ein Pool gebildet werden, aus dem innerhalb von drei bis sieben Stunden zwei bis drei Evaluierungsteams gebildet und in Konfliktregionen entsandt, sowie kurzfristig einsetzbare Interventionsteams von bis zu 1.500 Personen gebildet werden können. Die ministerielle Beitragskonferenz für die zivile Krisenbewältigung vom 19. November 2002 hat später bestätigt, dass diese Zielvorgaben dank der freiwilligen Zusagen der Mitgliedstaaten sogar überschritten werden konnten. Auch dieses Ergebnis ist auf das Engagement der schwedischen Regierung zurückzuführen. Sie hatte im Abschlussdokument des Gipfeltreffens von Göteborg jeden Mitgliedstaat aufgefordert, nationale Pläne zur Umsetzung der gemeinsamen Vorhaben des zivilen Konfliktmanagements zu erarbeiten.

Die erste EU-Polizeimission in Bosnien und Herzegowina (EUPM) begann am 1. Januar 2003 und ist bis Ende 2005 geplant. Sie löste die Internationale Polizeieinsatztruppe der Vereinten Nationen (IPTF) ab. Alle EU-Mitgliedstaaten beteiligen sich daran und arbeiten mit 18 weiteren Staaten zusammen. Der internationale Polizeieinsatz soll die Rechtsstaatlichkeit und den Aufbau der demokratischen Strukturen in Bosnien und Herzegowina stabilisieren. Dank der schwedischen und finnischen Vorarbeit ist die allererste gemeinsame Operation, welche die EU-Mitgliedstaaten zustande brachten, und welche damit Quelle der Erfahrungen sein wird, ein ziviler Einsatz.

Am 15. Dezember 2003 begann die vorerst für ein Jahr geplante EU-Polizeimission (EUPOL) »PROXIMA« in Mazedonien, die den Aufbau eines effizienten und professionellen Polizeidienstes unterstützen und die Einführung europäischer Standards für die Polizeiarbeit fördern soll.

Kommission entwickelt Konzepte

Der Kommission wurde durch den finnischen Vorschlag eine wichtige Rolle in der nichtmilitärischen Krisenprävention eingeräumt, die der verantwortliche Kommissar Patten aufgenommen hat. Immer wieder stellte er vor dem Parlament die bekannte Tatsache heraus, dass es weitaus billiger ist, Konflikte in Dialog und konstruktives Handeln umzulenken, als sich, nachdem sie in gewaltsame Auseinandersetzungen ausgeartet sind, mit ihren Folgen zu befassen.

Während der schwedischen Präsidentschaft war die Kommission fest entschlossen (so geht es aus ihrer Mitteilung zur Krisenprävention hervor), die Gemeinschaftsinstrumente wirkungsvoller für Konfliktprävention einzusetzen und zu koordinieren. Sie plante, die Hilfsprogramme gezielter zur Beseitigung von Ursachen für Konflikte und zivilen Unfrieden einsetzen. Im Rahmen ihrer Kompetenz im Außenhandel setzte sie sich für internationale Sanktionen zur Eindämmung der Verbreitung von Kleinwaffen, gegen Diamanten- und Drogenhandel, sowie gegen den Einsatz von Kindersoldaten ein. Handels- und Kooperationsabkommen sollten ebenso wie Instrumente aus den Politikfeldern Justiz und Inneres, Migration, Soziales oder Umwelt dem Präventionsziel untergeordnet werden. Der in dem Dokument ebenfalls vorgeschlagene Kriseneinsatzmechanismus für eine raschere Mobilisierung der Gemeinschaftsinstrumente wurde inzwischen geschaffen.

Parlament entwickelt „zivilen Friedenskorps“

Dem Europäischen Parlament werden in der Außen- und Sicherheitspolitik keine Rechte eingeräumt. Um Einfluss zu nehmen, muss es allein auf die öffentliche Wirkung seiner Plenardiskussionen und Vorschläge setzen. In seiner Resolution zum Kommissionsdokument hatte es die verfehlte Handelspolitik der Union (mit Zollschutz und Agrarexportbeihilfen) angeprangert und ein Präferenzsystem zur Unterstützung der armen Länder gefordert. Ziel der Europäischen Außenbeziehungen müsste eine nachhaltige Strukturpolitik sein. Auch sollten die Wirtschafts- und Migrationspolitik dem Präventionsziel untergeordnet werden. Zu weiteren Kernforderungen gehörte der Stopp der Waffenexporte in potentielle Konfliktregionen, der Aufbau eines gemeinschaftlichen Frühwarn- und Analysesystem, die Forderung nach Zusammenarbeit mit den Vertretern der zivilen Gesellschaft, der Koordination von EU-Initiativen mit den Maßnahmen von OSZE und UN sowie die Einrichtung eines Zivilen Friedenskorps.

