W&F 2011/3

Liberia unter Afrikas erster Präsidentin

von Rita Schäfer

Liberia gilt als Musterland für geschlechtergerechte Nachkriegsentwicklungen. Zahlreiche Gesetzesnovellen und Reformprogramme scheinen den Grundstein für umfassende Gesellschaftsveränderungen zu legen. Die Lebensrealität der meisten Frauen und Mädchen in dem kleinen westafrikanischen Küstenstaat ist jedoch weit von den ehrgeizigen Vorhaben entfernt. Besonders groß ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in infrastrukturell schlecht erschlossenen ländlichen Gebieten, wo die Bevölkerungsmehrheit lebt. Fraglich ist, ob die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf bei den im Oktober 2011 geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Amt bestätigt wird.

Am 16. Januar 2006 ist die erfahrene Finanzexpertin und frühere UN-Mitarbeiterin Ellen Johnson-Sirleaf als erste Frau auf dem afrikanischen Kontinent in das Präsidentenamt eingeführt worden. Seitdem lastet nicht nur der Erwartungsdruck der internationalen Gemeinschaft, sondern auch der einheimischen Bevölkerung – insbesondere der Wählerinnen – auf ihr. Es waren vor allem Frauen, die Ellen Johnson-Sirleaf in einer Stichwahl am 8. November 2005 an die Macht brachten. Ihrem Gegner, dem beliebte Fußballspieler George Weah, trauten sie nicht wirklich zu, das Land zu befrieden. Zu seinen Anhängern zählten vorrangig junge Männer; zahllose hatten zuvor als Kindersoldaten gekämpft, wobei der Bürgerkrieg in Liberia als einer der grausamsten Kriege der 1990er Jahre auf dem afrikanischen Kontinent gilt.

Zu den Kriegsgründen zählten historische, politische und sozio-ökonomische Ursachen. Liberia war bereits 1847 eine eigenständige Republik. Freigekaufte Sklaven/-innen aus der Neuen Welt wurden an der Küste angesiedelt. Sie bildeten die neue urbane politische Elite, die die Ressourcen im Landesinneren ausbeutete. Auch von Diktator Samuel Do (1980-1989), der aus dem ländlichen Liberia kam, profitierten nur wenige alte Machthaber in seinem Herkunftsgebiet. Deshalb schlossen sich in den 1990er Jahren auch perspektivlose Jugendliche, soweit sie nicht zwangsrekrutiert wurden, freiwillig den Guerillagruppen an.

Aus der Perspektive vieler Liberianer/-innen galten die jungen Ex-Kämpfer weiterhin als gewaltbereit, denn die Demobilisierungsprogramme hatten ihnen kaum neue wirtschaftliche Perspektiven geboten. Weah versprach ihnen eine bessere Zukunft, schließlich war er selbst in großer Armut aufgewachsen. Allerdings verfügte er weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene über politische Erfahrungen.

Die Mehrheit der Wähler/-innen gab Johnson-Sirelaf ihre Stimme, um das Land zu stabilisieren und den schwierigen Wiederaufbau in Gang zu bringen. In den 1970er Jahren war sie Finanzsekretärin und Finanzministerin unter Präsident William Tolbert gewesen; nach der Machtübernahme Does 1980 floh sie nach Kenia, wo sie in den 1980er Jahren als stellvertretende Bankdirektorin arbeitete. Zwischen 1992 und 1997 leitete sie das Afrika-Büro des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, und 1999 wurde sie von der Afrikanischen Union gemeinsam mit anderen ranghohen Persönlichkeiten mit der Aufarbeitung des Genozids in Ruanda beauftragt. 2002 erstellte sie für den UN-Frauenförderfond UNIFEM eine weltweite Studie über Frauen in Kriegen, die geschlechtsspezifische Gewalt dokumentierte und Forderungen zur Situationsverbesserung von Frauen in Nachkriegsgesellschaften formulierte. Die Aufdeckung von Gräueltaten schrieb sich Johnson-Sirleaf auch in ihrem Heimatland Liberia auf die Fahnen, wo der vierzehnjährige Bürgerkrieg erst Mitte August 2003 mit einem Friedensvertrag endete.

