W&F 2007/2

Macht Macht Völkerrecht?

Die Änderung des Völkerrechts durch die mächtigen Staaten

von Gerhard Stuby

Es sind die Schwachen in unserer Gesellschaft, die die meisten Hoffnungen ins Recht setzen. Sie sind am meisten enttäuscht, wenn sie unterliegen. Vor Gericht und auf Hoher See ist man in Gottes Hand, kommentiert der zynische Realist. Das herrschende Recht ist eben das Recht der Herrschenden, sagt derjenige, der Durchblick beansprucht. Nicht anders beim Völkerrecht. Die Schwachen in der asymmetrischen Staatenwelt verweisen auf Art. 2 Ziff. 1 der Charta der UN. Von „souveräner Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ ist dort die Rede. Wenn ihr uns ebenbürtig wäret, meinten die Athener den Meliern gegenüber, könnten wir über manches sprechen. So bieten wir euch Unterwerfung statt Vernichtung. Führt nicht das Gebaren der amerikanischen Supermacht oder der fünf offiziellen Atommächte, die von den anderen fordern, atomwaffenlos zu sein, zum einzig logischen Schluss: Auch heute bestimmen die Großen die Melodie? Souveräne Gleichheit, ein frommer Wunsch?

Als Anspruch souveräner Staaten ist der Wunsch erst zu Beginn der Neuzeit zu hören. Jetzt sind sie Subjekte des Völkerrechts (law international, droit public international), und zwar sowohl was das Setzen als auch das Exekutieren von Völkerrecht anlangt. Hervorgegangen sind sie aus dem Zerfall der mittelalterlichen Welt. Die Bezüge zwischen ihnen sind zunächst sporadisch. Nur in kurzen Intervallen zwischen langen Kriegen ist friedlicher Güteraustausch möglich. Hobbes sprach vom Naturzustand, in dem Anarchie und die Faust des Stärksten herrschen.

Um Ruhe und Ordnung in einem neuen Imperium zu schaffen, war kein staatlicher Souverän stark genug. Dennoch der »Urwuchs« der bestehenden Asymmetrie stand den neuen Bedürfnissen (necessitas) entgegen. Sie verlangten nach verlässlichen, nämlich rechtlichen Umgangsformen (Karl Marx, Max Weber u.a.). Mit dem Entstehen der »Bürgergesellschaft«, dem Anwachsen kapitalistischer Produktionsformen und Marktbedingungen, machten sich immer mehr Interdependenzen über die Grenzen hinweg bemerkbar. Raub, gestützt auf militärischer Kraft, wirkte zunehmend kontraproduktiv. In den Zeiten des »Friedens« muss der Andere als Gleicher anerkannt werden, um zu vereinbartem Austausch (Vertrag) zu gelangen. Der Grundkonsens war gefunden, auf dem sich die »Dogmatik« des Völkerrechts schrittweise entwickeln konnte. Die überkommene Lehre vom gerechten Krieg, noch verhaftet im alten Autoritätsgebäude (bei Hugo Grotius z. B.), wird zugunsten des ius belli aufgegeben. Kriegerischer und friedlicher Zustand mit jeweils unterschiedlichen Rechtsregeln (Kriegs- und Friedensrecht) werden begrifflich voneinander getrennt. Differenzierte Instrumente des Friedensvölkerrechtes: Vertrag, Gewohnheit, Rechtsgrundsätze etc. bilden sich aus und werden verfeinert (bis zur ausgefeilten Skala des Art. 38 IGH-Statut). Globalabsprachen zwischen den europäischen Großmächten für die Kolonialexpansion werden möglich und notwendig.

Diese Entwicklung bedurfte einiger axiomatischer Vorgaben wie den Satz: pacta sunt servanda. Sobald am zwischenstaatlichen Verkehr mehr als zwei Rechtssubjekte beteiligt sind, werden weitere Sätze erforderlich. Welten klaffen zwischen den handelnden Staaten (Groß-Mittel-Kleinmächte). Ein Zustand der Symmetrie stellt sich nicht von selbst ein. Die Rechtsfiktion, nämlich der jeweils andere sei ebenso »souverän und gleich« wie man anerkannt zu sein von ihm beansprucht, soll die faktischen Ungleichheiten überbrücken. Sie ist kein Phantasiegebilde. Sie spiegelt die internationale Realität, das prekäre Gleichgewicht zwischen den Großmächten.

