W&F 2008/4

Musealer Militarismus

Das Tamm-Museum in Hamburg

von Hans Walden

In Hamburg gibt es am Rand der neuen HafenCity ein neues Großmuseum: das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH). Da es auf der riesigen Sammlung beruht, die der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags, Peter Tamm, zusammengetragen hat, ist es allgemein unter dem Namen »Tamm-Museum« bekannt. Es ist ein Privatmuseum, doch wäre seine Realisierung im alten Kaispeicher B ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Stadt Hamburg nicht möglich gewesen. Die Eröffnung des Museums am 25. Juni 2008 versammelte über 800 geladene Gäste. In einem symbolischen Akt hissten Peter Tamm, hinter ihm Bundespräsident Horst Köhler und Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust gemeinsam die Museumsflagge.

Wenn über Tamms Sammlung berichtet wird, werden häufig zunächst beeindruckende Zahlen zu ihrem quantitativen Umfang genannt: 1.000 große und 36.000 kleine Schiffsmodelle, 5.000 Gemälde, 1.000 Uniformen, 120.000 Bücher, 50.000 Schiffbaupläne und rund 1,5 Millionen Fotografien sollen zu ihr gehören. Den Ursprungsmythos bildet eine rührende Geschichte von 1934, die Tamm immer wieder gerne erzählt: Damals habe seine Mutter ihm das allererste kleine Modell von einem Küstenmotorschiff geschenkt, und seitdem habe ihn die Sammelleidenschaft nicht mehr losgelassen.

Bisher war die Sammlung in einer großen Villa an der Elbchaussee 277 untergebracht. Den Besuchern, die sie sich dort nach Voranmeldung ansehen konnten, konnte kaum entgehen, dass Militaria aller Art einen großen Teil, gewissermaßen das »Herz« der Gesamtsammlung ausmachen und dass eine besondere Vorliebe des Sammlers Stücken aus Kaisers und Führers Zeiten gilt. Aufgrund der von einem Millionenvermögen begünstigten Sammelleidenschaft Tamms reichten die Räumlichkeiten bald nicht mehr aus; die Suche nach einem neuen Standort begann. Schon 2001 bot Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) Tamm an, für die Sammlung einen Museumsstandort in der geplanten HafenCity zur Verfügung zu stellen.1 Der in demselben Jahr gebildete neue Senat, der sich auf eine Rechtskoalition der CDU mit der Schill-Partei und der FDP stützte, setzte die Bemühungen um Tamms Sammlung verstärkt fort. 2003 gab Bürgermeister Ole von Beust bekannt, dass der inzwischen gegründeten Peter Tamm Sen. Stiftung der älteste Hamburger Kaispeicher am Rand der HafenCity kostenlos für 99 Jahre überlassen und im Kulturetat für die Herrichtung des Museums 30 Millionen Euro bereitgestellt werden sollten. Parteiübergreifend war man sich einig, dass sich Hamburg die als »einzigartig« gepriesene Sammlung als neuen touristischen Anziehungspunkt sichern sollte – welches Geschichtsbild dort vermittelt werden würde, schien irrelevant. Die Hamburger Bürgerschaft stimmte der Planung im Februar 2004 ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der GAL-Fraktion zu, und im Juni 2004 wurden die Verträge zwischen Tamm und der Stadt Hamburg unterzeichnet. Wenige Tage später wurde bereits die erste Rate von 15 Mio. Euro an die Tamm-Stiftung überwiesen. Ein Museumskonzept, das diesen Namen verdient hätte, lag bis dahin nicht vor.

