W&F 2004/2

Mönche zwischen den Fronten

Göttinger Friedenspreis 2004

von Stiftung Dr. Roland Röhl

Nur wenige Schritte trennen die Benediktinerabtei Hagia Maria Sion und ihre Friedensakademie Beit Benedikt von der jüdischen Klagemauer, der Grabeskirche Christi und der Al Aksa-Moschee der Muslime. Inmitten der von blutiger Geschichte und gewaltsamem Alltag zerrissenen Stadt Jerusalem, im Zentrum des arabisch-israelischen Konfliktes haben die Mönche um den Abt Benedikt Lindemann Räume für Besinnung, Begegnung und Dialog geschaffen. In einer Zeit, in der der Frieden zwischen Staaten und innerhalb der Gesellschaften deutlicher denn je von der Fähigkeit zur Toleranz unter den Kulturen und Religionen abhängt, ist das aktive Beispiel einer christlichen Gemeinschaft, die in diesem Sinne wirkt, von herausragender Bedeutung. Deshalb wurde in diesem Jahr der Göttinger Friedenspreis an den Abt Benedikt Lindemann verliehen. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, hielt die Laudatio und in seiner Antwort vermittelte der Abt einen Eindruck von der sicher nicht leichten Arbeit der Mönche „zwischen den Fronten“.

Göttinger Friedenspreis

Der Göttinger Friedenspreis wird jährlich von der Stiftung Dr. Roland Röhl verliehen. Zweck der Stiftung ist die Förderung der Konflikt- und Friedensforschung. Der Preis kann an Einzelpersonen oder Personengruppen gehen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeit oder herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient gemacht haben. Vorschläge für 2005 nimmt die Jury bis zum 30. August entgegen: c/o Dr. Wolfgang Vogt, Isestr. 59, 20149 Hamburg

In der Begründung der Jury zur Preisverleihung heißt es: „Im hochgerüsteten Konflikt permanenter Grenzkontrollen und -überschreitungen, zwischen Bomben und Betonzäunen, bieten die Mauern der Abtei Schutz und Chance für diejenigen, die Trennung, Hass und Grenzen friedlich überwinden wollen. Die Akademie lädt Palästinenser und Israelis zum gemeinsamen Gespräch ins Kloster ein. Die Akademie bietet Raum für ökumenische und interreligiöse Begegnungen zwischen Juden, Christen und Muslimen. Mit unterschiedlichen Angeboten werden Wissen und Verstand, Emotionen und Erinnerungen, Ästhetik und Sinn für Kultur angesprochen. Vorträge, Seminare, Ausstellungen und Konzerte bringen Menschen aus dem In- und Ausland an diesem besonderen Ort zusammen. So erhalten unter anderem Theologen, Pädagogen und Journalisten Anregungen für ihre Arbeit.

Abt Benedikt Lindemann und seine Brüder gehen aber auch hinaus in den Konflikt, sie verteilen Lebensmittel, Medikamente und Kleidung in den besetzten Gebieten, und sie laden israelische wie palästinensische behinderte Kinder zu gemeinsamen Sommerferien am See Genezareth ein …

Es ist zu wünschen, dass die sinn- und friedensstiftende Tätigkeit der Abtei weitere Früchte für die Menschen in Jerusalem trägt und als ein Beispiel ziviler Konfliktbearbeitung auch weiterhin und sichtbar Ausstrahlung entfaltet.“

Ein friedlicher Weg für scheinbar unlösbare Fragen

In ihrer Laudatio würdigte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, die Arbeit der Benediktinerabtei für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse.