Krieg und Demobilisierung

Bereits 1989 hatte der frühere Warlord Charles Taylor den Krieg angezettelt, um an Macht und Ressourcen zu gelangen. Dafür rüstete er Guerillagruppen aus und weitete den Krieg auf das Nachbarland Sierra Leone aus, wo er sich an dessen Diamanten bereicherte. Taylor regierte Liberia zwischen August 1997 und August 2003 als Präsident. Seit Juni 2007 muss er sich vor dem internationalen Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Sierra Leone verantworten, das aus Sicherheitsgründen in Den Haag tagt.

Auch in Liberia erschütterte der grenzübergreifende Krieg die Gesellschaft zutiefst: Bis zu 250.000 der ca. 3,3 Millionen Einwohner/-innen des Landes starben, etwa 1,4 Millionen wurden landesintern vertrieben, und ca. 750.000 flohen in die Nachbarländer. Über zwei Drittel der Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Alle Guerillagruppen rekrutierten junge Mädchen; ihr Anteil wird auf mindestens 30% geschätzt. Sie mussten kämpfen und foltern, plündern, spionieren und Waffen oder Munition über weitere Strecken tragen. Mehrheitlich wurden sie auch sexuell missbraucht, als Folge wurden viele geschwängert und mit Geschlechtskrankheiten infiziert. Für die meisten gab es keine medizinische Hilfe, was bei den Überlebenden schwere Gesundheitsschäden zur Folge hat.

Bereits 1994 gründeten Anwältinnen, Händlerinnen und Lehrerinnen die Liberian Women’s Initiative (LWI). Im Jahr 2000 kamen ranghohe Frauen aus Liberia, Sierra Leone und Guinea für das Mano River Women’s Peace Network (MARWOPNET) zusammen und verlangten von ihren Regierungen ein Ende der Gewalt. 2001 bildeten Friedensaktivistinnen das Women in Peacebuilding Network (WIPNET), es einte Frauen unterschiedlichen Alters und Status. 2003 reisten WIPNET-Vertreterinnen in die ghanaische Hauptstadt Accra, wo die liberianischen Kriegsherren einen Friedensvertrag ausarbeiteten. Ihnen wurde der Zugang zu den Gesprächen verweigert, jedoch setzten sie die Beteiligten während der Verhandlungspausen unter Druck, den Vertrag zu unterzeichnen. MARWOPNET-Repräsentantinnen waren am Verhandlungstisch zugelassen worden. Sie forderten, Frauen und Kinder sollten bei den Demobilisierungsprogrammen berücksichtigt werden.

Während des Entwaffnungs- und Demobilisierungsprozesses, der auf der Grundlage der UN-Resolution 1509 vom 19. September 2003 sowie der UN-Standards zur Gender-Integration in Demobilisierungsprogrammen und sonstiger internationaler Abkommen und Resolutionen auch Frauen und Mädchen einbeziehen sollte, wurden Ex-Kämpferinnen zunächst kaum erreicht. Die Planer ignorierten, dass über 70% allein erziehende Mütter waren und oft mehrere Kinder zu versorgen hatten (AI 2008, S.19). Die am 7. Dezember 2003 begonnene erste Phase der Entwaffnung, die von der United Nations Missions in Liberia (UNMIL) kontrolliert werden sollte, war insgesamt schlecht geplant und verlief gewaltsam; deshalb wurde sie bereits am 17. Dezember 2003 offiziell abgebrochen (Forsström/Sundberg 2007, S.19).

Unterschiedliche Frauenorganisationen verlangten einen Neubeginn. Sie nahmen die schweren Logistik- und Kommunikationsfehler während der ersten Demobilisierungsphase zum Anlass, um konkrete Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Ihre Forderungen umfassten die Trennung von Ex-Kämpferinnen und -Kämpfern, Schutz vor sexualisierter Gewalt, Angebote für Mütter und deren Kinder sowie gezielte Programme zur reproduktiven Gesundheit.

