LA: Ein wiederentdecktes Interessenfeld
EU verstärkt Einflussnahme
von Johannes Plotzki
Wenn es um den Ausbau ihrer ökonomischen Interessen geht, macht die Europäische Union weder vor dem Hinterhof der USA halt noch ist sie bereit, dieses Ziel der Achtung der Menschenrechte oder nachhaltiger Entwicklung unterzuordnen. Anders sind die aktuellen Bestrebungen der EU, den südamerikanischen Kontinent verstärkt in ihre Außen- und Handelspolitik einzubeziehen, nicht zu verstehen. Johannes Plotzki beschreibt das weit gediehene Beziehungsgeflecht zwischen der EU und Lateinamerika auf Grundlage bestehender bzw. angestrebter Freihandelsverträge und Kooperationsabkommen. Die Verträge sind in ihrer asymmetrischen Ausrichtung nicht geeignet, einen dauerhaften Zustand sozialer Sicherheit in Lateinamerika und der Karibik zu erreichen, sondern im Gegenteil oftmals Ursache für Armut und soziale Ungleichheit. Den daraus resultierenden Konflikten wird teilweise militärisch und repressiv begegnet; auch dafür gibt es Unterstützung aus der EU, wie exemplarisch am Beispiel Kolumbien ausgeführt wird.
Über 20 Jahre neoliberalen Umbaus durch Privatisierung von Dienstleistungsunternehmen, Deregulierung der Handelsbeziehungen und Liberalisierung der Märkte haben in Lateinamerika und der Karibik die Verarmung weiter Bevölkerungsteile vorangetrieben. Die Ergebnisse sind verheerend: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Fast 91 Millionen Menschen in Lateinamerika fielen in den letzten 20 Jahren unter die Armutsgrenze.1 „Lateinamerika und die Karibik sind die Regionen mit der größten sozialen Ungleichheit weltweit“, fasst David de Ferranti, Vizepräsident der Weltbank für den Bereich Lateinamerika und die Karibik, den hauseigenen Report Inequality in Latin America & the Caribbean: Breaking with History? zusammen. Weiter führt er aus, „dass Lateinamerika eine hochgradige Ungerechtigkeit in Bezug auf Einkommen, dem Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Trinkwasser und Elektrizität aufweist.“2 Die EU ist an dieser Entwicklung alles andere als unbeteiligt.
Global denken heißt alle Weltteile beobachten
Die Europäische Union ist der zweitwichtigste Handelspartner Lateinamerikas. Gegenüber dem regionalen südamerikanischen Wirtschaftsblock MERCOSUR3 als auch dem Andenstaat Chile nimmt sie diesbezüglich sogar die Spitzenposition ein. Zwischen 1990 und 2004 wurden die Importe der EU aus Lateinamerika von 26,7 Mrd. auf 62,1 Mrd. Euro mehr als verdoppelt, und die Exporte der EU nach Lateinamerika stiegen im gleichen Zeitraum von 17,1 Mrd. auf 54,8 Mrd. Euro. Die EU ist darüber hinaus die bedeutendste Investorin in Lateinamerika. Sie steigerte ihre Direktinvestitionen in der Region innerhalb von drei Jahren von 176,5 Mrd. (2000) auf 237,9 Mrd. Euro (2003).4
Der Ausbau der Handelsbeziehungen steht auch im Zentrum der »strategischen Partnerschaft«, welche die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik unter dem Co-Vorsitz von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf ihrem ersten Gipfel in Rio de Janeiro am 28. Juni 1999 eingegangen sind. „Für die strategische Partnerschaft ist es wichtig, dass die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Regionen ausgebaut werden. Trotz einer erheblichen Zunahme der Handels- und Investitionsströme zwischen den beiden Regionen in den letzten 15 Jahren wird ihr Wachstumspotenzial noch unzureichend genutzt,“ so die EU-Kommission in einer Mitteilung an den Rat und das EU-Parlament. Als konkrete Empfehlung benennt sie darin die „Schaffung eines Umfelds, das Handel und Investitionen begünstigt.“5 In diesem Zusammenhang ist beispielsweise das von der EU mit 15 Mio. Euro finanzierte Entwicklungsprojekt PRODESIS im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zu sehen. Menschenrechtsorganisationen in Mexiko und Europa befürchten, dass die EU-Projektgelder der Aufstandsbekämpfung im anhaltenden Konflikt dienen.6
Als einer der größten Wirtschaftsräume und Freihandelszonen der Welt gilt der MERCOSUR seit seinen Anfängen für die EU als interessantes Betätigungsfeld. Schon vor der EU-Erweiterung auf 25 Mitglieder war sie – und nicht die USA – der größte Handelspartner des seit 1991 bestehenden MERCOSUR, der rund ein Viertel seines Außenhandels mit der EU bestreitet.7 Die ersten Verhandlungen zu einem EU-MERCOSUR-Abkommen wurden 1999 geführt. Fraglich ist nun, wann dieses in trockene Tücher kommt. Die geplante Abschlussrunde im Oktober 2004 in Lissabon scheiterte, weil laut EU-Kommission die MERCOSUR-Staaten keine zufrieden stellenden Angebote für die Liberalisierung von Industriegütern, des Telekommunikationssektors und des öffentlichen Auftragswesens gemacht hätten. Erst im September 2005 gab es wieder ein offizielles Treffen in Brüssel.