Sie ging dann ausführlicher auf den Konflikt Israel-Palästina ein und kritisierte den so genanntenen Schutzwall, den Israel seit fast zwei Jahren aufstellt. „Die Mauer ist … ein Anachronismus in einem ebenso unzeitgemäßen Krieg zwischen den Israelis und den Palästinensern … Die physische Barriere ist keine Lösung. Jeder kann sich das vorstellen. Der Hass sickert durch jede Ritze, wie Wasser. Auf die Dauer kann nur die Strategie im Nahen Osten erfolgreich sein, die unbeirrt daran arbeitet, die jahrzehntelang eingravierten Gefühle des Hasses und der Demütigung umzuleiten in eine Energie, die aus der Ausweglosigkeit heraus in eine friedliche Zukunft führt.“

In der »Genfer Initiative«, die am 1. Dezember des letzten Jahres in der Schweiz unterzeichnet und der Öffentlichkeit präsentiert wurde, sieht Vollmer hierfür eine große Chance. Unter der Federführung von Yossi Beilin, dem ehemaligen israelischen Justizminister und Yaser Abed-Rabbo, dem ehemaligen palästinensischen Informationsminister haben israelische und palästinensische Politiker, Militärs und Intellektuelle zwei Jahre lang verhandelt und schließlich dieses „einmalige Papier“ vorgelegt. Vollmer verweist darauf, dass es schon viele Nahost-Initiativen und Vorschläge gegeben hat und geht dann der Frage nach, welche Qualität ein neuer Plan haben muss, um jetzt Hoffnungen wecken zu können. Für sie sticht die die »Genfer Vereinbarung« „durch einige Aspekte aus der Masse der bisherigen Vorschläge heraus:

  • Sie erfüllt die Grundvoraussetzung eines jeglichen erfolgversprechenden Planes, nämlich dass sie von den beiden betroffen Seiten gemeinsam ausgehandelt worden ist. Und zwar handelt es sich auf israelischer Seite um Politiker der Arbeiterpartei, hochrangige Militärs, sogar ein ehemaliger Mossad-Chef und Verhandlungspartner von früheren Friedensabkommen sind dabei. Intellektuelle und Schriftsteller wie Amos Oz und David Grossmann, der frühere Botschafter Avi Primor, Mitglieder der Friedensbewegung und Wissenschaftler unterstützen die Initiative. Auf palästinensischer Seite haben ehemalige Minister der Autonomiebehörde, Wissenschaftler aus den Bereichen Geographie, Archäologie, Juristen, ja sogar der Vertreter der Führung der ersten Intifada und ein General des Sicherheitsdienstes in der Westbank an dem Vertragswerk mitgearbeitet. Arafat und Qureia sollen von Anfang an über die Gespräche informiert und damit einverstanden gewesen sein. Diese Zusammenarbeit bedeutet auch, dass die Palästinenser erstmalig das Recht der Juden auf einen eigenen Staat anerkennen.
  • Das einzigartige der »Genfer Vereinbarung« aber ist vor allem, dass mit ihr ein detaillierter Plan vorgelegt wird, der für alle Einzelheiten des Friedensschlusses einen durch Vertreter beider Seiten ausgehandelte Lösung anbietet – ein Ziel, nicht nur den Anfang eines Weges. Bisher kannte man nur Pläne, die grobe Richtungen vorgaben und Termine zur Lösung der schwierigen Fragen festsetzten, ohne konkrete Vorschläge zu wagen.

In den Jahrzehnten des Nahostkonflikts haben sich vier Kernprobleme herauskristallisiert, die unlösbar scheinen, die Empfindlichkeiten der beteiligten Parteien im innersten treffen und die nie jemand anpacken konnte, weil es hier um Kompromisse geht, die nur die Beteiligten selbst aushandeln können. Diese vier Probleme sind:

  • die Zukunft der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und im Gaza-Streifen;
  • die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge;
  • der Status von Jerusalem und
  • die gegenseitige Anerkennung des israelischen und des palästinensischen Staates.

Was sagt die »Genfer Vereinbarung« zu diesen vier Kernpunkten? Sie schlägt radikale Kompromisse vor.

Mit den Siedlungen soll folgendermaßen verfahren werden: Es gelten die Grenzen vom 4. Juni 1967, also vor dem Sechstagekrieg. Sämtliche Siedlungen in den besetzten Gebieten werden aufgegeben und in benutzbaren Zustand an die Palästinenser übergeben.

Die Flüchtlingsfrage wird auf der Basis der Resolutionen 194 der UN-Generalversammlung und 242 des UN-Sicherheitsrates sowie des Vorschlags der arabischen Friedensinitiative behandelt. Das heißt, dass die Flüchtlinge ein Recht auf Kompensation für ihr Flüchtlingsdasein und den Verlust von Eigentum haben. Dafür wird ein internationaler Entschädigungsfonds eingerichtet. Israel kann von seiner Einzahlungssumme den Wert der auf- und übergebenen Siedlungen abziehen. Die Flüchtlinge können hinsichtlich ihres Bleiberechts zwischen mehreren Optionen wählen: Sie können sich im Staat Palästina, in Gebieten, die im Rahmen des Gebietsaustauschs von Israel an den Staat Palästina übergehen, in Drittstaaten, in momentanen Gaststaaten und in Israel niederlassen. Bei letzterer Option hat Israel die Entscheidungsgewalt und soll sich an den durchschnittlichen Aufnahmemengen von Drittstaaten orientieren.

Jerusalem wird für beide Staaten die Hauptstadt, die Souveränität wird geteilt. Ein interkonfessionelles Gremium zur Lösung aller religiösen Fragen wird eingerichtet – und hier stoßen wir ganz unmittelbar auf das, was in ihrem Haus an guter Tradition gesät wurde. Es herrscht Freiheit der Religionsausübung. Auf dem Tempelberg (Haram al-Sharif) soll es eine multinationale Präsenz geben: Das Plateau unter palästinensischer und die Klagemauer unter israelischer Aufsicht; es wird dort keine Ausgrabungen bzw. Bauunternehmungen geben ohne Zustimmung der israelischen und der palästinensischen Seite. Die muslimischen, armenischen und christlichen Teile der Altstadt sollen zu Palästina und das jüdische Viertel zu Israel gehören. Die jüdischen Stadtteile in Ostjerusalem werden aufgegeben.

Palästina und Israel werden nach der »Genfer Vereinbarung« ihre Souveränität gegenseitig anerkennen und normale diplomatische Beziehungen miteinander aufnehmen.

Die Implementierung und Lenkung des Friedensprozesses wird durch verschiedene Gremien und Schlichtungsmechanismen begleitet, die stets durch beide Parteien besetzt und entschieden werden.

Dies sind nur die vier wichtigsten Bereiche, die dieser Friedensplan regeln will. Beiden Seiten werden dabei unendlich schwierige Kompromisse abverlangt. Aber das besondere ist: All diese Punkte sind machbar …

Seit ihrer Unterzeichnung Ende letzten Jahres wird die »Genfer Vereinbarung« auf der ganzen Welt diskutiert. Natürlich ist sie nur ein Anfang, denn sie wurde nicht zwischen Regierungen, sondern zwischen privaten Bürgern ausgehandelt.

Aber der Plan hat das Zeug dazu, den gesellschaftlichen Willensbildungsprozess der Palästinenser und der Israelis neu in Gang zu setzen. Ist erst einmal die Zivilgesellschaft überzeugt, kann sie Druck auf ihre beiden Regierungen ausüben und den Friedensprozess wieder weiter vorantreiben. Es wäre nicht das erste Mal in unserer Geschichte, dass am Ende die Zivilgesellschaft und individueller Mut einen friedlichen Weg für scheinbar unlösbare Fragen vorwärtsgetrieben hätte.“

Antje Vollmer verwies darauf, dass die Arbeit der Benediktinerabtei, ihre Vermittlung zwischen den Kulturen, Philosophien und Religionen, ihre echte Freundschaft zu den Mitmenschen anderer Glaubensrichtungen den Prozess hin zur »Genfer Vereinbarung« begleitet hat, dass ohne ruhige und offenherzige Orte wie dieses Kloster ein Friedensprozess nicht vorstellbar ist.

