W&F 2008/2

Migration als Katalysator der Rüstung

von Christoph Marischka

Bei nahezu allen Interventionen der letzten Jahre hat zumindest vordergründig der Schutz von Flüchtlingen eine Rolle gespielt, selbst der letzte EU-Einsatz in der DR Congo, bei dem in der entfernten Hauptstadt Kinshasa eine Wahl abgesichert werden sollte, wurde vom deutschen Verteidigungsminister Jung u.a. damit begründet, man würde es ansonsten „mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen“.1 Erst Anfang März 2008 beschwor EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in einem internen Papier „Sicherheitsszenarien ohne Präzedenzfall“. Durch Klimawandel, Ressourcenkonflikte und scheiternde Staaten müsse Europa „mit deutlich erhöhtem Migrationsdruck rechnen“. Solche Bedrohungsanalysen und die durch sie erzeugten Ängste dienen als Katalysator für Rüstungsprojekte und Einsatzkonzepte, die sich weniger zum Einsatz gegen imaginierte Ströme als vielmehr für eine umfassende Kontrolle der Bevölkerung und permanente Aufstandsbekämpfung eignen.

In ihrem Buch »The Turbulent Decade«2 beschreibt die damalige UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, die Flüchtlingspolitik nach dem zweiten Golfkrieg als Ausgangspunkt eines fundamentalen Bruchs: „Die Kurden-Krise war der Auftakt zu internationalen Interventionen in innerstaatliche [sic] Kriege zum Schutz von Flüchtlingen und zu militärischem Engagement in humanitären Notlagen, mit verschiedenen Konsequenzen, die bedacht werden müssen. Sie brachte die humanitäre Community dazu, neue Methoden im Umgang mit Flüchtlingen zu entwickeln (...). Seit der Kurden-Krise wurden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede militärischer und humanitärer Ziele immer wichtiger für die Operationen des UNHCR“. Damals hatte das UNHCR akzeptiert, dass die Türkei ihre Grenzen für die Flüchtlinge aus dem Nordirak schloss, die von Vergeltungsmaßnahmen durch die irakischen Truppen bedroht waren. Stattdessen unterstützte es die militärische Operation Provide Comfort, die de facto im Namen des Flüchtlingsschutzes den nördlichen Irak unter die militärische Kontrolle der USA, Großbritanniens und Frankreichs stellte. Diese kontrollierten eine Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades und führten Vergeltungsmaßnahmen (z.B. Operation Desert Strike) durch, welche die Infrastruktur der irakischen Armee nachhaltig schwächten. Im Nachhinein lässt sich die Operation Provide Comfort problemlos als Vorbereitung für den Angriff auf den Irak 2003 und als erste Umsetzung der US-Pläne für neue Grenzziehungen im Mittleren Osten lesen.3

»Forced Migration«, das ist häufig eine paramilitärisch induzierte Landflucht, da insbesondere die Bevölkerung auf dem Land schutzlos plündernden Milizen ausgesetzt ist. Szenarien, die von den Armeen der ersten Welt insbesondere für den afrikanischen Kontinent durchgespielt werden, gehen oft davon aus, dass die Entdeckung und Ausbeutung von Rohstoffquellen paramilitärische Konflikte auslöst. Quasi als Nebeneffekt der Rohstoffausbeutung wird die Region gleichzeitig militarisiert und entvölkert, was wiederum ein internationales Eingreifen und damit auch die Kontrolle über die jeweiligen Rohstoffquellen legitimiert.4 Die Vertriebenen würden sich spontan in die Städte aufmachen und deren unkontrolliertes Wachstum noch beschleunigen. Gleichzeitig bieten Städte Anschluss an den Rest der Welt und können somit »Binnenvertriebene« zu internationalen Migranten machen. Beides verhindert das UNHCR, indem es von der internationalen Gemeinschaft finanzierte Flüchtlingslager errichtet. Ein solches Finanzierungsprogramm der EU ist das »Regional Protection Program« in Tansania. Obwohl es die Situation vor Ort verbesserte, beschleunigt die EU durch solche zweckgebundenen Finanzierungen die Neuausrichtung des UNHCR weg von der Durchsetzung des Asylrechts für politische Flüchtlinge hin zu einer heimatnahen Unterbringung von Kriegsvertriebenen.