Letzteres geht auf ein Konzept der Grünen Fraktion zurück, welches im Jahr 1999 vom Europäischen Parlament beschlossen wurde. Vorgesehen ist eine Art Personalpool von zivilen Inspektoren, Vermittlern und Spezialisten, die nach entsprechender Schulung im Bereich der Konfliktbeilegung kurzfristig als Unterstützer oder Mediatoren in Konfliktregionen eingesetzt werden können. Zum Beispiel gibt es NROs in den Mitgliedsstaaten (auch mit internationalen Teams), welche bereits in verschiedenen Regionen Erfahrungen in der Friedensarbeit vor Ort gesammelt haben. Für die Startphase eines Friedenskorps würde die Vernetzung und Verbesserung der Einsatzfähigkeit dieses Personals ausreichen. Ein wichtiger Teil dieses Konzeptes, das gemeinsame Trainingsprogramm für das Personal im operativen Einsatz, wurde 2003 von der griechischen Präsidentschaft als „wesentliches Instrument der europäischen Sicherheitskultur“ übernommen und stellte für die Union das Ziel auf, ab Juli 2003 mit der Ausbildung von 250 Experten zur Beratung beim Aufbau ziviler Verwaltungen zu beginnen.3 Im Oktober 2003, während der italienischen Präsidentschaft, wurde in Rom auf einer ersten EU-Konferenz beraten, wie die Instrumente, die der EU auf dem Gebiet der Ausbildung in Bezug auf die zivilen Aspekte der Krisenbewältigung zur Verfügung stehen, konkret verbessert werden können.

Im Bereich der Haushalts-, Außenhandels- und Wirtschaftspolitik ist der Einfluss des Parlaments größer. Das geht soweit, dass bei dem mit Haushaltfragen verbundenen schnellen Kriseneinsatzmechanismen das Parlament zustimmen muss.

Verlust der Eigenständigkeit

Das Trauma des 11. Septembers führte dazu, dass die spanische Präsidentschaft (1. Halbjahr 2002) den Ausbau der Kapazitäten der EU-Spionagedienste, einschließlich dem europäischen Satellitensystem »Galileo«, zum wichtigsten Ziel der Konfliktprävention erklärte. Institutionell sollte die Aufgabe einer effektiven Frühwarnung nun nicht mehr der Kommission überlassen werden, sondern wurde dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee des Rates (PSK), welches ebenfalls für die politische Koordination der militärischen Einsätze zuständig ist, übertragen. Nach dem spanischen Konzept sammeln das PSK und die geografischen Arbeitsgruppen des Rates die Überwachungsergebnisse, prüfen die potentiellen Auswirkungen eines etwaigen Konflikts auf die EU-Mitgliedstaaten und bereiten aus diesen Erkenntnissen strategische Beschlüsse vor. Die griechische Präsidentschaft (1. Halbjahr 2003) berichtete später davon, dass seine Frühwarneinrichtungen, zu denen auch die Militärexperten gehören, eine Frühwarnmethodik entwickelt haben, in welche auch die Kommission eingebunden ist. Ihr obliegt die Arbeit einer »Sekretärin«, indem sie ihre Länderberichte beisteuert. Mit diesen strukturellen Veränderungen zwischen Rat und Kommission wurde der zivile Arm des Konfliktmanagements stärker mit dem militärischen verzahnt.