Mitte April 2004 begann eine neue Phase der Demobilisierung, die nicht mehr mit einer eng gefassten Definition von bewaffneten Kämpferinnen arbeitete, sondern mit dem Konzept »Frauen und Mädchen, die mit Kampfeinheiten assoziiert waren«. Eine neu eingesetzte Gender-Beraterin der UNMIL sollte an der Umsetzung mitwirken. Ihre Arbeit wurde durch zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch durch UNMIL-Soldaten beeinträchtigt; sie nutzten die Notlage der jungen Ex-Kämpferinnen aus und verbreiteten Geschlechtskrankheiten. Aus der Perspektive etlicher Liberianer/-innen sicherten die Blauhelmsoldaten nicht den labilen Frieden, sondern bildeten ein Unruhepotenzial, weil ihr Besitz ergreifendes Sexualverhalten ein Affront gegen die demobilisierten Ex-Kämpfer war. Deren martialische Männlichkeitsvorstellungen wurden von den Demobilisierungsprogrammen völlig ignoriert, weshalb Gewalt als Machtbeweis ungebrochen in den Nachkriegsalltag übernommen wurde. Das betraf insbesondere geschlechtsspezifische Gewaltformen. Die Blauhelmsoldaten waren denkbar schlechte Vorbilder, um diese Einstellungen und Verhaltensmuster zu ändern.

Viele Frauen und Mädchen waren skeptisch gegenüber den Demobilisierungsangeboten, zudem stigmatisierte ihr soziales Umfeld sie; deshalb dauerte es Wochen und Monate, bis etliche sich bei den Anlaufstellen meldeten. Viele mussten feststellen, dass die dortige medizinische Versorgung trotz aller Versprechungen oft miserabel war und das zuständige Gesundheitspersonal sie inkompetent und unsensibel behandelte (AI 2008, S.10). Die Programme für die reproduktive Gesundheit, die die United Nations Family Planning Association (UNFPA) anderen Organisationen übertrug, waren ideologisch beeinflusst, denn neben dem International Rescue Committee (IRC) war die pfingstkirchliche Missionsgesellschaft Pentecostal Mission Unlimited (PMU) zuständig (Forsström/Sundberg 2007, S.15).

Nach Abschluss der Demobilisierung Ende 2004 waren schließlich 2.440 Mädchen unter 18 Jahren und 22.370 Frauen offiziell registriert, die Demobilisierten bezifferten sich insgesamt auf 103.325 (ILO 2006:5ff.). Auch vom Reintegrationsprogramm, das offiziell Geschlechtergerechtigkeit zu seinen Leitlinien erhob, profitierte nur eine Minderheit der Ex-Kämpferinnen. Sie wurden während der Planungen nicht konsultiert; deshalb waren die Alphabetisierungs- und Bildungsangebote nicht an ihre Bedürfnisse, Interessen und Probleme angepasst.

Übergangsjustiz

Wenige Jahre nach dem Abschluss offizieller Reintegrationsmaßnahmen sollte eine Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission/TRC, 2006-2009) die Kriegsverbrechen aufdecken, sie war aber schlecht ausgestattet. Die ab Januar 2008 anberaumten öffentlichen Anhörungen brachten nur einen Teil der verübten Gräueltaten zu Tage. Nur wenige Täter sagten vor der TRC aus, sie fürchteten strafrechtliche Verfolgungen. Für viele Kriegsopfer aus ländlichen Gebieten waren die Anhörungen wegen der schlechten Infrastruktur unerreichbar. Außerdem waren Zahllose so schwer traumatisiert, dass sie nicht über ihr Leid sprechen konnten (AI 2008, S.11). Das TRC-Mandat enthielt die Aufdeckung von Kriegsverbrechen an Frauen, und es wurde ein Gender-Komitee eingesetzt, das Frauen ermutigte, Zeugnis über die erlittene Gewalt abzulegen. Trotz großer Schwierigkeiten stammten 47% der 22.000 gesammelten und schriftlich aufgezeichneten Aussagen von Frauen; allerdings berichteten viele über Gewaltakte an anderen Menschen. Zwar erwähnten etliche Zeuginnen – etwa 200 von insgesamt 500 Personen traten bei öffentlichen Anhörungen auf – sexualisierte Kriegsgewalt, diese wurde aber von der Wahrheits- und Versöhnungskommission in ihrem erste Bericht 2008 kaum thematisiert. Einzelne Gender-Expertinnen verlangten Nachbesserungen, um die geschlechtsspezifischen Macht- und Gewaltmuster aufzudecken, die den Vergewaltigungen im Krieg zugrunde lagen (Pillay 2009, S.95ff.); der Mitte 2009 veröffentlichte Abschlußbericht enthält ein entsprechendes Kapitel. Die TRC veröffentlichte eine Liste mit namentlich bekannten Kriegsverbrechern, die jedoch nicht verfolgt werden sollten, weil sie ihre Taten bereut hätten. Sie legte nahe, dass diese Personen 30 Jahre lang keine öffentlichen Ämter bekleiden sollten, wogegen einige der früheren Kriegsherren vehement protestierten. Die Empfehlung der TRC, Reparationen an Kriegsopfer zu zahlen, wurde bislang nicht umgesetzt. Viele haben schwere gesundheitliche Schäden und fühlen sich von der Regierung ungerecht behandelt; sie interpretieren die Reintegrationszahlungen und –programme für Ex-Kämpfer/-innen als Belohnung für Mörder/-innen.

Umso wichtiger waren Gesprächsforen, die der Dachverband liberianischer Frauenorganisationen während der letzten Jahre organisierte. Hier konnten die Teilnehmerinnen kritisch die Erfolge und Mängel der offiziellen Wahrheitsfindung und Versöhnung diskutieren. Zu ihren Forderungen zählten Strafverfolgung, Reparationen und Entwicklungsprogramme (Pillay/Goodfrey 2009, S.10ff.).

Gender-Politik und Sicherheitssektorreform

Daran muss sich die Präsidentin Johnson-Sirleaf messen lassen, zumal sie 2006 mit ehrgeizigen politischen und wirtschaftlichen Zielen angetreten war. Frauenrechte und Gender-Politik sollten den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Nachkriegsordnung bilden. Die Verzahnung von Gesetzesnovellen, Quotensystemen und Aktionsplänen brachte ihr internationale Anerkennung, weil sie auf die ebenfalls konsequent vorgenommene Ratifizierung zahlreicher internationaler Abkommen zur Geschlechtergleichheit Bezug nahmen. Hervorzuheben sind das Gleichheitsgesetz, der Gender-Aktionsplan, ein neues Ministerium für Gender und Entwicklung, Gender-Koordinationsstellen in allen Ministerien sowie Quotenregelungen zur Steigerung des Frauenanteils in Parlament und Verwaltung.

Bereits am 17. Januar 2006, einen Tag nach der Amtseinführung der Präsidentin, trat ein neues Vergewaltigungsgesetz in Kraft. Daran hatte die Juristinnenvereinigung Association of Female Lawyers of Liberia mitgewirkt (Bruthus 2007, S.35). Sie hatte auch nationale Standards für die Bearbeitung von Vergewaltigungsfällen verlangt. Diese sind Teil eines Aktionsplans und eines multi-sektoralen Ansatzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Eine Gender-Abteilung in der Polizei und neu eingerichtete Anlaufstellen zum Schutz von Frauen und Kindern sollen den Gewaltopfern den Zugang zu staatlichen Hilfsangeboten erleichtern. Ein Verhaltenscode für Polizisten und Juristen soll sekundäre Viktimisierungen durch sexistische Befragungen von Gewaltopfern und sexuelle Belästigungen von Hilfesuchenden in staatlichen Institutionen vermeiden; Verstöße sollen geahndet werden.

Solche Veränderungen sind zwingend notwendig, denn die Polizei genießt wegen ihrer Gewaltbereitschaft, Inkompetenz, Korruption und ihrer Verflechtungen mit den diktatorischen Regimen vor und während des Bürgerkrieges nicht das Vertrauen der Bevölkerung. Zur Überwindung dieser Strukturprobleme wurden lokale Community-Policing-Foren eingerichtet, in denen Gemeindemitglieder und Polizei zusammenarbeiten. Darüber hinaus sollten Gender-Trainings für alle Polizisten Abhilfe schaffen.