Initiativen aus dem außerparlamentarischen Raum sorgten 2005 dafür, dass die unreflektierte Begeisterung für dass Tamm-Museum zumindest gestört wurde. Der »Informationskreis Rüstungsgeschäfte in Hamburg« brachte die Dokumentation »Tamm-Tamm« heraus, die, wie der Untertitel besagt, als „Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum“ gedacht war. Der Autor legte darin die Ergebnisse seiner Recherchen über Peter Tamm, den Militaria-Bereich seiner Sammlung und über das Museumsprojekt vor. Daraus wurde deutlich, dass die Stadt, obwohl sie die Herrichtung des Museums finanzierte, jede Möglichkeit zur inhaltlichen Einflussnahme aus der Hand gegeben hatte. Klar formuliert wurde in der Schrift die Ablehnung eines Museums, das ein einseitiges Bild von (See-)Krieg und Rüstung transportieren würde, das Militaristen, Heldenverehrer und Waffennarren anziehen würde. Die zehn in der Schrift abgedruckten Fragen an die Kultursenatorin Karin von Welck ließ diese zwar unbeantwortet, doch in einigen nicht zum Springer-Konzern gehörenden Medien wurde der kritische Ansatz aus »Tamm-Tamm« aufgegriffen. Im August 2005 ließ eine größere Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern eine beispiellose Aktion anlaufen, die die Mitglieder des Landesparlaments, der Hamburger Bürgerschaft, an ihre politische Verantwortung erinnern sollte. Die Initiatoren von »Tamm-Tamm – Künstler informieren Politiker« (kurz KiP) gingen davon aus, dass die Abgeordneten in Unkenntnis der Sachlage dem Museumsprojekt zugestimmt hätten. Deshalb wurde jedem Bürgerschaftsmitglied nicht nur die Schrift »Tamm-Tamm« zugeleitet, sondern auch ein Künstler oder eine Künstlerin zugeordnet, um im persönlichen Kontakt einen Austausch von Informationen und Argumenten herbeizuführen. Die vielfältigen Ergebnisse dieser Kontaktaufnahmen bzw. Kontaktversuche, die von intensiver Auseinandersetzung bis hin zu totaler Gesprächsverweigerung reichten, können im Internet studiert werden.2

Von diesen Aktivitäten und Diskussionen erfuhr ein großer Teil der Hamburger Öffentlichkeit allerdings nichts. Denn die Springer-Zeitungen, die mit »Bild«, »Hamburger Abendblatt«, und »Welt« den städtischen Printmedienmarkt beherrschen, übernahmen mit einer ausschließlich positiven Berichterstattung über das Museumsprojekt die Funktion einer PR-Agentur und ließen keinen kritischen Gedanken über das Museumsprojekt ungefiltert an die Leserschaft gelangen. Die Tamm-Stiftung in Person der Geschäftsführerin Russalka Nikolov gab zu wesentlichen Fragen der inhaltlichen Ausstellungskonzeption selbst im Kulturausschuss der Bürgerschaft keine oder irreführende Antworten. Tamm selbst konnte die Kritiker pauschal diffamieren („echte Hetze“, „Klugscheißer“), ohne sich mit deren Argumenten auseinanderzusetzen. Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck stellte sich unbeirrt hinter die Tamm-Stiftung.

Dass das IMMH – übrigens 34 Monate nach dem ursprünglich angekündigten Datum – eröffnen konnte und dass die Kritiker es so schwer hatten, überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden, hängt zweifellos mit der Person des nunmehr 80jährigen Museumsgründers zusammen. Peter Tamm ist seit Jahrzehnten einer der einflussreichsten Gestalten im deutschen Presse- und Verlagswesen. Hatte seine Karriere 1948 als Schifffahrtsredakteur beim »Hamburger Abendblatt« begonnen, stand er von 1970 bis 1991 als Vorstandsvorsitzender an der Spitze des Axel Springer Verlags. Wegen seines autoritätsbewussten Führungsstils und seiner von ihm selbst eingeräumten »Marinemeise« nannte man ihn schon damals hausintern den »Admiral«.

Viele Äußerungen von Peter Tamm zeugen von einem sozialdarwinistischen und rechtslastigen Weltbild. „Kampf ist nun mal die Basis der Natur“, lautet sein Credo. „Die ganze Natur besteht ausschließlich aus Fressen und Gefressenwerden. Nur der, der sich wehren kann, überlebt auch.“ Ein „Totalfrieden“ wäre vielleicht schön, aber „wider die Natur.“ 3 Die Seefahrt sei eine „grandiose Auslese für Menschen überhaupt“. Gerne verbreitet er auch aus der Schifffahrt abgeleitete Analogien für einen autoritären Staat: Auf der Brücke brauche man keinen Ausschuss, sondern einen Kapitän, der entscheidet. Tamm bedauert noch heute, dass ihm die deutsche Niederlage 1945 die Karriere in der Kriegsmarine verdarb. Nach seiner Aussage hat er noch in den letzten Kriegstagen – obwohl er damals erst 16 Jahre alt war – als Seekadett auf dem Marineschulschiff »Gorch Fock« gedient.

Darüber hinaus ist von Interesse, dass Tamm selbst Verleger von Militär- und Schifffahrtspublikationen ist. Die von ihm erworbene Koehler-Mittler-Verlagsgruppe legt eine rege Publikationstätigkeit an den Tag. Besonders zu erwähnen ist aus dieser Gruppe der Verlag E.S. Mittler & Sohn GmbH. Schon in Preußen zum führenden Militärverlag aufgestiegen, brachte er nach der Reichsgründung eine Flut von Literatur zur Stärkung von Deutschlands Kriegsbereitschaft und -fähigkeit heraus. Ab 1932 vermischte sich bei Mittler Militärfach- zunehmend mit NS-Propagandaliteratur. Ein Schwerpunkt des Mittler-Verlagsprogramms liegt heute auf Darstellungen zum Einsatz von Wehrmachtsteilen im Zweiten Weltkrieg und zur Entwicklung bestimmter Waffen. Auch geschichtsrevisionistische Autoren der rechtsextremen Szene wie Franz Uhle-Wettler und Walter Post haben hier Bücher publizieren können. Zugleich arbeitet der Mittler-Verlag mit der Bundeswehr zusammen. Hier erscheinen für die militärinterne Kommunikation wichtige Zeitschriften wie »Europäische Sicherheit« und »Marineforum«. 2001 erhielt Tamm das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold.

Krieg – Militär – Rüstung: was das IMMH zeigt und was es verschweigt

Das Museum weist eine erschlagende Fülle an Exponaten auf, die sich, wenn man den Eingangs- und ebenerdigen Außenbereich mitrechnet, auf zehn Ebenen oder »Decks« verteilen. Noch 2005 war in der »Welt« zu lesen, 90 Prozent der Fläche würden der zivilen Schifffahrt, der Wissenschaft und der Tiefsee gewidmet sein, der Rest – mithin nur 10 Prozent – würde die Marine-Welt zeigen.4 Herausgekommen ist etwas anderes: Die beiden Mitteletagen 4 und 5 stehen komplett im Zeichen des Militärisch-Kriegerischen, und auf den meisten anderen Decks gibt es neben den zivilen auch zahlreiche militärische Exponate. Ganz ohne solche kommt das Museum eigentlich nur auf den Decks 6 und 7 aus, auf denen es um die zivile Handels- und Passagierschifffahrt sowie die Meeresforschung geht.

Als Logo des Museums ist die Vorderansicht eines Wikingerschiffs vor dem Hintergrund einer Weltkugel gewählt worden – warum, lässt sich fragen, wird damit auf jene germanisch-skandinavischen Seekrieger Bezug genommen, die im 9. und 10. Jahrhundert durch ihre Raubzüge große Teile Europas in Angst und Schrecken versetzten und im Jahr 845 auch Hamburg verheerten? Hätte darüber hinaus nicht das Wissen um den Wikinger-Kult im Nationalsozialismus und im Neonazismus von der Wahl eines solchen Logos abraten müssen?

Vor dem Eingang stehen zwei Kanonen. Sie sollen von dem Kriegsschiff »Foudroyant« stammen, das von 1799 bis 1801 Admiral Nelson als Flaggschiff diente. Dies ist eine Ehrbezeugung Peter Tamms für den Mann, den er als „größten Flottenführer aller Zeiten“ seit seiner Kindheit bewundert. Im Museum begegnet man Nelson noch wiederholt: Zu den Schaustücken gehören auf dem 2. und 9. Deck eine effektvoll angestrahlte Replik einer »Lebendmaske«, Briefe des Admirals, Gemälde und dreidimensionale Nachbildungen (Dioramen) seiner Seeschlachten. Im ebenerdigen Außenbereich des Museums dominieren zwei restaurierte »Wunderwaffen« aus der Untergangsphase des so genannten Dritten Reichs das Bild: Klein-U-Boote der Typen »Seehund« und »Molch«. Auf vielen Decks herrscht das Prinzip der miniaturisierten Nachbildung und mit ihm der Blick von oben. Im Kinderbereich auf dem ersten Deck wird den Kleinen durch eine Militärkapelle aus Spielzeugfiguren das Marschieren näher gebracht. Direkt neben dem „schwimmenden Klassenzimmer“ ist die Modellbauwerkstatt angeordnet, in der anscheinend überwiegend Kriegsschiffsmodelle hergestellt werden. Auch bei den meisten der aus Tierknochen, Bernstein, Elfenbein und anderen Materialien gebauten Segelschiffsmodelle, die in der „Schatzkammer“ auf dem 8. Deck ausgestellt sind, handelt es sich um Kriegsschiffe. Das 9. Deck ist das Reich der ganz kleinen Modelle. Zu tausenden stehen die Kriegs- und Handelsschiffe aufgereiht. Hier haben auch Modelle von U-Boot-Bunkern, die die deutsche Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg in Frankreich errichten ließ, ihren Platz gefunden.

Der Hamburger Öffentlichkeit hat Peter Tamm vorgemacht, er sei ein Nachfahre des Hamburger Konvoischiffkapitäns Martin Tamm, der im 18. Jahrhundert als Kommandant der »Wappen von Hamburg III« – dies war damals der Stadt größtes Kriegsschiff – Hamburgs Handelswege beschützt habe. Nur: Erstens hatte der 1745 gestorbene Martin Tamm keine Nachfahren, und zweitens war die »Wappen von Hamburg III« gerade kein Inbegriff hansestädtischer »Wehrhaftigkeit«, sie erwies sich vielmehr als teure Fehlinvestition. Dessen ungeachtet schwebt ein gewaltiges Modell dieses Schiffs pathetisch auf dem 2. Deck des neuen Museums, vor dem Hintergrund einer riesigen Vergrößerung einer sich mächtig auftürmenden Meereswelle, die Johannes Holst 1913 malte. Ein Fall von arrangierter Geschichts- und Naturdramatik.

Das 2. Deck steht zwar laut Museumsführer unter dem Motto „Mit dem Wind um die Welt: Schiffe unter Segeln“, doch im Kern geht es hier um den Aufstieg immer neuer Seemächte in der Weltgeschichte. Vermittelt werden soll hier eine navalistische Grundlektion: Wer die besten Seestreitkräfte und die beste Seekriegstechnik besitzt, beherrscht den Handel und besitzt die Macht. Dass Schifffahrt auch etwas mit Sklavenhandel, Kolonialismus und Ausbeutung zu tun hatte, wird in kleineren Ausstellungseinheiten dargestellt, doch bleiben die hierzu gegebenen Informationen ausgesprochen selektiv. Zur Veranschaulichung von Brandenburgs Flotten- und Überseepolitik im späten 17. Jahrhundert wird ein Gemälde von der Fregatte »Friedrich Wilhelm zu Pferde« in einer Seeschlacht gezeigt. Über den Marinemaler Adolf Bock, von dem das Historienbild stammt, wird nichts mitgeteilt. Bemerkenswert wäre es schon: Im Zweiten Weltkrieg belieferte er den »Völkischen Beobachter« mit Propagandabildern von deutschen Seekriegserfolgen, und auf Kosten Hitlers, der ihn später zum Professor berief, wurde ihm 1941 in Berlin eine geräumte »Judenwohnung« renoviert.5

Wenden wir uns den beiden Decks zu, die ausschließlich militärische Exponate zeigen. Dem 4. Deck haben die Ausstellungsmacher das Motto „Dienst an Bord – im Zeughaus der Geschichte“ gegeben. Um die realen Lebensbedingungen der einfachen Marinesoldaten an Bord geht es hier indessen nicht. Ein guter Teil dieses Bodens wird von Tamms großer Sammlung an Handwaffen eingenommen. Lange Vitrinen mit Tötungsinstrumenten und Ehrenwaffen verschiedenster Art – Wikingermesser, Degen, Säbel, Dolche, Pistolen, Revolver, Gewehre bis hin zur Kalaschnikow – reihen sich aneinander. Ohne erkennbaren maritimen Bezug wird auf einer großen Wandgraphik versucht, die Evolution des waffentragenden Menschen zu veranschaulichen: vom affenartigen Vormenschen, der zum Faustkeil greift, über verschiedene Kriegertypen der Vergangenheit hin zum volltechnisierten Kämpfer der Gegenwart. Die Auffassung von der Waffe als dem naturgegebenen Attribut des Mannes ist hier visualisiert.6

In Reih und Glied perfekt angeordnet, füllen militärische Kopfbedeckungen und Uniformen die nächsten Vitrinen. In einem großen Glasraum sind 57 gespensterhaft wirkende Uniformpuppen aufgestellt. Auf engstem Raum vereint sind hier u.a.: der zehnjährige Prinz Adalbert (Sohn von Wilhelm II.) in der Uniform eines Leutnants zur See, der 1941 zum NS-Flottenchef ernannte Admiral Otto Schniewind, Vizeadmiral Frank der Bundesmarine in einer Gefechtsuniform von ca. 1998 und Korvettenkapitän Hans Kolbe aus der »Marinebrigade III Freikorps Loewenfeld«, einer militärischen Formation, die 1920 den rechtsradikalen Kapp-Putsch unterstützte. Die Uniformfigur von Hitlers Großadmiral Erich Raeder, als Kriegsverbrecher 1946 zu lebenslanger Haft verurteilt, kommt zusammen mit seinem Großadmiralsstab in einer Einzelvitrine glanzvoll zur Geltung. Die Militärseelsorge der NS-Zeit ist mit dem Talar und Dienstanzug eines Marinepfarrers und dem »Katholischen Gesang- und Gebetbuch für die Kriegsmarine« vertreten. Nicht thematisiert sind die Marinerichter und ihre Todesurteile.

Der heroisierende Personenkult, der auf dem 4. und auch auf dem 5. Deck um deutsche Marineoffiziere getrieben wird, vermittelt sich vor allem über die ausgestellten Militärorden. Zu diesen Offizieren gehört etwa Großadmiral Henning von Holtzendorff, der sich 1916/17 für die folgenschwere Verschärfung des U-Boot-Kriegs einsetzte. Aus dem Begleittext zum bekanntesten deutschen U-Boot-Kommandanten des Ersten Weltkriegs, Otto Weddigen, ist zu erfahren, dass er für die Versenkung von drei britischen Panzerkreuzern als erster Seeoffizier den Orden Pour le Mérite erhielt, nicht aber, dass allein bei dieser Aktion etwa 1.500 Briten getötet wurden. Gezeigt wird dafür eine Samentüte für Stangenbohnen, Sorte »Kapitän Weddigen«. Das Betonen der großen Kriegstat und das Verschweigen ihrer Folgen für die Opfer der Gegenseite wiederholt sich in diesem Museumsbereich ständig, z.B. auch bei den Exponaten, die an den „erfolgreichsten“ deutschen Marineflieger des Ersten Weltkriegs, Friedrich Christiansen, und an die beiden „erfolgreichsten“ U-Boot-Kommandanten des Zweiten Weltkriegs, Otto Kretschmar und Wolfgang Lüth, erinnern.

Drei Leitfiguren des wilhelminischen Imperialismus, mit denen sich Tamm offenbar verbunden fühlt, treten den Besuchern – wie schon im Haus an der Elbchaussee – auf Deck 5 in Gestalt lebensgroßer Puppen gegenüber: Kaiser Wilhelm II., sein Bruder Prinz Heinrich und Großadmiral Tirpitz. In der Ecke, in der die Puppe von Tirpitz in Galauniform, die Tirpitz-Orden und andere Tirpitz-Reliquien versammelt sind, tönen aus einem Lautsprecher pausenlos Zitate des Großadmirals mit Begründungen für die deutsche Flottenrüstung ab 1898 – alles ohne historische Kommentierung. Werke von Marinemalern wie Willy Stöwer und Claus Bergen werden ohne Hinweis auf ihre Funktion im Rahmen der Flottenpropaganda gezeigt. Ob es um die Niederschlagung des Boxeraufstands in China, die »Schutztruppe« in den deutschen Kolonien oder die Skagerakschlacht von 1916 geht, in keinem Fall wird die Zusage der Tamm-Stiftung von 2005 eingelöst, mit Begleittexten wolle man „nicht nur die gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern auch deren Ursprünge und Ursachen in den Fokus“ rücken.

In der Vitrinenlandschaft des 5. Decks liegt ein Schwerpunkt auf Tamms großen Kriegsschiffsmodellen. Ein beträchtlicher Teil der kaiserlichen und der nationalsozialistischen Flotten sind hier versammelt. Mitunter weisen Kommentare auf den technischen »Fortschritt« bei der Erhöhung der Vernichtungseffektivität hin. In der Ausstellungseinheit »Bismarck« spiegelt sich wider, dass Tamm sowohl ein Bewunderer des Eisernen Kanzlers als auch ein Freund der traditionell stark im Kriegsschiffbau engagierten Hamburger Werft Blohm+Voss ist. Im Mittelpunkt steht ein großes Modell des Schlachtschiffs »Bismarck«, das bei der genannten Werft 1939 in Anwesenheit Hitlers vom Stapel lief. Neben dem Modell ist ein Abguss jener Bismarck-Büste platziert, die vor der Kommandantenkammer des Schiffs stand. Diesen Abguss hat die Bauwerft Blohm+Voss 1993 Tamm zum 65. Geburtstag geschenkt. Weiter gehört zu diesem Bismarck-Ensemble eine gewaltige Granate, ein Gemälde von dem getroffenen Schlachtschiff sowie die Uniform des mit dem Schiff untergegangenen Flottenchefs Günther Lütjens. Der Besucher soll staunen, von der Größe und Dramatik des Ganzen ergriffen werden, aber historische Zusammenhänge werden ihm nicht nahe gebracht. Es wird keine Vorstellung von dem Irrsinn vermittelt, dass der immense Kostenaufwand für den Bau des Schlachtschiffs schon bei dessen erstem Einsatz in den Tod von über 3.500 britischen und deutschen Soldaten mündete. Mitnehmen kann man den »Modellbaubogen Schlachtschiff Bismarck 1940«, den es unten im Museumsshop in einer „Sonderauflage mit Tarnbemalung“ zu kaufen gibt.

