W&F 2006/4

Integrierte Missionen der Vereinten Nationen

Liberia, ein Prototyp?

von Tobias Pietz und Diana Burghardt

Die Schaffung so genannter »integrierter Missionen« ist ein aktueller Versuch, die Effizienz des Friedensengagements der Vereinten Nationen zu steigern. Er gründet auf der Erkenntnis, dass politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich an einem Strang ziehen müssen, um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können. Im Folgenden wird das Konzept der Integration zunächst theoretisch vorgestellt und anhand einiger Ausführungen zum Spannungsfeld zwischen peacekeeping und humanitärer Hilfe problematisiert. Anschließend wird der Blick auf die praktische Umsetzung von »Integration« gelenkt und die Frage behandelt, ob bzw. inwieweit die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) als »Prototyp« für künftige komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen gelten kann. Den Schluss des Artikels bildet ein kurzer Ausblick.

Die heutigen Friedenseinsätze der Vereinten Nationen sind darauf ausgerichtet, Konfliktursachen zu überwinden.1 Dabei wird das robuste peacekeeping nach Kapitel VII der VN-Charta mit dem so genannten post-conflict peacebuilding verbunden, das neben der Beobachtung von Waffenstillständen auch Polizeiaufgaben, die Vorbereitung von Wahlen, humanitäre Hilfe, die Beobachtung der Menschenrechtssituation, den Aufbau der zivilen Verwaltung und des Justizwesens, die Rückführung von Flüchtlingen, die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Ex-Kombattanten etc. umfasst. Seit Beginn der 1990er Jahre ist damit die politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Kompetenz der Vereinten Nationen zunehmend gleichzeitig in »komplexen« Friedensmissionen gefragt.

Von der Koordination zur Integration

Im Laufe der 1990er Jahre zeigte sich jedoch durch eine Reihe von Debakeln die nur sehr begrenzte Fähigkeit der VN zur Schaffung nachhaltig friedlicher Strukturen – und dies wurde auf die Fragmentierung des VN-Systems zurückgeführt. Da zahlreiche Abteilungen, Programme und Sonderorganisationen der VN mehr oder weniger getrennt voneinander arbeiteten, entstand der Ruf nach verbesserter Koordination innerhalb der VN-Familie und schließlich das Konzept zur »Integration« aller relevanten VN-Akteure. Den Anfang zur Entwicklung des Konzepts der Integration machte der im August 2000 veröffentlichte Report of the Panel on United Nations Peace Operations (der Brahimi-Bericht, benannt nach dem Vorsitzenden der Kommission, dem ehemaligen Außenminister von Algerien), der in der Öffentlichkeit große Beachtung und Anerkennung fand. Der Brahimi-Bericht stellte fest, dass es im UN Department of Peacekeeping Operations (DPKO) keine Einheit gebe, in der Vertreter aller in einer Friedensmission wichtigen Themenbereiche – Politische Analyse, Militäreinsätze, Polizei, Wahlhilfe, Menschenrechte, Entwicklung, humanitäre Hilfe, Flüchtlinge, Öffentlichkeitsarbeit, Logistik, Finanzen und Rekrutierung – zusammenkommen.2 Er schlug daher die Schaffung so genannter Integrated Mission Task Forces (IMTF) vor, die aus hochrangigen Vertretern aller genannter Bereiche bestehen und (jeweils für den Einsatz in einem Land) als zentraler Kontaktpunkt die interne Koordination der VN verbessern sollten. Trotz einiger anfänglicher Schwierigkeiten dieser thematisch breit gefächerten und gleichzeitig regional auf ein Land fokussierten Expertengremien gelten die Integrated Mission Task Forces heute als Weg der Zukunft. Sie sind zu einem integralen Bestandteil und zu Schlüsselgremien des Integrated Mission Planning Process (IMPP) geworden – einem klar strukturierten, sechsstufigen Planungsprozess für (künftige) VN-Friedensmissionen.

