W&F 2007/2

Menschenrechtsbildung – eine gesellschaftspolitische Aufgabe

von Gert Sommer und Jost Stellmacher

Menschenrechte sind zu einem zentralen Thema nationaler und internationaler Politik geworden. Menschenrechtsbildung ist daher eine bedeutsame Aufgabe. Dies ist nicht erst seit der Veröffentlichung jüngerer Studien deutlich, die erhebliche Defizite in der Menschenrechtsbildung in Deutschland aufgezeigt haben (u.a. Druba, 2006; Lohrenscheit & Rosemann, 2003; Mihr, 2005; Sommer u.a., 2005). Was bedeutet aber Menschenrechtsbildung? Der vorliegende Artikel gibt einen kurzen Überblick darüber, welchen Stellenwert Menschenrechtsbildung nach nationalen und internationalen Erklärungen haben sollte, welche Ziele sie verfolgt und wie gut sie bislang umgesetzt wurde. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf Deutschland liegen.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR; Vereinte Nationen, 1948; 2002) besteht aus 30 Artikeln mit etwa 100 unveräußerlichen Rechten. Zu diesen bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gehören u.a. Recht auf Leben, Verbot von Diskriminierung, Folterverbot, Asylrecht, Rechtssicherheit, Meinungs- und Informationsfreiheit, Recht auf Arbeit, Schutz vor Arbeitslosigkeit, Recht auf Bildung sowie Anspruch auf ausreichende Lebenshaltung einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Versorgung (dokumentiert sind die wichtigsten Menschenrechtsdokumente in Bundeszentrale, 2004, oder United Nations, 2002).

Der Stellenwert von Menschenrechtsbildung in der AEMR

Da die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte folgenlos zu bleiben drohte, wenn die Menschenrechte nicht bekannt und anerkannt sind, wurde schon in der Präambel der AEMR ausdrücklich auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Menschenrechtsbildung hingewiesen (ähnlich Art. 26 der AEMR, Zwillingspakte und Rechte des Kindes): „… verkündet die Generalversammlung die vorliegende AEMR als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende Maßnahmen im nationalen und internationalen Bereiche ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Verwirklichung bei der Bevölkerung … zu gewährleisten.“

Weitere Dokumente, die Menschenrechtsbildung fordern

Ausgehend von der AEMR ist die Forderung nach Menschenrechtsbildung in einer Vielzahl weiterer Dokumente erhoben worden (vgl. Sommer & Stellmacher, i.V.). Zwei Erklärungen, auf die wir im Folgenden kurz eingehen, sind konzeptionell von besonderer Bedeutung.

Empfehlung der Kultusminister (1980; 2000)

Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder verabschiedete 1980 eine »Empfehlung zur Förderung der Menschenrechtserziehung in der Schule«. Darin wurden drei Hauptziele formuliert:

  • „Kenntnisse und Einsichten“ zur Menschenrechtsthematik sollen vermittelt werden;
  • Die Verwirklichung von Menschenrechten soll ein wichtiger „Maßstab zur Beurteilung der politischen Verhältnisse im eigenen wie in anderen Ländern“ sein;
  • Bei den Schülern soll die „Bereitschaft“ geweckt und gestärkt werden, für ihre „Verwirklichung einzutreten und sich ihrer Missachtung und Verletzung zu widersetzen.“

Damit werden drei Ebenen von Menschenrechtsbildung deutlich: Wissen, Bewertung und Handlungsbereitschaft. Die Forderung, politische Verhältnisse hinsichtlich der Verwirklichung von Menschenrechten zu bewerten, war ursprünglich – zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes – wohl als Instrument zur Kritik des »real existierenden Sozialismus« gedacht; eine angemessene Umsetzung dieser Forderung führt aber zwangsläufig auch zu einer deutlichen Kritik an Deutschland und anderen westlichen Staaten (z.B. Heinz, 2005; Lochbihler, 2005; Sommer, Stellmacher & Wagner, 1999).