Mit der Kategorie Gleichgewicht hat das Mächtekonzert des Wiener Kongresses von 1815 dem klassischen Völkerrecht den letzten Schliff gegeben. Gleichgewicht entsteht nicht allein, wenn die Kapazität der einzelnen Faktoren übereinstimmt. Auch verschieden gewichtige Faktoren können im Gleichgewicht sein, wenn die Hebelwirkung »manipuliert« wird. Im Wiener System tun dies die Pentarchen. Ihre Konkurrenz untereinander fechten sie mittels der Mittel- und Kleinmächte aus, die sich jeweils in »Höfen« (mehr oder weniger feste Allianzen) um sie lagern. Das zumindest latent vorhandene Streben jeder Großmacht um die Hegemonie über die anderen, verbunden mit Versuchen, die Satelliten des Partners abzuwerben oder in vereinbarte Äquidistanz zu allen zu bringen (Neutralität), gab den Kleineren einen gewissen Spielraum. Sie wurden so, wenn auch in abhängiger Position, Mitgestalter des Gleichgewichts zwischen den Großmächten. Diese benötigten sie als Subjekte vertraglicher, also völkerrechtlicher Beziehungen. Dieses komplexe Geflecht eines Mächteparallelogramms, Gleichgewicht genannt, ist die soziologische Basis des Prinzips der »souveränen Gleichheit« als juristische Fiktion. Sie ist der in »Übereinstimmung gebrachte Wille« (Konsens), alle an der Normsetzung zu beteiligen. Dem widersprachen Bereiche normativer Zweitklassigkeit für die Mittel- und Kleinmächte. Die latente Radikalität der Gleichheitsforderung soll durch den »Trick« der «double standard«-Argumentation gebremst werden. Die Großmächte wechseln nicht nur ständig die Ebenen Krieg und Frieden, sondern regulieren die enge Eintrittsschneise zur jeweils anderen Ebene, das ius belli. Je nach Stärke bzw. Schwäche des Partners ist es ihnen erlaubt, den Konsens mit gewünschtem Inhalt zu füllen bzw. von nicht gewünschtem zu entleeren.

Mit der Aufnahme der Pforte 1856 ins Europäische Konzert wird deutlich, dass an die Stelle eines einheitlichen (christlichen, zivilisatorischen etc.) Grundverständnisses eine Pluralität von Weltsichten (von Werteordnungen würden wir heute sagen) getreten ist. Nicht von ungefähr beziehen sich von nun an die positivistischen Völkerrechtslehrer dieser Periode auf das römische Recht, um den fehlenden Basiskonsens auszugleichen. Es war in allen europäischen Staaten unbestritten.

Die ersten internationalen Organisationen entstehen und münden in den letztlich gescheiterten Versuch, eine Organisation universalen Charakters zu bilden, den Völkerbund. Die Architekten der UN-Charta griffen auf das traditionelle völkerrechtliche Instrumentarium zurück. Die souveräne Gleichheit aller Mitglieder als Grundlage der UN in Art. 2 Ziff. 1, findet als Selbstläufer Eingang in die Charta. Die Formel stärkt die Position der Mittel- und Kleinstaaten. Ihren Repräsentanten erschien das Vetorecht der Großmächte im Sicherheitsrat als diesem Prinzip widersprechend. Einige von ihnen opponierten. Überraschend signalisierten Vertreter der amerikanischen Administration Entgegenkommen. Im Vertrauen auf ihre faktische Hegemonieposition glaubten sie ohne Vetorecht auskommen zu können. Realistischere Einschätzungen halfen ihnen, sich schnell den Sowjets anzuschließen. Bei der Aufnahme Frankreichs in den Kreis der ständigen Mitglieder – von einer realen Großmachtposition konnte kaum gesprochen werden, selbst wenn man den kolonialen Besitzstand einbezog – kalkulierten sowohl USA als auch UdSSR auf einen Neutralisierungseffekt. Die Bipolarität zwischen USA und UdSSR ist von Beginn an prekär. Schon im Kreis der ständigen Mitglieder sind beide auf Allianzen angewiesen. Dies wiederum gab den nichtständigen Mitgliedern und darüber hinaus den »einfachen« UN-Mitgliedern einen gewissen Spielraum für politische Aktionen im eigenen Interesse. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit bestand seinen Test vor der Realität des neu eingependelten Gleichgewichts. Die Kritik, dynamisiert durch den Treibsatz Gleichheit, rieb sich nicht nur am Vetorecht.

