W&F 1993/3

Malawi

Das südostafrikanische Land auf dem Weg zur Demokratie

von Thania Paffenholz

Im Juni diesen Jahres hat sich die Bevölkerung des südostafrikanischen Landes Malawi in einem Referendum mit einer Zweidrittelmehrheit für die Einführung des Mehrparteiensystems entschieden. Der Wind der Veränderung, der seit einiger Zeit den gesamten afrikanischen Kontinent erfaßt hat, hat auch vor Malawi nicht halt gemacht.

Nach drei Jahrzehnten Unabhängigkeit lehnen sich die Menschen in Afrika nun gegen die eigenen herrschenden Eliten auf und fordern mehr Demokratie. Die Erkenntnis der wachsenden Marginalisierung der Dritten Welt, der verpaßte Anschluß an die Weltwirtschaft, die Konkurrenz um Entwicklungsgelder mit dem sich neugestaltenden Osteuropa läßt die Menschen in Afrika immer mehr an ihren Chancen zweifeln. Mit Demokratisierung verbinden sie neue Hoffnungen.

Alleinherrscher mit Hut, Mantel und Schirm

Das kleine Binnenland Malawi, nur halb so groß wie die alte Bundesrepublik, erstreckt sich entlang des gleichnamigen Sees und wird wegen seiner gebirgigen Landschaft oft die »Schweiz Afrikas« genannt. Malawi ist eines der wenigen Länder Afrikas, an deren Spitze immer noch ein Diktator der ersten Stunde steht: Dr. Hastings Kamuzu Banda, mit über 90 Jahren der älteste Alleinherrscher Afrikas und Präsident auf Lebenszeit. Er regiert das Land im Rahmen einer autokratischen Präsidialverfassung seit der Unabhängigkeit von 1964. Sein über 40jähriger Auslandsaufenthalt, vorwiegend in Großbritannien, prägt den Diktator bis heute. Für ihn sind europäische Wertvorstellungen dominanter als afrikanische Traditionen. Er errichtete eine Eliteschule, an der nur »Weiße« unterrichten dürfen. Seine Reden hält er bis heute in englischer Sprache. Sein äußeres Erscheinungsbild, mit Hut, Mantel und Schirm – nur selten vertauscht er den Schirm gegen ein Zepter – maßen britisch an. Zudem ist er von jeher ein sehr konservativer Mensch gewesen. Miniröcke für Frauen und lange Haare für Männer sind in Malawi per Gesetz verboten. Dieser Konservativismus hängt mit seiner Verbindung zur Scottish High Church zusammen.

Allianz mit dem Teufel

Vor der Unabhängigkeit bildete Malawi als britisches Protektorat Nyassaland1 mit Nord- und Südrhodesien, heute Sambia und Zimbabwe, eine Föderation.2 Das rohstoffarme Land wurde schon damals als Arbeitskräftereservoir für die Minen der Nachbarländer benutzt. Malawi selbst exportiert bis heute im wesentlichen Kaffee, Tee und Zucker. Die wichtigsten Abnehmerländer sind Großbritannien und Deutschland.

Die Briten interessierten sich wenig für ihr an mineralischen Rohstoffen armes südostafrikanisches Protektorat. Deshalb investierten sie auch nicht in den Aufbau einer tragfähigen Infrastruktur, auf die das unabhängige Malawi hätte bauen können. Da das Binnenland somit auf seine Nachbarländer, vor allem für den Transport seines Im- und Exports, angewiesen war, entschied sich Banda für eine Kooperation mit den damals »weiß«-dominierten Staaten Portugiesisch-Mosambik, Rhodesien und auch Südafrika. Er krönte diese »Kooperation mit dem Teufel«, wie Banda feststellte, noch durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Südafrika. Banda war mit seinem Südafrikabesuch 1971 der erste schwarze Politiker, der den Apartheidsstaat besuchte.

Damit entfernte er sich von den anderen unabhängig gewordenen »schwarz«-afrikanischen Staaten und wurde zum Außenseiter. Neben einiger handfester ökonomischer Vorteile konnte Banda das Land in den 60er und frühen 70 Jahren so auch aus den bewaffneten Konflikten der Nachbarländer heraushalten. Im Gegenzug löste Südafrika, Großbritannien als Hauptimporteur ab.