Im Rahmen der Sicherheitssektorreform wirbt ein spezielles Rekrutierungsprogramm junge Frauen für den Polizeidienst an; seit Anfang 2007 gibt es ein Ausbildungsangebot für Analphabetinnen. Wie in vielen anderen staatlichen Institutionen wurde auch für die Polizei ein Quotensystem erlassen. Es nimmt auf den Einsatz von über einhundert indischen Polizistinnen Bezug, die im Rahmen der UN-Friedensmission in der Hauptstadt Monrovia patrouillierten. Sie sollten Vorbilder für junge Liberianerinnen sein. Im Januar 2010 betrug der Frauenanteil in der Polizei 17%, Ziel ist eine Erhöhung auf mindestens 20%.

Für die Justiz wurde ebenfalls ein weitreichendes Reformprogramm konzipiert. Signalwirkung soll das Ende 2008 eröffnete Spezialgericht für Vergewaltigungsfälle in Monrovia haben. Zudem sind fünf Richterinnen an mobilen Gerichten tätig, und für dezentrale Gerichte werden Laienanwältinnen geschult. Darüber hinaus wird die universitäre Ausbildung von Juristen/-innen reformiert. Eine Arbeitsgruppe, der Regierungsabteilungen, die Juristinnen-Vereinigung Association of Female Lawyers of Liberia und weitere Nichtregierungsorganisationen angehören, sollen die Reformprozesse kritisch begleiten.

Nationaler Aktionsplan zur UN-Resolution 1325

Die Sicherheitssektorreform ist Teil des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit«. Am 8. März 2009, dem internationalen Frauentag, erläuterte Johnson-Sirleaf, wie der bis 2013 gültige Plan zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen soll. Er umfasst den Schutz von Frauen und Kindern, die Gewaltprävention, die Förderung von Frauenrechten und die Partizipation von Frauen im Friedensprozess. Des weiteren sollen Jugendliche an politischen Entscheidungen mitwirken, um möglichen Konflikteskalationen vorzubeugen. Mit der Koordination dieser unterschiedlichen Schwerpunkte wurde das Gender-Ministerium beauftragt.

Auch andere staatliche Institutionen sind gefordert, zur Überwindung von Gewalt und Ungleichheit beizutragen. Dazu zählen die nationale Menschenrechtskommission, die Anti-Korruptionskommission, die Arbeitsgruppe zur Verfassungsreform und die Landreformkommission – schließlich ist der Zugang zu Land die Grundlage zur Selbstversorgung und wirtschaftlichen Eigenständigkeit. Deshalb wird auch das nationale Strategiepapier zur Armutsreduzierung mit dem nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 in Beziehung gesetzt. Unabhängige Frauenorganisationen werden explizit ermutigt, als kritische Beobachterinnen am Monitoring mitzuwirken.

Umsetzung der UN-Resolution 1325

Wie notwendig Kontrollen sind, zeigen unzählige Korruptionsskandale bei Vergewaltigungsfällen. Vor allem in ländlichen Gebieten verlangen Polizisten hohe Bearbeitungsgebühren. Die Polizeireform wird verschleppt; die meisten Polizisten sind nach wie vor schlecht ausgebildet und erhalten nur ein geringes Gehalt, was der Korruption Vorschub leistet. Auch Richter lassen sich von Vergewaltigern bestechen und sprechen sie frei. Angesichts des gravierenden Personalmangels und der völlig unzureichenden Ausstattung sind sie überlastet, deshalb bevorzugen etliche Richter außergerichtliche Einigungen. Sie meinen, Vergewaltigungen seien ein Familienproblem und stimmen Eheschließungen zwischen Opfern und Tätern zu. So leisten sie der Retraditionalisierung Vorschub. Außerdem teilen viele Richter und Polizisten die Meinung zahlloser Liberianer und bewerten Vergewaltigungen – ähnlich wie im Krieg – als Ausdruck von Virilität und Macht. Solche Einstellungen können die neu rekrutierten Polizistinnen und Richterinnen kaum ändern, denn sie müssen sich den männlich dominierten Hierarchien fügen und werden oft selbst von Kollegen oder Vorgesetzten sexuell belästigt.

Die Straffreiheit fördert die ungebrochene Fortsetzung sexualisierter Gewalt im Nachkriegsalltag. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Landbewohnerinnen keinen Zugang zum staatlichen Rechtssystem haben. Falls ein Vergewaltiger verurteilt und inhaftiert wird, müssen die Vergewaltigten oft für seine Ernährung in der Haft sorgen. Die Gefängnisse sind miserabel ausgestattet, und das Personal ist bestechlich; deshalb kommen zahllose Gefangene rasch frei.