Bei der Planung von Flüchtlingslagern müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden: Eine ausreichende Distanz zu den umliegenden Städten, realisierbare Transportwege, Nähe zu lebenswichtigen Ressourcen (insbesondere Wasser und Holz), andererseits auch eine ausreichende Entfernung zu als schützenswert eingeschätzten Ökosystemen. Eine Hilfestellung dazu will die von der EU-Kommission und der Europäischen Weltraumagentur ins Leben gerufene Initiative Global Monitoring for Environment and Security (GMES) mit ihrem LIMES-Projekt bieten. Neben der Überwachung der internationalen Schifffahrtswege sowie von Grenzen und »kritischer Infrastruktur« an Land durch Satelliten liefert es geographische Daten für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau: „Zur Katastrophenvor- und nachsorge werden Informationen angeboten über die Verteilung der Bevölkerung und das Vorhandensein von Resourcen (Nahrung, Wasser, Infrastruktur) (...). Hauptnutznießer sind die EU, internationale Agenturen, der Bevölkerungsschutz und NGOs.“5

Keine Flucht in die EU!

An dieser Stelle ist es notwendig, einen gedanklichen Schnitt zu machen. Das Bild, das u.a. Verteidigungsminister Jung suggerieren wollte, ist hochgradig irreführend und gefährlich. Es trifft nicht zu, dass die Flucht bspw. vor Milizen in Afrika ohne UNHCR, die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX und europäische Militäreinsätze überwiegend in der EU enden würde. »Forced Migrations« fanden auch in den letzten 50 Jahren überwiegend innerhalb des eigenen Heimatlandes oder der Herkunftsregion statt und machen im Umfang - gemessen an den globalen Wanderungsbewegungen (geschätzte 200 Mio. MigrantInnen weltweit) - nur einen kleinen Anteil aus. Das US Committee for Refugees and Migrants (USCRM) schätzte die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden 2005 weltweit auf 11,5 Mio., die der Internal Displaced Persons (IDPs, die innerhalb ihres Herkunftslandes geflohen sind) auf 21,3 Mio. Der größte Teil der Fluchtbewegungen findet innerhalb und zwischen den ärmsten Staaten sowie im Mittleren Osten statt.

Italien und Spanien spielen in dem Bild, das Jung und FRONTEX vermitteln wollen, die Rolle der »Frontstaaten« gegen afrikanische Bürgerkriegsflüchtlinge. Italien allerdings nannte 2002 als Länder, aus denen der größte »Migrationsdruck« bestehe, Marokko, Albanien, Rumänien, die Philippinen, China und Tunesien.6 Auch in Deutschland wird auf einen Blick deutlich, dass das beschriebene Szenario unrealistisch ist. 2005 legte das Statistische Bundesamt Zahlen über die ausländische Bevölkerung und diejenige mit Migrationshintergrund vor. 23,6% aller Zugewanderten entstammen demnach den Ländern der damaligen EU (EU-25), 38,1% dem restlichen Europa. Als die vier bedeutsamsten Herkunftsländer werden die Türkei (mit 14,2% aller Zugewanderten), die Russische Föderation (9,4%), Polen (6,9%) und Italien (4,2%) genannt. Lediglich 376.200 Personen mit Migrationshintergrund im engeren Sinne in Deutschland stammen aus Afrika.7

Flüchtlinge aus näher liegenden Bürgerkriegsregionen machen allerdings einen überproportionalen Teil derjenigen Menschen aus, die dauerhaft mit einem prekären Status in Europa leben. In Deutschland sind dies die Menschen mit einer so genannten »Duldung«. Von den 178.326 Menschen, die sich mit diesem Status im Oktober 2006 in Deutschland aufhielten, stammten 62.590 aus dem ehemaligen Jugoslawien, 10.682 aus dem Irak und 5.073 aus Afghanistan.8