Die veränderte regionale Situation ab Mitte der 70er Jahre durch die Unabhängigkeit Mosambiks 1975 und Simbabwes 1980 machte eine Annäherung an die »schwarz«-afrikanischen Staaten notwendig. Diese erfolgte durch den Beitritt zur »Southern African Development Coordination Conference« (SADCC)3. Diese hatte neben der ökonomischen Kooperation der Länder der Region auch die Reduzierung der Abhängigkeit von Südafrika zum Ziel. Der malawische SADCC-Beitritt stellte damit einen Wandel der Politik Bandas dar. Südafrika antwortete auf diese Politik mit Destabilisierungsmaßnahmen wie Verzögerung von Importen und Zerstörung von Infrastruktureinrichtungen.4

»Erfolgreicher« Diktator mit westlicher Unterstützung

Unter der Devise »Nothing is not my buisiness in this country«5 häufte Banda Ministerposten an, ließ sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen und schaltete alle politischen Gegner aus. Es gab in Malawi kein Regierungsjahr ohne diverse Kabinettsumbildungen, Entlassungen bis hin zu seltsamen »Unfällen« von Politikern. Die mächtige Partei, Bandas »Malawi Congress Party« (MCP) übte eine vollkommene Kontrolle über die Bürger Malawis aus. Malawi machte traurige Schlagzeilen durch Menschenrechtsverletzungen, die hohe Zahl an politischen Gefangenen, Oppositionsverbot, Pressezensur, Verbot von ausländischen Tageszeitungen und ein Einreiseverbot für ausländische Journalisten.

Trotzdem war sich Banda der Unterstützung des Westens sicher. Der »erfolgreiche« ökonomische Entwicklungsweg wurde immer wieder gelobt und honoriert. Bandas solider Antikommunismus unterstützte sein positives Image im Westen. Mitte der 70er Jahre stieg der Wert des realen Bruttoinlandsprodukts auf eine Rate von 6,6% pro Jahr an, für ein afrikanisches Land enorm hoch. Malawi konnte den Selbstversorgungsgrad sogar überschreiten. Die Gründe dieser Entwicklung lagen aber nicht am erfolgreichen malawischen Entwicklungsmodell, sondern am zufälligen Zusammenfallen bestimmter externer Faktoren, wie steigender Weltmarktpreise für Tee, der sanktionsbedingte Ausfall Rhodesiens als Tabaklieferant am Weltmarkt und allgemeiner Verbesserungen der »Terms of Trade«. Die westlichen Geber und Medien übersahen dabei die schlechte Ernährungssituation und die hohe Kindersterblichkeit im Land6.

Frauenpolitik

Doch Bandas Macht basierte nicht nur auf dem Sicherheitsapparat. Ein wesentlicher Eckpfeiler seiner Macht ist von jeher seine Frauenpolitik gewesen. Er schuf die landesweite Frauenliga »Chitukoko aMai m`Malawi« (CCM), und machte Cecilia Kadzamira, die First Lady des Landes, seine Jahrzehnte lange Wegbegleiterin, zur Vorsitzenden. Banda stärkte die Rolle der Frauen vor allem in den 60er und 70er Jahren gezielt. Er gab ihnen ihre durch die Kolonialzeit geschwächte, traditionell aber starke Rolle wieder zurück, schuf Arbeitsplätze für Frauen und baute sie geschickt in die Riten seines Persönlichkeitskults mit ein. Es gibt in Malawi keine Veranstaltung Bandas, keine Reise ohne seine »Mbumbas«, wie die tanzenden und singenden Frauen genannt werden. Banda erklärte sich selbst zur Vertrauensperson und zum Beschützer aller Frauen. Damit knüpfte er an die traditionelle Institution des »Nkoswe« an, der meist der Onkel oder Schwager einer Frau ist. Er erklärte sich kurzerhand zum »Nkoswe der Nation«. Neben der Organisation der Frauen in der CCM, was auch das Einüben der Tänze miteinschließt, werden die Frauen auf Lastwagen zu Veranstaltungen Bandas gekarrt, um dort ihren Mbumbapflichten nachzukommen. Als Gegenleistung werden sie regelmäßig zu Banda eingeladen und erhalten Geschenke. Was vor Jahren noch von den Frauen freiwillig getan wurde, ist bei den meisten mittlererweile zur unbeliebten Pflicht geworden. Keiner entschädigt sie für die zahlreichen Arbeitsausfälle wegen der Teilnahme an den Veranstaltungen. Doch wenn sie sich weigerten hinzugehen, wären sie bald ihren Job los und müßten mit Einschüchterungsversuchen rechnen.

