W&F 2002/2

Militär, Militär, Militär …

US-amerikanische Interessensicherung

von Regina Hagen

Vor wenigen Wochen trotzte ich, genau wie Zehntausend andere Menschen, dem in München verhängten Demonstrationsverbot gegen die »Sicherheitskonferenz«. Diese, von früher noch als »Wehrkundetagung« bekannte Veranstaltung war in den letzten Jahren etwas aus dem Blickfeld der Friedensbewegung geraten. Zu Unrecht, finden sich zu dieser jährlich stattfindenden Strategiedebatte, die überwiegend von der deutschen Regierung finanziert wird, doch Dutzende hochrangige Politiker und Militärexperten aus NATO- und befreundeten Ländern ein.

Vor einem Jahr stellte sich z.B. der neu ernannte US-Verteidigungsminister Rumsfeld seinem Kollegenkreis vor. Damals standen im »Bayrischen Hof« die Raketenabwehrpläne im Vordergrund; vor der Tür versammelten sich fünfzig DemonstrantInnen.

Nun hat sich seitdem zwar nicht die Welt geändert, aber doch die sicherheitspolitische Lage gefährlich zugespitzt. Nach den Attentaten vom 11. September hat »militärische Konfliktlösung« Hochkonjunktur. Pazifismus soll nur noch »politisch« verstanden werden, als „Unterordnung militärischer Schritte unter politische Strategien“ (Staatssekretär Ludger Volmer am 07.01.02 in der Frankfurter Rundschau). Bei Kriegen geht es auch nicht mehr um ökonomische oder strategische Interessen, nein, die USA handeln ganz altruistisch, weil sie erkennen, „wenn wir unsere Ärmel hochkrempeln, (können wir) nicht nur uns selbst, sondern die Welt retten“ (US-Politikberater Mead am 8.2. in der FR). Der »gerechte Krieg« wird propagiert: gestern für Freiheit und Demokratie, heute zur »Ausrottung des Terrorismus«.

Die DemonstrantInnen gegen die »Sicherheitskonferenz« in München, beim World Economic Forum in New York und auf dem Weltsozialgipfel in Porto Allegre waren da anderer Meinung. Für sie gilt die hier gepriesene »Rettung« nicht der Welt, sondern den Interessen der einzig verbliebenen Supermacht und ihrer Verbündeten, ihrem ungezügelten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.

Und seine Interessen vertritt das mächtigste Land der Erde mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und notfalls auch gegen internationale Verträge, Vereinbarungen und Institutionen:

  • Den anhaltenden Krieg gegen Terrorismus versteht US-Präsident Bush durchaus wörtlich. Schon im Herbst 2001 gab er bekannt, dass der Krieg gegen unbotmäßige Länder und Gruppierungen mindestens sechs Jahre dauern werde. Mit der Benennung der »Achse des Bösen« (Nordkorea, Iran und Irak) und der Ankündigung, im Zweifel bleibe kein Stein auf dem anderen und das Regime in Bagdad werde hinweggefegt, ob es den Verbündeten nun passe oder nicht, wurde der Anspruch auf einseitiges Handeln formuliert. Da sehen sich selbst die Außenminister der Europäischen Union inzwischen zu vorsichtigen Absetzbewegungen von der „bedingungslosen Solidarität“ (Bundeskanzler Schröder) veranlasst und warnen vor Angriffen auf den Irak.
  • Unverblümt bezeichnet US-Verteidigungsminister Rumsfeld seinen Antrag für das Verteidigungsbudget 2003 als »Kriegshaushalt« und schlägt vor, diesen Etatposten in seinem Land bis 2007 auf US$ 459 Milliarden zu steigern. Bereits im Haushaltsjahr 2003 werden die USA fast 40% der weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär tätigen.
  • „Dominanz über das volle Konfliktspektrum“ (Full Spectrum Dominance) wurde vom US-Generalstab schon 1995 als oberstes Ziel der Militärpolitik benannt (Joint Vision for 2010). Kontrolle über den Weltraum und somit über die Erde sei angesichts der zunehmenden Verteilungskämpfe geboten, um den USA beliebige Handlungsoptionen freizuhalten. Ausdrücklich eingeschlossen wurden mit dem Amtsantritt der Regierung Bush die Bewaffnung des Weltraums und der Anspruch, die Kontrolle über diesen einzigartigen Feldherrenhügel ungehindert auszuüben.
  • Die Beschaffungswünsche des Pentagon beschränken sich aber nicht auf »außeratmosphärische Exotenwaffen«. Das US-Militär soll mit allem ausgerüstet werden, was der Waffenmarkt hergibt, von archaisch anmutenden Monsterkanonen bis hin zu modernsten bewaffneten Drohnen, von Transportflugzeugen bis zu leistungsfähigeren Satelliten, von Raketenabwehrsystemen bis zu Präzisionsbomben und konventionell bestückten Cruise Missiles, von der Ausrüstung für den »Informationskrieger« am Boden bis zu Weltraumbombern.
  • Das Konzept der »neuen Triade« ist Ergebnis des kürzlich abgeschlossenen Nuclear Posture Review, der Überprüfung der US-Nuklearpolitik. Über die bisherige »Triade des Kalten Krieges«, bestehend aus nuklear bestückten Langstreckenbombern, Interkontinentalraketen und U-Booten, wird jetzt die »Neue Triade« gestülpt, die nukleare und nicht-nukleare Angriffsfähigkeiten, breit angelegte Abwehrmöglichkeiten und eine flexibel reagierende Infrastruktur umfasst.
  • Die mit dem russischen Präsidenten vereinbarte Abrüstung strategischer Atomwaffen auf 1.700-2.200 Kernsprengköpfe bezieht sich lediglich auf das jederzeit einsatzbereite Arsenal und soll erst im Jahr 2012 erreicht werden. Nicht in dieser Zahl enthalten sind ca. 400-500 Sprengköpfe, die jeweils gerade zu Wartungszwecken aus dem Arsenal entnommen sind (beispielsweise um den Sprengkraftverstärker Tritium neu aufzufüllen). Die »abgerüsteten« Atomwaffen sollen auch nicht etwa unbrauchbar gemacht werden, sie stehen für »potenzielle Notfälle« einer »responsive force« zur Verfügung, d.h. sie sind binnen kurzem wieder einsatzbereit. Bei einer Änderung der Sicherheitslage behalten sich die USA auch die erneute Aufstockung des Nukleararsenals vor. Weitere Negativpunkte der neuen Nuklearpolitik: Taktische Atomwaffen sind nicht berücksichtigt, eine weitere Reduzierung des Atomarsenals wird bis 2020 ausgeschlossen, die Bereitschaft zur Durchführung von Tests soll erhöht werden und die Unterzeichnung des Umfassenden Teststoppabkommens wird abgelehnt.
  • Raketenabwehr ist neben dem Ausbau konventioneller Angriffsfähigkeiten ein wesentlicher Teil der »neuen Triade«. Mit hohem Tempo und eindeutiger Klarheit treibt die US-Regierung entsprechende Pläne voran. Mitte Dezember hat George Bush den ABM-Vertrag gekündigt, der den USA und Russland den Aufbau eines nationalen Schutzschildes untersagt und zahlreiche Testszenarien und Systeme für Raketenabwehr und Weltraumrüstung verbietet. Die Kündigung wird vertragsgemäß im Juni 2003 wirksam. Anfang Januar wurde die organisatorische Verankerung der Raketenabwehr innerhalb der US-Administration deutlich aufgewertet: George Bush löste die Ballistic Missile Defense Organization auf und installierte statt dessen die ranghöhere Missile Defense Agency. In den Aufgabenbereich dieser neuen Agentur fällt ausdrücklich auch die Management- und Budgetverantwortung für den besonders umstrittenen Weltraumlaser.