Abwehr- und Kontrollstrategien

Der vermutlich massivste Zustrom von Flüchtlingen aus einer Krisenregion in die EU fand zwischen 1990 und 1993 statt. Die Bilder von überfüllten Booten voller Menschen aus Albanien - alleine im März 1991 geschätzte 24.000, weitere 21.000 im August 1991 - weckten in ganz Europa nationalistische Ängste einer »Überflutung«. In Italien wich in kurzer Zeit eine breite Solidarität für die Ankömmlinge ebenfalls einer rassistischen Ablehnung. Bereits im August 1991 wurde das italienische Militär mobilisiert, erklärte eine »Notsituation« und verbrachte die MigrantInnen in das militärisch abgesicherte Stadion von Bari. Im Folgemonat startete die italienische Armee eine Mission, die als Prototyp vorverlagerter Migrationskontrolle gelten kann: „Unter dem Namen ‚Operation Pelikan' stationierte das italienische Militär ab September 1991 eintausend Soldaten in Albanien. In einer Mischung aus militärischer Drohpräsenz in den Häfen, aus denen die Flüchtlingsschiffe ausliefen, und aus einer militarisierten Lebensmittelhilfe baute das italienische Militär Operationsbasen in Durazzo und Vlore sowie 27 kleinere Basen in Albanien auf.“ 9 Somit war das italienische Militär auch für die Abwehr der nächsten beiden Fluchtbewegungen über den gerade 71 km breiten Kanal von Otranto gerüstet, die sich im Jahre 1997 in Folge des albanischen Lotterieaufstandes und 1999 im Zuge des Krieges gegen Jugoslawien ereigneten. Dabei entwickelte sich die »Drohpräsenz« zunehmend zu einem Kleinkrieg gegen die Bevölkerung und die Schleppernetzwerke. Einen traurigen Höhepunkt fand dieser am 28. März 1997, als ein Boot der italienische Küstenwache das albanische Schiff »Kater I Rades« rammte und 83 Auswanderer ertranken.

Geschätzte 180.000 Menschen haben Europa während der 1990er Jahre über das Mittelmeer erreicht, davon mindestens 100.000 aus Albanien.10 Angesichts der engen wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen Italien und Albanien, einer italienischen Annexion 1939 und einer bereits seit dem 15. Jhdt. in Italien lebenden albanischen Minderheit eigentlich kein Grund zur Panik. Dennoch rüstet sich nun die EU gemeinsam für multinationale Einsätze nach dem italienischen Vorbild. Unter der Ägide von FRONTEX wurde von Rat und Parlament die Aufstellung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, so genannte RABITs, beschlossen: „Die Entsendung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, die für einen begrenzten Zeitraum Unterstützung leisten sollen, sollte in Ausnahme- und Notsituationen erfolgen.“ 11 FRONTEX jedoch hat auch zur Kenntnis genommen, dass die spektakulär inszenierten Migrationen übers Meer eine eher marginale Rolle spielen und deshalb die RABITs bei ihrer ersten Übung im November 2007 eher als Expertenteam in Sachen gefälschte Dokumente präsentiert: Auf der Grundlage einer fiktiven Notlage entsandte FRONTEX Beamte aus 16 Mitgliedsstaaten mit hoheitlichen Befugnissen, um die Dokumente von Reisenden am Flughafen von Porto zu prüfen und eindringliche Befragungen durchzuführen.

Auch die Hera-Missionen von FRONTEX auf den Kanaren bestanden in einem ersten Schritt darin, die Nationalität der Angekommenen festzustellen und diese zu ihrer Migrationsroute zu befragen, was zu zahlreichen Verhaftungen im Senegal durch die dortigen Behörden führte. Erst in einem zweiten Schritt patrouillierten spanische Schiffe unter der Koordination von FRONTEX gemeinsam mit Verbindungsbeamten der »Gastländer« vor den Küsten Senegals, Mauretaniens und der Kapverden. Diese Zusammenarbeit wird nicht nur durch Entwicklungshilfegelder erkauft, sondern zumindest im Falle Mauretaniens und Libyens auch durch die Lieferung von Polizeiausrüstung.

Zur Abwehr der Migration auf die Kanaren konnte FRONTEX auf die Hilfe des EU-Satellitenzentrums (EUSC) nahe Madrid zurückgreifen, welches die westafrikanische Küste überwachte, „um potentielle Infrastruktur für den Bau von Schiffen sowie alle anderen Begebenheiten, die mit illegaler Migration in Verbindung stehen, aufzuklären“.12 Dessen Auftrag besteht eigentlich darin, durch Satellitenaufklärung „Unterstützung bei der Entscheidungsfindung der Union im Rahmen der GASP und insbesondere der ESVP“ zu leisten. Dementsprechend ist es in die Struktur der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eingebettet, die politische Aufsicht obliegt, wie auch bei militärischen Auslandseinsätzen, dem Politischen und Sicherheitspolitischen Kommitee (PSC). Bei den multinationalen FRONTEX-Einsätzen vor Nord- und Westafrika (Hera und Nautilus) kommen militärische Aufklärungsflugzeuge verschiedener Mitgliedsstaaten zum Einsatz. Die in ihrer Größenordnung marginale clandestine Migration über das Mittelmeer diente zugleich als Anlass, die Gendarmerien der südeuropäischen Länder massiv aufzurüsten, so dass sie mittlerweile über eigene Schiffs-, Hubschrauber- und teilweise auch Flugzeugflotten verfügen.13