Der Entwurf des neuesten IMPP (vom Juni 2006) definiert das Ideal der Zukunft, die »Integrierten Missionen«, als solche, in denen es eine von der gesamten VN-Familie geteilte Vision (a shared vision) für eine Krisenregion gibt, d.h. ein Konzept, das die Ziele bzw. Prioritäten (center of gravity, main effort), die Begründung und die Strategie für das vielfältige Engagement der VN deutlich macht.3 Ähnlich spricht das Executive Committee on Humanitarian Affairs in seinem Definitionsversuch für Integrierte Missionen von einer »system-wide UN response«, die durch die Zusammenführung aller VN-Akteure und Ansätze innerhalb eines einzigen »overall political-strategic crisis management framework« gelingen soll.4 Dieses umfassende Rahmenwerk bzw. diese von allen geteilte Vision soll durch die Integrated Mission Task Forces entwickelt werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Maßnahmen zur Schaffung von Sicherheit und Entwicklung in einem Land einander bedingen. Die breit gefächerte Expertise in den IMTFs, d.h. auch die genaue Kenntnis der verschiedenen Mandate, Funktionen und Möglichkeiten der diversen Abteilungen der VN, soll dann dazu beitragen, aus der Vision eine sinnvolle und abgestimmte Arbeitsteilung gemäß komparativer Vorteile innerhalb der VN-Familie abzuleiten. Knapp gefasst könnte man wohl von vielgestaltiger Friedensarbeit aus einem Guss sprechen, durch die die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des VN-Friedensengagements erhöht werden soll.

Zwischen Peacekeeping und Humanitärer Hilfe

Das Konzept der Integration und der darin enthaltene Gedanke, dass alle VN-Akteure zur Umsetzung gemeinsamer Prioritäten an einem Strang ziehen sollten, ist nicht unproblematisch, da zwischen »peacekeepern« und humanitären Helfern (theoretisch) ein Spannungsverhältnis besteht. Zwar sind sich beide Gruppen in der Zielsetzung einig, Frieden schaffen und Menschenleben retten zu wollen, doch ihre (zumindest idealtypischen) Ansätze sind grundverschieden. Das heutige, multidimensionale und mit peacebuilding- Maßnahmen verknüpfte peacekeeping ist ein politischer und damit »parteiischer« Akt, während humanitäre Hilfe zwar in einem politischen Umfeld geleistet wird, sich aber nach den Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit richtet. Konkret bedeutet dies, dass humanitäre Hilfe ohne Ansehen der ethnischen, religiösen oder politischen Zugehörigkeit der Opfer, vielmehr ausschließlich nach dem Kriterium der Hilfsbedürftigkeit geleistet wird (Unparteilichkeit), dass niemals eine Konfliktpartei unterstützt oder bei ideologischen Disputen Partei ergriffen wird (Neutralität), und dass die politische und finanzielle Autonomie der Hilfsorganisationen gewahrt wird (Unabhängigkeit). Für humanitäre Helfer ist ein weitgehendes Festhalten an diesen Prinzipien wichtig, um ihren Zugang zu den Opfern auf allen Seiten eines Konflikts sichern zu können, statt selbst in Auseinandersetzungen hineingezogen und zu einem potenziellen Angriffsziel zu werden.5 Wichtig ist außerdem, dass der Zugang zu humanitärer Hilfe als Recht der Opfer bzw. die Gewährung von humanitärer Hilfe als internationale Verpflichtung begriffen wird.6 Humanitäre Helfer sehen in ihrer Arbeit in erster Linie kein Mittel zur Erreichung eines abstrakten politischen Ziels – auch nicht des Friedens –, sondern stellen die Rettung des individuellen Menschenlebens in den Vordergrund. Das theoretische Spannungsfeld zwischen peacekeepern und humanitären Helfern besteht also darin, dass peacekeeper stets das langfristige Ziel des Friedens und der Stabilisierung als erste Priorität vor Augen haben und die Auswahl der Menschen, denen sie helfen, entsprechend ausrichten. Humanitäre Helfer hingegen machen ihre Hilfe tendenziell nicht von langfristigen politischen Überlegungen, sondern (eher kurzfristig) von der unmittelbaren Bedürftigkeit der Opfer abhängig.7