Die Kultusminister-Konferenz hat die Beschlüsse von 1980 im Jahr 2000 nochmals bekräftigt und Menschenrechtserziehung als „oberstes Bildungsziel“ bezeichnet. Explizit wird u.a. auf die Verletzung wirtschaftlicher Menschenrechte Bezug genommen, z.B. „die tägliche Bedrängnis durch Mangel und Not in vielen Ländern.“

UN-Dekade der Menschenrechtserziehung 1995-2004

International erhielt die Menschenrechtsbildung insbesondere dadurch einen hohen politischen Stellenwert, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1994 eine Resolution sowie einen Aktionsplan zur »Dekade der Menschenrechtserziehung 1995-2004« verabschiedete1. In der Resolution (dokumentiert in Europäisches Universitätszentrum u.a., 1997, 138-141) wird daran erinnert, dass Menschenrechtsbildung „an sich schon ein Menschenrecht“ ist und dass sie „unabdingbar ist … für den Frieden.“ Staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen werden aufgefordert, „nationale Pläne für Menschenrechtserziehung“ zu erstellen (6); an dieser Erziehung sollen sich auch nichtstaatliche Organisationen beteiligen, „insbesondere soweit sie sich mit Frauen-, Arbeits-, Entwicklungs- und Umweltfragen befassen.“ (12) Zur Relevanz von Menschenrechtsbildung ist die folgende Aussage zentral: „… jede Frau, jeder Mann und jedes Kind (müssen) in Kenntnis aller ihrer Menschenrechte – bürgerlicher, kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art – gesetzt werden…, um ihr volles menschliches Potential entwickeln zu können.“

Da die Dekade nicht zu den erwünschten Ergebnissen führte (s.u.), beschloss die UN-Generalversammlung 2004 (Res. A/59/113) ein »Weltprogramm für Menschenrechtsbildung 2005-2015«. In diesem wird nochmals betont, „dass die Menschenrechtsbildung eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bildet und einen bedeutsamen Beitrag zur Förderung der Gleichheit, zur Verhütung von Konflikten und Menschenrechtsverletzungen und zur Stärkung partizipativer und demokratischer Prozesse leistet…“

In der ersten Phase 2005-2007 des Weltprogramms liegt der Schwerpunkt auf der Grund- und Sekundarschulbildung (UN GA Res. A/59/525/Rev.1).

Ziele von Menschenrechtsbildung

Menschenrechtsbildung hat das Ziel, das Konzept der Menschenrechte bekannt zu machen und ihm zur Akzeptanz zu verhelfen (z.B. Benedek, 2006; Deutsches Institut für Menschenrechte, 2006). Im Einzelnen sollen 3 Komponenten vermittelt werden:

Wissen

Dazu gehören Grundkenntnisse über die Menschenrechts-Charta, insbesondere Grundkenntnisse über die AEMR, inkl. deren Strukturierung in 5 Gruppen: bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Damit sollen die 3 Dimensionen – bürgerliche Rechte, wirtschaftliche Rechte, Recht auf Entwicklung – bekannt gemacht werden und als Grundprinzipien: Universalität der Menschenrechte, Unteilbarkeit der einzelnen Rechtsgruppen und ihre Interdependenz. Zudem sollen Grundkenntnisse vermittelt werden über Mechanismen – vom Menschenrechtsrat bis zum Internationalen Strafgerichtshof – (Edinger, 2005) und Akteure – insbesondere Nichtregierungsorganisationen wie z.B. amnesty international, pro asyl oder fian (FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk) (Sierck u.a., 2006).

Einstellungen und Bewertungen

Das Menschenrechtskonzept und damit die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit sollen positiv und Menschenrechtsverletzungen negativ bewertet werden. Basierend auf den Konzepten der Universalität und der Nichtdiskriminierung gilt dies nicht nur für die eigenen Rechte, sondern ganz entschieden auch für die Rechte der anderen. Zudem ist ein Bewusstsein zu schaffen für die individuellen Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten für die Verwirklichung der Menschenrechte.