Um so mehr sind Frauen auf gegenseitige Unterstützung angewiesen, doch soziale Gegensätze wurden im Krieg verschärft, und insbesondere Ex-Kämpferinnen werden marginalisiert. Ranghohe Frauen – allen voran Leiterinnen traditioneller Frauenbünde – verlangen von jungen Mädchen, die Genitalien beschneiden zu lassen, was als Beitrag zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung gilt. Die hohe Müttersterblichkeit ist nicht nur auf die schlechte Ausstattung der Gesundheitsstationen zurückzuführen, sondern auch auf Komplikationen, die durch genitale Beschneidungen verursacht werden. Dennoch sind die Rituale eine Machtbasis der Beschneiderinnen, sie wollen junge Mädchen umfassend kontrollieren, was Polizei und Justiz dulden. Auch Politiker/-innen tragen dazu bei: Im Wahlkampf sind Reisgeschenke an Beschneiderinnen wichtig, um Wählerinnenstimmen zu gewinnen (Fuest 2009, S.201ff.).

Dieser Machtmissbrauch steht der im nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 und im Gender-Aktionsplan geforderten Mitbestimmung von Landfrauen in lokalen Gremien entgegen; die propagierte Mitwirkung von Frauen in Entwicklungsprogrammen und das wirtschaftliche Empowerment von Mädchen zur Überwindung von Armut werden ebenfalls eingeschränkt. Solche Widersprüche beeinträchtigen auch die Bildungsprogramme für Mädchen: Einerseits soll eine bessere Schulbildung ihre Kapazitäten stärken, andererseits behindern alte einflussreiche Frauen ihre Selbstständigkeit und unterstellen ihnen, bei Vergewaltigungen die Männer provoziert zu haben.

Um diese Einstellungen zu ändern und den Machtmissbrauch zu stoppen, müssten Regierung, staatliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen kooperieren. Doch vielerorts mangelt es am politischen Willen der Verantwortlichen.

Einige Frauenrechtsexpertinnen befürchten, dass diese Strukturprobleme sich im Vorfeld der für Oktober 2011 anberaumten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen verschärfen. Das betrifft nicht nur den Einsatz sexualisierter Gewalt als Machtmittel, sondern auch die fortbestehende Gewaltbereitschaft junger Ex-Kämpfer. Über 1.700 waren an politisch motivierten Gewaltakten in der Elfenbeinküste beteiligt. Über 100.000 Flüchtlinge aus dem krisengeschüttelten Nachbarland verschärfen die Versorgungsprobleme im verarmten ländlichen Liberia. In den letzten Jahren eskalierten lokale Konflikte über unklare Landbesitztitel mancherorts gewaltsam, da die Regierung untätig blieb, diese zu regeln. Waffen waren durch die unkontrollierten Grenzen immer leicht zugänglich und werden auch bei geschlechtsspezifischen Gewaltakten eingesetzt.

Literatur

AI – Amnesty International: A flawed process discriminates against women and girls. AI Index AFR 34/004/2008, London 2008.

Lois Bruthus: Zero tolerance for Liberian rapists. In: Forced Migration Review, 27, 2007, S.35.

David Forsström/Alexandra Sundberg: Designing gender-sensitive demobilisation exercises – The Liberian case. Arbeitspapier Nr. 2, Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Universität Hamburg, Hamburg, 2007.

Veronika Fuest: »This is the time to get in front«. Changing roles and opportunities for women in Liberia. In: African Affairs, 107/427, 2008, S.201-224.

Anu Pillay: Truth seeking and gender. The Liberian experience. In: African Journal on Conflict Resolution, vol. 9, no. 2, 2009, S.92-100.

Anu Pillay/Lizzie Goodfriend: Evaluating women’s participation in transtional justice and governance – A community dialogue process in Liberia. In: Conflict Trends, 2, 2009, S.10-16.

ILO – International Labour Organisation: Red shoes. Experiences of girl combatants in Liberia. Geneva 2006.

Dr. Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin des Buches »Frauen und Kriege in Afrika« (2008); frauen-und-kriege-afrika.de.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/3 Soldaten im Einsatz, Seite 37–40