Tatsächlich kann heute natürlich keine klare Trennlinie zwischen »politischen« peacekeepern und »unpolitischen« Hilfsorganisationen mehr gezogen werden. Kaum eine Hilfsorganisation kann von sich behaupten, allen oben genannten humanitären Prinzipien zu entsprechen. Besonders eine echte finanzielle Unabhängigkeit ist bei den meisten Hilfsorganisationen (mit Ausnahme solch etablierter Organisationen wie dem International Committee of the Red Cross oder Médicins sans Frontières) nicht gegeben. Zudem übernimmt die große Mehrheit ziviler Hilfsorganisationen heute parallel Aufgaben der humanitären Hilfe und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die Aufgabenfelder von humanitären Hilfsorganisationen und Einrichtungen der EZ, sowie die der mit weitreichenden Mandaten ausgestatteten peacekeeper, überschneiden sich damit zunehmend. Spannungen gibt es allerdings trotzdem – auch in der Praxis. Dies liegt daran, dass die humanitär ausgerichteten Organisationen der VN (z.B. die Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO; das United Nations Development Programm, UNDP; der United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR; der United Nations Children’s Fund, UNICEF; das World Food Programme, WFP; oder die World Health Organization, WHO) meist schon Jahre vor einem Friedenseinsatz als UN Country Team in einer Region arbeiten. Ihre Mitarbeiter, und auch die zahlreichen internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen (NROs), mit denen sie zusammenarbeiten, kennen daher die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Situation im Land sehr gut. Ihre Expertise – so der Vorwurf – finde aber nicht genügend Beachtung.8 Statt mit ihnen als gleichberechtigten Partnern zusammenzuarbeiten, würden sowohl der militärische als auch der zivile Part der neu im Land eintreffenden VN-Missionen die Landeskenntnisse und Ratschläge der Country Teams ignorieren und ihnen stattdessen autoritär und arrogant gegenübertreten. Der Gegenvorwurf von Mitarbeitern des Department of Peacekeeping Operations geht dahin, dass sich die »old-timer« aus den UN Country Teams neuen Realitäten nicht anpassen würden. Sie verstünden oft nicht, wie sehr sich der »politische Wind« aufgrund eines Friedensabkommens, einer anerkannten Übergangsregierung und einem Mandat durch den Sicherheitsrat verändere. Denn typischerweise verändere sich die grundsätzlich »unparteiische« Arbeit der VN dann insofern in eine »parteiische« Haltung, als ein spezifischer Friedensprozess gefördert wird.9

»Integrieren« vor Ort: das Beispiel Liberia

In der Diskussion um Integrierte Missionen der Vereinten Nationen wird oft auf Liberia verwiesen, denn die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) gilt als erste wirklich integrierte Mission und damit auch als möglicher Prototyp für die Zukunft komplexer Friedensmissionen.10 Dabei war UNMIL nicht von Anfang an als eine integrierte Mission konzipiert worden, sondern veränderte sich erst als Reaktion auf angebliche Spannungen zwischen dem Senior Management von UNMIL und dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) in Liberia.11 Es scheint, als habe sich der zivile Teil von UNMIL (1.000 von 16.000 Personen) ohne nennenswerte Konsultationen mit anderen VN-Stellen im Bereich Nationbuilding engagiert, während militärische Einheiten – ebenfalls ohne Absprache – neben Aufgaben der Friedenssicherung auch in starkem Maße Quick Impact Projects durchführten. Dabei hätten beide Bereiche von existierender Länderkompetenz profitieren können. In einem Bericht der Peacekeeping Best Practices Unit von DPKO über die Anfangsphase von UNMIL heißt es, die Ressourcen der bereits bestehenden politischen Mission in Liberia (dem UN Office in Liberia, UNOL) seien nur „unzureichend genutzt“ worden, und UNMIL sei „nicht in ausreichendem Maße“ an einer Abstimmung mit dem UN Country Team interessiert gewesen.12 Dies hat zu Verärgerung und Frustration und nicht zu einem Gefühl von Partnerschaft geführt. Trotzdem ist der Vorwurf einiger NROs in Liberia, dass die Hilfe der militärischen und zivilen UNMIL-Einheiten auf einem qualitativ niedrigen Standard erfolgt sei, kaum nachzuweisen. Die Literatur kennt nur wenige Beispiele, u. a. die Problematik eines Militärkrankenhauses von UNMIL, in dem südasiatische Peacekeeper es ablehnten, Frauen zu behandeln, da es keinen weiblichen Arzt im Team gebe.13 Angeblich hat diese Diskriminierung eine negative Wirkung auf die Haltung der Bevölkerung nicht nur gegenüber UNMIL, sondern gegenüber der humanitären Hilfe insgesamt gehabt. Eine intensivere Beschäftigung mit der Qualität der durch UNMIL geleisteten Hilfe und möglichen Auswirkungen »schlechten« Peacebuildings steht allerdings noch aus: die bisherigen Beschreibungen einzelner Fälle erlauben noch keinerlei allgemeine Rückschlüsse.

Durch eine Entscheidung des Generalsekretärs im Juli 2004 wurde das bis dahin selbstständig operierende Office for the Coordination of Humanitarian Affairs formal in die Strukturen von UNMIL integriert, offiziell, um die Koordinierung der humanitären Hilfe zu verbessern.14 Das neu gebildete Humanitarian Action Committee (HAC) innerhalb UNMILs wurde jedoch nicht von OCHA Personal gestellt, sondern durch die Humanitarian Officers von UNMIL, die zuvor als Verbindung zu OCHA gewirkt hatten und damit nur indirekt mit den weiteren humanitären und entwicklungspolitischen Akteuren im Land kommuniziert hatten. Komplementär zu diesem Schritt wurden die Kompetenzen des Resident Coordinator (RC) und des Humanitarian Coordinator (HC) in der Position eines Deputy Special Representative of the Secretary General (DSRSG) zusammengeführt. Dieser Stellvertreter des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs ist gleichzeitig auch für die Bereiche Rehabilitation und Wiederaufbau innerhalb von UNMIL zuständig. Damit wurde die neutrale Position des Koordinators der humanitären Hilfe mit der politischen Position des Hauptpartners für die lokale Regierung im Bereich Wiederaufbau vermischt, und insgesamt wurde die humanitäre Hilfe – aufgrund der Zusammenführung der Positionen des HC und RC und der Integration von OCHA in die Struktur der Mission – dem mit einem eindeutig politischen Mandat ausgestatteten Leiter von UNMIL, dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs (SRSG), unterstellt.

In der Folge kam es immer wieder zu Vorwürfen dahingehend, dass die humanitäre Hilfe genutzt würde, um politische Ziele der Mission zu erreichen, oder aber dass die humanitäre Hilfe enorm an Priorität verloren hätte. Als Beleg für diese These wurde von verschiedenen Autoren die Vorbereitung der Wahlen im Winter 2005 angeführt. Um die Durchführung erfolgreicher Wahlen sichern zu können, drängten UNMIL und die internationalen Geldgeber darauf, alle Flüchtlinge vor dem gesetzten Wahltermin, d.h. noch innerhalb der Regenzeit, in ihre Heimatregionen zu bringen – und setzten dies trotz des großen Protestes von humanitären Organisationen, die vor den schwierigen klimatischen Bedingungen für die Rückführung warnten, auch durch. Manche mögen sich in dieser Situation an ein Zitat des Leiters der VN Mission in Liberia im Jahre 1993 erinnert gefühlt haben, der trocken festgestellt hatte: „If relief gets in the way of peacemaking then there will be no relief.“15 Aber auch diese Episode ist, wie so viele, nur anekdotischer Art. Ob, wie und mit welchen Folgen humanitäre Hilfe innerhalb integrierter VN-Missionen stärker als in anderen Strukturen politisch instrumentalisiert wird, harrt weiterhin einer eindeutigen Analyse.

