• Archiv
  • Alle Ausgaben
  • 2005/2
  • Artikel: „Man kann nicht gleichzeitig für den Krieg rüsten und den Frieden erwarten“
W&F 2005/2

„Man kann nicht gleichzeitig für den Krieg rüsten und den Frieden erwarten“

von Jürgen Nieth

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
2005 ist das Jahr der runden Jahrestage. Es wird an offiziellen Feierlichkeiten und Reden nicht fehlen. Allerdings bezweifle ich, dass es dabei auch die notwendige kritische Reflexion geben wird. Werfen wir einen Blick zurück.

Vor 60 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Verbrannte Erde zwischen Weichsel und Wolga, große Teile Resteuropas waren verwüstet, auch fast alle großen deutschen Städte lagen in Trümmern, 60 Millionen Menschen hatte der faschistische Eroberungskrieg das Leben gekostet – darunter 20 Millionen Bürger der Sowjetunion.. Wenige Monate später kapitulierte auch Japan, nach dem Abwurf der ersten Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki. Noch im selben Jahr legten die Alliierten im Potsdamer Abkommen die Entmilitarisierung Deutschlands fest.

»Nie wieder Krieg« – diese Lösung gab die Massenstimmung in allen betroffenen Ländern wieder. Die Politiker mussten dem einige Jahre lang Rechnung tragen. So führte Franz Josef Strauß 1949 seinen Wahlkampf mit dem Slogan, dass jedem Deutschen der Arm verdorren möge, der jemals wieder ein Gewehr in die Hand nehme. Doch hinter den Kulissen wurden zu diesem Zeitpunkt bereits die Fäden für eine deutsche Wiederbewaffnung gesponnen. Die erste deutsche Bundesregierung unter Konrad Adenauer diente sich unmittelbar nach ihrer Wahl im beginnenden Kalten Krieg den westlichen Besatzungsmächten als treuer – auch militärischer – Verbündeter an.

Nur 10 Jahre nach dem Ende des Weltkrieges war das Potsdamer Abkommen in entscheidenden Punkten obsolet, die BRD hatte wieder eine Armee, die unter dem oben zitierten F. J. Strauß als Verteidigungsminister schon kurze Zeit später nach Verfügungsgewalt über Atomwaffen griff. Es kam zu einer breiten Antiatombewegung und zum ersten Mal regte sich deutlicher Protest auch unter hochkarätigen deutschen Wissenschaftlern: 18 Atomwissenschaftler unterzeichnen die »Göttinger Erklärung«.

Der Zugriff der deutschen Militärs auf Atomwaffen konnte verhindert werden, die Rolle der Bundeswehr blieb, trotz revanchistischer Tendenzen bei Politikern und im Offizierskorps, auf die Landes- und Bündnisverteidigung festgeschrieben. Eine »Armee im Wartestand« – bis zum Ende der Ost-West-Konfrontation.

Anfang der 1990er Jahren wurden dann »out of area« Einsätze diskutiert und der Einsatz der Bundeswehr „zur deutschen Interessensicherung“ auch außerhalb des NATO-Gebietes. 1999 beteiligte sich eine deutsche Armee wieder an einem Angriffskrieg – diesmal gegen Jugoslawien. Heute wird für einen sozialdemokratischen Verteidigungsminister „die Sicherheit Deutschlands… auch am Hindukusch verteidigt.“

Wir haben Glück gehabt. Der Kalte Krieg hat nicht zum großen, alles vernichtenden atomaren Krieg geführt. So viel Glück hatten andere nicht. Die Opfer hunderter kleiner und großer Kriege liegen in zweistelliger Millionenhöhe. Erinnert sei nur an Korea, den Vietnamkrieg – der vor 30 Jahren mit einer Niederlage der USA endete und und die zahlreichen Kriege im Mittleren und Nahen Osten.

Die Hoffnung, dass es nach der Implosion der osteuropäischen Staatengemeinschaft »friedlicher« zugehen würde, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: In der jetzt unipolaren Welt demonstrieren die USA offen und brutal ihre Bereitschaft, zur eigenen Interessensicherung alle Machtmittel einzusetzen – siehe Afghanistan und Irak. In direkter Gefolgschaft zwei Hände voll »williger« Regierungen. Aber auch die Regierenden des »alten Europa«, die beim Irakkrieg etwas Distanz wahrten, denken in Machkategorien und handeln dementsprechend:

Als im Kosovo 1998 dreitausend »Beobachter« zur Deeskalation des Konfliktes eingesetzt werden sollten, entsandten die OSZE-Staaten nur 1.800. Als die USA wenige Monate später zum Krieg riefen, stellte sich keine Personal- und keine Kostenfrage. Die Bilanz dieses Versuches Frieden mit Krieg zu erzwingen: Tausende Tote, 200.000 Vertriebene, zerstörte Städte und Infrastruktur. Und 15.000 ausländische Soldaten stehen auch sechs Jahre später noch im Kosovo, eine Lösung der Probleme ist nicht in Sicht.

Sicher, es kann Ausnahmesituationen geben, in denen aus humanitären Gründen Gewalt gegen Gewalt eingesetzt werden muss – denken wir an Ruanda. Notwendig wäre, wir würden um solche Situationen zu verhindern, die Konfliktursachen konsequent und umfassend angehen – inklusive einer Reform des Weltwirtschaftssystems – und frühzeitig in existierende Konflikte deeskalierend eingreifen.

Nutzen wir die »runden Jahrestage« um den Druck zu verstärken, damit endlich dem »Zivilen« der Vorrang vor dem »Militärischen« eingeräumt wird. Im Denken wie im Handeln! Erinnern wir an Einstein, dessen Todestag sich zum 5o. Mal jährt, und der 1949 schrieb: „Man kann nicht gleichzeitig zum Krieg rüsten und den Frieden erwarten.“

Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/2 De-Eskalation, Seite