Als Zugeständnis an Russland, das diesem Affront wenig entgegenzusetzen hat, wird die schriftliche Fixierung der neuesten nuklearen Abrüstungsabsprache in Aussicht gestellt. Dennoch besteht die Gefahr, dass Russland sich nicht länger an die Vereinbarungen des START II-Abkommens gebunden fühlt und beispielsweise Interkontinentalraketen weiterhin mit Mehrfachsprengköpfen ausrüstet.

Auch China sieht keine rechtliche Handhabe gegen den Auf- und Ausbau einer Vielzahl unterschiedlicher Abwehrsysteme, wird aber wahrscheinlich mit der Ausweitung seines strategischen Nukleararsenals antworten und seine Raketen mit Mehrfachsprengköpfen ausrüsten.

Mit einem Achselzucken gehen die USA über die Bedenken aus aller Welt hinweg, dass mit der Aushebelung des ABM-Vertrags die internationale Rüstungskontrolle aufs Höchste gefährdet wird, doch Europa stellt sich derweil dumm und sucht das Thema nach Möglichkeit zu ignorieren.

  • NATO und Europäische Union versuchen den Spagat. Im Kampf gegen den Terror von den USA marginalisiert, gut vor allem für humanitäre Aufräumaktionen nach Abschluss der Bombardements und für die Eindämmung der innergesellschaftlichen Gewalt vor Ort, müssen sie sich von den USA den Vorwurf der mangelnden Einsatzbereitschaft gefallen lassen. Die Europäer manövrieren sich in der irren Hoffnung auf Gleichwertigkeit selbst in einen Rüstungswettlauf mit den USA – beispielhaft seien nur Transportflugzeuge, Raketenabwehrsysteme und Aufklärungssatelliten genannt –, den sie doch nie gewinnen können.

Nicht etwa auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« wies der Bundeskanzler darauf hin, dass Terror Ursachen hat und diese beseitigt werden müssen. Die hehren Worte reservierte Kanzler Schröder für das parallel in New York stattfindende Weltwirtschaftsforum. Anstatt sich zu besinnen und aus historischer Erfahrung und Einsicht der zivilen, völkerrechtlich konformen, nicht-militärischen und vor allem nachhaltigen Konfliktlösung das Wort zu reden, machen sich die deutschen Politiker bestenfalls über die Auswirkungen dieser »Politik mit der Brechstange« Sorgen: Die westliche Welt könne sich im Irak kein weiteres »Versorgungsprotektorat« leisten, verlautet aus Berlin, außerdem würden im Falle eines erneuten Golfkrieges die Erdölpreise massiv steigen. Das könnte natürlich die Rezession verschärfen und das würde die Voraussetzungen für einen rot-grünen Wahlsieg im Herbst weiter verschlechtern.

Es wäre wünschenswert, die deutschen Politiker würden wieder etwas längerfristig denken. Damit wir nicht morgen in einer Welt leben, in der Gewalt und Krieg unter den wohlklingenden Namen »humanitärer Friedenseinsatz« und »Bekämpfung des Terrors« zum bevorzugten Mittel der Politik werden, müssen wir heute die Diskussion über Strategien der zivilen Konfliktlösung führen.

Die DemonstrantInnen von München haben sich in diesem Sinne eingemischt – und das macht Mut.

Regina Hagen ist Koordinatorin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation und aktiv in der deutschen Friedensbewegung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/2 Frauen und Krieg, Seite