Handlungskompetenzen

Diese vermutlich schwierigste Komponente beinhaltet die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich – allein oder in einer Gruppe oder Organisation – für Menschenrechte und gegen Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Dazu sind vielfältige Kompetenzen Voraussetzung, z.B. Empathie, Problemlösen und Kooperation. Zu den möglichen Aktivitäten zählen u.a. die Hilfe für von Menschenrechtsverletzungen Betroffene (von Asylbewerbern in der eigenen Gemeinde bis hin zu Hungernden im In- oder Ausland), Unterschriften geben, an Demonstrationen teilnehmen, Leserbriefe schreiben, mit politisch Verantwortlichen reden, in einer Menschenrechtsorganisation mitarbeiten oder sie finanziell unterstützen.

Die genannten 3 Komponenten von Menschenrechtsbildung sind nicht unabhängig voneinander, es gibt fließende Übergänge. Bei der Menschenrechtsbildung soll auch deutlich werden, dass die Verantwortung für die Verwirklichung und Verletzung von Menschenrechten nicht nur bei staatlichen Organen, sondern auch bei gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen und nicht zuletzt bei Individuen liegt. Schließlich soll auch die grundlegende Bedeutung der Menschenrechte zum einen für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und zum anderen für Frieden und Demokratie vermittelt werden. Zudem muss auch auf bestehende Konflikte – und die dahinter stehenden Interessen – eingegangen werden. Dies betrifft z.B. die Halbierung von Menschenrechten in Politik und Medien (d.h. die selektive Betonung von bürgerlichen und politischen Rechten bei Vernachlässigung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten) oder auch den möglichen Missbrauch des Menschenrechtskonzeptes, u.a. durch militärische »Humanitäre Interventionen« (vgl. Haspel & Sommer, 2004).

Das Forum Menschenrechte hat »Standards der Menschenrechtsbildung in Schulen« (2006) erarbeitet. Für vier Schulniveaus (von Ende der 4. Grundschulklasse bis Ende der Sekundarstufe II) werden Konkretisierungen für (1) menschenrechtsbezogene Urteilsfähigkeit, (2) Handlungsfähigkeit und (3) methodische Fähigkeiten vorgenommen. Beispiele für menschenrechtsbezogene Urteilsfähigkeit am Ende der Sekundarstufe I sind: „haben Grundkenntnisse über die AEMR und ihre Kontroversen…; kennen Kategorien von Menschenrechten… und verstehen ihren universellen Gültigkeitsanspruch; …kennen exemplarisch weltweite soziale Problembereiche wie Armut, Hunger, Bildung und Entwicklung und können sie in Zusammenhang mit den Menschenrechten stellen…“ Damit werden für die schulische Menschenrechtsbildung (konkrete) Ziele vorgegeben, die wiederum eine Evaluation der Umsetzung von Menschenrechtsbildung erleichtern.

Zielgruppen und Adressaten der Menschenrechtsbildung

Jeder Mensch hat ein Recht auf Menschenrechtsbildung, daher sollte ein Kernwissen schon in Kindergarten und Schule vermittelt werden. Als (politische) Bürgerinnen und Bürger sind Menschen zudem – direkt oder indirekt, bewusst oder häufig auch nicht bewusst – ständig mit Menschenrechtsfragen befasst (Fritzsche, 2004), z.B. als Täter oder Opfer bei Menschenrechtsverletzungen oder als Bürger, die sich für die Verwirklichung von Menschenrechten einsetzen oder auch nicht.

Darüber hinaus wird im Aktionsplan zur Dekade auf die Unterrichtung u.a. folgender Berufsgruppen hingewiesen, da sie in besonderem Ausmaß mit menschenrechtsrelevanten Aufgaben befasst sind: Polizei und Strafvollzugsbedienstete; Juristen; Lehrerinnen; Entwicklungshelferinnen; Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen; Mitarbeiter von Medien; Parlamentarier; UNO-Mitarbeiter; Wissenschaftler.