Zivil-militärische Vernetzung und Rüstung

Für das Mittelmeer hat FRONTEX bereits am 14. Juli 2006 eine Machbarkeitsstudie (MEDSEA) vorgelegt, welche empfahl, insgesamt 16 Ministerien und 24 Behörden Frankreichs, Griechenlands, Italiens und Spaniens zu vernetzen, um kostengünstig eine möglichst hohe Kontrolldichte auf dem Mittelmeer zu realisieren. Hierzu sollten die zivilen und die militärischen Stellen in Echtzeit über nationale Koordinationszentren (NCC) kommunizieren. Die Studie wurde mittlerweile weitgehend im Europäische Patrouillennetz (EPN) umgesetzt. Eine weitere Machbarkeitsstudie der Agentur (BORTEC) zielte auf die Schaffung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR) ab. Die BORTEC-Studie ist unveröffentlicht, liegt aber offensichtlich den Rüstungsunternehmen Thales und Finmeccanica vor, die sich mit einem entsprechenden Projekt (SEASAME) beim EU-Forschungsrahmenprogramm 7 (FRP7) beworben haben. Dieses Projekt soll nach eigenen Angaben mit den Ergebnissen der BORTEC-Studie „völlig übereinstimmen“ und sieht vor, die nationalen Überwachungstechnologien in drei Phasen zu erfassen, aufzurüsten und kompatibel zu machen, um die dort gesammelten Daten zuletzt zu einem „permanenten und umfassenden Lagebild“ zusammenzuführen.14 Am 13. Februar 2008 veröffentlichte die Kommission Vorschläge zur Ausgestaltung von EUROSUR, die denen des SEASAME-Programms entsprechen. Das Kommissionspapier spricht sich explizit dafür aus, das siebte Forschungsrahmenprogramm der EU intensiv zu nutzen, „um die Leistungsfähigkeit und den Einsatz von Überwachungsinstrumenten zu verbessern, damit das erfasste Gebiet ausgeweitet werden kann, mehr verdächtige Aktivitäten aufgedeckt, potenziell verdächtige Zielobjekte leichter identifiziert werden können und der Zugriff auf Daten hochauflösender Beobachtungssatelliten erleichtert wird.“ 15 Das FRP7 entpuppt sich somit als heimlicher Rüstungsetat.

Gemeinsam mit dem Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission hat FRONTEX weitere Studien erstellt, die u.a. einen Überblick über biometrische Verfahren beim Grenzschutz und den möglichen Einsatz unbemannter Flugzeuge und U-Boote geben. Um entsprechende Projekte realisieren zu können, betreibt der JRC ein Projekt, mit dem die Europäischen Rüstungsfirmen und ihre jeweiligen Fähigkeiten erfasst werden (MEDI, Mapping of the European Defence Industry). FRONTEX wurde darüber hinaus von der Kommission und dem Rat mehrfach aufgefordert, mit dem im Aufbau befindlichen EU-Auslandsgeheimdienst (SITCEN) zusammen zu arbeiten.16 Auch dieser wurde im Rahmen der GASP geschaffen mit der Aufgabe, vertrauliche Dossiers über Krisen- und Konfliktregionen für das PSC sowie den Militärstab der Europäischen Union (EUMC) zu erstellen.