Diese Verzögerung beunruhigt führende Politiker. Schon im Mai 2001 mahnte Georg Boomgaarden, Beauftragter für Lateinamerikapolitik im Auswärtigen Amt: „Die Wirtschaft des MERCOSUR ist heute noch stärker auf Europa ausgerichtet als auf die USA. Wenn die deutsche und europäische Wirtschaft allerdings nicht aufpasst, kann sich das mit Verwirklichung der für 2005 geplanten panamerikanischen Freihandelszone FTAA/ALCA schnell ändern. Ein Markt wie der MERCOSUR mit einem größeren Sozialprodukt als das Chinas, ein Markt, in dem Europa traditionell sehr gut positioniert ist, braucht mehr Aufmerksamkeit. Global denken, heißt auch, alle Weltteile zu beobachten und nicht nur diejenigen, die gerade in Mode sind.“8 Anhand dieser Aussage wird deutlich, dass man inzwischen bereit ist, in eine offene wirtschaftliche Konkurrenz mit den USA in deren eigenem Hinterhof einzutreten. Auf die Frage, ob er nicht glaube, dass Washington auf die empfundene Verletzung der Monroe-Doktrin äußerst scharf reagieren würde, antwortete Lothar Mark, Lateinamerika-Beauftragter der SPD: „Das müssen wir dann durchstehen, denn Lateinamerika ist ein potenzieller Markt und ein Partner für Europa.“ Es gehe nicht an, „sich US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen unterzuordnen.“9
Am 26. Mai 2005 drückten auf dem Ministertreffen von MERCOSUR und EU in Luxemburg beide Seiten ihre „starke Überzeugung“ aus, dass die regionale Integration eine „wichtige Rolle für Wachstum, Handelsliberalisierung, ökonomische und soziale Entwicklung“10 spiele. Die Vertreterin der EU-Kommission auf diesem Treffen, Kommissarin Ferrero-Waldner, hofft, dass schon beim Wiener EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai 2006 eine Einigung in Sachen Freihandel zwischen EU und MERCOSUR erzielt werden kann.11 Die Zeit drängt, denn die Konkurrenz schläft nicht. Zukünftig stellt China den größten Konkurrenten für europäische Investoren in Lateinamerika und der Karibik dar.12
Neben den Bestrebungen für ein EU-MERCOSUR-Abkommen hat die EU bereits durch andere Kooperationsverträge den Handel mit weiteren lateinamerikanischen Märkten liberalisiert. Besonderes Kennzeichen dieser so genannten »Abkommen der 2. Generation« ist eine Verbindung der bisherigen Programme der Wirtschaftsförderung mit politischen Inhalten wie Menschenrechten, Demokratisierung und Good Governance sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen wie beispielsweise Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung. Der Idealtypus dieser neuen Generation von Handelsabkommen beinhaltet neben einer „Institutionalisierung des politischen Dialogs über die Wahrung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien“ auch die Schaffung „einer WTO-kompatiblen Freihandelszone (…) einschließlich einer graduellen Liberalisierung im Agrar- und Dienstleistungssektor, die Liberalisierung der geistigen Eigentumsrechte, der Finanzkapitalbewegungen und des öffentlichen Beschaffungswesens.“13
Zu folgenden Wirtschaftsräumen bzw. Staaten regeln bereits heute solche Abkommen die Handelsbeziehungen: Andengemeinschaft14, Zentralamerika, Chile und Mexiko. Außerdem ist die EU mit den karibischen Staaten vor allem durch das sogenannte AKP-Vertragswerk Lomé IV und sein Nachfolgeabkommen Cotonou verbunden.
Die 1993 abgeschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen EU und Andengemeinschaft bildete die Grundlage für ein am 15. Dezember 2003 in Rom unterzeichnetes Abkommen, welches als mittelfristige Perspektive die Errichtung einer biregionalen Freihandelszone vorsieht. Zeitgleich unterzeichnet wurde auch ein Abkommen zwischen der EU und dem Wirtschaftsblock Zentralamerikas.15
Die EU-Mitgliedstaaten, die EU-Kommission und Chile haben im Vorfeld des zweiten EU-Lateinamerika-Gipfels ein Assoziationsabkommen ausgearbeitet, das im März 2005 ratifiziert wurde. Es ist nach Angaben der EU-Kommission derzeit das umfassendste Abkommen mit einem Drittstaat. Kernbestandteil ist die Errichtung einer Freihandelszone EU-Chile bis zum Jahr 2015. Es schließt folgendes ein: „Die progressive Liberalisierung von Handel und Dienstleistungen, den politischen und kulturellen Dialog sowie praktisch alle Bereiche der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit“16.
Zwischen der EU und Mexiko ist am 1. Juli 2000 ein Freihandelsabkommen in Kraft getreten. Dieses erfasst 95% des derzeitigen Warenhandels und sieht die weitgehende Beseitigung aller Diskriminierungen im Dienstleistungsverkehr vor. Die schrittweise Umsetzung der Zollfreiheit für alle gewerblichen Waren soll bis 2007 erfolgen. Die Grundlage der Beziehungen zwischen der EU und Mexiko bildet das sogenannte Globalabkommen.
Zwar wird in Paragraph 1 des Globalabkommens die Achtung von Demokratie und Menschenrechten festgeschrieben, aber es handelt es sich hierbei wohl eher um Lippenbekenntnisse, wie Alberto Arroyo, Vertreter des freihandelskritischen Netzwerks RMALC, ausführt: „Der einzige ausgearbeitete Teil widmet sich dem Freihandel. Was den politischen Dialog und die Menschenrechte betrifft, sind nicht einmal Kontrollmechanismen festgelegt worden.“17 Auf dem »2. Forum zum Dialog zwischen den Zivilgesellschaften und den Regierungsinstitutionen Mexikos und der Europäischen Union« Anfang März 2005 in Mexiko-Stadt war die durchgängige Kritik seitens der Zivilgesellschaft die fehlende Partizipationsmöglichkeit in den europäisch-mexikanischen Beziehungen sowie mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen.18
Freihandel statt Entwicklung und Menschenrechte
Noch vor Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko und der EU äußerte Alfonso Moro von RMALC seine Befürchtungen darüber, wer die eigentlichen Profiteure des Abkommens sein werden: „Der Anteil mexikanischer Produkte, welche auf dem europäischen Markt konkurrieren können, ist sehr klein. Dazu kommt, dass von den zehn wichtigsten Exportprodukten Mexikos in die EU sieben von europäischen Unternehmen in Mexiko hergestellt werden.“19 Letztlich profitieren daher hauptsächlich europäische Unternehmen von der Handelsöffnung, ähnlich wie US-Konzerne vom Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA begünstigt werden. Dieses seit 12 Jahren bestehende Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat speziell in Mexiko zu verschärften sozialen Spannungen und größerer Armut geführt.
Der Co-Autor der bereits erwähnten Weltbank-Studie und Chef-Ökonom der Weltbank für den Bereich Lateinamerika und Karibik, Guillermo Perry, benennt eine grundlegende »institutionelle Reform« als den Schlüsselfaktor für eine Verringerung der Ungerechtigkeit in Lateinamerika. Dafür sei es notwendig, dass zivilgesellschaftliche Kräfte mehr Einfluss in den politischen und sozialen Institutionen bekommen. Um solche Einflussnahme zu erreichen, „müssen diese Institutionen völlig offen, transparent, demokratisch und partizipativ“20 gestaltet werden. Diesen Erfordernissen kommen die bisherigen biregionalen Verträge und Handelsabkommen zwischen EU und lateinamerikanischen Ländern jedoch nicht nach. Klaus Schilder (WEED) befürchtet, „dass die EU Menschenrechts- und Demokratiefragen nicht zum zentralen Anliegen der Abkommen macht, sondern vielmehr ihren wirtschaftlichen Freihandelsinteressen unterordnet. Praktisch nicht vorhanden sind in fast allen EU-Abkommen Hinweise auf die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen in einen strukturierten und umfassenden Dialogprozess.“21
Auch wenn sich die EU-Kommission, vertreten durch das General-Direktorat für Außenhandel (DG Trade), im weltweiten Poker um Märkte von den US-amerikanischen Verhandlungspartnern dadurch unterscheidet, dass sie kompensatorische Maßnahmen in Form von Entwicklungs- und Hilfsprogrammen zum Aufbau gesunder Sozialstrukturen für unerlässlich hält und bemerkt, dass wirtschaftliche Öffnung nicht automatisch zu Entwicklung führt, ist das wirtschaftspolitische Paradigma das gleiche. Denn „in der handelspolitischen Praxis vertraut die EU unverändert auf die Wirksamkeit ihrer neoliberalen Freihandelsdoktrin »Handelsliberalisierung = Wirtschaftswachstum = Verringerung der Armut«.“22
Von Seiten der EU wird dabei die Bedeutung der strukturellen Asymmetrie der an den Abkommen beteiligten Volkswirtschaften völlig ignoriert. Zieht man zur Verdeutlichung die strukturelle Aufteilung des Güterhandels zwischen EU und MERCOSUR heran, so wird erkennbar, dass fast 60% der Exporte in die EU aus Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen bestehen, während die Ausfuhr von Industriewaren, also verarbeiteten Gütern, kaum 30% ausmacht. Im Gegensatz dazu sind von den Exporten aus der EU in den MERCOSUR über 90% Industriegüter mit bis zu 90% hohem Kapital- und Technologieanteil. Und rund 15% aller landwirtschaftlichen Importe der EU kommen aus dem MERCOSUR.23
Es deutet also alles darauf hin, dass die vielzitierte »Strategische Partnerschaft« zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika nichts anderes als die Fortsetzung und Festschreibung bekannter Abhängigkeitsmuster zwischen Zentrum und Peripherie darstellt. Denn das Ergebnis des EU-MERCOSUR-Abkommens und die vertragliche Festschreibung der seit den 80er und 90er Jahren laufenden Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen sind nichts anderes als die Instrumentalisierung Lateinamerikas für ein „eurokapitalistisch-neoliberales Integrationsprojekt.“24Das Urteil des Netzwerks gegen Freihandel RMALC über die europäische Wirtschaftspolitik fällt entsprechend hart aus: „Europa ist ein Imperium und führt sich hier genauso auf wie die USA.“25
Waffenexporte und Militärhilfe – Das Beispiel Kolumbien
Die hinlänglich bekannte militärische Präsenz und Einflussnahme in Lateinamerika seitens den USA lässt sich in Ansätzen auch bei der EU ausmachen. Die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) erkennt eine Kategorie von »neuen Bedrohungen« für Europa, die „verschiedenartiger, weniger sichtbar und weniger vorhersehbar sind.“26 Dazu zählen: Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten und organisierte Kriminalität. Keine dieser Bedrohungen bringt die ESS ausdrücklich mit Lateinamerika und der Karibik in Verbindung. Anders beurteilt das Auswärtige Amt die von Lateinamerika ausgehenden Bedrohungen: „Heißt das, dass sie dort nicht existieren?“27, wird die Frage im Arbeitsbericht des Auswärtigen Amtes für die Jahre 2004-2005 aufgeworfen, um sie nur wenige Zeilen später selbst zu beantworten. Zwar sei mit dem Vertrag von Tlatelolco in ganz Lateinamerika eine atomwaffenfreie Zone geschaffen worden, dennoch: „andere der genannten »neuen Bedrohungen« sind in Lateinamerika durchaus vorhanden. (…) Gerade dann, wenn Regierungen im Interesse ihres innenpolitischen Überlebens populistischen Neigungen nachgaben, kam es noch jüngst zu vereinzelten regionalen Zuspitzungen.“ 28 Leider wird nicht weiter ausgeführt, welche Regierungen Lateinamerikas gemeint sind, die „populistischen Neigungen nachgaben.“
Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass die von der EU-Kommission empfohlene „Schaffung eines Umfelds, das Handel und Investitionen begünstigt,“29 auch eine militärische Komponente in Form von Rüstungsexporten und Militärhilfe besitzt.