Polizei und Armee

Der Einfluß Bandas auf dem Lande erklärt sich aus der traditionellen Einstellung der dort lebenden Menschen. Für sie ist Banda immer noch der weise alte Mann, der das Land von der kolonialen Unterdrückung befreit hat. Deshalb sind schlechte Worte über Banda selbst in Oppositionskreisen kaum zu hören. Daher ist es auch fraglich, ob John Tembo, der Onkel der First Lady Cecilia Kadzamira, wirklich Chancen als ein möglicher Nachfolger hat. Er ist der mächtigste Politiker nach Banda und vieles spricht dafür, daß er es ist, der die Politik macht. Er überlebte als einziger malawischer Politiker alle Kabinettsumbildungen – und dies ist für malawische Verhältnisse schon viel – , doch erfreut er sich keiner großen Popularität. Viele Menschen rechnen ihm die negativen Folgen des Systems an, da eine Art nostalgischer Glaube an Banda – per Persönlichkeitskult auch ständig aufgefrischt – immer noch vorhanden ist. Auch hat Tembos Versuch die repressive Polizeimacht weiter zu stärken und durch Etablierung seiner Gefolgsleute an sich zu reißen, starken Widerstand innerhalb des Militärs hervorgerufen.

Die malawische Armee entwicklete sich seit den 80er Jahren zum stärksten Gegenpol der Macht des Kadzamira/Tembo-Klans. Im Gegensatz zur Polizei, unternahm die Armee keine repressiven Maßnahmen gegen die Bevölkerung – dies wurde auch während des Wahlkampfes deutlich. Durch den Einsatz der Armee im Kampf gegen die mosambikanische Rebellenorganisation RENAMO innerhalb Mosambiks ist ihre Rolle zudem gestärkt worden. Die genauen Machtkonstellationen innerhalb des Militärs sind aber nicht leicht abzuschätzen. Klar scheint aber, daß das Militär der Demokratisierung des Landes positiv gegenüber steht.

Kritscher Hirtenbrief leitet Demokratisierung ein

Als im Mai 1992 die internationalen Geber entgegen ihrer langjährigen Praxis beschlossen, wegen der Verletzung der Menschenrechte in Malawi alle Gelder zu stoppen, veränderte sich die Situation im Land kontinuierlich. Denn Malawi ist dringend auf Außenhilfe angewiesen. Daher unterstützte die Forderung der Geber nach deutlichen Signalen in Richtung Demokratisierung die demokratischen Kräfte im Land und zwang die Regierung zur Reaktion.7

Doch eigentlich waren es die katholischen Bischöfe des Landes gewesen, die mit ihrem regierungskritischen Hirtenbrief im April letzten Jahres den Stein ins Rollen gebracht hatten. Bis dahin war die Opposition im Exil untereinander zerstritten und hatte nie eine ernstzunehmende Herausforderung für das autoritäre System in Malawi dargestellt. Die Opposition im Land konnte sich wegen des rigoros agierenden Sicherheitsapparats von Polizei, Geheimdienst und der paramilitärischen Einheit »Malawi Young Pioneers« (MYP) in organisierter Form nicht etablieren.