Die Rüstungsunternehmen, die sich um die Ausgestaltung des Grenzüberwachungssystems EUROSUR bewerben, weisen auf dessen multifunktionalen Charakter hin. Es geht nicht nur um die Kontrolle illegaler Migration, sondern auch um die Sicherheit der Handelsschifffahrt, insbesondere vor Organisierter Kriminalität bzw. Piraterie und Terrorismus. So entwickeln gerade zahlreiche IT- sowie Logistik-Anbieter und Rüstungsunternehmen »International Monitoring- and Transport-Escorting-Systems« (IMTS), welche insbesondere in der Containerschifffahrt eine lückenlose Kontrolle der gesamten »Supply Chain« garantieren sollen. IBM und der weltgrößte Logistik-Dienstleister Maersk planen, so genannte »Intelligente Echtzeit-Überwachungsgeräte« (Tamper-Resistant Embedded Controllers, TREC) zukünftig an möglichst allen Containern anzubringen: „Die Geräte sammeln automatisch Informationen über jeden einzelnen Container, einschließlich des per GPS ermittelten Standorts und weiterer Parametern wie Temperatur und Feuchtigkeit. Sogar das unauthorisierte [sic] Öffnen eines Containers kann sofort entdeckt werden.“ 17 Diese Daten sollen „Herstellern, Händlern, Logistik- und Transport-Unternehmen sowie Regierungen“ in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden können und beispielsweise den Zollbehörden eine Risikoeinschätzung der jeweiligen Ware erleichtern. Container, die mit TREC ausgerüstet sind, werden wesentlich seltener kontrolliert („eine Art Business Class Container“). Zudem beinhaltet TREC ein »Geofencing-System«: „Abweichungen von der vorgedachten Route lösen einen Alarm aus“.18

Aufklärung, Paramilitarisierung und soziale Kontrolle

Der behauptete Zusammenhang zwischen Migration, Organisierter Kriminalität und Terrorismus ist nicht neu. Migration dient auch in der Berliner Erklärung der deutschen Ratspräsidentschaft19 als Teil derjenigen Bedrohungstriade, vor der sich die Ausgestaltung des „Raumes der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“ vollzieht. In diesem knapp zweiseitigen Dokument heißt es: „Wir werden den Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die illegale Einwanderung gemeinsam bekämpfen.“ FRONTEX wird entsprechend vom Rat der EU auch als Teil der Terrorismusbekämpfung verstanden.20

Aufgrund dieser und Hunderter ähnlicher diskursiver Verknüpfungen wurde Migration »versicherheitlicht«. Vertreter der Kopenhagener Schule der Internationalen Beziehungen verstehen hierunter einen »Sprechakt«, der ein Thema aus der Sphäre normaler Politik herausnimmt und es stattdessen in diejenige eines Notstandes überführt, in der auch außerordentliche, ja widerrechtliche Maßnahmen legitim und notwendig seien.21 William Walters schlug 2005 vor, anstatt von europäischer Migrationspolitik von »Counter-Illegal-Immigration«-Politik zu sprechen. Durch die Silbe »Counter« werde eine Parallele zu »Counterinsugency« und »Counterterrorism« deutlich, denn diese Politiken gingen weit darüber hinaus, nur etwas zu bekämpfen. Sie beinhalten auch eine produktive Komponente sozialer Kontrolle: „'Counterinsurgency' richtete sich niemals nur gegen revolutionäre Bestrebungen, sondern zielte stets auf weit mehr ab: ein ganzes Bündel von Interventionen, um die politische Ordnung nach dem Bild der dahinter stehenden Macht zu formen.“ 22

Counterinsurgency - Aufstandsbekämpfung - ist auch der Titel des Field Manual 3-24 des US-Oberkommandieren im Irak, David Patraeus, und das Schlagwort, mit dem sich der dortige Strategiewechsel seit Januar 2007 beschreiben lässt. Timo Noetzel und Benjamin Schreer von der Stiftung Wissenschaft und Politik forderten jüngst, auch Deutschland solle für den Afghanistan-Einsatz die Lehren aus dem Irak ziehen und den „Operationsschwerpunkt Aufstandsbekämpfung“ anerkennen: „Wie im Irak bestehen auch dort klassische Herausforderungen durch Aufständische, die möglichst wirksam bekämpft werden müssen.“ 23

Die entsprechende Sicherheitsdoktrin umfasst neben einer militärischen Präsenz in der Fläche die engen Verflechtung ziviler, polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Akteure, wie sie im Leitbild der »Vernetzten Sicherheit« propagiert und u.a. von FRONTEX sehr effektiv umgesetzt wird. Die enge zivil-militärische Zusammenarbeit, die Ausbildung lokaler, paramilitärischer Polizei, die Verwendung von Gendarmerie-Einheiten, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung, deren biopolitische Ghettoisierung sowie die sensorischen Markierung von Verdächtigen wird im »Kampf gegen illegale Migration« erprobt und legitimiert. In einer Union, die sich auf weltweite Stabilisierungs- bzw. Aufstandsbekämpfungsmissionen ausrichtet, dient Migration als willkommener Katalysator, um die notwendigen sicherheitspolitischen Umstrukturierungen vorzunehmen.