„Sie geben den Menschen in Israel, die die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben noch nicht aufgegeben haben, einen Ort zum Austausch und zur Verständigung. Sie halten Ihr Haus offen für alle ohne Ansehen ihrer Religion in einem Land, in dem der Ausnahmezustand herrscht. Für diese Arbeit »im Kleinen«, in der Tiefe, die aber den großen Friedensinitiativen in nichts nachsteht, sie viel eher tatkräftig unterstützt, möchten wir Sie heute mit der Überreichung des Göttinger Friedenspreises ehren.

Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihnen noch viel Kraft und Zähigkeit und Friedfertigkeit auf Ihrem steilen und steinigen Weg.“

Unauffällige Friedensarbeit

In seiner Antwort ging der Preisträger auf die schwierige Lebenssituation in Jerusalem ein und darauf, dass sie als Mönche nicht für alles Lösungen anbieten könnten, da sie weder Strategen noch Politiker und auch keine Helden oder Freiheitskämpfer seien.

Er plädierte dafür, gerade in Jerusalem die Lehren aus der Geschichte zu ziehen: „Zunächst einmal ist es für uns Christen sehr, sehr hilfreich, dass wir bei all den Heiligtümern, die auch wir in Jerusalem verehren, keine politischen Ansprüche auf die Heilige Stadt und das Heilige Land stellen. Das war auch schon anders, mit verheerenden und blutigen Folgen. Da sind wir heute, so hoffe ich, weiter … (Es) haben sich schon seit allen Zeiten verschiedene Völker, Kulturen und Glaubensgemeinschaften in der Stadt aufgehalten, haben dort gelebt und gebetet und nur allzu oft auch miteinander und untereinander gekämpft. Was wir heute mit multikultureller Gesellschaft und Globalisierung bezeichnen, das erlebt Jerusalem schon seit Jahrtausenden.“

Wörtlich führte er weiter aus: In den vergangenen Jahrzehnten haben sich „immer mehr Theologen und Gelehrte verschiedener Konfessionen und Religionen darüber Gedanken gemacht, welchen Beitrag die Religionen zu einem nachhaltigen und wahren Frieden in der Welt leisten können. Diese Frage ist natürlich auch an unserer benediktinischen Klostergemeinschaft nicht spurlos vorüber gezogen, weil ja auch die Kriege und Konflikte der vergangenen 100 Jahre, seit es unser Kloster in Jerusalem gibt, nicht ohne Spuren an uns vorbeigezogen sind … Mehr als einmal stand in den 100 Jahren der Geschichte unseres Klosters die Frage im Raum, ob es denn nicht geboten sei, die Abtei aufzuheben. Man hat es nicht getan …

Die verschiedenen Generationen von Mönchen auf dem Zion haben versucht, ihre eigene Antwort auf die Frage zu geben, welchen Beitrag sie als Mönche zum Frieden in der Heiligen Stadt beitragen können: Sie waren – und sind bis heute – Anlaufstelle für deutsche Pilger und Reisende im Heiligen Land; sie haben sich in der Ausbildung des Priesternachwuchses des lateinischen Patriarchates engagiert; sie haben sich mit Theologie, Geschichte und Kultur beschäftigt; haben Werkstätten aufgebaut; sie waren Gastgeber für einzelne und Gruppen und auch – aufgrund der besonderen geo-politischen Lage im Niemandsland – für Politiker der beiden Konfliktparteien im Land, usw. So begegneten sie immer wieder beiden großen Bevölkerungsgruppen im Land selbst und vielen, vielen Gästen aus dem Ausland.

Wir führen so als Mönche zwischen den Fronten vielleicht nicht ein idealtypisches Klosterleben, wie man es sich in einem frommen Bilderbuch vorstellen mag. Auch wenn die Mönche zu allen Zeiten immer wieder in die große oder kleine Politik hineingerutscht sind und sich mehr oder weniger aktiv an ihr beteiligt haben. Und es ist in der Tat eine der spannendsten Aufgaben für meine Brüder und mich, jeden Tag neu das klösterliche Leben in Gebet und Arbeit mit unserem konkreten Ort in Beziehung zu bringen …

Aber Gott sei Dank: Es entspringen eben für mich als Christ und Mönch alle Quellen in dieser Stadt, in diesem Land. Und aus diesen Quellen dürfen wir als Gemeinschaft schöpfen. Da bedarf es an sich keiner großartigen theologischen oder philosophischen, gar sozialen oder politischen Gedankengebäude oder Entwürfe: Die beiden Orte, an denen unsere Gemeinschaft im Heiligen Land lebt, geben uns schon als solche und mit ihren Traditionen ein eigenes Fundament.