Kap. VII der UN-Charta räumt dem Sicherheitsrat weitgehende Kompetenzen zur Friedenssicherung ein. Neben einem breiten Katalog von Maßnahmen, einschließlich militärischer Gewalt, obliegt es letztlich ihm, den Grund seiner Aktion zu bestimmen (Art. 39 gibt eine Art Kompetenz-Kompetenz). Voraussetzung ist allerdings der Konsens der Vetomächte. Dissens und damit Konstellationen der Gewaltanwendung außerhalb des Kollektivmechanismus konnten von den Architekten der Charta nicht ausgeschlossen werden.

Das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 entsprach der bisherigen gewohnheitsrechtlichen und vertraglichen Entwicklung in der Völkerbundsatzung von 1919 und dem Briand-Kellog-Pakt von 1928. Die restriktive Fassung der Selbstverteidigung (nur bei bewaffnetem Angriff) richtete sich gegen die präventive Praxis mancher Staaten (allemal gegen die amerikanische Doktrin der Preemption). Zudem ist die Selbstverteidigung als lediglich subsidiäres Instrument gestaltet. Damit entsteht ein »Legalitätsrisiko« für jedes ständige Mitglied, sobald es eigenmächtig Gewaltmaßnahmen ergreifen will, nachdem es Kraft seines Vetorechtes den Kollektivmechanismus ausgeschaltet hat.

Es war weniger dieses Legalitätsrisiko als das »Gleichgewicht des Schreckens«, das die beiden Supermächte zur »friedlichen Koexistenz« zwang. Durch bilaterale Vertragsgestaltung ihre exklusive Position zu erhalten und eine Art Kondominium zu errichten, gelang selbst auf dem Gebiet der Rüstungsbeschränkung und der Abrüstung nicht. Andere Bereiche der völkerrechtlichen Vertragsgestaltung waren noch stärker der bipolaren Exklusivität entzogen und mussten dem Primat der souveränen Gleichheit unterworfen werden. Komplexe wie Menschenrechte, Seerecht, Weltraumrecht u.a. wurden positivrechtlich d.h. durch multilaterale Verträge ausgestaltet. Noch nie in der Völkerrechtsgeschichte war ein so großer Kreis in ihrem faktischen Gewicht völlig unterschiedlicher Staaten – also in einem Zustand gesteigerter Asymmetrie – an der Entstehung von Völkerrecht beteiligt. Selbstverständlich hatten die Großmächte, allen voran die Supermächte, in allen wesentlichen Fragen ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Sie hatten auch die Macht, eine vor allem gewohnheitsrechtliche Entwicklung, die eine überwiegende Mehrheit der Staaten anstrebte, zu blockieren, Tendenzen auszuschalten (bei den sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechten oder beim Tiefseebergbau z. B.), die eine allzu starke kollektive Kontrolle privater Verfügungsmacht über Ressourcen anstrebten.