Zur Durchführung von Menschenrechtsbildung sind neben staatlichen Organen (u.a. Kultusministerien, Lehreraus- und fortbildungsinstitutionen, Schulen) insbesondere – die bislang schon besonders aktiven – Nichtregierungsorganisationen aufgerufen, aber auch solche regionalen, nationalen und internationalen Organisationen, die sich mit »prekären« Gruppen wie Frauen und Kinder sowie mit Themen wie Arbeit, Entwicklung und Umwelt befassen (UN Res. A/59/525/Rev.1).

Materialien und Quellen

Es gibt inzwischen eine kaum mehr überschaubare Zahl an spezifischen Materialien zur Menschenrechtsbildung. So haben z.B. amnesty international, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen und die UNESCO schon seit vielen Jahren Materialien für Menschenrechtsbildung heraus gegeben (im Internet s. u.a. www.amnesty.de; www.dgvn.de; www.forum-menschenrechte.de; www.hrea.org; www.hri.ca; www.menschenrechtserziehung.de mit Online-Journal; www.ohchr.org; www.pdhre.org.)

Zwei neuere Bücher sind aus unserer Sicht besonders empfehlenswert. Dies ist zum Einen das vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegebene Buch »Kompass« (2005). Es bearbeitet in 5 Kapiteln die Themen (1) Menschenrechtsbildung, (2) praktische Aktivitäten und Methoden der Menschenrechtsbildung, (3) Aktiv werden, (4) Informationen zu den Menschenrechten allgemein und (5) kurze Informationen zu 15 ausgewählten Themen, u.a. Armut, Bildung, Demokratie, Diskriminierung, Frieden, Gesundheit, Medien, Umwelt.

Zum Anderen ist das von W. Benedek (2003) herausgegebene Buch »Menschenrechte verstehen« hervor zu heben. Es besteht – neben Informationen über das Menschenrechtssystem – im Kern aus Modulen mit umfangreichen Informationen, positiven Beispielen und ausgewählten Aktivitäten zu 13 spezifischen Themen wie Folterverbot, Armut, Diskriminierung, Frieden und Gewalt, Gesundheit, Globalisierung, Frauen-, Kinderrechte, Bildung, bewaffnete Konflikte, Recht auf Arbeit, Medien.

Zum Stand der Menschenrechtsbildung

Wir haben aufgezeigt, dass es viele nationale und internationale Resolutionen gibt, die Menschenrechtsbildung fordern – wie aber sieht die Realität aus?

Bei einer umfangreichen Analyse der Menschenrechtsbildung in Deutschland – befragt wurden u.a. Ministerien, Polizeischulen, Bildungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes, Lehreraus- und -fortbildungsinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen – kommen Lohrenscheit und Rosemann (2003) zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik „etwa zehn Jahre hinter den internationalen Entwicklungen zurück“ liege (S.14).

Auch am Ende der UN-Menschenrechtsdekade (und bis heute) fällt das Resümee kaum positiver aus (Mihr, 2005): Die Richtlinien der Kultusministerkonferenz sind in keinem Bundesland verpflichtende Erlasse; es gibt keinen Nationalen Aktionsplan für Menschenrechtsbildung; eine breite Menschenrechtsbildung für die Bevölkerung hat nicht statt gefunden; die wesentlichen Impulse zur Menschenrechtsbildung gehen von Nichtregierungsorganisationen aus.

Erhebliche Defizite in der Menschenrechtsbildung werden auch durch eine Schulbuchanalyse bestätigt. Obwohl die o.g. Empfehlungen der Kultusministerkonferenz hätten erwarten lassen, dass Schulbücher angemessen über Menschenrechte informieren, zeigt die Studie von Druba (2006), dass dem nicht so ist; bei der empirischen Analyse baden-württembergischer Lehrbücher unterschiedlicher Schulniveaus werden u.a. folgende Hauptprobleme aufgezeigt:

  • Die Bildungspläne (1990/1994) enthalten die Menschenrechtsthematik überwiegend als fakultativen, nicht als verpflichtenden Lerninhalt.
  • 30% der relevanten Schulbücher behandeln die Menschenrechtsthematik nicht.
  • Nur wenige Schulbücher erwähnen u.a. folgende wichtige Aspekte: Menschenrechte als Maßstab zur Beurteilung der politischen Verhältnisse; das Verhältnis von persönlichen Freiheitsrechten zu sozialen Grundrechten; Gründe für die unzureichende Verwirklichung von Menschenrechten; unterschiedliche Auffassungen von Menschenrechten in verschiedenen Kulturen.

