W&F 2013/4

„Manhattan-Projekt für das 21. Jahrhundert“

Whistleblower-Preis 2013 an Edward Snowden, 30. August 2013, Berlin

von IALANA

Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, die IALANA sowie erstmalig auch Transparency International verliehen am 30. August den Whistleblower-Preis 2013 an Edward Snowden. Nachfolgend leicht gekürzt die Laudatio des Vorsitzenden der IALANA Deutschland, Rechtsanwalt Otto Jäckel:

„Das ist unser Manhattan-Projekt für das 21. Jahrhundert.“ Mit diesen Worten charakterisierte der Initiator der Totalerfassung aller Kommunikationsdaten, Admiral John Poindexter, das von ihm 2002 im Auftrag von George W. Bush entwickelte »Total Information Awareness Program«. Als Kernphysiker wusste er, was sein Vergleich mit dem Projekt zum Bau der ersten Atombombe bedeutete.

Edward J. Snowden hat uns jetzt mit der erschreckenden Dimension der aktuellen Ausbaustufe dieses Programms konfrontiert. Er hat uns auf die Schulter getippt und gesagt: „Schaut Euch doch mal um!“ Und jetzt sehen wir, was wir vorher nicht gesehen haben: Da stehen die »Five Eyes« mit ihren kleineren Kumpanen und sehen uns über die Schulter, wenn wir telefonieren, unsere Mails schreiben und im Internet surfen. »Five Eyes« – ein Insider-Sprech, der an die einäugigen Zyklopen erinnert, die Homer im neunten Gesang der Odyssee als rechtlose Frevler beschrieben hat.

Ohne Edward Snowden wüssten wir nichts von Prism, Tempora und XKeyScore.

Jetzt fragt sich jeder, der sich im Internet politisch informiert, jeder, der ein vertrauliches Telefonat führt oder eine Mail schreibt, jeder, der in internationalen politischen oder geschäftlichen Verhandlungen steckt: Wie werden meine privaten Daten genutzt? Kennt mein Verhandlungspartner bereits meine intern entwickelte Verhandlungsstrategie, meine Geschäftsgeheimnisse, die Ergebnisse meiner Forschungs- und Entwicklungsabteilung?

Das virtuelle Profiling durch die Geheimdienste führt dazu, dass neben unsere eigene Identität aus Fleisch und Blut eine zweite, virtuelle Identität gesetzt wird. Die virtuelle Identität dient dazu, uns nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Wähler und politische Akteure ausrechenbar und unser Verhalten vorhersehbar zu machen. Die totale Erfassung kann so für eine totale autoritäre Herrschaft über gelenkte Bürger missbraucht werden.

Edward Snowden hat hierzu die zentrale Frage unserer Zeit gestellt: Wollen wir so leben? Ich möchte die Frage anschließen: Wollen wir so regiert werden? Denn es handelt sich hier nicht allein um eine Geheimdienstaffäre. Die Geheimdienste führen lediglich die Aufträge aus, die ihnen von den Regierenden erteilt werden. Ihre Analysen sind die Basis jedes Regierungshandelns.

Mit der von Edward Snowden aufgedeckten anlasslosen Erfassung aller Daten zur späteren Auswertung bei Bedarf stehen schwerste Grundrechtsverletzungen zur Debatte. Das Briefgeheimnis und das Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sind derzeit nur wertlose Makulatur. Die Praxis liegt weit jenseits dessen, was das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung und zur Telefonüberwachung noch als zulässig erachtet hat.

Nach den §§203 ff. des Strafgesetzbuchs steht die Verletzung von Privat- und Geschäftsgeheimnissen und die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses unter Strafe. Wir verlangen ein konsequentes Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden.

Soweit die rechtswidrige Ausspähung durch ausländische Geheimdienste von deutschem Boden aus erfolgt, sind die entsprechenden Abkommen zu kündigen, der rechtswidrige Austausch von Daten durch den Bundesnachrichtendienst zu beenden und die Aufgabentrennung, wonach Auslandsgeheimdienste keine Daten über Bürger des eigenen Landes zu erheben oder weiterzuleiten haben, strikt einzuhalten.

Edward Snowden könnte in diesem Zusammenhang in Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung bei den Ermittlungen leisten. §22 Aufenthaltsgesetz sieht hierfür die Aufnahme eines Ausländers aus dem Ausland vor. Nach seiner Einreise könnte er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Leider, so müssen wir feststellen, handelt die Bundesregierung nicht in diesem Sinne. Die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, worauf Frau Merkel und die Mitglieder des Kabinetts ihren Amtseid geschworen haben, spielt keine Rolle.

Die Verschwörung der »Five Eyes« und ihrer Verbündeten gegen ihre Zivilgesellschaften wird fortgesetzt. Statt einer Einladung erhält Snowden ein Überflugverbot. Freies Geleit und Schutz vor Auslieferung an die USA werden ihm verweigert. In den USA ist bereits Anklage gegen ihn erhoben worden wegen des Diebstahls von Staatseigentum und Spionage. Dabei werden die Tatsachen auf den Kopf gestellt.

Sind es denn nicht die NSA und das britische Government Communications Headquarter, die gemeinsam und im Austausch mit dem kanadischen Communication Security Management und ihren befreundeten Diensten aus Australien, Neuseeland und Europa in rechtswidriger Weise die eigenen Bürger ausspionieren? Und ist Edward Snowden nicht nur der Überbringer der schlechten Nachricht?

Für wen soll er im Sinne des Espionage Act von 1917 gegen die USA spioniert haben? Welchen Feind soll er begünstigt haben – die internationale Gemeinschaft der Internet-User, die zu Recht interessiert sind an unkontrollierter und unzensierter Nutzung der E-Mail-Dienste und des Netzes?

Die Strafdrohung ist allerdings ernst zu nehmen. Dies zeigt das Schicksal von Chelsea Elizabeth Manning, geborene Bradley Edward Manning, der Trägerin des Whistleblowerpreises 2011, die im Juli zu der drakonischen Strafe von 35 Jahren Gefängnis und unehrenhafter Entlassung aus der Armee verurteilt wurde. Die vom Bundesverwaltungsgericht in einem Disziplinarverfahren gegen einen Bundeswehroffizier nach gründlicher völkerrechtlicher Analyse festgestellte Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges scheint für die rechtliche Bewertung der Veröffentlichung von Dokumenten aus diesem Krieg ebenso wenig eine Rolle gespielt zu haben wie die Tatsache, dass das von Manning veröffentlichte Helikoptervideo, das unter dem Namen »Collateral Murder« bekannt geworden ist, ein Kriegsverbrechen dokumentiert hat. […]

Meine Damen und Herren, wir fordern an dieser Stelle: Das furchtbare Urteil gegen Manning darf keinesfalls Bestand haben! Lassen Sie Chelsea Manning, die Whistleblowerpreisträgerin 2011, frei!

Und wir sagen: Hände weg von Edward Snowden! [Er] gehört nicht auf die Anklagebank und nicht in die Zelle eines amerikanischen Gefängnisses! […]

Der Whistleblowerpreis 2013 […] geht an Edward Jacob Snowden!

Weitere Informationen zur Preisverleihung und die Redebeiträge erhalten Sie auf www.ialana.de sowie in der bald erscheinenden Publikation zum Thema.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/4 Der pazifische Raum, Seite 48