Ein Beispiel dafür, dass Sonderrechte der Großmächte nicht mehr als selbstverständlich hingenommen werden, ist Art. VI des Nichtweiterverbreitungsvertrages von 1968, der eine Verpflichtung zur „allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“ enthält, die sich in erster Linie an die Kernwaffenstaaten richtet. Ihr privilegierter Status wird durch diese wenn auch vage Abrüstungsverpflichtung als vorläufig eingestuft. Dieser Trend wird besonders deutlich bei völkerrechtlichen Normierungen, die das faktisch »schwache« Völkerrechtssubjekt im bilateralen oder multilateralen Vertragsverhältnis schützen sollen. Nach Art. 52 WÜV v. 1969 ist ein Vertrag nichtig, wenn sein Beschluss durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der UN-Charta niedergelegten Grundsätze herbeigeführt wurde, und Art. 53 lässt einen Vertrag nichtig sein, wenn er im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Ius cogens ist „eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“Die Formulierung bestätigt das Prinzip der souveränen Gleichheit und des Konsensprinzips. Allerdings erhält jetzt eine bestimmte Schicht von Völkerrecht außerhalb der Charta eine Art Ewigkeitsgarantie. Die Frage, welche Normen dies sind, welche Reichweite sie haben, wer vor allem die Interpretationshoheit und Sanktionskompetenz besitzt, die Staaten im üblichen Prozess der Gewohnheitsrechtsfeststellung (opinio und Praxis) oder in irgendeiner Form institutionalisiert (vor allem durch ein wie auch immer gewichtetes Stimmrecht) in Internationalen Organisationen (UNO etc.), ist damit noch nicht entschieden.

Auch wenn hiermit nur ansatzweise die schlimmsten Folgen der Asymmetrien in der Staatenwelt angesprochen sein mögen, die normativen Bemühungen, dass eine lediglich formale Handhabung grundlegender völkerrechtlicher Prinzipien wie die souveräne Gleichheit nicht mehr ausreicht, machen deutlich, dass von einem unverzichtbaren »materiellen« Schutzbereich der souveränen Gleichheit, vergleichbar mit den Grenzen des Grundrechtsverzichtes im innerstaatlichen Verfassungsrecht, auszugehen ist. Seine Funktion besteht darin, der faktischen Ungleichheit zwischen den Staaten entgegenzuwirken.

Das Verschwinden des ehemaligen Supermachtspartners hat seit den neunziger Jahren die Asymmetrie der Staatenwelt zugunsten einer Macht allein, den USA, wachsen lassen. Manche sehen schon ein neues Imperium entstehen.

In bestimmten Bereichen von multilateralen Verträgen, z. B. des internationalen Handels, wozu auch das wissenschaftliche Know How (Patente etc.) gehört (WTO), des Ressourcenregimes im Seerecht u.a.m. konnten die USA ihre schon in den achtziger Jahren starke Position ausbauen. Der »ungleiche« Konsens als Abstimmungsmodus breitet sich aus. Alle schwachen Ansätze einer »Neuen internationalen Wirtschaftsordnung« zugunsten ehemaliger, sich von kolonialer Beherrschung emanzipierender Länder sind inzwischen beseitigt. Schwieriger ist eine Änderung der UN-Charta, um eine Relativierung des Gewaltverbotes zu erreichen. Hier sind auch dem faktisch stärksten Mitglied der UN wegen des geforderten Quorums einschließlich aller ständigen Mitglieder des SR (Art. 109 UN-Charta) kaum zu übersteigende Grenzen gesetzt. Eine direkte Änderung der Charta, des positiven Rechts, und damit eine Anpassung oder gar Beseitigung des Prinzips der souveränen Gleichheit ist unwahrscheinlich. Wie sieht es aber im gewohnheitsrechtlichen Kontext aus?

Für »Realisten«, die Völkerrecht als Photographie des vor allem militärischen und wirtschaftlichen Kräfteparallelogramms behandeln, jedenfalls ihm selbständige und regulierende Funktion absprechen, erledigt sich das Problem von selbst. Die Normänderung erfolgt »automatisch«. Schwieriger haben es Strömungen, die an Vorläufern der Zwischenkriegszeit anknüpfen. Sie gehen von einem unverfügbaren substantiellen, quasi naturrechtlichen Substrat eines Normengefüges der internationalen Staatengesellschaft aus. Es wird jetzt als Internationale Rechtsgemeinschaft, Weltverfassung oder relativ neu als Werteordnung bezeichnet. Die Parallele zur deutschen Verfassungsdiskussion – Werteordnung, deren Ausdruck die Grundrechte sind – wird ausdrücklich angesprochen. Diese Werteordnung bestehe aus zum Teil antagonistischen Prinzipien (hie absolutes Gewaltverbot, dort Menschenrechte, ausgeliefert der egoistischen Staatensouveränität z.B.). Sie ständen untereinander in einem Spannungsverhältnis, das in eine Einheit des Ganzen gebracht werden müsse.

