W&F 2009/3

Letztes Gefecht im Namen des »Antiterrors«

Eskalation in Sri Lanka

von Rainer Werning

In der Endphase der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Befreiungstigern geriet vor allem die Zivilbevölkerung in die Schusslinie. Seit Mitte Mai ist der Inselstaat weiter denn je von Frieden entfernt.

Läge die frühere britische Kolonie Ceylon, die sich nach der Unabhängigkeit (1948) im Jahre 1972 in Sri Lanka umbenannte, in der Balearen-Inselgruppe, hätten die dortigen innenpolitischen Entwicklungen seit Jahresbeginn einen beispiellosen Aufschrei und heftige Proteststürme ausgelöst. Stattdessen herrschte in der internationalen Staatengemeinschaft und in den Mainstream-Medien beklemmende Ruhe, als die Regierung der »Perle im (Indischen) Ozean«, wie Sri Lanka gern bezeichnet wird, zum letzten Gefecht gegen die verhasste »Terrororganisation« der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) aufrief. Als lästig empfand man in westlichen Hauptstädten allenfalls Sitzblockaden verzweifelter Exiltamilen auf Zuggleisen, Autobahnen und vor Bahnhöfen, die damit wenigstens ein Zeichen setzten, um die Aufmerksamkeit auf die katastrophale Lage in ihrem Heimatland zu lenken. Seit Anfang dieses Jahres wendete sich das Blatt rasant zuungunsten der LTTE, bis schließlich die Streitkräfte und die Regierung Sri Lankas am 19. Mai den vollständigen Sieg erklärten. Es begann die Hochzeit des Mitte November 2005 mit einer scharfen Kampfansage gegen die LTTE zum Staatspräsidenten gewählten Mahinda Rajapakse.

Triumphalismus in Colombo

Überschwänglich war die Freude in Sri Lankas Hauptstadt Colombo, wo Feuerwerkskörper gezündet wurden und Rajapakse über Nacht zu einer nationalen Lichtgestalt avancierte. Videos, die den Leichnam des LTTE-Chefs Velupillai Prabhakaran in Endlosschleifen zeigten, untermalte der Präsident in seiner landesweit ausgestrahlten Ansprache mit den Worten an die tamilische Minderheit, jetzt sei die Zeit gekommen, die „Herzen der Tamilen zu gewinnen“. Sie, versicherte Rajapakse, sollten endlich „ohne Angst und Misstrauen leben können“. Zwei Wochen später dann – das Land befand sich noch immer im Siegesrausch und staatlich verordneter Euphorie – zelebrierte die Staats- und Armeeführung den 3. Juni als Nationalfeiertag.

Unerwarteten Rückenwind hatte Sri Lankas Präsident wenige Tage zuvor ausgerechnet von jener Organisation erhalten, von der man sich eigentliche kritische Töne erhofft hatte. Auf seiner 11. Sondersitzung lobte der UN-Menschenrechtsrat in Genf die Regierung Sri Lankas ausdrücklich für ihren Sieg gegen die LTTE. In dieser am 27. Mai mit 29 Ja- gegen 12 Nein-Stimmen und bei sechs Enthaltungen angenommenen Resolution unterstützte das Gremium die Haltung Colombos, Hilfsorganisationen erst dann Zugang zu Flüchtlingslagern zu gewähren, wenn sie dies für angebracht hält. Obwohl selbst nicht Mitglied, hatte Sri Lanka mit Rückendeckung von Ländern wie China, Indien, Pakistan und Kuba einen Resolutionsentwurf vorgelegt, in dem es einseitig um tatsächliche oder mutmaßliche Kriegsverbrechen der LTTE ging. Die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung wies Colombo umgehend und schroff zurück. Stattdessen wurden in der Resolution die internationale Staatengemeinschaft und relevante Unterorganisationen der Vereinten Nationen aufgefordert, der srilankischen Regierung dabei behilflich zu sein, die in den vormaligen Kampfgebieten notleidende Bevölkerung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln, sanitären Einrichtungen und medizinischer Betreuung zu versorgen.

Welch’ ein Triumph?

Bereits Anfang des Jahres hatten das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und andere internationale Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen beklagt, dass die Evakuierung von Verwundeten auf dem Seeweg sehr schwierig sei und auch die Konvois auf dem Landweg die Frontlinien nicht überqueren durften. Als sei das für die betroffene Zivilbevölkerung im Osten und Norden des Landes nicht schon schlimm genug gewesen, hatten auch noch die nationale und internationale Presse von Colombo einen Maulkorb verpasst bekommen. Journalisten blieb der Zugang in die Kampfgebiete verwehrt, und dort anwesende ausländische Journalisten wurden unverzüglich des Landes verwiesen; eine Gewähr dafür, dass nunmehr die srilankischen Streitkräfte unter dem großen Mantel des Schweigens und Vertuschens nach Gutdünken schalten und walten konnten, was bedingt auch für die andere Seite galt. Laut der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hatten in der letzten Kriegsphase Mitglieder der LTTE Kindersoldaten zwangsrekrutiert und Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht. Die Armee habe ihren Granatenbeschuss auf Gebiete fortgesetzt, in denen sich Zivilisten aufhielten.

Die absehbare Katastrophe nahm in den letzten Kriegstagen ungeheure Ausmaße an. Das Rote Kreuz bezifferte die Zahl der zwischen die Fronten geratenen Flüchtlinge auf annähernd 300.000 Menschen. Am 27. Mai, als zeitgleich in Genf der UN-Menschenrechtsrat die Regierung in Colombo exkulpierte, forderte das IKRK erneut Zugang zu allen Flüchtlingen. Zwei Tage später berichtete die in London erscheinende »Times«, dass infolge der Regierungsoffensive von Jahresbeginn bis Ende April 7.000 Zivilpersonen und ab dann bis zum 19. Mai täglich etwa 1.000 Menschen täglich in der Kriegszone im Nordosten ums Leben gekommen seien – die meisten durch schweren Artilleriebeschuss der Regierungstruppen.1 Die Flüchtlinge waren in notdürftigen, von Militärs strikt bewachten Internierungslagern untergebracht, welche die Regierung in Orwellscher Sprachregelung als »welfare centres« (Wohlfahrtszentren) bezeichnet. In ihnen, so gab die Armeeführung bekannt, werde man alle Personen überprüfen, um zu verhindern, dass sich unter ihnen LTTE-Mitglieder versteckten.

Als einziger Beobachter bisher durfte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon kurz eines der Dutzenden Lager besuchen. „Das, was ich gesehen habe, hat mich unglaublich traurig und demütig gemacht“, sagte Ban hinterher, „ich habe die ganze Welt bereist und ähnliche Regionen besucht. Aber ich habe nirgendwo schlimmere Szenen gesehen.“ Für die Betroffenen blieb seine Äußerung folgenlos. Tamilische Exilgruppen beschuldigen derweil die Vereinten Nationen, so die Korrespondentin des ARD-Hörfunkstudios Südasien, Sandra Petersmann, „Statistiken mit Opferzahlen zurückzuhalten, um die srilankische Regierung zu decken. Europäische Medien hatten vor kurzem unter Berufung auf geheime UNO-Dokumente berichtet, dass allein zwischen dem 1. und dem 20. Mai täglich 1.000 Menschen bei den letzten Gefechten im Nordosten Sri Lankas ums Leben gekommen sein sollen. Die Vereinten Nationen weisen das zurück. Niemand habe verlässliche Zahlen über die Opfer dieses Krieges, heißt es aus dem Hauptquartier in New York. Umso wichtiger wäre eine unabhängige Untersuchung.“ 2

Fragiler Frieden mit Bruderzwist

Bereits wenige Jahre nach der Staatsgründung des vormaligen Ceylon im Jahre 1948 kam es zu gewaltigen Ausschreitungen gegen die tamilischen Minderheit, und 1956 wurde das von der Mehrheit gesprochene Singhalesisch zur einzigen Staatssprache erhoben. Nach antitamilischen Pogromen im Jahre 1983 eskalierte der Konflikt und weitete sich fortan zum bewaffneten Kampf zwischen Regierungstruppen und den Liberation Tigers of Tamil Eelam aus, die nunmehr einen eigenen Staat im Norden und Osten forderten. Ein Hoffnungsschimmer zeichnete sich am Horizont ab, als auf Initiative der norwegischen Regierung am 22. Februar 2002 die Chefunterhändler der srilankischen Regierung und der LTTE ihre Unterschrift unter das formelle Waffenstillstandsabkommen setzten, das den Grundstein eines Prozesses bilden sollte, an dessen Ende eine für beide Seiten akzeptable und vor allen Dingen friedliche Beilegung des Konflikts stehen sollte.

Vor allem das Jahr 2004 hatte es in sich, als neben einer tiefgreifenden LTTE-internen Schwächung deren Einflussgebiete durch den verheerenden Tsunami Ende Dezember verwüstet wurden. Der frühere stellvertretende LTTE-Chef und Militärchef der Organisation in der Ostprovinz, Vinayagamoorthy Muralitharan alias Oberst Karuna, kehrte im März 2004 seinen Genossen den Rücken und warf der Führung unter Velupillai Prabhakaran vor, die dortigen Tamilen lediglich als »LTTE-Kanonenfutter« für Kommandounternehmen im Norden zu opfern und sie ansonsten zu vernachlässigen. Fortan agierte die von Karuna gegründete paramilitärische Truppe unter dem Schutz der srilankischen Armee, die ihrerseits ihre Kampfeinheiten beträchtlich aufstockte – von 100.000 auf 160.000 Mann. Diese Überlegenheit vermochten die zwischenzeitlich besser ausgebildeten und bewaffneten Regierungstruppen immer mehr zu ihren Gunsten zu nutzen und entscheidende Terraingewinne zu verzeichnen.

Die Abkehr von Karuna traf die LTTE-Führung schwerer, als sie zugeben mochte. Denn „der Überläufer Karuna und seine Gefolgsleute (hatten) präzise Informationen über Standorte und Zusammensetzung der LTTE-Truppen geliefert, was für den militärischen Geheimdienst natürlich sehr wertvoll war. Colombo erhielt auch verdeckte Unterstützung durch den indischen Geheimdienst, vor allem Informationen über Schiffe. Indien schickte außerdem Ausbilder für Piloten und Radarspezialisten. Moderne Militärtechnologie kam aus Israel und den USA.“ 3 Für den Oberst zahlte sich das Arrangement mit Colombo aus, wie denn im Gegenzug dessen Truppen die von Karuna miteingefädelte Rückeroberung des Ostens zur entscheidenden Großoffensive gegen die Hauptstellungen der LTTE im Norden nutzten. Mitte März dieses Jahres „kürte ihn Staatspräsident Mahinda Rajapakse zum Minister für Nationale Integration und Aussöhnung. Mit etwa 2.000 Anhängern war Karuna (…) kurz zuvor der regierenden Freiheitspartei Sri Lankas (SLFP) beigetreten. Rajapakse händigte ihm die Mitgliedskarte persönlich aus und nannte ihn dabei einen ‚talentierten Führer‘. Karuna revanchierte sich, indem er Rajapakse ‚gute nationale Führerschaft‘ bescheinigte.“ 4

Gebrandmarkt als »Terrororganisation«

Als am 2. Weihnachtstag 2004 Sri Lanka vom Tsunami getroffen wurde, sorgten einzig von der tamilischen Diaspora gespendete Hilfsgelder dafür, dass in LTTE-kontrollierten Gebieten wenigstens ein Bruchteil der Schäden beseitigt und ein wenig Not gelindert werden konnte. Die internationale Staatengemeinschaft duldete ohne nennenswerte Proteste in großen Stil die Unterlassung und Hintertreibung von Hilfeleistung seitens der herrschenden singhalesischen Elite in Colombo und sorgte stattdessen dafür, dass der nach den Ereignissen vom 11. September 2001 von der Bush-Regierung verkündete »weltweite Krieg gegen den Terror« nunmehr auch in diesem Teil Südasiens instrumentalisiert wurde. Nach dem Vorbild der von den USA angefertigten »Liste ausländischer terroristischer Organisationen« entschied sich auch die Europäische Union zu einem solchen Schritt und setzte die LTTE am 29. Juni 2006 auf ihre Terrorliste – ein Akt, der die Organisation delegitimieren, ihren Nachschub einschnüren und schließlich zum Abzug skandinavischer Waffenstillstandsbeobachter führen sollte.

Quo vadis?

