W&F 2004/2

Militarisierung oder Chance für zivile Konfliktschlichtung?

Zum Entwurf für die Europäische Verfassung

von Peter Becker und Philipp Boos

Der Beitrag beschreibt die Entwicklung des sicherheitspolitischen Teils im Entwurf für die Europäische Verfassung. Die Autoren haben im Rahmen eines Projektes der IALANA, der IPPNW und der Humanistischen Union versucht, auf die Entwicklung der Verfassung Einfluss zu nehmen. Dabei ist es gelungen, einzelne aus friedenspolitischer Sicht zu begrüßende Änderungen am Entwurf der Verfassung zu erzielen. Einleitend ist aber bereits festzustellen, dass der Verfassungsentwurf auch sehr kritikwürdige Bestimmungen enthält, die den Vorwurf einer Militarisierung der Europäischen Union rechtfertigen.

Grundlage der Verfassungsentwicklung ist die »Erklärung von Laeken«.1 Die zivile Konfliktschlichtung ist in zentralen Punkten dieser Erklärung angesprochenen. Es wird gefragt, ob Europa eine führende, beispielhafte Rolle in der Weltordnung übernehmen sollte. Der Erklärung von Laeken zufolge korrespondiert das mit den Erwartungen des europäischen Bürgers, der „mehr Europa in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen wünscht, mit anderen Worten: mehr und besser koordinierte Maßnahmen bei der Bekämpfung der Krisenherde in und um Europa sowie in der übrigen Welt.“

Entstehungsprozess der Europäischen Verfassung

Im März 2002 hatte der Europäische Verfassungskonvent mit der Erstellung eines Entwurfs einer Verfassung für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union begonnen. Er setzte sich zusammen aus Mitgliedern der Parlamente und Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie Mitgliedern des Europaparlaments.2 Mit der Einrichtung des Konvents verbunden war die Einladung an die »Vertreter der Zivilgesellschaft«, Vorschläge für die zu schaffende europäische Verfassung zu machen und sich über ein Forum direkt in die Diskussion des Verfassungskonvents einbringen.3 Aus friedenspolitischer Sicht war in der Phase vor der Installierung des Konvents eine zunehmende Militarisierung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu konstatieren. Diese hat sich unter anderem in dem so genanntenen Farnborough-Abkommen etabliert, in dem eine enge Zusammenarbeit im Bereich der Rüstungsindustrie zwischen sechs großen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vereinbart wurde.4

Im Juli 2003 wurde der endgültige Entwurf der Europäischen Verfassung vom Konventspräsidenten Giscard d´Estaing vorgestellt.5 Entgegen der ursprünglichen Absicht ist es dann aber nicht zu einer Annahme des Verfassungsentwurfs durch den Europäischen Rat6 gekommen. Die Einigung scheiterte nicht an inhaltlichen Festlegungen des Verfassungsentwurfs, sondern an Fragen der Machtverteilung. Einige Staaten wollten eine andere Regelung von Mehrheitsentscheidungen durchsetzen. Außerdem war umstritten, ob die Zahl der Kommissare der Anzahl der Mitgliedsstaaten entsprechen muss oder auch kleiner sein kann. Sofern es zu einer Einigung in den vorgenannten Fragen kommt, ist eine ansonsten unveränderte Übernahme des Entwurfstexts wahrscheinlich. Andererseits bieten Verhandlungen natürlich immer die Möglichkeit zu Veränderungen.

Bevor auf die Regelungen im Einzelnen eingegangen wird, soll zunächst die beachtliche friedenspolitische Wirkung gewürdigt werden, die unabhängig von der Bewertung ihrer inhaltlichen Regelungen mit der Schaffung der Verfassung erbracht würde. Das mit der Gründung der Europäischen Union verbundene Ziel, einen dauerhaften stabilen Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten zu gewährleisten wird durch die Schaffung einer gemeinsamen Verfassung manifestiert und dokumentiert. Aufgrund der Einbeziehung der Beitrittskandidaten in die Verhandlungen über den Verfassungsentwurf wird diese Wirkung zusätzlich ausgedehnt. Im Einklang damit zeigen die jüngsten Eurobarometer-Befragungen auch, dass die große Mehrheit der Bürger der Union die Schaffung einer gemeinsamen Verfassung begrüßen.

Sicherheitspolitische Regelungen im Verfassungsentwurf

Aus Sicht der Friedensbewegung sind im wesentlichen die Festlegung auf den Frieden als Ziel der Union (Art. 3 Verfassungsentwurf) und die Vorschriften zur Konfliktschlichtung (Art. 40 Verfassungsentwurf) von Bedeutung. Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass die Diskussion im Verfassungskonvent zeitlich weitgehend parallel zur Vorbereitung und Durchführung des Irak-Krieges stattfand. Eine ausdrückliche Verankerung friedenspolitischer Grundsätze wurde dadurch erheblich erschwert, da jede Festlegung in diese Richtung von den am Krieg beteiligten Regierungen – vor allem Großbritannien und Spanien – als Kritik aufgefasst worden wäre.

Frieden als Ziel der Union / Verbindlichkeit des Völkerrechts

Die Ziele der Union finden sich in Art. I-3. In Abs. 1 heißt es: „Die Union hat das Ziel, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen der Völker zu fördern.“ In Art. 3 Abs. 4 folgt der Auftrag, zum Frieden unter den Völkern beizutragen sowie eine ausdrückliche Anerkennung der Verbindlichkeit des Völkerrechts: „In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, freiem und gerechten Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere der Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.“

Positiv zu bewerten ist die prominente Positionierung des »Friedens« als vorrangiges Ziel und die Anerkennung der Verbindlichkeit des Völkerrechts. Insbesondere letztere war in der ursprünglichen Entwurfsfassung nicht so eindeutig festgelegt. Möglicherweise haben auch entsprechende Appelle aus der Friedensbewegung dazu beigetragen, dass die wünschenswerte Klarstellung erfolgt ist. Mit Anerkennung der Verbindlichkeit der Grundsätze der UN-Charta ist auch der dort in Kapitel VII angelegte Vorrang der zivilen Konfliktschlichtung vor militärischen Maßnahmen anerkannt.

Zwar gehen die Festlegungen im Verfassungsentwurf nicht über das hinaus, wozu die Mitgliedsstaaten der Union aufgrund ihrer Bindung an die UN-Charta und ihre eigenen Verfassungen ohnehin verpflichtet wären. Aber die ausdrückliche Wiederholung des Friedens als Ziel – gerade wegen der Verfassungsentstehung während des Irak-Krieges – hat eine nicht zu unterschätzende deklaratorische Bedeutung. Ein weiterer Vorteil wäre die Überprüfung der Einhaltung der Verfassung durch die europäischen Gerichte, so dass es – anders als bei Verletzungen der UN-Charta – tatsächlich auch zu einer gerichtlichen Verurteilung von Verstößen kommen könnte. Diese Möglichkeit wird aber von Art. III-282 bedauerlicherweise ausdrücklich ausgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof „ist nicht zuständig“ für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Hier zeigt sich, dass die oft vertretene politische Forderung nach einer Stärkung des Rechts letztlich nicht Ernst gemeint ist.

Zivile Konfliktschlichtung

Die zentrale Vorschrift zum Anliegen der Friedensbewegung ist Art. I-40»Besondere Bestimmungen für Durchführung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik«

Art. I-40, Absatz 1 lautet: „Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sichert der Union die auf zivile und militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen. Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit Hilfe der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.“

In Art. I-40, Absatz 3 S. 1 heißt es: „Die Mitgliedstaaten stellen der Union für die Umsetzung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zivile und militärische Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Rat festgelegten Ziele zur Verfügung.“

Damit wird erstmals in einem Verfassungstext die Existenz und Bedeutung der zivilen Konfliktschlichtung anerkannt. Das deutsche Grundgesetz kennt z. B. nur die Pflicht zur Aufstellung von Streitkräften (Art. 87a GG). Hier hatte das Projekt Europäische Verfassung in zweifacher Weise Erfolg:

Es konnte erreicht werden, dass die ursprüngliche Reihenfolge der Begriffe „auf militärische und zivile Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen“ und „militärische und zivile Fähigkeiten“ umgetauscht wurde (in Art. I-40 Abs. 1 und Abs. 3). Auf einen genau auf diese Umkehrung zielenden Appell hin wurden entsprechende Änderungsanträge eingereicht, die im endgültigen Text des Verfassungsentwurfs auch Berücksichtigung fanden. Das selbe gilt für den Begriff »Konfliktverhütung«, der zunächst in Abs. 1 nicht enthalten war. Es ist davon auszugehen, dass dieser nunmehr eingefügte Begriff und der Rückgriff auf die „Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen“ einen Vorrang der zivilen Konfliktschlichtung festlegt. Bestandteil der Charta im sechsten und siebten Kapitel und insbesondere in Artikel 42 ist die ausdrückliche Festlegung, dass militärische Maßnahmen nur im Falle der Unzulänglichkeit der friedlichen Maßnahmen nach Artikel 41 eingesetzt werden dürfen. Die Wiederholung der zuvor schon in Artikel I-3 des Verfassungsentwurfs verankerten Bindung an die UN-Charta im Zusammenhang mit Missionen zur Friedenssicherung hebt die Priorität der zivilen Mittel noch einmal ausdrücklich hervor.7 Die Bezugnahme auf die UN-Charta schafft kein neues materielles Recht, weil die EU-Mitgliedsstaaten natürlich bereits über ihre Mitgliedschaft in der UN an diese Vorgaben gebunden sind. Sie hat aber einen nicht zu unterschätzenden deklaratorischen Charakter.

Militärische Maßnahmen / Aufrüstungsgebot

Der Verfassungsentwurf enthält aber auch mehrere aus Sicht der Friedensbewegung zu kritisierende Regelungen. Das gilt insbesondere für Artikel I-40, Abs. 3, Satz 3 ff.: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird eine Europäische Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet, deren Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzuführen, sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung zu beteiligen sowie den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten zu unterstützen.“

Die darin zu sehende Festlegung einer Art Pflicht (!) zur Aufrüstung muss aus Sicht der Friedensbewegung deutlich kritisiert werden. Es ist nicht bekannt, dass die Verfassung eines Mitgliedsstaates oder irgend eines Staates eine solche Pflicht enthält. Es handelt sich um eine für Verfassungen untypische, eigentlich eher in einen staatlichen Haushaltsentwurf passende Regelung. Unabhängig von der dahinter stehenden falschen Haltung zur Friedens- und Sicherheitspolitik ist angesichts der restriktiven Haushaltspolitik in den EU-Staaten zweifelhaft, ob der Pflicht tatsächlich nachgekommen wird. Von diesen Finanzierungsproblemen ist aber auch der Aufbau von zivilen Kapazitäten durch die Mitgliedstaaten betroffen. Im Konfliktfall steht zu befürchten, dass sich wegen Art. I-40 Absatz 3 Satz 1 die militärische Aufrüstung durchsetzt. Das wäre wiederum nicht mit dem vorrangig genannten Ziel des Friedens in Art. I-3 des Verfassungsentwurfs vereinbar. Insofern ist die Verfassung in diesem Punkt auch widersprüchlich.

Damit wird die zuvor zum Ausdruck gebrachte Vorrangigkeit der zivilen Konfliktschlichtung konterkariert, weil – im Gegensatz zu den zivilen Kapazitäten – eine ausdrückliche Verpflichtung zur „Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“ statuiert wird, die durch eine im zivilen Bereich nicht vorgesehene Agentur gewährleistet werden soll. An dieser Stelle haben sich bedauerlicherweise die Befürworter einer auf das Militär ausgerichteten Politik – teilweise sicher mit der Intention zum Aufbau eines Gegengewichts zu den USA – durchgesetzt.8

Weiterhin ist zu kritisieren, dass in Art. III-210 Absatz 1 eine Vermengung zahlreicher verschiedener Missionen erfolgt: „Die in Art. I-40 vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ Damit wird das Anwendungsfeld für militärische Maßnahmen auf Ausgaben ausgedehnt, die nicht mit militärischen Mitteln verfolgt werden sollten. Hier wäre eine klare Trennung von zivilen und militärischen Missionen angebracht gewesen.

Schließlich ist zu bemängeln, dass in Art. III-210 Absatz 2 die Entscheidung über die Durchführung von Missionen ausschließlich dem Ministerrat übertragen wird. Insbesondere die Durchführung von militärischen Missionen sollte nicht ohne das Europäische Parlament beschlossen werden dürfen.

Fehlende Regelungen

Neben den zuvor dargestellten Regelungen fehlen im sicherheitspolitischen Teil der Verfassung wünschenswerte Festlegungen, die in anderen völkerrechtlichen Dokumenten bereits weitgehend verbindlich verankert sind und durch eine Aufnahme in den europäischen Verfassungsentwurf weiter gefördert worden wären.

Verbot von Massenvernichtungswaffen

Zunächst fehlt eine ausdrückliches Verbot des Einsatzes, Besitzes und der Herstellung von Massenvernichtungswaffen.9

Völkerrechtlich verbindliche Basis für ein Verbot von Atomwaffen ist der Atomwaffensperrvertrag10 von 1970. In diesem Vertrag haben sich die Nicht-Atomwaffenstaaten dazu verpflichtet, keine Atomwaffen herzustellen, zu erwerben oder zu besitzen. Im Gegenzug haben sich die Atomwaffenstaaten zu redlichen Bemühungen um die vollständige Abschaffung der Atomwaffen verpflichtet. Der Vertrag wurde 1995 auf unbestimmte Zeit verlängert. Im Sommer 1996 entschied der internationale Gerichtshof in einem Rechtsgutachten11 für die UN Vollversammlung einstimmig, das Art. VI des Atomwaffensperrvertrages die Kernwaffenstaaten bindend verpflichte, „Verhandlungen über die nukleare Abrüstung in allen Aspekten erfolgreich abzuschließen.“ Weiterhin hat das Gutachten die generelle Unzulässigkeit der Androhung und des Einsatzes von Atomwaffen festgestellt.12

Der Atomteststoppvertrag13 verpflichtet die Atomwaffenstaaten auf die Durchführung von Atomwaffenversuchen zu verzichten. Er ist allerdings nicht von allen erforderlichen Staaten – unter ihnen die USA – ratifiziert worden. Die Chemiewaffenkonvention und die Biowaffenkonvention enthalten völkerrechtlich verbindliche Verbote für die Herstellung, Fortentwicklung und den Besitz dieser Waffen.

Vor dem Hintergrund dieser ohnehin bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen wäre es angebracht gewesen, dass der Entwurf der Europäischen Verfassung ebenfalls eine ausdrückliche Absage an Massenvernichtungswaffen enthalten hätte. Die Aufnahme eines solchen Verbotes wurde von der IALANA im Rahmen des »Projekt Europäische Verfassung« mit dem folgenden Wortlaut vorgeschlagen: „Die Union und ihre Mitglieder dürfen Massenvernichtungswaffen nicht herstellen, lagern, transportieren, testen oder verwenden.“

Die Umsetzung dieser Forderung ist aber – wahrscheinlich vor allem wegen des Status von Frankreich und Großbritannien als Atomwaffenstaaten – nicht erfolgt.

Ächtung des Krieges

Weiterhin fehlt im Verfassungsentwurf eine ausdrückliche Ächtung des Krieges. Zwar wird in Art. 3 Abs. 1, Abs. 4 des Verfassungsentwurfs der »Frieden« ausdrücklich als Ziel der Union manifestiert, woraus sich im Umkehrschluss auch eine Ächtung des Krieges ergibt. Diese hätte aber noch einmal gesondert betont werden sollen.

Vorbild für eine Ächtung des Krieges als Mittel der Politik ist die Regelung im Briand-Kellogg-Pakt, der für zahlreiche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ohnehin bindendes Völkerrecht darstellt. Dort heißt es in Art. 1: „Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, dass sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“

Vor dem Hintergrund, dass die Diskussion des Verfassungsentwurfs parallel zu dem auch zwischen den Mitgliedsstaaten der Union höchst umstrittenen Krieg im Irak stattfand, konnte man sich möglicherweise nicht auf eine Bestätigung der ausdrücklichen Absage an den Krieg einigen. Die Kriegsbefürworter hätten das als – im Ergebnis übrigens berechtigte – Kritik an ihrer Politik zum Irak-Krieg verstanden.

Ausblick

Die im Titel gestellte Frage kann im Ergebnis mit: »Sowohl Ansatz zur Militarisierung, als auch Chance für die zivile Konfliktschlichtung« beantwortet werden. Es gilt daher nun, die Ansätze für die zivile Konfliktschlichtung im Verfassungsentwurf mit Leben zu füllen. Parallel sollte – auch wenn die Erfolgsaussichten schwierig sind – noch einmal versucht werden, den Text der Verfassung zu beeinflussen. Insbesondere sollte die »Aufrüstungspflicht« herausgenommen werden und parallel zu der Europäischen Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eine entsprechende Agentur für zivile Konfliktschlichtungsmissionen geschaffen werden. Beides könnte durch einen von der IALANA geplanten internationalen Kongress vorbereitet werden.

Etablierung der zivilen Konfliktschlichtung

Aus Sicht der Friedensbewegung kommt es nun vor allem darauf an, die Ansätze für die zivile Konfliktschlichtung für einen weltweiten Wettbewerb um die besseren Konfliktschlichtungsmodelle fruchtbar zu machen. Die EU und die USA befinden sich bereits in einem weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb. Dieser wird nicht nur im internationalen Handel und in der Konkurrenz um den Zugang zu Rohstoffen, insbesondere zur Energie, ausgetragen.14 Dieser Wettbewerb findet auch in der Kriegsprävention und -vermeidung statt.15 Der Versuch, durch eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) die militärische Stärke der USA zu erreichen, wird jedoch wegen der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit zur Bereitstellung der dafür erforderlichen Haushaltsmittel scheitern.

Der Schwerpunkt sollte deshalb auf zivilen Alternativen liegen. Europa sollte wirkungsvollere zivile Mittel zur Konfliktschlichtung entwickeln, die sich in einem weltweiten Wettbewerb um die bessere Politik durchsetzen werden. Die Festschreibung des Vorrangs ziviler vor militärischer Konfliktschlichtung ist anerkannt, aber nicht ausreichend. Diese Formulierung setzt unzutreffend voraus, dass Krieg ein Mittel zur Konfliktschlichtung ist.

Die Absage an Krieg wäre unvollständig, wenn nicht gleichzeitig Alternativen aufgezeigt würden. Das naheliegende und inzwischen erfolgreich erprobte Mittel ist die zivile Konfliktschlichtung. Wenn dafür nicht ausreichende Strukturen bereit stehen, ist ein Rückfall auf militärische Mittel wahrscheinlich. Nur die Aufstellung von Streitkräften ist bisher obligatorisch, nicht aber die von zivilen Konfliktschlichtungskräften. Wir schlagen vor, dass Europa Konfliktschlichtung mit Ausrichtung auf die Etablierung rechtsstaatlicher Strukturen betreibt. Das ist billiger als militärische Intervention, führt nicht zu menschlichen Opfern und Zerstörung und schafft hochqualifizierte Arbeitsplätze.

Verbesserung des Verfassungsentwurfs

Es ist trotz des Scheiterns der Verabschiedung des Verfassungsentwurfs für die endgültige Entscheidung des zuständigen Rat der Europäischen Union im Dezember 2003 sehr wahrscheinlich, dass der Entwurf des Verfassungskonvents weitgehend unverändert angenommen wird. Die Durchsetzung von Veränderung in der Phase bis zur Ratsentscheidung würde „das gesamte Paket wieder aufschnüren“. Auch aufgrund der hochrangigen Vertretung der Regierungen im Verfassungskonvent (z. B. durch Bundesaußenminister Fischer) ist das nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich. Eine weitere Befassung der Friedensbewegung mit dem Thema bleibt unabhängig von den Chancen einer erfolgreichen Einflussnahme erforderlich. Ein erheblicher Mangel des bisherigen Verfassungsentwurfs ist – wie bereits zuvor betont – , dass es für die Verbesserung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten keine »Europäische Agentur für die Verhütung gewaltsamer Konflikte« gibt; im Gegensatz zum militärischen Bereich. Es ist notwendig, die im Verfassungsentwurf vorhandenen Ansätze zur zivilen Konfliktschlichtung mit Leben zu erfüllen und Konzepte für eine funktionierende zivile Konfliktschlichtung zu entwerfen. Ansonsten droht die Wiederholung des »Scheiterns« von zivilen Missionen, wie etwa 1998/99 im Kosovo, wo eine unterbesetzte und nicht ausreichend qualifizierte Mission als gescheitert bewertet,16 abgezogen und damit auch noch als Vorwand für den Einsatz militärischer Gewalt missbraucht wurde.

Internationaler Kongress zur zivilen Konfliktbearbeitung

Die IALANA plant deshalb in Kooperation mit zahlreichen anderen Organisationen der Friedensbewegung im Mai 2004 einen internationalen Kongress zur zivilen Konfliktprävention, zur Einrichtung eines Europäischen Amtes für die Verhütung gewaltsamer Konflikte und der Bereitstellung entsprechender Mittel in den Mitgliedstaaten zu veranstalten.17

Anmerkungen

1) Mit dieser Erklärung vom Dezember 2001 hat der Europäische Rat den Konvent beauftragt.

2) Deutschland war durch Bundesaußenminister Joschka Fischer, den SPD-Bundestagsabgeordneten Prof. Jürgen Meyer sowie Ministerpräsident Erwin Teufel als Repräsentant der Bundesländer vertreten. Für nähere Informationen siehe http://european-convention.eu.int/bienvenue.asp?lang=DE&Content=.

3) Siehe dazu http://europa.eu.int/futurum/index_de.htm.

4) Am 27. Juli 2000 in Farnborough von Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, Schweden und Spanien getroffene Entscheidung, eine Rahmenvereinbarung (Letter of Interest) zu unterzeichnen, mit der die Umstrukturierung der Verteidigungsindustrie in Europa erleichtert werden soll.

5) Für den deutschen Text siehe: http://european-convention.eu.int/docs/Treaty/cv00850.de03.pdf.

6) Versammlung der Staatschefs der Mitgliedsstaaten.

7) Siehe aktuell zu diesem Vorrang den Beitrag von Helmut Simon; Frankfurter Rundschau vom 06. Januar 2004, S. 8.

8) Zur Kritik an dieser Entwicklung und am Verfassungsentwurf siehe auch Martin Singe, Die Militarisierung der Europäischen Union, in: Friedens-Forum 5-6/2003, S. 31-34.

9) Darunter sind atomare, biologische und chemische Waffen zu verstehen.

10) Auch bezeichnet als: Nicht-Weiterverbreitungs-Vertrag = Non-Proliferation-Treaty (NPT).

11) Abgedruckt in: IALANA (Hrsg.): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, S. 29 ff; 69 ff.

12) Siehe dazu D. Deiseroth: Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof – Konsequenzen für die Praxis?, in: IALANA (Hrsg.): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, S. 351 (352 f.).

13) Comprehensive Test Ban Treaty (CTBT).

14) Dazu lesenswert: J. Todd, Weltmacht USA – Ein Nachruf; 2002.

15) Dazu bereits P. Becker: „Aufruf zu einem Wettstreit der Konfliktschlichtungskulturen“, in: Horst-Eberhard Richter (Hrsg.): Kultur des Friedens, Gießen 2001, S. 119-124.

16) Ob die Kosovo Verification Mission (KVM) tatsächlich als Misserfolg zu bewerten ist, ist sehr umstritten, vgl. ausführlich H. Loquai: Weichenstellungen für einen Krieg, Baden-Baden 2003.

17) Weitere und aktualisierte Informationen dazu können demnächst unter www.ialana.de abgerufen werden. Wer die Ausrichtung dieses Kongresses finanziell oder logistisch unterstützen möchte, wird um Mitteilung an info@ialana.de gebeten.

Dr. Peter Becker ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der deutschen IALANA sowie Sekretär des weltweiten IALANA-Dachverbandes. Dr. Philipp Boos ist Rechtsanwalt sowie Geschäftsführer der deutschen IALANA und des IALANA- Dachverbandes.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/2 EU – Zivil- oder Militärmacht, Seite