Wir haben also im Wesentlichen zwei Diskussionsstränge. Einen, in erster Linie bei Politikwissenschaftlern zu finden, der auf die realen Veränderungen in den internationalen Beziehungen hinweist, und einen zweiten, mehr unter Völkerrechtlern anzutreffen, der im Kontext von »Werteabwägungen« mit Vorschlägen zur normativen Anpassung im Wege der Interpretation mit Blick auf das Gewohnheitsrecht und eine Institutionsreform (Sicherheitsrat u.a.) hervortritt. Beide Tendenzen lehnen sich stark an den wissenschaftlichen Diskurs in den USA an. Denn ohne Bezug auf das Völkerrecht, vor allem in der angedeuteten einheitsstiftenden Interpretation, lässt sich die »kulturell-ideologische« Hegemonie nicht halten. Je mehr andere Faktoren militärischer und wirtschaftlicher Art durch Verschleiß und andere Gründe relativiert werden, umso mehr rückt die kulturell-ideologische und damit die völkerrechtliche Legitimation in den Vordergrund. All diese »ideologischen« Bemühungen spiegeln die Geschwindigkeit des Wachstums einerseits der Interdependenzen anderseits der Tendenzen einer Desintegration wider, die sich im aktuellen System der Internationalen Beziehungen oft in gewaltsamen Formen vollzieht. Im Unterschied zu vorhergehenden Epochen ist allerdings ein verhältnismäßig komplexer kollektiver Mechanismus der Regulierung in Form der UNO vorhanden. Er wird auch – und dies im Unterschied zur Völkerbundzeit – von keiner Seite grundsätzlich bestritten, auch nicht von den USA.

Unsere Welt ist pluralisiert und global. Weder ein mächtiger noch ein »guter« Hegemon kann und sollte sie »einen«. Der Preis wäre hoch! Die Asymmetrie der Staatenwelt war nie größer in der Weltgeschichte. Starke Staaten zerlegen schwächere. Sie suchen sie nach dem Zerfall (failed states) wieder zusammenzusetzen. Die gewaltsame Einheitsstiftung funktioniert so wenig wie die manipulative. Im Gegenteil, derartige Versuche beschleunigen die globale Desintegration (internationaler Terrorismus – unter welcher ideologischen Fahne auch immer).

Ist die Alternative ein mafios strukturiertes globales Chaos? Gespeist aus den historischen Erfahrungen der beiden Weltkriege ist das »Westfälische System« (Wiener Kongress, Völkerbund) nicht abgeschafft, sondern ins UN-System überführt worden. Einheit trotz bestehender Asymmetrie durch Konsens in souveräner Gleichheit gegen Imperien gleich welcher Art, war die Devise. Die Großen hatten zwar die Macht, Völkerrecht zu machen. Sie mussten aber die »Kleinen« in den Konsens der Verträge einbeziehen. Die »Schwachen« haben ein existentielles Interesse, die Totenglocke anzuhalten, die der »souveränen Gleichheit« vielerorts geläutet wird.

Literatur:

Norman Paech, Gerhard Stuby: Völkerrecht und Macht in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001.

Michael Byers and Georg Nolte (ed.): United States Hegemony and the Foundations of International Law, Cambridge University Press 2003.

Herfried Münkler: Die Logik der Weltherrschaft – Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005.

Erik Wolf: Griechisches Rechtsdenken Bd. III, 2, Frankfurt a. M. 1956, S.113 ff. (Zum Melierdialog).

Dr. Gerhard Stuby, Prof. i.R. für Öffentliches Recht und wissenschaftliche Politik der Universität Bremen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite