Mazedonien und der internationale Anteil am Konflikt
von Jan Oberg
Tausende sind in Mazedonien auf der Flucht. Jetzt wird scharf geschossen in dem Land, das uns noch vor nicht allzu langer Zeit in den westlichen Medien als „Oase des Friedens“ und Erfolgbeispiel für „präventive Diplomatie“ präsentiert wurde. Fragen wir nach den Gründen, so hören wir zum x-ten Male die Mär von der alleinigen Schuld der lokalen Konfliktparteien. Glaubt man dem politisch-militärisch-medialen Komplex, so spielt die internationale »Gemeinschaft« nur den noblen Part, die Konfliktpartner an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch die Wirklichkeit sind anders aus, die internationale »Gemeinschaft« hat einen entscheidenden Anteil an diesem Konflikt:
- Das Potenzial der OSZE wurde nie gänzlich ausgeschöpft. Die OSZE-Mission in diesem Land hat beeindruckende Arbeit geleistet durch Förderung einer demokratischen und toleranten politischen Kultur. Ihr wurden jedoch nie die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt, um wirklich prägend zu wirken. Schließlich wurde die OSZE in der neuen Welt-»ordnung« an den Rand gedrängt.
- Mazedonien wurde gezwungen, sich gegen Jugoslawien auf die Seite des Westens zu stellen. Das Milosevic-Holbrooke-Abkommen vom Herbst 1998 über eine OSZE-Beobachter-Mission im Kosovo führte zum Einsatz einer »Extraction Force« in Mazedonien. Belgrad betrachtete diese Einheit als klaren Bruch des Abkommens und als Bedrohung. Dies wiederum zwang Mazedonien, eine antijugoslawische Rolle zu spielen, die allen anderen diente, nur nicht dem Land selbst. Belgrad sah von nun an Mazedonien als mögliches Ziel für Vergeltungsaktionen an.
- Mazedoniens territoriale Integrität und Souveränität wurden verletzt. Mazedonien musste Luftraumverletzungen durch die NATO hinnehmen als Wesley Clarke Angriffssimulationen in großer Höhe durchführen ließ, um die jugoslawische Luftabwehr zu testen und mit Krieg zu drohen. Der damalige Präsident Mazedoniens, Kiro Gligorov, erzählte mir, er habe erst aus den Abendnachrichten von diesen Manövern erfahren. Die Souveränität des gerade unabhängig gewordenen und zerbrechlichen Mazedonien wurde also vom Westen nicht respektiert.
- Mazedonien wurde Militärbasis und Flüchtlingscamp für den Westen. Die NATO-Bombenangriffe machten 1999 aus Mazedonien ein kombiniertes Militär- und Flüchtlingslager. Dass das Land dies physisch und politisch überlebte, ist schon ein Wunder. Aus psychologischer Sicht heraus wurde jedoch seine Identität als unabhängiges, souveränes Land in den Grundmauern erschüttert. Seither besteht Ungewissheit über seine Fähigkeit zum Zusammenhalt sowie über seinen künftigen Kurs gegenüber EU und NATO.
- Die Sanktionen zerstörten die Wirtschaft. Ein Jahrzehnt westlicher Sanktionen gegen Jugoslawien hatte nur negative Auswirkungen auf Mazedonien. Mazedonien verlor seine wichtigsten Absatzmärkte. Es konnte entweder die Sanktionen befolgen durch Schließung der Grenzen; das hätte zum Bankrott geführt, oder es konnte sich durchmogeln durch Kriminalisierung seines Außenhandels, d.h. eine große Menge Waren durchzulassen nach Serbien/Kosovo. Die offizielle Lesart im Westen war die, dass Mazedonien sich loyal zum Sanktionsregime verhalte, internationale Beobachter wussten es besser. Das gab der Mafia Auftrieb. Die Kriminalisierung der Außenwirtschaftsbeziehungen fiel zusammen mit der Aneignung von Gemeineigentum, das die Arbeiter in den zurückliegenden Jahrzehnten erwirtschaftet hatten, durch Aktiengesellschaften, die von den Anführern neuer Parteien kontrolliert wurden. Im westlichen Sprachgebrauch nennt man so etwas Privatisierung und Demokratie. Die Korruptionsskandale von heute sind jedoch strukturelle Folge dieser von außen aufgezwungenen Privatisierung.