Auch die bislang einzige empirische Studie mit einer repräsentativen Stichprobe kommt zum Ergebnis, dass Menschenrechte in Deutschland zwar als sehr wichtig angesehen werden, dass aber das Wissen über Menschenrechte und die Bereitschaft zum Engagement für Menschenrechte in der deutschen Bevölkerung gering sind (Sommer, Stellmacher & Brähler, 2005, 2006).

Trotz des hohen Stellenwerts, den Menschenrechtsbildung in offiziellen Dokumenten besitzt, fällt das Kapitel Menschenrechtsbildung im Bericht der Bundesregierung recht dürftig aus (Auswärtiges Amt, 2005). Auf den vier Seiten zu dem Thema wird neben wohlklingenden Absichtserklärungen – wie z.B. zu den Richtlinien der Kultusministerkonferenz – hauptsächlich auf die begrüßenswerte Förderung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (gegründet 2001 auf Grundlage eines Bundestags-Beschlusses) und auf Menschenrechtsbildung bei der Polizei verwiesen.

Die internationale Bilanz sieht nicht wesentlich besser aus. Der Zwischenbericht des Hochkommissars für Menschenrechte (GA A/55/360) verweist positiv darauf, dass die AEMR inzwischen in über 300 Sprachen übersetzt worden und daher in das Guinnessbuch der Rekorde eingegangen sei, aber es bestehen nach wie vor gravierende Probleme: U.a. gebe es nur sehr wenige nationale Pläne für Menschenrechtsbildung; etliche Aktivitäten seien kurzfristig und einmalig (z.B. Tagungen), die Revision von Schulbüchern und Curricula sei unzureichend; die Öffentlichkeit scheine wenig interessiert an Menschenrechtsfragen; es stünden kaum (zusätzliche, z.B. finanzielle) Ressourcen zur Verfügung; es gebe kaum Forschung und so gut wie keine Evaluationen zur Wirksamkeit der Dekade. Der Endbericht brachte wenig neue Informationen. Zudem basieren beide Berichte des Hochkommissars auf einer völlig unzureichenden, zudem nicht überprüften Datenbasis.

Ausblick

Unser Artikel zeigt auf, dass Menschenrechtsbildung als eine zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss. Sie ist nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen wichtig, sondern auch für die Stärkung von Demokratie und Frieden. Mangelnde Menschenrechtsbildung erhöht die Gefahr, dass Menschenrechtsverletzungen hingenommen und Menschenrechte für bestimmte Interessen instrumentalisiert und missbraucht werden. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen Dokumenten und Absichtserklärungen zur Menschenrechtsbildung einerseits und der Realität andererseits ist vermutlich u.a. damit zu erklären, dass es vielen Mächtigen und Herrschenden nicht angenehm ist, wenn die Bevölkerung umfassend über ihre Rechte informiert ist und sich für deren Realisierung aktiv einsetzt. Man stelle sich einmal vor, die nationale und internationale Politik – u.a. die Wirtschaftspolitik – würde realistisch am Standard der Verwirklichung der Menschenrechte gemessen.

Um dem Ziel der Verwirklichung von Menschenrechten näher zu kommen, ist eine umfassende Menschenrechtsbildung eine unabdingbare gesellschaftspolitische Aufgabe: Es geht um eine Veränderung der Gesellschaften im Sinne einer (stärkeren) Verwirklichung der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene.

Literatur

Auswärtiges Amt (2005): Siebter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen. Berlin: Auswärtiges Amt.

Benedek, W. (Ed.)(2006): Understanding Human Rights – Manual for Human Rights Education. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag. (Aktualisierte Fassungen, unterschiedliche Sprachen und didaktische Hilfen unter www.etc-graz.at).

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.)(2004): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bonn: Bundeszentrale.

Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.)(2005): Kompass – Handbuch zu Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. Berlin: DIMR (engl. Orig. Europarat, 2002). (http://eycb.coe.int/compass/; http://kompass.humanrights.ch).

Druba, V. (2006): Menschenrechte in Schulbüchern. Frankfurt: Peter Lang.

Edinger, M. (2005): Institutionen und Verfahren des Menschenrechtsschutzes. In Frech & Haspel, S.41-74.

Europäisches Universitätszentrum für Friedensstudien, Deutsche UNESCO-Kommission, Österreichische UNESCO-Kommission (1997): Erziehung für Frieden, Menschenrechte und Demokratie im UNESCO-Kontext. Bonn: Dt. UNESCO-Kommission.

Forum Menschenrechte (Hrsg.)(2006): Standards der Menschenrechtsbildung in Schulen. (www.forum-menschenrechte.de/docs/fmr_standards_der_menschenrechtsbildung.pdf).

Fritzsche, K.P. (2004): Menschenrechte. Paderborn: Schöningh.

Haspel, M. (2005): Menschenrechte in Geschichte und Gegenwart. In Frech & Haspel, S.15-40.

Haspel, M. & Sommer, G. (2004): Menschenrechte und Friedensethik. In G. Sommer & A. Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie (S.57-75). Weinheim: Beltz.

Heinz, W.S. (2005): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz. In Frech & Haspel, S.165-187.

Lochbihler, B. (2005): Die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union. In Frech & Haspel, S.75-90.

Lohrenscheit, C. & Rosemann, N. (2003): Perspektiven entwickeln – Menschenrechtsbildung in Deutschland. (www.institut-fuer-menschenrechte.de).

Mihr, A. (2005): Die UN-Dekade für Menschenrechtsbildung – Eine Bilanz. In Frech & Haspel, S.189-209.

Sierck, G.M., Krennerich, M. & Häußler, P. (Hrsg.)(2006/07): Handbuch der Menschenrechtsarbeit (www.fes.de/handbuchmenschenrechte).

Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.)(1980): Empfehlung zur Förderung der Menschenrechtserziehung in der Schule. (KMK Erg.-Lfg.46, 2.6.1982).

Sommer, G. & Stellmacher, J. (i.V.): Menschenrechte.

Sommer, G., Stellmacher, J. & Wagner, U. (Hrsg.)(1999): Menschenrechte und Frieden. Marburg: Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung.

Sommer, G., Stellmacher, J. & Brähler, E. (2005): Menschenrechte in Deutschland: Wissen, Einstellungen und Handlungsbereitschaft. In Frech & Haspel, S.211-230.

Sommer, G., Stellmacher, J. & Brähler,E. (2006): Menschenrechte – Paradoxien einer bahnbrechenden Idee. Wissenschaft & Frieden, 1/06, 40-43.

UNESCO (1998): All human beings … Manual for human rights education. UNESCO.

United Nations (2002): Human Rights – A compilation of international instruments. New York: UNO.

Anmerkungen

1) Vorangegangen waren als besonders wichtige Ereignisse u.a. die UNESCO-Empfehlung zur internationalen Erziehung (1974), die 2. Weltkonferenz über Menschenrechte (Wien, 1993) sowie UNESCO-Erklärung und Rahmenaktionsplan zur Erziehung für Frieden, Menschenrechte und Demokratie (1994) (dokumentiert in Europäisches Universitätszentrum für Friedensstudien u.a., 1997) – bei letzteren ist insbesondere die Interdependenz von Menschenrechten, Frieden und Demokratie beachtenswert.

Prof. i.R. Dr. Gert Sommer, bis 2006 am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg, war viele Jahre Vorsitzender des Forum Friedenspsychologie und ist stellvertretender Vorsitzender von W&F. Forschungsschwerpunkte: Psychologische Analysen von Menschenrechten und Feindbildern. Dr. Jost Stellmacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie am Fachbereich Psychologie der Philipps-Universität Marburg. Tätigkeitsschwerpunkte sind Intergruppenprozesse, Fremdenfeindlichkeit, Aggression und Gewalt sowie Menschenrechte.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite