Militärische Interessen bestimmen die Richtung in Wirtschaft und Wissenschaft
von Forum Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
Mikroelektronik und Informationstechnik spielen eine entscheidende Rolle in der heutigen Militärtechnik. Militärs weisen immer wieder darauf hin, daß schnelles, sicheres und möglichst störungsfreies Erkennen, Bewerten und Abwehren einer Bedrohung die Zusammenführung, Verarbeitung und Verteilung riesiger Informationsmengen in nahezu Realzeit erfordern.Immer deutlicher wird, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland die Informatik, die sich seit einigen Jahren an den Hochschulen auch zum begehrtesten Studienfach entwickelt hat, zu einer militärischen Schlüsseldisziplin gemacht werden soll.
Bereits 1982 wies die Bundesregierung darauf hin, daß durch die Forschungsförderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie die Voraussetzungen „für die Durchführung eines spezifisch wehrtechnischen Schwerpunktes der Mikroelektronik“ geschaffen würden. In ihrer Konzeption zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations und Kommunikationstechniken vom März 1984 wird dann erstmals „Wehrtechnik“ als Aufgabenfeld ausgewiesen. Als Voraussetzung für die Entwicklung optimaler Waffen-, Aufklärungs- und Führungssysteme wird der Aufbau einer einheimischen Rüstungsindustrie mit hohem technischen Niveau angekündigt.
In den letzten Tagen wurde erneut von Seiten des BMVg darauf hingewiesen, daß in der „zivilen“ Forschungspolitik des Bundesministeriums für Forschung und Technologie militärische Aspekte eine immer größere Rolle spielen. In einem Interview in „Wehrtechnik“ 11/1984 (S. 15) stellte der Rüstungsstaatssekretär Prof. M. Timmermann fest: „Zwischen dem BMFT und dem BMVg bestehen vielfältige, enge Verbindungen auf allen Ebenen. So werden beispielsweise zwischen den Staatssekretären die Grundsatzfragen zur Forschung und Zukunftstechnologie laufend abgestimmt. Dies gilt aber nicht nur für die „große Linie“: In enger Zusammenarbeit der Fachleute beider Ressorts wird auch – und das ist notwendig – das Vorgehen im Detail koordiniert.“ Das BMVg habe „zwei konkrete Aufgaben ressortübergreifend und federführend zu erfüllen: Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Kryptierung. (…) Wehrtechnische Konsequenzen der Mikroelektronik, Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitungsentwicklung; Initiierung konkreter Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Zukunftssicherung.“
Im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes ist Wehrforschung, wehrtechnische Entwicklung und Erprobung offiziell nur im Einzelplan 1420 des BMVg ausgewiesen. Etwa 170 Mio. DM werden 1985 für die Gebiete Führungssysteme, Elektronik und Informatik bereitgestellt. Nach Aussagen des Rüstungsstaatssekretärs im BMVg Timmermann fließen 1985 55 Mio. DM etwa zu gleichen Teilen in die Sparten Mikroelektronik, Informationsverarbeitungstechnik und Kommunikationstechnik. Nach dem Einzelplan 3004 wird das BMFT in 1985 ca. siebeneinhalbmal so viel, nämlich ca. 412 Mio. DM, zur Förderung grundlegender Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die oben genannten drei Sparten ausgeben, die für die Entwicklung von Waffen-, Aufklärungs- und Führungssystemen von höchster Relevanz sind. Allein die Mikroelektronik soll mit ca. 250 Mio. DM gefördert werden. Weitere 90 Mio. DM stehen zur Durchführung sogenannter Verbundvorhaben auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung zur Verfügung. Informationsverarbeitung heißt hier konkret rechnergestützter Entwurf für Computer und Software, Supercomputer (neue Rechnerarchitekturen) sowie Expertensysteme und Roboter (Wissensverarbeitung und Mustererkennung). Ferner sind im BMFT-Einzelplan 3004 72 Mio. DM für das Entwicklungsprogramm zum Ausbau ziviler internationaler technischer Kommunikationssysteme ausgewiesen. Diese dienstintegrierten digitalen Netze (ISDN: Integrated Services Digital Network) sind von hohem militärischen Wert. Die Federführung liegt jedoch beim BMP.
BMVg- und BMFT-Ausgaben im Vergleich:
Militärrelevante F & E-Arbeiten | BMVg* Mio. DM | BMFT Mio. DM |
---|---|---|
Mikroelektronik | 19 | 250 |
Informationstechnik | 18 | 90 |
Kommunikationstechnik | 18 | 72 |
Nach Rüstungsstaatssekretär Timmermann (Wehrtechnik Nov. 1984, Seite 15) |
Die Fördersummen von 170 Mio DM im Einzelplan 1420 des BMVg bzw. von 412 Mio DM im Einzelplan 3004 des BMFT setzen sich wie folgt zusammen:
1. BMVg: | ||
130 Mio DM | Entwicklung und Erprobung von Führungssystemen (551 17 036) | |
30 Mio DM | aus dem Titel Wehrtechnische Forschung (60 Mio DM) (551 01) – geschätzt | |
9 Mio DM | Inst. für Funk u. Mathematik (68'31/893 31) | |
2,5 Mio DM | Forschungsinst. für Inform.-verarbeitung und Mustererkennung(685 31/893 31) | |
171,5 Mio DM | Summe | |
2. BMFT | ||
134,8 Mio DM | Elektronik (683 40) | |
41 Mio DM | Sonderprogramm (683 44) | |
45,4 Mio DM | Mikroperipherik (Sensoren und Aktoren) (683 46) | |
32,5 Mio DM | Pilotlinie Submikron (892 40) | |
253,7 Mio DM | Mikroelektronik | |
89,5 Mio DM | Informationsverarbeitung (683 42) | |
72 Mio DM | technische Kommunikation (683 41) |
Anzumerken ist:
- Aus öffentlich zugänglichen Quellen (z. B. Weinbergers Bericht an den Kongreß vom 1. 2. 1984) ist bekannt, daß das NATO-Aufklärungs- und Führungssystem zur Führung eines konventionellen oder gar atomaren Krieges gänzlich ungeeignet ist. Die Steigerung der Fördermittel auf 130 Mio DM für 1985 (92 % Steigerung gegenüber 1983) könnte ein Indiz dafür sein, daß auch das nationale Aufklärungs- und Führungssystem so modernisiert werden soll, daß es in einem Atomkrieg funktionsfähig bleibt.
- Militärtechnische Grundlagenforschung wird ausschließlich aus Mitteln des BMFT gefördert.
- Der Titel Informationsverarbeitung wird erst verständlich, wenn man weiß, daß sich in den USA das Verbundkonzept (Kooperation zwischen Industrie, Universitäten und Forschungsinstituten der Regierung) in der Militärforschung seit langem bewährt hat und wenn man weiß, daß BMVg und BMFT nach US-amerikanischem Muster begonnen haben, sogenannte Schlüsselprojekte im Verbundkonzept zu initiieren. Diese Schlüsselprojekte gleichen in ihrer Zielsetzung auffallend den Forschungs- und Entwicklungsprogrammen auf den Gebieten Mikroelektronik und Informationstechnik, die in dem Bericht Weinbergers an den Kongreß als DoD-Programme ausgewiesen sind.
- Wir müssen davon ausgehen, daß sich in absehbarer Zeit das Verhältnis zivile zu militärischer Forschung und Entwicklung US-Verhältnissen angleichen wird. Nach einer Studie des Office of Technological Assessment des Kongresses förderte das DoD (Department of Defense) in 1983:
Gebiet | Grundlagenforschung | anwendungsnahe Forschung |
---|---|---|
Mikroelektronik | zu 69 % | zu 90,5 % |
Computer Sciences | zu 54,8 % | zu 86,7 % |