Unser Priorat Tabgha am See Genesareth im Norden Israels – 200 Meter unter dem Meeresspiegel, wo sechs unserer Brüder leben, wurde bereits von den frühen Christen als Ort der wunderbaren Brotvermehrung verehrt. Im 15. Kapitel des Matthäusevangeliums … heißt es: »Jesus aber rief seine Jünger heran und sprach: Mir ist weh um die Leute. Schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen«. Mir ist weh um die Leute. Und Er machte sie heil. – Dieses Mitleid, dieses Erbarmen Gottes mit den Menschen prägt bis heute diesen kleinen Flecken Tabgha mit seiner Abgeschiedenheit und der wunderbaren Tier- und Pflanzenwelt. Schon seit vielen Jahren kommen behinderte und nicht behinderte Kinder und Jugendliche: Palästinenser, Israelis und auch Europäer, hier hin, um einige Tage oder Wochen ihrer Ferien zu verbringen. Sich kennen lernen, zusammen leben und essen, das geschieht so auf eine ganz natürlich Weise, v.a. die Kinder sind es, die sich im Spielen begegnen und so die ersten Barrieren durchbrechen.

So wie Tabgha seine Quellen für unser Leben als Mönche hat, so gilt das auch für den heiligen Berg Zion … Der Zion ist zu einem Ort der Sammlung und der Sendung der Kirche geworden. Ein tief spiritueller Ort, der Ruhe und Kraft in sich vereint, der einen zu sich selbst kommen lässt und der aus dieser Sammlung heraus wieder nach Außen wirkt, so wie in den ersten Tagen der Kirche vom Zion aus die Apostel in die ganze Welt losgezogen sind.

Wir haben dabei in den vergangenen Jahren, in denen der Konflikt im Heiligen Land aufs neue brutal und blutig ausgebrochen ist, eine ganz wunderbare Erfahrung machen dürfen: Je mehr wir uns bemühen, als Mönche zu leben – und nicht als Politiker, Sozialarbeiter oder Krisenmanager – um so mehr und umso besser können wir unseren Beitrag für Verständigung und Versöhnung, letztlich für Frieden im Heiligen Land leisten: Das persönliche und das gemeinsame Gebet etwa ist eine der wichtigsten Säulen unseres Lebens; auf dem Zion ist das spezielle Gebet um den Frieden natürlich eine ganz besondere Aufgabe für uns. Zu diesem Friedensgebet laden wir immer wieder auch Stadt und Land ein, lassen jeden Samstag um 15 Uhr unsere Glocken als Mahnung für den Frieden läuten. – Gerade dieses Glockenläuten wird weithin in der Stadt Jerusalem wahrgenommen: Wenn es einmal ausbleiben sollte, fragen die Menschen, wenn man in der Altstadt unterwegs ist, mit ernster Sorge, ob wir denn aufgehört hätten, für den Frieden zu beten. Wir bemühen uns, bei diesem Gebet um den Frieden auch die Gebetstraditionen zu berücksichtigen, und haben deshalb in unsere Komplet, in das Nachtgebet der Mönche, Elemente aus den anderen Konfessionen und Religionen integriert, um uns im Gebet mit ihnen zu verbinden: Am Mittwoch haben wir Elemente aus der christlich-orthodoxen Tradition, am Donnerstag aus der muslimischen und am Freitag aus der jüdischen.

