Looking inside
von Hugh De Witt
Während ihres mehrwöchigen USA-Aufenthaltes hatten Jürgen Altmann und Jürgen Scheffran die Gelegenheit eines Gesprächs mit Hugh DeWitt, einem langjährigen Mitarbeiter am Lawrence Livermore Laboratory. DeWitt hat sich auch in zahlreichen Veröffentlichungen als Rüstungskritiker profiliert.
Was tun Sie im Livermore Laboratory?
Meine Arbeit, die, für die ich bezahlt werde, ist Theoretische Physik, und man könnte mich als Experten in der statistischen Mechanik stark gekoppelter Plasmen bezeichnen, d. h. Plasmen im Innern von Sternen usw. Der größte Teil meiner wissenschaftlichen Arbeit behandelte flüssige Metalle, dreidimensionale Plasmen, auch ein wenig zweidimensionale Plasmen. Ich mache numerische Simulationen auf Großcomputern; ich habe zu tun mit der Mathematik der Lösung nichtlinearer Integralgleichungen. Anwenden kann man das auf die Zustandsgleichungen gewöhnlicher Sterne, Roter Riesen, von Sternen, die auf dem Weg zum Weißen Zwerg sind und sogar für die Krusten von Neutronensternen. Es zeigt sich, daß stark gekoppelte Plasmen, also Materie unter sehr hohem Druck, vom flüssigen in einen kristallinen Zustand übergehen können. Es gibt Hinweise, daß das Innere Weißer Zwerge und von Neutronensternen kristallisiert sind. Ich habe auch Reaktionsraten von Kernreaktionen studiert, wie sie im Sterninnern vorkommen.
Hat das etwas mit Waffenforschung zu tun?
Nein, nicht direkt. Aber natürlich, weil es Zustandsgleichungen bei sehr hohen Temperaturen wie ein Kiloelektronenvolt (Anm.: mittlere Energie pro Teilchen, d.h. Temperatur etwa 3 Millionen Grad) geht, schließt viel meiner Arbeit Zustandsgleichungen ein, die man für die Auslegung von Waffen braucht, vor allem für Fragen des Ionisationsgleichgewichts. Ich bin daher in der Abteilung Zustandsgleichungen. Die Grundlagenforschung, die Ergebnisse, die ich und andere veröffentlichen, bringen am Ende Nutzen für die Anlegung von Waffen.
Welche politische Arbeit machen Sie im Livermore Lab?
Meine politische Arbeit, die selbstverständlich nicht bezahlt wird und die ich in der Freizeit mache, ist vor allem, die amerikanische wissenschaftliche Community, die amerikanische Öffentlichkeit und den US-Kongreß zu informieren, was im Innern des Waffen- Establishments vor sich geht, vor allem, wie dort über Rüstungskontroll- und Teststop- Vertäge gedacht wird. Als ein Sprecher von innerhalb der Labors trete ich häufig mit Reden und Artikeln an die Öffentlichkeit, in denen ich mich für Teststop- Verträge und für ein Ende des nuklearen Wettrüstens ausspreche. Ich rede häufig mit Reportern der „New York Times“, der „Washington Post“, der „Los Angeles Times“ und anderer großer Zeitungen, auch mit dem Wissenschaftsmagazin „Science“. Ich war im Vorstand der „Federation of American Scientists“, habe Kontakte zur „Union of Concerned Scientists“, zum „Center für Defense Information“ und zu Gruppen wie der von Sidney Drell in Stanford (Anm.: Prof. Drell, Physiker, leitet das „Center für International Security and Arms Control“ an der Stanford University bei San Francisco). Ich habe eine ganze Menge öffentlicher Auftritte gehabt bei Gruppen wie „Ärzte für soziale Verantwortung“, „Vereinigung der Rechtsanwälte gegen Kernwaffen“, „Vereinigung der Rechtsanwälte für Rüstungskontrolle“, und ich habe einiges geschrieben, Artikel im „Bulletin of the Atomic Scientists“, gelegentlich für Zeitungen.
Was, denken Sie, ist die Rolle der Waffenlabors im Rüstungswettlauf?
In einem allgemeinen Sinn denke ich, daß die Waffenlabors, Livermore und Los Alamos, besonders Livermore, im Vorantreiben das Rüstungswettlaufs eine große Rolle spielen. Sie entwickeln immer neue Ideen für neue Waffensysteme, für die sie oft beim Pentagon werben, und dann gibt es eine ganz neue Runde der Waffenentwicklung. So ist es seit 35 Jahren gelaufen, und es ist ein natürlicher Prozeß. Manchmal wird es ziemlich extrem; was gerade jetzt passiert, ist wirklich extrem. Ich sage das, weil in meiner Sicht das SDI- über „Star-Wars“ -Programm durch Bemühungen von Lawrence Livermore Leuten zustande kam, besonders durch Edward Teller. Der hat es nämlich geschafft, weil er berühmt ist, die Aufmerksamkeit von Präsident Reagan zu erregen. Er warb dann bei Präsident Reagan für das Konzept von Defensivwaffen, unter Einschluß von Nuklearwaffen, der sogenannten Kernwaffen der dritten Generation, für die Raketenabwehr verwendet werden könnten. Sie nennen das den Röntgenlaser- Prozeß, der in Livermore und nirgendwo sonst entwickelt wird.
Denken Sie, daß die Wissenschaftler und das Waffenmanagement nicht nur Technik zur Verfügung stellen, sondern selbst politischen Einfluß ausüben?
Genau so ist es. Sie machen Politik. Sie werben für die neuen Waffenideen.
Woran liegt das?
Mehrere Gründe: Leute wie Edward Teller glauben sehr stark an eine technologische Lösung für Amerikas Sicherheitsproblem. Teller ist wirklich sehr, sehr extrem. Keiner ist so extrem und leidenschaftlich wie er. Aber andere Leute in Livermore fühlen ähnlich, und im allgemeinen ist das Livermore Labor ein Zentrum des Mißtrauens gegenüber den Russen, des Mißtrauens gegenüber Rüstungskontrollverträgen und des Glaubens, daß, wenn wir nur unsere Waffenestablishments stark halten, wir diese Waffen nie benutzen müssen – obwohl wir dabei mehr und mehr davon entwickeln – und daß es dafür nie ein Ende geben kann. In ihrer Sicht muß das Wettrüsten ewig weitergehen.
Können Sie etwas zur Rolle der Wissenschaftler in der SDI-Debatte sagen?
Mein Eindruck, meine Erfahrung ist, daß die Mehrheit der amerikanischen Wissenschaftler außerhalb des Rüstungsbetriebs, das heißt, die Wissenschaftler an den Universitäten, glauben, daß das ganze SDI-Programm Unsinn ist Diejenigen, die einigermaßen gut informiert sind, halten es für verrückt, absurd. Es gibt viele Wissenschaftler, die sich öffentlich dagegen wenden, führende Gruppen wie die „Union of Concerned Scientists“, Hans Bethe, Richard Garwin, Henry Kendall und noch viele andere. Die Anzahl der Wissenschaftler, die für SDI auftreten, ist sehr klein, und diese sind eher am Rand des Wissenschaftsbetriebs zu finden. Und, vielleicht mit der Ausnahme von Edward Teller, gibt es wirklich niemanden mit Ansehen, der für Star Wars eintritt.
Gibt es viele Wissenschaftler in den Labors, die kritisch über Star Wars denken?
Ja. Wenn Sie es schaffen mit Labor- Beschäftigten privat zu sprechen, dann äußern sie in der Regel große Skepsis darüber, ob das Programm jemals irgendeine realistische Raketenabwehr ergeben könnte.
Haben Sie im Labor Probleme wegen ihrer Meinung, z.B. mit dem Management?
Nun, in den letzten viereinhalb Jahren hatte ich keine Probleme. Ich habe wirklich Redefreiheit so vollständig, wie ich es will, so lange ich keine geheimen Informationen enthülle. Sollte ich irgendwann eine Zeile schreiben oder etwas sagen, das geheim ist, werden sie allerdings sofort zu mir kommen und mich ins Gefängnis stecken. Das ist mir vor fünf Jahren beinahe passiert, in dem „Progressive“-Prozeß (Anm.: diese Zeitschrift hatte Details der Wasserstoffbomben- Konstruktion veröffentlicht), als gegen mich ermittelt wurde. Ich erlebte eine extrem belastende Zeit, etwa ein Jahr lang, wegen meiner Aussage vor dem Bundesgericht. Man warf mir vor, daß sie geheime Informationen enthalten hätte.
Wird Ihre Arbeit durch die Geheimhaltung behindert?
Ja, sicher. Es ist durch die Geheimhaltung sehr schwierig, eine umfassende öffentliche Debatte über diese neuen Waffenideen zu bekommen. Die ganze Diskussion über den Röntgenlaser wird dadurch stark behindert, daß das so geheim ist Das Labor möchte es gerne „top secret“ haben; wenn es nach ihnen ginge, dürfte niemand im Labor etwas über den Röntgenlaser sagen.
Die Waffen- Wissenschaftler haben den großen Vorteil, daß sie wissen, wie die Waffen funktionieren; sie können zu jedem sagen: „Sie wissen da nicht Bescheid, Sie können das nicht beurteilen, weil das geheim ist.“
Ja, das ist richtig. Und das ist eine sehr große Gefahr. Leute wie Teller sagen: „Wenn Sie wüßten, was ich weiß, würden Sie nicht diese absurden Meinungen vertreten.“
Aber das verhindert Demokratie …
Genau. Und es ist sehr, sehr gefährlich. Daher bin ich ein Gegner der Geheimhaltung und tue, was ich kann, um dagegen zu kämpfen.