- Mazedonien erhielt keinen Schadensersatz. Der Preis, den Jugoslawiens Nachbarländer für die Sanktionen zu bezahlen hatten, wird auf 25 Milliarden US-Dollar geschätzt, Der Anteil Jugoslawiens am mazedonischen Außenhandel war groß, im Gegensatz zu dem der westlichen Industrienationen, für die der Nicht-Handel mit Jugoslawien praktisch auch nichts bedeutete. Ein TFF-Mitarbeiter hat den mazedonischen Präsidenten Trajkowski gefragt, ob er irgendeine Entschädigung vom Westen für die Benutzung als Militärbasis, den Zustrom von Flüchtlingen und die Sanktionen erwarte. Seine gewundene, diplomatische Antwort kann man durchaus als Nein verstehen.
- Die Internationale Gemeinschaft log bezüglich der Demobilisierung der KLA/UCK. Mazedoniens aktuelle Krise ist eine Folge des militärischen und politischen Scheiterns der KFOR/NATO und der UNMIK-Mission im besetzten Kosovo. Im Gegensatz zu dem Gedächtnisverlust, an dem der politisch-militärisch-mediale Komplex leidet, können einige von uns sich gut an die Geschehnisse vor zwei Jahren erinnern. Rambo-ähnliche NATO-Soldaten rollten ein und zerhackten den Kosovo in Sektoren, schickten die jugoslawischen Kräfte, Soldaten, Verwaltungsleute und ihre Familien nach Serbien und erklärten selbstsicher, die Kosovo-Befreiungsarmee UCK sei entwaffnet und aufgelöst worden, Stabilität sei eingekehrt. Die UCK und ihr nahe stehende Politiker zeigten sich wunderbar kooperativ und wurden für die Demobilisierung und Auflösung mit der Aufstellung des Kosovo Protection Corps, KPC, belohnt. Dieses wird buchstäblich von den gleichen Generälen befehligt, aber man behauptet, es sei rein zivil und diene unter anderem als Feuerwehr. Während die UCK 20.000 Mann zählte, umfasst das KPC nur 5.000 Mann. Wir haben nie gehört, was der Rest macht.
- UN und NATO/KFOR sind blind für UCK-Aggressionen. Weniger als ein Jahr nach der »vollständigen Auflösung« der UCK sind UCK-Einheiten, wie es scheint, ungehindert durch den US-amerikanischen Sektor in die demilitarisierte Zone gelangt. Von Basislagern, die sie dort eingerichtet haben, greifen sie Ziele in Serbien an. Wenn Kosovo internationales Protektorat ist, dann kommt die UCK-Aktivität in Serbien einer internationalen Aggression gleich. Buchstäblich kein westliches Medium wirft die Frage auf, wie eine aufgelöste UCK, der alle Waffen abgenommen wurden, einen Angriff über eine international gesicherte und geschützte Grenze vortragen konnte? Wieso waren sie dazu in Lage unter den Augen von 40.000 NATO-KFOR-Soldaten? Auch bleibt die Frage unbeantwortet, woher die UCK die Waffen hat. Hat sie sie in Wirklichkeit behalten – das würde bedeuten, die NATO hätte den Rest der Welt belogen – oder wurde die UCK entwaffnet und erhielt später von irgend jemand die Waffen wieder zurück?
Als wäre dies noch nicht genug, tauchten im März albanische militärische Einheiten in Mazedonien auf. Nach Angaben aller Beobachter sind sie vorwiegend aus dem Kosovo ausgerüstet worden und treten meist offen als UCK auf. Sie erzählen den Medien, dass sie 40.000 Mann unter Waffen stellen können und dass die Mazedonier nur eine Sprache verstünden, die Sprache der Gewalt.