Herman Schmid, Soziologieprofessor in Dänemark und ehemaliger schwedischer Abgeordneter der Linksfraktion im Europäischen Parlament, wies in einem Hearing im Europäischen Parlament darauf hin, dass die EU vor allem in so genannte Entwicklungsländer exportiert. Schmid betonte in diesem Zusammenhang, dass die Vergabe von Entwicklungshilfe zunehmend mit der Verpflichtung zum Kauf europäischer Waffen verknüpft werde.30
Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Drogenanbau und -handel – eine weitere in der ESS aufgelistete Bedrohung, welche vom Auswärtigen Amt auch für die Region Lateinamerika bestätigt wird – leisten besonders Frankreich, Spanien und Großbritannien umfangreiche Militär- und Ausbildungshilfe für lateinamerikanische Länder. Dies soll hinsichtlich des für diesen Beitrag nur begrenzt zu Verfügung stehenden Platzes, im Folgenden exemplarisch an Kolumbien umrissen werden.
Seit Jahren warnt Amnesty International, dass die von den EU-Staaten geleistete Militär- und Ausbildungshilfe auch bei Einsätzen des kolumbianischen Militär Verwendung finde, die von gravierenden Menschenrechtsverletzungen begleitet sind. 2002 gab Großbritannien Ausbildungshilfe und militärische Beratung an Kolumbien, 2003 hielten sich dort Verbindungsoffiziere der britischen Streitkräfte, auf und im gleichen Jahr unterstützte Großbritannien den Aufbau der neuen Gebirgseinheit Kolumbiens. Großbritannien ist der zweitgrößte Geldgeber für Militär- und Ausbildungshilfe an Kolumbien nach den USA.31 Ferner sind nach einem Bericht der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo im Jahr 2004 von Spanien zwischen 32 und 46 Panzer (AMX-30 ) an Kolumbien verkauft worden, die Spanien in den 1970er Jahren von Frankreich erworben hatte. Die spanischen Behörden versäumten offensichtlich, gemäß internationalen Abkommen Frankreich vor dem Weiterverkauf an Kolumbien um Erlaubnis zu fragen. Dabei ist Frankreich selbst militärischer Pate Kolumbiens. Innenminister Nicolas Sarkozy sagte Kolumbiens Präsident Uribe bei dessen Frankreich-Besuch 2002 „die totale Unterstützung gegen die Guerilla und den Drogenhandel“ zu.32
Kooperationen zwischen den in Südamerika stationierten US-Streitkräften und einzelnen EU-Staaten lassen sich auch anhand der niederländischen Inseln Curaçao und Aruba ausmachen, auf denen das Southern Command des US-Militärs zwei Forward Operation Locations (FOL) installiert hat, die in den Plan Columbia eingebunden sind.33
Auch wenn die militärische Beziehung der EU zu Lateinamerika bedeutend schwächer ist als die der USA zur Region, kann es keinen Zweifel daran geben, dass die aktuellen Bemühungen der Europäischen Union darauf hinaus laufen, sich weitere Vorteile im traditionellen Hinterhof der USA zu sichern. Schlimmstenfalls gehen dabei weiter wachsende Armut und Konflikte Hand in Hand mit steigenden europäischen Militär- und Ausbildungshilfen.
Anmerkungen
1) Vgl. AFP-Meldung. In: La Jornada, 1.6.2004.
2) Vgl. Weltbank-Bericht: Inequality in Latin America & the Caribbean: Breaking with History?, Mexiko-City, 7. Okt. 2003.
3) Länder des am 26. März 1991 beschlossenen Gemeinsamen Marktes des Südens (Mercado Comun del Cono Sur) MERCOSUR sind: Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Im Dezember 2005 wurde die Aufnahme Venezuelas beschlossen. Chile und Bolivien sind assoziierte Mitglieder.
4) European Commission: EU-Latin America Trade relations at the bi-regional level. Quelle: http://europa.eu.int/comm/external_relations/la/index.htm#1b
5) EU-Kommission: Mitteilung an den Rat und das EU-Parlament: Eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika. Brüssel, den 8.12.2005 – KOM (2005) 636.
6) Johannes Plotzki: IMI-Studie 2004/02 August 2004: Die Befreiungsbewegung der Zapatisten in Chiapas/Mexiko im Würgegriff neoliberaler Konzerninteressen und staatlicher Repression durch den »Krieg niederer Intensität«.
7) Vgl. EU-MERCOSUR: Ministertagung legt Fahrplan für Freihandelsverhandlungen fest. Trade Issues, Brüssel, 12. November 2003, Quelle: http://europa.eu.int/comm/trade/issues/bilateral/regions/MERCOSUR/pr121103_de.htm
8) Georg Boomgaarden, Beauftragter für Lateinamerikapolitik im Auswärtigen Amt: Deutsche Lateinamerikapolitik unter Bedingungen der Globalisierung. Frankfurt/Main, den 8.Mai 2001, Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/ausgabe_archiv?archiv_id=1521
9) Zit. nach Guha, Anton-Andreas: EU soll sich gegen USA behaupten, Frankfurter Rundschau, 16.05.02.
10) Rat der Europäischen Union – Presseerklärung (9426/05 Presse 127), 26.5.2005, Quelle: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/en/er/84976.pdf
11) Vgl. Die Presse.com, 9.7.2005. Quelle: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=eu&id=493652
12) Vgl. Ibero-Amerika-Verein (IAV) e.V.: Ausländische Direktinvestitionen in Lateinamerika, Umfrage des IAV unter den Auslandshandelskammern der Region, 13.12.2004. Quelle: http://www.ibero-amerikaverein.de/awz/aktuelles.php?module=show&id=17880
13) Klaus Schilder (WEED). Regionalisierung unter neoliberalem Vorzeichen? Die polit-ökonomische Geographie der EU-Handelspolitik. 10.6.2003.
14) Länder der Andengemeinschaft sind: Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela. Assoziierte Staaten sind: Mexiko, Panama, Chile, sowie die Mitgliedsstaaten des Mercosur seit dem 7.7.2005.
15) Hierzu zählen Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama.
16) Auswärtiges Amt: Beziehungen EU-Lateinamerika, Stand Mai 2004, Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/eu_politik/gasp/eu_aussenbez/lateinamerika_html#1
17) Zit. n. Boris Kanzleiter: Transatlantischer Freihandel frustriert Gewerkschaftler. In: Poonal Nr. 426 v. 27.3.2000.
18) Vgl. Johannes Plotzki: Forum zum Dialog zwischen den Zivilgesellschaften und den Regierungsinstitutionen Mexikos und der Europäischen Union. IMI-Standpunkt 2005/19, 03.03.2005.
19) Poonal, Pressedienst lateinamerikanischer Agenturen. Nr. 426 vom 31.3. 2000.
20) Vgl. Weltbank-Bericht 2003.
21) Klaus Schilder (WEED). ebenda.
22) Vgl. Klaus Schilder (WEED). ebenda
23) Vgl. Thomas Fritz: Feindliche Übernahme – Die geplante Freihandelzone zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur. (BLUE 21 Arbeitspapier, Schwerpunkt: Handel, Umwelt und Entwicklung), Oktober 2004; Günther Maihold: Die südamerikanische Staatengemeinschaft – Ein neuer Partner für die EU? (Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 60) Dezember 2004.
24) Dieter Boris/Ingo Malcher: Die Konkurrenz zwischen den USA und der EU in Lateinamerika. In: Forschungsgruppe Europäische Integration (Hrsg.): Euroimperialismus? (Studie Nr. 20, Institut für Politikwissenschaft, Philipps-Universität Marburg, 2005).
25) Alberto Arroyo; zitiert nach: Wolf Dieter Vogel: Kampf um Mercados. In: Jungle World, Nummer 23 vom 26.5.2004.
26) Ein Sicheres Europa in einer besseren Welt – Europäische Sicherheitsstrategie. Dez. 2003. S. 3.
27) Auswärtiges Amt (Hrsg.): Deutsche Außenpolitik 2004-2005. S. 165.
28) Ebd., S. 165.
29) EU-Kommission: Mitteilung an den Rat und das EU-Parlament: Eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika. Brüssel, den 8.12.2005 – KOM (2005) 636.
30) Vgl. Referat von Herman Schmid beim Public Hearing: Arms Exports in the European Union: A Threat to Peace and Security? 29.06.2005, Europäisches Parlament, Brüssel.
31) Amnesty International: Undermining Global Security: the European Union’s arms exports (ACT 30/003/2004), 2004, S. 54f.
32) Ebd., S. 81.
33) Ebd., S. 65.
Johannes Plotzki ist Mitarbeiter des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Tobias Pflüger. Er war längere Zeit als Menschenrechtsbeobachter in Mexiko.