Die Art und Weise, wie Colombo sein »letztes Gefecht« gegen die LTTE führte und zelebrierte, lässt auf Dauer mit Blick auf Frieden und Aussöhnung nichts Gutes erwarten. Die wenigen tamilischen Stimmen im Parlament werden es gegenwärtig kaum wagen, öffentlich Dissens zu äußern.

Am 30. Januar 2009 hatte die LTTE-Führung Selvarajah Pathmanathan offiziell zu ihrem Auslandschef und Verantwortlichen für internationale Beziehungen ernannt. Pathmanathan war es auch, der in mehreren Interviews mit internationalen Fernseh- und Rundfunkstationen sowie über die den LTTE nahestehende Webseite TamilNet die militärische Niederlage seiner Organisation eingestand. Heute beteuert Pathmanathan, die LTTE schwören der Gewalt ab und schlagen den demokratischen Weg ein.5 Früher kümmerte sich der Mann um das Auslandsgeschäft der Tamil Tigers, akquirierte Gelder und soll außerdem den Waffennachschub und Schmuggel organisiert haben.

Derweil ist unter den etwa eine Million im Ausland lebenden Tamilen eine Debatte über die »Bildung einer Provisorischen Transnationalen Regierung von Tamil Eelam« entbrannt. Am 16. Juni betonte Visuvanathan Rudrakumaran, Koordinator des Komitees für die Bildung einer Provisorischen Transnationalen Regierung von Tamil Eelam, in einer neun Punkte umfassenden Erklärung, Unabhängigkeit und Souveränität der Eelam-Tamilen stünden auch weiterhin auf der Agenda. Eine solche Regierung müsse von der Basis aufgebaut werden. Das Komitee setzt sich unter anderen für Wahlen auf lokaler und internationaler Ebene ein und strebt sowohl mit internationalen Nichtregierungsorganisationen als auch mit tamilischen Gruppen eine enge Kooperation an, die bislang nicht mit der LTTE zusammenarbeiteten. Schließlich soll eine konstitutionelle Versammlung gebildet werden und die Wahl einer Exekutive erfolgen. Die Vorarbeiten zu alledem sollen bis zum 31. Dezember dieses Jahres abgeschlossen sein.6 Sri Lankas Außenminister Rohitha Bogollagama bezeichnete dieses Unterfangen umgehend als „Halluzination“.7

Anmerkungen

1) Siehe die am 29. Mai 2009 in »The Times« (London) abgedruckten Beiträge: Philp, Catherine & Evans, Michael: »Times photographs expose Sri Lanka’s lie on civilian deaths at beach – The former no fire zone in Sri Lanka«; Philp, Catherine: »The hidden massacre: Sri Lanka’s final offensive against Tamil Tigers« sowie »Slaughter in Sri Lanka – Evidence gathered by The Times has revealed that at least 20,000 Tamils were killed on the beach by shelling as the army closed in on the Tigers«.

2) Petersmann, Sandra: »Zwei Wochen nach Ende des Bürgerkriegs – Sri Lanka feiert offiziell Sieg über Rebellen« [Sandra Petersmann, ARD-Hörfunkstudio Neu-Delhi, 03.06.2009 4‘16*

3) Meyer, Eric Paul: »Sieg ist keine Lösung – In Sri Lanka haben sich die letzten Tamil Tigers hinter der Zivilbevölkerung verschanzt«, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausgabe) vom 13.3.2009.

4) König, Hilmar: »Der Lohn für Karuna – Abtrünniger Guerillaführer der Befreiungstiger in Sri Lanka zum Minister gekürt«, in: junge Welt vom 12.03.2009.

5) Siehe: http://tamiltruth.de/2009/06/13/die-neue-stimme-der-tamilischen-rebellen/

6) Siehe: http://www.tamileelamonline.com, 16.06.2009: »Committee for the formation of a Provisional Transnational Government of Tamil Eelam – Press statement released by Mr. Visuvanathan Rudrakumaran, Coordinator of the Committee for the formation of a Provisional Transnational Government of Tamil Eelam.«

7) Hull, C. Bryson: »Sri Lanka scoffs at new Tamil exiled government«, Meldung der Nachrichtenagentur Reuters aus Colombo, 17.06.2009.

Dr. Rainer Werning, Politologe und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, hat Sri Lanka seit 1974 mehrfach zu Studienzwecken besucht.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/3 Okkupation des Zivilen, Seite