W&F 2002/4

Massive Einschränkung von Bürgerrechten

von Dirk Eckert

Nicht nur in den USA wurden nach dem 11. September die Sicherheitsmaßnahmen drastisch verschärft, auch in Deutschland hat die rot-grüne Bundesregierung zwei »Sicherheitspakete« verabschiedet, die angeblich dem Schutz vor terroristischen Angriffen dienen sollen. Doch sowohl der Zeitpunkt wie die Maßnahmen selber lassen vermuten, dass hier längst erarbeitete Pläne aus der Schublade gezogen und unter dem Label »Terrorismusbekämpfung« präsentiert wurden. Ein Jahr nach den Verbrechen vom 11. September steht fest: Grund- und Bürgerrechte sind massiv eingeschränkt worden.
Mit den beiden Sicherheitspaketen von Innenminister Otto Schily (SPD) wurden rund 100 bestehende Gesetze novelliert.1 Unter das sogenannte erste Sicherheitspaket2 fallen etwa die bessere Überprüfung von Mitarbeitern von Flughäfen und Fluglinien, zu der auch Material der Geheimdienste und des Ausländerzentralregisters herangezogen werden soll, oder die Abschaffung des Religionsprivilegs, mit dem religiöse Vereine anderen nichtreligiösen Vereinen gleichgestellt wurden.

Das erste Sicherheitspaket beinhaltete auch einen schärferen Umgang mit Ausländerinnen und Ausländern. So werden von Ausländern bei der Erteilung von Visa grundsätzlich Fingerabdrücke genommen, bei Zuwanderung soll grundsätzlich eine Anfrage beim Verfassungsschutz eingeholt werden müssen. Straffällig gewordene Ausländer sollen, wenn sie aus humanitären Gründen nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, in Drittländer ausgewiesen werden.

Darüber hinaus wurde ein neuer Paragraph 129b im Strafgesetzbuch eingeführt. 129a stellt die Bildung einer terroristischen Vereinigungen unter Strafe. Dass Mord, Totschlag und andere Verbrechen auch ohne diesen Paragraphen bestraft werden können, verweist auf seine politische Funktion. Der neue Paragraph 129b bezieht Vereinigungen mit ein, die ausschließlich im Ausland aktiv sind.

Die Durchsetzung des Paketes erfolgte schnell und ohne große Widerstände – bis auf die Rasterfahndung. Mit ihr wurde eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Verdacht genommen. Gesucht wurde nach Kriterien wie männlich, islamisch, arabisch, studierend und finanziell unabhängig. Auch Reisetätigkeit und Flugausbildung zählten zu den gesuchten Merkmalen.3 Zweifel an der Effektivität wurden schnell laut. Kein Wunder, hatten sich doch die Attentäter vom 11. September, die in Hamburg jahrelang studiert hatten, ordentlich angemeldet, ihre Miete gezahlt und sich weitgehend »unauffällig« verhalten. Die RAF-Mitglieder in den 70ern, bei denen die Rasterfahndung erstmals angewandt wurde, lebten dagegen illegal, sie zahlten Miete und Stromrechnung bar.

„Die aktuelle Terrorismusdebatte zeigt, dass insbesondere aus dem kurzfristigen Handlungszwang, dem die Politik sich ausgesetzt sieht, sehr schnell zu solchen Instrumenten gegriffen wird, zu denen Erfahrungswerte vorliegen“, so der Arbeitskreis Innere Sicherheit. „So sind viele der Instrumente, die jetzt gegen den internationalen und islamistischen Terrorismus eingesetzt werden, der RAF-Terroristenverfolgung aus den 70er Jahren entlehnt. Diese Erfahrungen lassen sich aber nicht übertragen. Tätermotive, Täterprofile, Täterdenkweisen und Tatstrukturen unterscheiden sich grundlegend voneinander.“4

In einigen Bundesländer, darunter Berlin und Hessen, stoppten Gerichte die Rasterfahndung. Begründet wurde das damit, dass – wie auch die Bundesregierung immer wieder betont hat – eine konkrete Gefährdung nicht bestehe und somit die Grundlage für die Rasterfahndung nicht gegeben sei. „Die Antragsbegründung ist auf Vermutungen gestützt. Trotz monatelanger intensiver Fahndungen ist der Antragsteller mit seinem Vorbringen über das Stadium von Mutmaßungen nicht hinausgekommen“, so das Landesgericht Wiesbaden, das die Rasterfahndung in Hessen beendete. In Nordrhein-Westfalen war die Sammelwut der Behörden besonders groß: Dort wurden die Daten aller Männer im Alter zwischen 18 und 41 gerastert. Das Oberlandesgericht Düsseldorf beanstandete diese Praxis, erlaubte aber die Rasterfahndung bei ausländischen Studierenden.5