Im Vorfeld der Museumseröffnung war besonders darüber spekuliert worden, ob Tamm wie an der Elbchaussee auch den hakenkreuzverzierten Großadmiralsstab von Karl Dönitz, seit 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und am Ende Hitler-Nachfolger, in seinem Museum präsentieren würde. Ja, auch auf ihn wollte der Museumsgründer nicht verzichten. Nur liegt der Stab jetzt – vielleicht ein kleines Zugeständnis – nicht mehr in der Originalschatulle, sondern auf einer Tageszeitung von 1946 mit einem Artikel über die Nürnberger Urteile gegen die Hauptkriegsverbrecher.

Mit demonstrativer Selbstverständlichkeit werden die Reichskriegsfahne und mit NS-Emblemen versehene Orden und Verleihungsurkunden zur Schau gestellt. In der Vitrine für den Hilfskreuzerkommandanten Kurt Weyher sehen wir die Urkunde, mit der der „Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht“ dem Fregattenkapitän 1941 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verlieh. In der Vitrine für den Hilfskreuzerkommandanten Rogge wird in einem Durchhaltegedicht des NS-Dichters Herybert Menzel von 1941 der Geist von Kameradschaft und Opfertum beschworen. An anderer Stelle zeigt Tamm eine Urkunde mit dem Text „Für Führer, Volk und Vaterland starb den Heldentod …“.

Zwischen all dem sind auch die heutigen deutschen Seestreitkräfte präsent, so mit Modellen der bei Blohm+Voss entstandenen Fregatte »Brandenburg« und des bei HDW in Kiel entwickelten U-Boots der Klasse 212 A. Für PR im Sinne der Deutschen Marine sorgt ein Nachrichtenlaufband, das in blauer Leuchtschrift aktuelle Mitteilungen verbreitet. Wem die Geschichte und die Gegenwart nicht reichen, kann Modelle einer »Fregatte der Zukunft« und eines „unbemannten Schnellboots der Zukunft“ studieren.

»Attraktiver Besuchermagnet« oder geschichtspolitischer Skandal?

Kultursenatorin Karin von Welck meint weiterhin, im Museum sei „eine Sammlung maritimer Kostbarkeiten“ und eine „ausführliche Darstellung des Lebensraumes Meer“ zu sehen, und es sei hier „ein attraktiver Besuchermagnet“ entstanden.7 Anlässlich der Museumseröffnung erreichten auch die Bemühungen der lokalen Springer-Presse, Begeisterung für das neue Museum zu wecken, ihren Höhepunkt. Davon unterschied sich die Resonanz in anderen Medien erheblich. Vergleichsweise gemäßigte Kritik äußerte Jens Jessen in der »Zeit« unter der Überschrift „Nippes zum Staunen“.8 Der Geist des Museums sei der „Geist der touristischen Attraktion, nicht der des Begreifens.“ Andere Beobachter fanden wesentlich schärfere Formulierungen. Im Deutschlandradio wurde etwa festgestellt, im Museum werde „mit einer zutiefst antiaufklärerischen Haltung suggeriert, dass es, einfach so, immer Kriege gab und immer geben wird.“ 9 Aus dem Presseecho seien hier noch einige prägnante Einschätzungen wiedergegeben:

Frank Keil in der Frankfurter Rundschau: „Um es äußerst freundlich zu sagen: Das Verhältnis des Hauses zur deutschen Kolonialzeit, zum Kaiserreich samt dem Ersten Weltkrieg und eben auch zur NS-Zeit ist ein nicht akzeptables und es würde sich empfehlen, diese beiden Abteilungen zu schließen und komplett zu überarbeiten.“ 10

Petra Schellen in der taz Hamburg: „Nicht einmal in den 50er-Jahren hätte man es hierzulande gewagt, ein so unkritisches Museum zu schaffen. … Tamm zielt explizit auch auf junge Besucher. Etliche werden von all der Heldenhaftigkeit und den monströsen Militaria beeindruckt sein. Die Marine als berufliche Perspektive, Krieg als gangbares, sogar »notwendiges« Mittel – all dies wird hier salonfähig gemacht.“ 11

Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung: „Es ist nicht nur die nahezu vollständige Ausblendung der menschlichen Leidensgeschichte, das Verharmlosen des Krieges als technische Entwicklungsleistung und das totale Versagen bei der historisch-kritischen Differenzierung, die diese gigantische Ausstellung so zweifelhaft macht. Die gesamte Sammlung repräsentiert mit großer Distanzlosigkeit das fetischhafte Verhältnis Tamms zu seinen Objekten. … Die staatliche Unterstützung und die Würde, die der Bundespräsident dieser Eröffnung mit seiner Anwesenheit verleiht, sind angesichts des dubiosen Inhalts des Museums ein fatales Zeichen. Wenn Herrschaftsgeschichte wieder Opfergeschichte aus dem Museum verdrängt, ist Mahnung gefragt, nicht Salbung.“ 12

Vieles ist damit gesagt. Die für den militärischen Bereich festgestellte Einseitigkeit ist auch in anderen Teilen des Museums anzutreffen. In der spielzeugartigen Vitrinenwelt des IMMH ist kein Platz für die Geschichte der Seeleute, der Hafen- und Werftarbeiter, es gibt kein Interesse, den Wandel von und die Kämpfe um Arbeitsbedingungen darzustellen. Die sozialgeschichtlichen Defizite des Museums werden in der im September 2008 vorgestellten Denkschrift „Schifffahrt ohne Leben“ des Juristen Rolf Geffken benannt.13

Das IMMH ist, insgesamt gesehen, eine Beleidigung für alle sozial- und militärgeschichtlichen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, zu einem wissenschaftlich neu fundierten Bild der Schifffahrts- und Marinegeschichte zu kommen. Eine Möglichkeit, das Museum dennoch konstruktiv zu nutzen, könnte in der Erarbeitung »inoffizieller« Informationsangebote zu den Exponaten bestehen, mit denen diese in ihren tatsächlichen historischen oder auch gegenwärtigen Zusammenhang gestellt würden. Gerade in Zeiten, in denen das Einsatzspektrum der deutschen Marine ausgeweitet wird, sollte das Bewusstsein für die Gegenwartsrelevanz von marinegeschichtlicher Traditionspflege und Apologetik geschärft werden.

Anmerkungen

1) Näheres zur Museums-Vorgeschichte bei Friedrich Möwe: Tamm-Tamm. Eine Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum, hg. vom Informationskreis Rüstungsgeschäfte in Hamburg, 5. erweit. Auflage, Hamburg 2008, S.67ff. u. 88ff.

2) http://news.web-hh.de/tamm.php.

3) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/805719/ (gesendet am 23.06.2008, gehört am 10.09.2008) – Vgl. Möwe, S.34ff.

4) Die Welt (Hamburg-Teil) v. 17.11.2005.

5) Vgl. Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S.447f.

6) Vgl. hierzu wie zum IMMH insgesamt Felix Axster/Ulrike Bergermann: Maßstäbe. Von Größenordnungen und Modellierungen im Internationalen Maritimen Museum Hamburg, Vortrag 2008 (im Internet mit Abbildungen unter http://www.feldfuerkunst.net/index.php?id=feldpresse).

7) Grußwort im Museumsprospekt „Hamburg hat ein neues Seezeichen“, 2008.

8) Die Zeit v. 26.06.2008, S.55.

9) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/805719/ (gesendet am 23.06.2008, gehört am 10.09.2009)

10) Frankfurter Rundschau v. 01.07.2008, S.36f.

11) taz Hamburg v. 30.06.2008, S.13.

12) Süddeutsche Zeitung v. 25.06.2008, S.11.

13) Bezugskontakt: www.ICOLAIR.de.

Der Historiker Dr. Hans Walden arbeitet hauptsächlich zu Themen der Hamburger Geschichte, zur Entwicklung des Hamburger Schiffbaus sowie zum Phänomen des Militarismus.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/4 Friedenswissenschaft – Friedensbewegung – Friedenspolitik, Seite