Eine weitere wichtige Säule unseres Lebens als Benediktinermönche ist die Gastfreundschaft. Unser Ordensvater, der heilige Benedikt, hat uns in die Regel eingeschrieben, dass jeder Fremde wie Christus selbst aufzunehmen ist. Wenn wir dann im vorletzten Winter, auch aufgrund unserer besonderen geopolitischen Lage, einige Male jungen Israelis und Palästinensern Gastfreundschaft gewähren konnten, und diese jungen Leute sich auf neutralem Grund und Boden einfach kennen lernen und über ihre jeweilige Geschichte und ihre Sorgen und Ängste, aber auch ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auf eine gemeinsame friedliche Zukunft austauschen konnten, dann mag das ein kleiner Baustein zum Frieden im Heiligen Land sein. – Gastfreundschaft ist auch für unsere Gottesdienste wichtig. Beispielhaft nennen möchte ich die Mitternachtsmesse an Weihnachten, zu der vor allem junge Israelis, jüdische Studentinnen und Studenten kommen. Sie kommen nicht, weil sie zum Christentum übertreten möchten, sondern mehr aus kulturellem Interesse. Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass sie am Eingang der Kirche freundlich empfangen werden, dass sie auch am Beginn der Liturgie noch einmal freundlich begrüßt werden und dass ihnen gewisse Regeln vermittelt werden, am besten in ihrer eigenen Sprache Ivrith. Wir haben damit besonders zum vergangenen Weihnachtsfest sehr gute Erfahrungen gemacht.

In diesem Sinne wird auch nach und nach unsere Friedensakademie Beit Benedikt Gestalt bekommen können, die sich in erster Linie als ein Ort der Begegnung von Gästen und des gegenseitigen Austauschs versteht. Im Kern wird stets unsere betende Mönchsgemeinschaft stehen, die im Sinne benediktinischer Gastfreundschaft auch »den Fremden« in jeweils entsprechender und sinnvoller Weise am Kloster teilhaben lässt. Es wird darum gehen, das, was an Aktivitäten und Engagement ohnehin schon besteht, zu bündeln und zu stabilisieren.

Sie werden erkennen, dass es also eigentlich eine unauffällige Art von Friedensarbeit ist, um die meine Brüder und ich uns bemühen: Wir wollen als Mönche auf dem Zion und in Tabgha am See Genesareth leben. Dabei entspricht es guter benediktinischer Tradition, dass jede Gemeinschaft ihr Mönch-Sein eben auch in den jeweiligen Rahmenbedingungen orientiert. Wie das in unserem Falle aussieht, habe ich versucht, Ihnen etwas zu schildern. Vielleicht können wir so einen kleinen Beitrag dazu beitragen, die Wunden in den Seelen der Menschen zu heilen … Und das braucht Generationen!“

Nach dem Dank an die Stiftung Dr. Roland Röhl, den Vorstand und die Jury des »Göttinger Friedenspreises«, kam Abt Benedikt Lindemann noch auf ein besonderes Anliegen zu sprechen: „Vor 100 Jahren entstand unser Kloster im Namen der Deutschen, ebenso wie etwas früher auch die lutherische Erlöserkirche gebaut worden ist. Im Hinblick auf die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre erkenne ich den Auftrag, dass gerade von Deutschland aus Gedanken des Friedens ausgehen bzw. ausgehen sollten.“

Man kann sich über die Arbeit der Benediktiner in Jerusalem auch im Internet informieren: www.hagia-maria-sion.net

Dr. Roland Röhl (*1955) war promovierter Chemiker, arbeitete aber seit Beginn der 1980er Jahre als Wissenschaftsjournalist für Funk, Fernsehen und verschiedene Printmedien. Nach seiner Krebserkrankung 1995 entschied er sich, seine Lebensversicherung in eine Stiftung einzubringen, um seinem zentralen Anliegen – der Konflikt- und Friedensforschung – auch nach seinem Tod zur Geltung zu verhelfen. Die Stiftung ist seit 1998 in seinem Sinne tätig. Nähere Informationen unter: www.goettinger-friedenspreis.de

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/2 EU – Zivil- oder Militärmacht, Seite