Sicherheitspaket II

Das zweite Sicherheitspaket wurde kritischer diskutiert. Laut erstem Entwurf hätte das Bundeskriminalamt (BKA) ohne Anfangsverdacht gegen alle und jeden ermitteln können. Das Bundesjustizministerium legte jedoch Protest ein, ebenso der Deutsche Richterbund, die Bundesanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, die Strafverteidigerverbände, zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen und der Bundesdatenschutzbeauftragte. Letztlich musste Schily dieses Vorhaben auf Druck des grünen Koalitionspartners zurücknehmen.6

Das endgültige Anti-Terror-Paket7 verabschiedete das Bundeskabinett am 7. November 2001. Die Gewinner der Gesetzesnovellen sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Geheimdienste, deren Abhörbefugnisse ausgedehnt wurden, unter anderem auf Luftfahrtunternehmen. Auch die BKA-Befugnisse wurden ausgeweitet, jetzt darf das Amt bspw. bei Angriffen auf »kritische Infrastruktur« tätig werden.8 Personenbezogene Daten können zwischen Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst leichter ausgetauscht werden, wodurch die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgeweicht wird.9

Wieder waren die Maßnahmen so umfangreich, dass etwa der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka feststellen musste, dass ein „wesentlicher“ Teil „mit der aktuellen Situation der Terrorismusbekämpfung nichts zu tun“ hat. Garstka nannte als Beispiel die Aufnahme biometrischer Merkmale in Pässe und Personalausweise.10 Die Attentäter des 11. September hatten bekanntlich nicht mit falschen Ausweispapieren agiert. Offenbar handelte es sich um einen Wunschzettel der Sicherheitsbehörden, der mit den Anschlägen des 11. September wenig zu tun hatte.

Biometrische Merkmale in Pässen können grundsätzlich zur Verifikation oder Identifikation benutzt werden. Bei ersterem wird überprüft, ob Pass und Passbesitzer identisch sind. Für letzteres müsste eine Datenbank aufgebaut werden, um aus einer Menge von Menschen etwa einen gesuchten Terroristen herausfiltern zu können. Doch soweit kam es nicht: Schily hat in letzter Minute klargestellt, dass keine Zentraldatei mit allen biometrischen Merkmalen aufgebaut wird.

Neben der Aufnahme biometrischer Daten in Pässe und der Ausweitungen der Kompetenzen der Geheimdienste sollen auch Sicherheitsüberprüfungen von Personen durchgeführt werden, die an einer „sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen“ arbeiten. Der Bundesgrenzschutzes kann bewaffnete Beamte als sog. Sky Marshalls in Flugzeugen einsetzen. Vereinsrecht und Ausländerrecht wurden ebenso verschärft wie die Asylverfahren. Durch Sprachaufzeichnungen soll künftig das Herkunftsland von Asylbewerbern genauer überprüft werden, identitätssichernde Merkmale wie Fingerabdrücke können zehn Jahre aufgehoben werden. Sicherheitsbehörden können verstärkt das Ausländerzentralregister nutzen, in dem die Daten von Migranten gespeichert sind.

Den Datenschutzbeauftragten von 13 Bundesländern – Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein – erschien das Paket als „unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht akzeptabel“ und „weit über das Ziel einer angemessenen und zielorientierten Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September“ hinausgehend. Besonders kritisierten sie die Vielzahl von ausländerrechtlichen Bestimmungen, mit denen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der nichtdeutschen Mitbürger eingegriffen werde.11

Bei der Abstimmung im Bundestag am 14. Dezember stimmten trotzdem nur FDP und PDS gegen das veränderte zweite Sicherheitspaket . Die Regierung hatte voher selbst übliche parlamentarische Gepflogenheiten umgangen, indem etwa ein dreißig Seiten starker Änderungsantrag erst einen Tag vor der Beratung an die Abgeordneten ausgeliefert wurde.

Folgen

Der Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS) macht eine „Verzahnung von innerer und äußerer Sicherheit“ aus. „Der 11. September ist aber auch hier nicht Ursache, sondern hat eine Entwicklung bewusst werden lassen, die sich bereits seit Jahren abzeichnet.“12 Geschwächt wurde auch der Datenschutz. „Die Existenz wirksamen Datenschutzes kennzeichnet aber gerade den Rechtsstaat im Gegensatz zum totalitären Überwachungsstaat, der versucht, möglichst alles über seine Untertanen zu erfahren.“13 Hier hat sich das konservative Verständnis von der Rolle des Staates und der Bedeutung von Bürgerrechten durchgesetzt, nachdem die vom Staat »großzügigerweise gewährten Rechte« bei äußerer oder innerer Bedrohung sofort zurückgenommen werden müssen, da sie einer effektiven Bekämpfung der Bedrohung »im Wege stehen«.

„Mit der Abkehr vom Datenschutz gewinnt damit nicht nur ein längst überwunden geglaubtes Staatsverständnis des starken, von der Gesellschaft unabhängigen Staates wieder an Bedeutung, sondern zugleich werden auch andere rechtsstaatliche Prinzipien ausgehöhlt.“14 So führt die Aufweichung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu einer Umkehr der Beweislast, so dass dem Einzelnen nicht mehr seine Schuld nachgewiesen werden muss, sondern vielmehr dieser seine Unschuld zu beweisen hat.

Besonders betroffen von den Gesetzesverschärfungen sind Migranten. „Eigentlich sind Ausländer in Deutschland keine Menschen mehr“, lautete der Befund von Jürgen Seifert, dem Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union. Pro-Asyl-Referentin Marei Jelzer beklagte eine „Aufweichung des Asylgeheimnisses“ durch den»Otto-Katalog«, so die umgangssprachliche Bezeichnung der Anti-Terror-Gesetze. Die Möglichkeit einer Datenweitergabe bis zum Verfolgerstaat will sie nicht mehr ausschließen.15

Als nicht zur Terrorismusbekämpfung geeignet, nicht erforderlich und unverhältnismäßig kritisierten 14 Menschenrechtsorganisationen das zweite Sicherheitspaket: „Nicht dargelegt wird, warum die bisherigen Kompetenzen von Geheimdiensten, BGS, BKA und Länderpolizeien – die in den letzten Jahren schon massiv erweitert wurden – nicht ausreichen sollten. Vielmehr ist festzustellen, dass eine Reihe der beabsichtigten Gesetzesänderungen seit Jahren in den Schubladen der Sicherheitsbehörden lagen – und nunmehr unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und der Instrumentalisierung der Ängste der Bevölkerung schnellstmöglich, ohne ausführliche, abwägende und das Grundgesetz achtende Diskussion verabschiedet werden sollen.“16

Anmerkungen

1) Vgl. Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS), Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, Marburg/Duisburg, 14.01.2002, http://www.ak-innere-sicherheit.de

2) Dokumentation: Das Sicherheitspaket I, http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,2044,OID111132_TYP3_THE289554,00.html

3) Vgl. Markus Deggerich: Was bringt die Rasterfahndung?, in: Spiegel Online, 3.10.2001, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,160482,00.html

4) Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS), Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, a.a.O.

5) Vgl. Wilhelm Achelpöhler: Rasterfahndung: Suchmaschine der Innenminister, in: ak – analyse & kritik, Nr. 460, 22.3.2002

6) Vgl. Stefan Krempl: Der neue Otto-Katalog ist da, in: Telepolis, 1.11.2001, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/9955/1.html

7) Wortlaut unter http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/11056/1.html

8) Vgl. Krempl: Der neue Otto-Katalog ist da, a.a.O.

9) Generalverdacht gegen Muslime, in: ak – analyse & kritik, Nr. 455, 25.10.2001

10) Stefan Krempl: Schily wandelt auf den Spuren des Fürsten Metternich, in Telepolis, 1.12.2001, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11255/1.html

11) Florian Rötzer: Datenschutzbeauftragte lehnen das zweite Antiterrorpaket der Bundesregierung ab, in: Telepolis, 7.11.2002, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/11070/1.html

12) Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS), Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, a.a.O.

13) Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS), Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, a.a.O.

14) Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS), Zehn-Punkte-Erklärung des AKIS zur inneren Sicherheitspolitik, a.a.O.

15) junge Welt, 5.6.2002, http://www.jungewelt.de/2002/06-05/001.php

16) http://www.cilip.de/terror/offener-brief.htm

Dirk Eckert ist Politikwissenschaftler und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/4 Israel – kein Friede in Sicht, Seite