Insgesamt ist in den letzten beiden Jahren eine Konzentration der zivilen Instrumente auf die vier vorrangigen Bereiche Polizei, Rechtsstaatlichkeit, Zivilschutz und Zivilverwaltung zu beobachten. Die zivilen Mechanismen werden allein auf das »Aufräumen« nach Kriegen und anderen militärischen Auseinandersetzungen ausgerichtet. Auch die dänische Präsidentschaft (2. Halbjahr 2002) widmete sich überwiegend der Koordinierung der zivilen und militärischen Instrumente als Konfliktmanagement und erarbeitete dafür einen Aktionsplan. Während ihrer Zeit fand die erste Koordinationskonferenz zu Konfliktprävention unter dem Titel »Partner in der Prävention« im August 2002 in Helsingborg/Schweden statt. Die EU holte die Diplomaten der UN, der OSZE, des Europarates und der NATO an einen Tisch. Für die gemeinsame Arbeit der Organisationen auf dem Balkan oder in anderen Konfliktgebieten ist die Koordinierungsarbeit der Europäischen Union zwischen den internationalen Organisationen von großer Bedeutung.

Positive Bilanz und doch Straßenkehrer

Die Union verfügt inzwischen über einsatzfähige Instrumente eines zivilen Krisenreaktionsmechanismus. Auf institutioneller Ebene hat der Rat Koordinierungsorgane geschaffen: das Politische und Sicherheitspolitische Komitee, dem ein Ausschuss – verantwortlich für die zivilen Krisenmanagementmechanismen und die Kapazitäten der Gemeinschaft – an die Seite gestellt wurde, sowie Koordinationsmechanismen zwischen Rat und Kommission. Während der italienischen Präsidentschaft (2. Halbjahr 2003) hatte der Rat die Leitlinien für die Finanzierung von zivilen Krisenbewältigungsoperationen beschlossen. Für die vier Schwerpunkte der Reaktionsfähigkeiten wurden die Datenbanken über die vorhanden Kapazitäten fertig gestellt. Auf der Kapazitätenkonferenz konnte festgestellt werden: Es gibt ausreichend Einsatzkräfte, um für zivile Krisenreaktionsaufgaben handlungsfähig zu sein. Die Union hat inzwischen bewiesen, dass sie in der Lage ist, operative Polizeieinsätze zu planen und zu führen. Die vor vier Jahren anvisierten Kapazitäten für einsatzfähige Polizeieinheiten sind mit 1.400 Polizisten übererfüllt. Elemente für gemeinsame Trainingseinheiten wurden beschlossen, und während der italienischen Präsidentschaft wurde eine erste gemeinsame Übung »Lucerna 03« durchgeführt. Während der irischen Präsidentschaft (1. Halbjahr 2004) soll eine ähnliche Übung in Frankreich stattfinden. Um zu gewährleisten, dass die Standards der Mitgliedstaaten übereinstimmen, wurde für das Personal der Polizeimissionen unter Rückgriff auf UN-Erfahrungen ein Handbuch verfasst.

Im Bereich der Zivilverwaltung ist geplant, auch einen Personalpool, besonders für die Unterstützung lokaler Verwaltung von Gebietskörperschaften und die Wahldienste zu schaffen.

Die Europäische Sicherheitsstrategie weist dem zivilen Konfliktmanagement seinen Platz zu: „in der Zeit nach Beilegung des Konfliktes können aber auch militärische Mittel und eine wirksame Polizeiarbeit vonnöten sein. Wirtschaftliche Instrumente dienen dem Wiederaufbau und ziviles Krisenmanagement trägt zum Wiederaufbau einer zivilen Regierung bei.“4 Der breite Präventionsansatz, den auch das Parlament verfolgt hatte, wird hier auf Reaktionsmechanismen reduziert. Meines Erachtens nach ist das eine zu verengte Sicht des zivilen Konfliktmanagements, welches die präventiven Möglichkeiten außenpolitischen Handelns zunehmend aus dem Blick verliert.

Anmerkungen

1) Die Petersberg-Aufgaben sind definiert als humanitäre Aufgaben, Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben und Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen.

2) Europäischer Rat: Anhang III der Schlussfolgerungen des Rates, Tagung des Europäischen Rates, 3. und 4. Juni 1999 in Köln.

3) Presidency to COREPER/Counsil: »Implementation of the EU Programme for the Prevention of Violent Conflicts – Draft conflict prevention report«, Council of the European Union 10189/03, Brussels, 10 June 2003.

4) Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel, den 12. Dez.2003.

Elisabeth Schroedter ist Mitglied der Grünen Fraktion des Europa Parlaments

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/2 EU – Zivil- oder Militärmacht, Seite