Die Realität der Mission

Zu Beginn der Mission in Liberia war die Mitnutzung militärischer Kapazitäten von UNMIL durch humanitäre VN-Programme laut dem World Food Programme notwendig. Mangels ausreichender eigener Kapazitäten (insbesondere im Bereich Logistik, aber auch zur Absicherung von Aktivitäten im Feld), sei die Unterstützung durch UNMIL essentiell gewesen. Mittlerweile versuchen sich jedoch einige VN-Programme in Liberia etwas von UNMIL zu distanzieren. Sie tun dies u. a. durch eine farbliche Unterscheidung: während (militärische und zivile) UNMIL Einheiten einen schwarzen Schriftzug benutzen, tragen Fahrzeuge von UNDP und anderen Programmen allein blaue Symbole. Dies ist für viele internationale humanitäre Organisationen wichtig, denn in ihren Augen ist die »black UN« militärisch und politisch in Liberia tätig, und dementsprechend kein Kooperationspartner für ihre Arbeit. Die liberianische Bevölkerung macht laut Umfragen aber keine Unterscheidung zwischen schwarzer und blauer VN. Überhaupt scheint die Bevölkerung der komplexen Diskussion um zivil-militärische Kooperation, politische Instrumentalisierung von humanitärer Hilfe oder Integration nur wenig Interesse beizumessen. Bemerkenswert ist, dass eine Umfrage mit knapp 800 Teilnehmern in Liberia im Januar 2006 eine überwältigend positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber UNMIL zeigte.16 91 Prozent sagten, dass UNMIL bislang gute Arbeit geleistet habe, besonders hinsichtlich Stabilisierung und Sicherheit, aber auch bei der Implementierung von Quick Impact Projects, sowie bei der Durchführung der ersten freien Wahlen. Im Gegensatz dazu wurde die Arbeit der NROs meist viel kritischer betrachtet.17

Insgesamt kann man feststellen, dass die Idee der Integration innerhalb von UNMIL grundsätzlich begrüßt wird, sich aber derzeit noch in wenig mehr als einem erhöhten Austausch an Informationen äußert. Im Hinblick auf die VN-Programme außerhalb von UNMIL könnte sich die kritische und vielfach auf Unabhängigkeit bestehende Haltung langsam abschwächen. Konkret bahnt sich diese Änderung an, seit der Leiter von UNMIL ausgewechselt worden ist. Jaques Klein, der erste Leiter von UNMIL, war früher beim Militär, während der ihm nachfolgende Alan Doss einen zivilen Hintergrund hat – er kommt aus der humanitären Hilfe. Viele Akteure der humanitären Hilfe sehen darin eine große Chance, da Schlüsselfiguren an der Spitze integrierter Missionen enormen Einfluss darauf nehmen könnten, wie stark auf Missions-Externe zugegangen wird.

Kritik und Ausblick

Die Schaffung integrierter Missionen ist ein Versuch zur Steigerung der Effizienz des Friedensengagements der VN, der nach den Fehlschlägen in den 1990er Jahren unternommen werden musste. Um nachhaltig friedliche Strukturen schaffen zu können, müssen politische, militärische, humanitäre und entwicklungspolitische Akteure so weit wie möglich zusammenarbeiten. Es geht also nicht so sehr um das Ob, sondern mehr um das Wie der Integration.18 Die Art und Weise, in der komplexe Friedensmissionen mit den Anliegen der humanitären Gemeinschaft umgehen, steht im Mittelpunkt. Dabei werden die Missionen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Sorgen bezüglich der Instrumentalisierung und Unterordnung von humanitärer Hilfe abzubauen. Andererseits sollten die UN Country Teams sowie die internationalen und lokalen NROs ihre bisweilen absolut gesetzten humanitären Prinzipien (Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit) erneut beleuchten – denn faktisch hat sich die klassische humanitäre Hilfe bei vielen Akteuren hin zu eindeutig politischen Aufgaben des langfristigen Wiederaufbaus gewandelt.