Nachdem ein Funke von Demokratisierung durch den Hirtenbrief entfacht worden war, schlossen sich im April 1992 die unterschiedlichen Exilgruppen in Sambia zur »United Democratic Front«(UDF) zusammen. Auch die Opposition im Land begann sich zu organisieren. Sie gründete die AFORD und ernannte den Generalsekretär des »Southern African Trade Union Council« (SATUCC), Chakufwa Chihana, zu ihrem Vorsitzenden. Er wurde nach seiner Ankunft in Malawi – nach dem Gründungstreffen von AFORD in Sambia – sofort verhaftet, und erst zwei Tage vor dem Referendum am 12. Juni 1993 wieder entlassen.

Im Oktober 1992 kündigte Banda – rechtzeitig vor dem geplanten Treffen der Geber – ein Referendum über ein Mehrparteiensystem für März 1993 an. Daraufhin schlossen sich die beiden Oppositionsgruppen UDF und AFORD mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wie dem Rechtsanwaltsverband, der Industriekammer, der muslimischen Gemeinde sowie den unterschiedlichen Kirchen des Landes zum »Public Affairs Commitee« (PAC) zusammen. Von Regierungsseite wurde das »Präsidialkommitee für den Dialog« mit der Opposition ins Leben gerufen.

Der Opposition war der Termin im März 1993 viel zu früh, da sie in so kurzer Zeit nicht in der Lage war eine breitere Basisbewegung aufzubauen und die Menschen auf dem Lande aufzuklären. Erst auf Drängen von UN-Generalsekretär Bouthros Ghali wurde der Termin auf den 14. Juni 1993 verschoben. Für die praktische Durchführung des Referendums war der neue Termin zudem günstiger, da er in die Trockenzeit fiel.

Die Rolle der UNO

Bereits kurz nach der Referendumsankündigung im Herbst 1992 nahm die Regierung über die in Malawi vertretenen UN-Organisationen Kontakt zur UNO auf, um sich nach Unterstützungsmöglichkeiten für das Referendum zu erkundigen. Die lokalen UN-Organisationen leiteten die Anfrage weiter an die UN-Unterorganisation für Wahlhilfe, das »Electoral Assistance Secretariat« (EAS) in New York. Bereits im Oktober reiste eine Expertendelegation nach Malawi, um mit der Regierung Unterstützungsmöglichkeiten zu eruieren. Neben finanzieller und logistischer Unterstützung wurde auch die Schaffung der »Joint International Observer Group« (JIOG) zum Zwecke der Beobachtung des gesamten Prozesses beschlossen. Die JIOG nahm ihre Arbeit Ende März 1993 auf. Hauptaufgabe der JIOG war es, Informationen über den Registrierungsprozeß, die Wahlkampagne und das Referendum selbst zu sammeln. Ziel war es, zu beobachten, ob dies einheitlich und gemäß den von der Regierung erstellten Richtlinien verläuft und ob es zu Unterwanderungsversuchen irgendeiner Art kommt, um die Referendumskommission der Regierung entsprechend zu informieren und Empfehlungen auszuarbeiten. Um dies zu erreichen, besuchten die Beobachter der JIOG von April bis Ende Juni 1993 Registrierungszentren, Wahlkundgebungen und Wahllokale in allen Distrikten des Landes.

Das Referendum wird vorbereitet

Die Regierung gründete die Referendumskommission, der auch Vertreter der Oppositionsbündnisse angehörten. Sie war für den technischen Ablauf und die Durchführung des gesamten Prozesses verantwortlich.

Die Wählerregistrierung fand von Anfang April bis zum 8. Mai 1993 statt. Manche Registrierungszentren waren auch schon im Februar – vor Verschiebung des Termins auf Juni – kurzzeitig geöffnet. Als Registrierungszentren fungierten fast immer Grundschulen. Die meist fünf Registrierungsbeamte waren in der Regel Lehrer der entsprechenden Schule, der Vorsitzende war immer der Direktor der Schule. In jedem Zentrum waren meist zwei Beobachter (Monitors) der MCP, zwei von PAC und je einer von AFORD und UDF vertreten. Bei den Vertretern der MCP handelte es sich oft um ältere Parteimitglieder, die der lokalen MCP-Führung angehörten. Das Verhältnis zwischen den MCP-Beobachtern und denen der Oppositionsgruppen war zu Anfang sehr problematisch, entspannte sich aber in vielen Zentren im Laufe der Registrierung. Die bürokratische Durchführung der Registrierung verlief erstaunlich routiniert. Jeder Wähler wurde identifiziert, in eine Liste eingetragen und erhielt ein Zertifikat, das am Wahltag vorzuzeigen war.

Der Registrierungsprozeß ist trotz einiger Einschüchterungsversuche im Großen und Ganzen einwandfrei verlaufen. Im wesentlichen gab es zwei Problembereiche: Die unterschiedliche Handhabung von Wählerlisten und die hohe Zahl an Registrierten pro Wahllokal. Beide Probleme konnten durch Empfehlungen der JIOG an die Referendumskommission bis zum Wahltag gelöst werden.

Einschüchterungsversuche

In allen Regionen kam es zu Einschüchterungsversuchen. Diese traten jedoch meist nur vereinzelt auf, so daß nicht von einer gezielten Beeinflussungskampagne gesprochen werden kann. Vor allem in den Gegenden mit Basen der paramilitärischen Einheit »Malawi Young Pioneer« (MYP), kam es öfter zu Störungen. In der Zentralregion, dem Einflußgebiet der Regierungspartei und hier besonders in Kasungu, dem Heimatdistrikt Bandas, und Dedza, dem Heimatdistrikt John Tembos.

Dort war die MCP in den Registrierungszentren deutlich stärker repräsentiert, und es kam vor allem zu Einschüchterungen von Beobachtern der Oppositionsgruppen. Ihnen wurden Repressalien bis hin zu Ermordung angedroht. In einigen Gegenden der Zentralregion heuerten einzelne MCP-Abgeordnete sogenannte Nyau-Tänzer an. Diese Tänze sind ein altes Brauchtum in der Zentralregion. Sie stellen eine Art schwarze Magie dar und versetzen von jeher die Menschen in den Dörfern in Angst und Schrecken. Doch heutzutage ist klar, daß sie Auftragsarbeit leisten. Sie kommen mit Masken verkleidet, mit Speeren und Steinen bewaffnet. Im Gebiet um Kasungu lauerten sie an vielen Orten den Oppositionsbeobachtern auf, schlugen sie und versuchten, sie aus den Zentren zu vertreiben. Zur Häufung von Verletzungen oder Tötungen kam es aber nicht.

Das größte Problem in Kasungu und Dedza war die Einschüchterung und Beeinflussung der Dorfbevölkerung. Teilweise wurde den Dorfvorstehern (chiefs) von der MCP Geld gegeben, damit sie die Dorfbewohner zur Registrierung schickten und sie zur Stimmabgabe für das Einparteiensystem bewegten. Dies führte dazu, daß die Leute dorfweise zur Registrierung kamen und in der Regel dachten, daß es sich um eine Volkszählung handele. Einigen Anhängern des Mehrparteiensystems wurde mit dem Ausschluß aus der Dorfgemeinde gedroht. Am meisten Verwirrung stiftete das immer wieder verbreitete Gerücht, daß die Einfühurng des Mehrparteiensystems gleichzusetzen sei mit Bürgerkrieg. Den meisten Dorfbewohnern in der Zentralregion war aber gar nicht klar, daß das Referendum lediglich eine Abstimmung über ein System und nicht gleich die Bestätigung bzw. Abwahl Bandas und der MCP bedeutete. Aus diesen Gründen überrascht das Wahlergebnis mit weit über 70% für das Einparteiensystem in beiden Distrikten auch nicht.

Der Wahlkampf der Oppositionsgruppen wurde immer wieder behindert. Der Zugang zum Radio wurde lange verwehrt. Doch die Präsenz der internationalen Wahlbeobachter der JIOG, die viele Wahlkundgebungen besuchten, erlaubte der Opposition vor allem nach Ende der Registrierung, einen mehr oder minder ungehinderten Wahlkampf, wenn sie auch über die schlechteren Ressourcen verfügten. Zu gewaltsamen Ausschreitungen bei Wahlveranstaltungen kam es landesweit nur in drei oder vier Fällen.

Der Wahlurnenstreit

Die gesamte Phase der Registrierung wurde vom sogenannten »Wahlurnenstreit« überschattet. Regierung und Opposition konnten sich nämlich nicht auf die Anzahl der Wahlurnen pro Wahllokal einigen. Während die Regierung auf zwei Wahlurnen bestand, was eine eingeschränkte geheime Wahl bedeutet hätte, kündigte PAC den Boykott des Referendums für den Fall an, daß man sich nicht auf eine Wahlurne einigte. Der Streit eskalierte derart, daß die Durchführung des Referendums bis Mitte Mai völlig in der Schwebe stand. Die UNO reagierte schnell. Ein Vermittler, der senegalesische Vorsitzende der internationalen »Commission of Judges«, einer anerkannten Nicht-Regierungsorganisation aus Genf, vermittelte vom 12.-14. Mai erfolgreich zwischen Regierung und PAC. Er brachte den Kompromißvorschlag von einer Wahlurne und zwei Stimmzetteln ein. Das führte zu einem äußerst komplizierten Wahlverfahren: Der Wähler erhielt zwei Stimmzettel, einen mit einem schwarzen Hahn als Symbol für das Einparteiensystem, einen anderen mit einer Laterne als Symbol für das Mehrparteiensystem. Mit beiden Stimmzetteln und einem Umschlag ging der Wähler in die Wahlkabine und warf den Stimmzettel, für den er sich nicht entschied, in eine eigens dafür vorgesehene verschlossene Abfalltonne. Den Stimmzettel seiner Wahl legte er in den Umschlag und warf ihn in die Wahlurne im Wahllokal.

Das Referendum selbst verlief trotz des enormen Andrangs außerordentlich ruhig, die technische Durchführung seitens der malawischen Verwaltungsangestellten war beeindruckend. Die Menschen standen bereits Stunden vor Öffnung der Wahllokale in langen Schlangen an. Auf meine Frage, warum denn nicht auch ein paar Leute am Nachmittag wählen wollten, da dann die Schlangen wohl kleiner wären, entgegnete eine Frau aus der Reihe, sie hätte 30 Jahre warten müssen, um wählen zu dürfen, jetzt könne sie auch ein paar Stunden anstehen. Nennenswerte Probleme gab es keine. Die JIOG beobachtete das Referendum mit einem Kontingent von 210 Beobachtern. Besucht wurden über 50% aller Wahllokale. Auch die Stimmauszählung in den Wahllokalen sowie für den gesamten Distrikt beim Distriktkommisioner wurde beobachtet. Übereinstimmend kam die JIOG zu der Einschätzung, daß das Referendum – trotz der genannten Einschüchterungsversuche im Vorfeld – im Großen und Ganzen frei und fair verlaufen war.

Die weitere politische Entwicklung

Das Wahlergebnis von 64% für das Mehrparteiensystem ist ein optimales Ergebnis für die weitere politische Entwicklung des Landes. Einerseits fiel die Niederlage der Regierung deutlich genug aus, um den Reformdruck aufrechtzuerhalten, andererseits gibt ein Wähleranteil von mehr als einem Drittel für das Einparteiensystem der MCP berechtigte Hoffnungen, auch bei Wahlen bestehen zu können. Die Rede Bandas kurz nach dem Referendum unterstreicht dies. Er kannte nicht nur die Ergebnisse des Referendums an, sondern sicherte einen Dialog mit der Opposition zu, sowie die Zulassung von politischen Parteien binnen eines Monats und die Abhaltung von freien und allgemeinen Wahlen in einem Jahr. Daß Banda soweit gehen würde, damit hatte niemand gerechnet.

Bereits am 23. Juni 1993, elf Tage nach dem Referendum, hatte Banda eine Generalamnestie für Oppositionspolitiker im Exil bekanntgegeben. Eine Woche später wurde bereits die Verfassung geändert, um die Grundlage für ein Mehrparteiensystem zu schaffen. Zur Zeit verhandeln Regierung und Opposition im »National Executive Council« (NEC), einer Art runder Tisch, über die weitere Entwicklung in der Übergangsphase. Mittlererweile haben sich fünf Oppositionsgruppen als politische Parteien registrieren lassen.

Diesen raschen positiven Entwicklungen stehen allerdings auch erhebliche Schwierigkeiten für die zukünftige Entwicklung entgegen:

  • Die Regionalisierung des Landes: Das Wahlergebnis hat die politischen Prioritäten in den einzelnen Regionen verdeutlicht. Während die MCP ihre Machtbasis unter den Chechewa in der Zentralregion hat, finden sich die Anhänger von AFORD bei den Tumbuka im Norden, die von UDF im Süden, unter anderem auch bei einigen kleiner moslemischen Ethnien. Dies könnte zu einer Parteienzersplitterung entlang ethnischer Linien führen, die wiederum historische Erinnerung weckt. Dieses Problem läßt sich nur lösen, wenn die Oppositionsparteien bald eine landesweite Organisationsstruktur schaffen und auch bereit sind, in der Führungsspitze Vertreter anderer Regionen mitaufzunehmen. Der Prozeß der Parteienbildung sollte von außen unterstützt werden. Hier könnten auch die deutschen Parteienstiftungen einen wichtigen Beitrag leisten.
  • Nach dem Wahlergebnis sind die Oppositionsparteien wenig kompromißbereit und drängen auf rasche Regierungsbeteiligung. Dieser Forderung konnte durch die Bildung des NEC fürs erste die Spitze genommen werden. Jetzt müssen die internationalen Geber vor Ort auf die Opposition beschwichtigend wirken, da ihre Vorstellungen, aus Mangel an Regierungserfahrung, reichlich irrational sind.
  • Auch mangelt es den Oppositionsparteien an politikerfahrenem Personal. Problematisch hinsichtlich etwaiger Präsidentschaftskandidaten könnte auch der Mangel an geeigneten Führungspersönlichkeiten ein. Chihana, Chairman von AFORD stammt von den Tumbuka im Norden und wäre in den anderen Regionen nicht akzeptiert. Muluzi, Chairman von UDF ist Moslem, von daher im überwiegend christlichen Malawi auch nicht akzeptiert. Zudem ist er mit dem Manko einer langjährigen MCP-Parteikarriere behaftet.
  • Eine Zersplitterung der Opposition ist aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten und regionalen Orientierungen zu erwarten. Damit schwinden die Wahlchancen der Opposition bei freien Wahlen und ein Kenia-ähnliches Szenario könnte sich auftun.
  • Ein weiteres Problem, das es im »National Executive Council« zu lösen gilt, wird die zukünftige Rolle der »Malawi Young Pioneers« sein.
  • Erschwerend für die Etablierung einer friedlichen demokratischen Weiterentwicklung ist auch die sich verschlechternde ökonomische Situation, die gerade deshalb auch von außen weiterhin abgefangen werden muß.

Anmerkungen

1) Zur Historie siehe: Pachai, B.: Malawi the History of the Nation, London 1973. Zurück

2) Die zentralafrikanische Föderation bestand von 1953 bis 1963. Zurück

3) Heute »Southern African Development Community« (SADC). Zurück

4) Vgl. Paffenholz, Thania: Nach allen Seiten offen. Die Außenpolitik Malawis im südlichen Afrika, in: informationsdienst südliches afrika, 4/92, S. 36f. Zurück

5) Legum, Colin: Africa Contemporary Record, London, 1973/74, B 210. Zurück

6) Siehe dazu: Weth, Wolfgang: Sicherung einer eigenständigen Nahrungsmittelversorgung durch Maßnahmen der Agararpolitik, Fallstudie Malawi. Untersuchung im Auftrag des BMZ, Bonn 1988. Zurück

7) Vgl. Paffenholz, Thania: Ein Referendum für Malawi, in: informationsdienst südliches afrika, 2/93. Zurück

Thania Paffenholz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und war als internationale Wahlbeobachterin für die Joint International Observer Group der UNO in Malawi während der Registrierung und des Referendums tätig.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/3 Medien und Gewalt, Seite