Morden im Namen von Freiheit
Kesseltreiben gegen Linke in den Philippinen
von Rainer Werning
Vor zwanzig Jahren stürzte in den Philippinen die Marcos-Diktatur, die über den Inselstaat am 21. September 1972 das Kriegsrecht verhängt hatte. Anlässlich des 34. Jahrestages dieses Ereignisses versammelten sich Zehntausende von Demonstranten in den Philippinen sowie in einigen europäischen und US-amerikanischen Großstädten, um gegen die Regierung von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo lautstark zu protestieren. Die nämlich hat seit Beginn ihres Amtsantritts im Januar 2001 mit Methoden des einstigen Diktators Front gegen missliebige Kritiker gemacht und das Land tief gespalten.
Die „Menschenrechtslage unter Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo“, schrieb Girlie T. Padilla, Generalsekretärin der Ökumenischen Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden in den Philippinen, zum Jahreswechsel, „ist mit Abstand die schlechteste in der Post-Marcos-Ära. Alle diese Morde gehen auf das Konto des Staatsapparates und geschahen im rechtsfreien Raum; weder wurden Anklagen erhoben, noch Verdächtige in Gewahrsam genommen. Wer heute gegen die Regierung protestiert, kann bereits unter dem Terrorverdacht festgenommen und auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden“.
Die engagierte Bürgerrechtlerin sollte leider Recht behalten. Auch in diesem Jahr setzen Schergen der staatlichen »Sicherheitskräfte« ihr Kesseltreiben gegen Kritiker des Arroyo-Regimes fort. Dabei verfahren sie fast immer nach ein und demselben Muster: Maskierte Personen auf Motorrädern erschießen ihre Opfer aus kurzer Entfernung, um dann unerkannt davon zu preschen. In erster Linie trifft es vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei (CPP) und ihrer Guerilla, der Neuen Volksarmee (NPA), Aktivisten der im Kongress vertretenen linken Gruppierungen Bayan Muna (Das Volk zuerst) und Anakpawis (wörtlich: Kinder des Schweißes) sowie Bürgerrechtler, Kirchenleute, Gewerkschafter, Arbeiter- und Bauernführer. Insgesamt sind seit dem Amtsantritt von Präsidentin Arroyo im Januar 2001, so Marie Hilao-Enriquez, Generalsekretärin der Menschen- und Bürgerrechtsorganisation Karapatan, bis Mitte September dieses Jahres 650 Personen aus politisch motivierten Gründen ums Leben gekommen – darunter knapp 70 Journalisten, mehr als während der Kriegsrechtsära unter Marcos (1972-86). Damit rangieren die Inseln hinter Irak zum gefährlichsten Land für investigative Medienvertreter.
Unterstützt wird diese Kritik an Arroyo mittlerweile auch von der staatlichen Menschenrechtskommission (CHR) und amnesty international (ai). Bereits zwei Mal in diesem Jahr, im Mai und September, legte ai Berichte vor, in denen vor allem der starke Anstieg außergerichtlicher Hinrichtungen, das Klima von Straffreiheit und der Täterschutz kritisiert werden. Selbst die CHR-Vorsitzende Purificacion Quisumbing schloss sich dieser Einschätzung an – ungewöhnlich für eine Organisation, die sonst stets die Regierungsseite verteidigte. Im Mittelpunkt der Kritik stehen namentlich Personen wie (der mittlerweile in den Ruhestand getretene) Generalmajor Jovito Palparan, Generalstabschef Hermogenes Esperon, Exekutivsekretär Eduardo Ermita und der Nationale Sicherheitsberater Norberto Gonzales. Sie seien die Hauptarchitekten von »Oplan Bantay Laya«, dem staatlichen Aufstandsbekämpfungsplan »Freiheitswacht«, der sich ausdrücklich gegen exponierte Aktivisten im Hinterland und in den Städten richte. Palparan, ein in Manila hochgeschätzter Offizier, ist erklärtermaßen ein glühender Befürworter des »kurzen Prozesses«, wenn es gilt, »Aufständische, Terroristen und Kommunisten« zu jagen. Er befehligte zuletzt Infanterieeinheiten im Zentrum der Hauptinsel Luzon, auf der auch Manila liegt. Das Treiben von Palparan und Co. genießt seit Ende Mai zudem besonderen Rechtsbeistand aus Manila und Washington, da der zwischen beiden Parteien geschlossene so genannte »Security Engagement Board« über normale militärische Aspekte hinaus auch und gerade Sonderaufgaben wie „die Bekämpfung des Terrorismus“ und „die Hilfestellung im Falle von Naturkatastrophen“ u.ä. vorsieht. Das alles weckt böse Erinnerungen an die einst in Vietnam exekutierte Operation Phönix, bei der es darum ging, faktisch die Zivilbevölkerung in »Unruhegebieten« als Geiseln zu nehmen, um so der Guerilla den Nährboden zu entziehen.
Aus seinem Exil im niederländischen Utrecht meldete sich in den vergangenen Wochen gleich mehrfach José Maria Sison zu Wort, der einst Mitbegründer der CPP war und heute als Chefberater des Nationalen Demokratischen Front (NDFP) fungiert, der Dachorganisation der illegalisierten philippinischen Linken. „Geblendet von Hybris“, so Sison kürzlich in einer Presseerklärung, „überschätzt das Regime maßlos seine Fähigkeit, sich mittels schierer Gewalt und Betrug an der Macht zu halten. Tatsächlich trägt es aktiv dazu bei, dass sich die Masse der Bevölkerung und verschiedene politische Kräfte einen und vielfältige Formen des Kampfes entwickeln“. Sison ist selbst in einen delikaten Rechtsstreit verwickelt. Nach der letzten Anhörung am 30. Mai soll in Kürze vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg über seine Klage befunden werden, seinen Namen von der»Terroristen-Liste« des Rates der Europäischen Union zu streichen.
Dr. Rainer Werning, Politologe und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, ist u.a. Ko-Herausgeber des jüngst erschienenen »Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur« (Unkel/Bad Honnef: Horlemann Verlag).