W&F 2004/4

Militärische oder friedenspolitische Think Tanks

von Tobias Pflüger

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Think Tanks – nicht nur der englische Begriff lässt uns hier zuerst an die USA denken. Zwar nutzen die Regierungen aller Industriestaaten das Expertenwissen aus »ihren« Denkfabriken, jedoch dürfte in keinem anderen Land der Einfluss der Think Tanks auf die Regierungspolitik so groß sein wie in den USA. Und das nicht erst seit Bush jr., bei dessen Machtantritt zahlreiche Hardliner aus den Denkfabriken direkt in die Administration wechselten. Hans-Jürgen Krysmanski und Rainer Rilling beleuchten in dieser Ausgabe die Geschichte und den gegenwärtigen Einfluss dieser Intellektuellen-Zirkel auf die US-Regierung, Jürgen Wagner beraubt uns der Illusion, ein möglicher Präsident John Kerry würde Wesentliches anderes machen, und Andrew Lichtermann zieht eine negative Erfolgsbilanz der alternativen »friedenspolitischen« Forschungsinstitute in den USA.

Russland – ein Kontrast dazu? Peter Linke geht ein auf die alten »Denkfabriken« der Sowjetunion und untersucht die neuen – zum Teil mit US-Dollar finanzierten – Institutionen.

Und Deutschland? Josef Braml vergleicht die Grundstrukturen US-amerikanischer und deutscher Think Tanks, verweist auf die Kernfrage: In den USA weitestgehend privat finanziert, in Deutschland im Wesentlichen staatlich.

Martin Thunert zieht in der Zeitschrift »Aus Politik und Zeitgeschichte« (51/2003) die Bilanz, dass „der deutsche Think-Tank-Sektor im europäischen Maßstab quantitativ führend ist und auch weltweit keineswegs deutlich hinterherhinkt.“

Offen bleibt in W&F, welche deutschen Think Tanks es gibt und wie sie was beeinflussen.

Deshalb im Editorial dazu ein paar kurze Bemerkungen.

Für die rot-grüne Bundesregierung am wichtigsten ist zweifelsohne die Stiftung Wissenschaft und Politik. Ursprünglich in Ebenhausen angesiedelt, wurden in sie die Mitarbeiter des früheren Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln (BIOst) sowie der gegenwartsbezogenen Abteilung des Münchner Südost-Instituts (SOI) integriert. Ebenfalls wesentlich sind die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und das eng mit der Bertelsmann-Stiftung kooperierende Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München. Auch die Vorgängerregierungen nutzten das Fachwissen dieser Institute. Dazu kommen Stiftungen der verschiedenen Parteien, der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Kirchen.

Es gibt aber auch – etablierte – friedenswissenschaftliche Think Tanks in Deutschland, z.B. die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), das Hamburger Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik (IFSH), das Bonner Konversionszentrum (BICC) oder das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), alle mit einem ebenfalls stark regierungsberatenden Ansatz. In W&F 4-2003 haben wir die Schwerpunkte dieser Institute beleuchtet. In der Januar Ausgabe 2004 von W&F (S. 35f.) informierte die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung über beabsichtigte umfangreiche Mittelkürzungen für diese Friedenswissenschaft.

Im militärischen Bereich findet sich in Deutschland die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), nach Angaben der Homepage der Bundeswehr „Einer der wichtigsten »Informationslieferanten« für den Bundessicherheitsrat.“ Sie ist „eine selbstständige Dienststelle im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung“.

Hinzu kommt in Waldbröl ein Zentrum für Transformation der Bundeswehr. Für den Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Generalleutnant Dirk Böcker, ist dieses Zentrum der Think Tank der Bundeswehr: „Es entsteht eine Denkschmiede, die das Bundesministerium für Verteidigung in Berlin und Bonn mit entscheidungsrelevanten Informationen und Analysen zu den immer schneller ablaufenden politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt auch technologischen Umwälzungen unterstützt … Wir stehen vor der Aufgabe, die gesamte Bundeswehr dazu zu befähigen, rascher auf Herausforderungen reagieren und den dynamischen Anforderungen gerecht werden zu können.“

2006 wird diese Denkfabrik der Bundeswehr ihren Hauptsitz nach Strausberg verlegen. Dort wird das Zentrum „zusammen mit der Akademie für Information und Kommunikation (AIK) und dem Sozialwissenschaftlichen Institut (SoWi) Teil eines Forschungs- und Wissenschafts-Campus werden, der die zielgerichtete Weiterentwicklung der Bundeswehr unterstützt.“ Man kann davon ausgehen, dass diese militärischen Think Tanks vielfach direkt und indirekt Einfluss auf politische und militärische Prozesse nehmen.

Tobias Pflüger

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/4 Think Tanks, Seite