Anmerkungen

1) Zit. nach: Pflüger, Tobias: Kongo-Militäreinsatz: Es geht um EU-Interessen, in: W&F 3/2006.

2) Ogata, Sadako (2005): The Turbulent Decade: Confronting the Refugee Crises of the 1990s, New York.

3) Peters, Ralph: Blood Borders - How a better Middle East would look, in: Armed Forces Journal, June 2006.

4) Ein entsprechendes Szenario lag bspw. der RECAMP IV-Übung 2004 in Ghana zu Grunde. URL: http://www.recamp4.org/uk/synopsis.php.

5) Beschreibung des LIMES-Projekts auf http://www.gmes.info (26.2.2008).

6) Kosic, Ankica/Triandafyllidou, Anna (2005): Active Civic Participation of Immigrants in Italy, Country Report Prepared for the European Research Project POLITIS, IBKM sowie Presidenza del Consiglio de Ministri (2004): Documento Programmatico Relativo alla Politica dell´Immigrazione e Degli Stranieri nel Territorio dello Stato per il 2004-2006.

7) Statistisches Bundesamt Deutschland 2005: Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2005 - Fachserie 1 Reihe 2.2 - 2005.

8) BT-Drucksache 16/7089.

9) Forschungsstelle Flucht und Migration (2002): Italien - Legalisierung von Flüchtlingen - Militarisierung der Grenzen, Assoziation A.

10) Monzini, Paola 2004: Migrant Smuggling via Maritime Routes, CeSPI, URL: http://www.cespi.it/cnr/Monzini-ing.pdf.

11) Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007.

12) EUSC Annual Report 2006.

13) Lutterbeck, Derek: Policing Migration in the Mediterranean, in: Mediterranean Politics 11 (2006), sowie: Marischka, Christoph: Das EU-Grenzregime als Laboratorium der Entrechtung, in: AUSDRUCK 2/2007.

14) Green Paper Thales's Contribution to the Consultation Process on Maritime Safety and Security (MSS), veröffentlicht auf www.statewatch.org (29.2.2008).

15) KOM(2008) 68 endg.

16) Marischka, Christoph (2008): FRONTEX - Die Vernetzungsmaschine an den Randzonen des Rechtes und der Staaten, in: Pflüger, Tobias / IMI: Was ist Frontex? Aufgaben und Strukturen der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen.

17) IBM Medienstelle Schweiz: „IBM und Maersk Logistics erhöhen die Sicherheit im weltweiten Container- und Gütertransport“, PM vom 21.9.2005.

18) „Container in der Business Class - Die Logistikkette von IBM soll Sicherheit und Effizienz versöhnen“, Interview mit Andreas Pohler und Steffen Schaefer, in: Homeland Security (cpm) 2/2007.

19) http://eu2007.de/de/News/download_docs/Maerz/0324-RAA/German.pdf (29.2.2008)

20) Beispielhaft: Council of the European Union: EU Action Plan on Combating Terrorism (7233/07), überarbeitete Fassung vom 9.3.2007.

21) Buzan, Barry/Waever, Ole/de Wilde, Jaap (1998): Security - a new framework for analysis, Boulder.

22) Walters, William (2005): On the Political Logic of Anti-Illegal Immigration Policy, Working Paper for the Politics of Scale Conference, York University, Canada, 2005. William Walters hat sein Konzept seit dem weiterentwickelt und spricht nun allerdings von „antipolicy“.

23) Noetzel, Timo/Schreer, Benjamin (2008): Strategien zur Aufstandsbekämpfung Neue Ansätze für die ISAF-Mission, SWP-Aktuell 2008/A 03.

Christoph Marischka ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) und forscht zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen illegalisierter MigrantInnen sowie zur FRONTEX-Agentur.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/2 Migration und Flucht, Seite