Die eingangs aufgeworfene Frage, ob die VN-Mission in Liberia ein Prototyp für kommende komplexe Friedensmissionen der Vereinten Nationen ist, kann bejaht werden. Allerdings steht bei den meisten aktuellen Friedensmissionen (bspw. in Afghanistan, Bosnien oder dem Kosovo) die militärische Komponente nicht unter der Kontrolle der VN. Liberia ist somit ein Idealfall für die Vereinten Nationen. Anstelle von integrierten Missionen nach liberianischem Vorbild könnte das Bild internationaler Friedensmissionen auch künftig eher von Situationen bestimmt werden, in denen militärische oder zivile Aufgabenbereiche einer VN-Mission von der NATO, der Weltbank, der EU oder der OSZE übernommen werden.

Anmerkungen

1) Winrich Kühne (2003): UN-Friedenseinsätze verbessern – Die Empfehlungen der Brahimi Kommission, S. 717, http://www.zif-berlin.org/Downloads/Analysen/Praxishandbuch_UNO_2003.pdf.

2) Brahimi Report, Paragraph 198, http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/.

3) Draft UN Integrated Mission Planning Process (2006).

4) Espen Barth Eide et al. (2005): Report on Integrated Missions. Practical Perspectives and Recommendations, S. 14, www.globalpolicy.org/security/peacekpg/general/2005/05integrated.pdf.

5) Vgl. Andreas Heinemann-Grüder und Diana Burghardt (2006): Zivil-Militärische Zusammenarbeit – Der Wiederaufbau von Nachkriegsgesellschaften, S. 113, http://www.reader-sipo.de/artikel/0602_AII1.htm.

6) Principles of Conduct for The International Red Cross and Red Crescent Movement and NGOs in Disaster Response Programmes, http://www.ifrc.org/publicat/conduct/code.asp.

7) Vgl. Volker Franke (2006): The Peacebuilding Dilemma. Civil-Military Cooperation in Stability Operations, International Journal of Peace Studies (im Erscheinen).

8) Eide, S. 17-18.

9) Eide, S. 18.

10) Vgl. Georg Frerks et al. (2006): Principles and Pragmatism. Civil-Military Action in Afghanistan and Liberia, S. 75, http://www.reliefweb.int/library/documents/2006/cordaid-gen-02jun.pdf.

11) Vgl. Lewis Sida (2005): Challenges to Humanitarian Space. A Review of Humanitarian Issues Related to the UN Integrated Mission in Liberia and to the Relationship between Humanitarian and Military Actors in Liberia, S. 8, http://www.humanitarianinfo.org/Liberia/infocentre/general/docs/Challenges%20to%20humanitarian%20space%20in%20Liberia.pdf.

12) Peacekeeping Best Practice Section (PBPS) of the United Nations (2004): Lessons Learned Study on the Start-up Phase of the United Nations Mission in Liberia, S. 15, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia%20Lessons%20Learned%20(Final).pdf.

13) Erin A. Weir (2006): Conflict and Compromise. UN Integrated Missions and the Humanitarian Imperative, KAIPTC Monograph No 4, S. 42, http://www.kaiptc.org/_upload/general/Mono_4_weir.pdf.

14) Secretary General´s 4<^>th<^*> Report to the Security Council on Liberia. S/2004/725.

15) Zitiert nach Weir, S. 38.

16) Vgl. Jean Krasno (2006): Public Opinion Survey of UNMIL´s Work in Liberia, http://pbpu.unlb.org/pbpu/library/Liberia_POS_final_report_Mar_29.pdf.

17) Frerks, S. 95.

18) Vgl. Weir, S. 46.

Tobias Pietz, M.A. und Diana Burghardt, M.A. sind Mitarbeiter des Bonn International Center for Conversion (BICC) im Forschungsbereich Peacebuilding. Tobias Pietz studierte Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg und Peace and Security Studies am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH). Diana Burghardt, studierte Nordamerikastudien, Politische Wissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Bonn und der University of California, San Diego.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2006/4 Zivil-militärische Zusammenarbeit, Seite