- UN-Warnungen wurden ignoriert
Die UNPREDEP-Mission in Mazedonien war einer der besten Einsätze in der Geschichte der Vereinten Nationen. Es war das meistgelobte Beispiel für präventive Diplomatie. Das militärische und das zivile UN-Personal brachte mehr Stabilität als jeder andere Akteur. Die Leitung von UNPREDEP warnte aber auch wiederholt, dass, wenn die NATO Jugoslawien bombardieren sollte, sie das Leben des UN-Personals, das auf der anderen Seite der Grenze tätig war, nicht schützen könne. Die USA, NATO und EU-Länder wollten aber das benachbarte Jugoslawien bombardieren und das konnte Vergeltungsschläge Jugoslawiens gegen Mazedonien mit sich bringen. Deshalb wurde die Mission durch diplomatische Intrigen zum Verlassen des Landes gezwungen.
- UNPREDEP wurde durch eine Intrige beendete Vasil Turpokowski war ein mazedonisches Mitglied im Jugoslawischen Staatsrat und lebte anschließend in den Vereinigten Staaten. Er kehrte zurück, um als Präsident Mazedoniens zu kandidieren und versprach, er könne 1.000 Millionen US-Dollar als Geschenk für Mazedonien erhalten, wenn Mazedonien Taiwan anerkenne. Eine große Summe für ein kleines Land und die damalige mazedonische Regierung erkannte Taiwan an. China, das als eines der ersten Länder das unabhängige Mazedonien anerkannt hatte, reagierte daraufhin mit einem Veto gegen die Verlängerung des UNPREDEP-Mandats. Eine Entscheidung, die den USA entgegen kam: Zum ersten Mal nahmen US-Amerikaner an einer Peacekeeping-Mission in Mazedonien teil und wenn die NATO Jugoslawien bombardieren würde, könnten junge US-Amerikaner (und anderes UN-Personal) bei jugoslawischen Vergeltungsaktionen gegen die Extraction Force und UN ums Leben kommen. Jetzt konnte man die eigenen Staatsbürger abziehen. Noch dazu konnte das chinesische Veto als Argument benutzt werden, um »humanitäre Intervention« von einem Mandat des UN-Sicherheitsrats abzukoppeln. »Gute Taten« dürfen schließlich nicht durch ein einzelnes Veto verhindert werden.
Wer die Schuld für diese Entwicklung einseitig China zuschiebt, muss sich allerdings fragen lassen, warum weder eine Regierung, die sich Sorgen über Mazedoniens Zukunft machte, noch die UN versucht haben, die Regierung Mazedoniens von dem verhängnisvollen Schritt abzuhalten, die Bedeutung der Taiwan-Frage für China ist doch nur zu gut bekannt.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Mazedonien nur einen Bruchteil des versprochenen Geldes sah. Aber die NATO-Länder kriegten was sie wollten: Die UN war raus, die NATO war drin und China war sauer.
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass es in Mazedonien nicht darum geht, dass Mazedonier und Albaner »plötzlich« begonnen haben auf einander loszuschlagen. Die Wahrheit ist etwas komplexer. Natürlich trägt auch Mazedonien Verantwortung für die gegenwärtige Situation. Aber es ist ein vergleichsweise geringer Faktor. Ein Jahrzehnt westlicher Politik: Die Verhinderung einer gemeinsamen Mission für Kosovo und Mazedonien, das Einzige, was Ende der 90er Jahre noch Sinn gemacht hätte, die NATO-Bombardierung, das Scheitern der NATO/KFOR und UN-Mission im Kosovo, das sind die Faktoren, die diese Region unreparabel destabilisiert haben.
Jan Oberg, Direktor der »Transnational Foundation for Peace und Future Resaerch« (TFF), Lund, Schweden