Mutlanger Manifest
8. Dezember 2007
von Redaktion
Im Bewusstsein des Leidens und Sterbens, dass durch die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki sowie durch Tausende von Atomtests verursacht wurde; erfreut über die Abrüstungsschritte und das Ende des Kalten Krieges, die vor 20 Jahren durch den INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR möglich wurden; unter Kenntnisnahme
der Existenz von weltweit noch über25.000 Atomwaffen,
der Lagerung von noch immer 20 US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland,
der nuklearen Teilhabe Deutschlands, in deren Rahmen die Bundeswehr Trägermittel für Atomwaffen zur Verfügung stellt und Piloten deren Einsatz üben lässt.
In Sorge
wegen der Pläne zur Erneuerung der Atomwaffen in den Atomwaffenstaaten und zur Stationierung von Abwehrraketen,
wegen der Kündigung und der Infragestellung von bestehenden Abrüstungsverträgen,
wegen der Gefahren der Weiterverbreitung von Atomwaffen auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene.
In der Hoffnung
auf ein atomwaffenfreies Deutschland und
auf neue Abrüstungsschritte mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt,
verabschieden wir heute als Mitglieder von Mayors for Peace in Mutlangen, einem ehemaligen Stationierungsort der Pershing II-Atomraketen, am 20. Jahrestag der Unterzeichnung des INF-Vertrages folgendes Manifest.
Landrat Klaus Pavel - Oberbürgermeister Wolfgang Leidig - Bürgermeister Peter Seyfried
A) Der INF-Vertrag
Vor 20 Jahren, am 8. Dezember 1987, unterzeichneten der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und der US-Präsident Ronald Reagan in Washington den INF-Vertrag (Intermediate-range Nuclear Forces). Darunter fallen Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 km. In dem Vertrag einigten sich die beiden Mächte darauf, auf diese Waffengattung vollständig zu verzichten und die bestehenden Arsenale an Trägersystemen zu zerstören. Der INF-Vertrag ist einzigartig.
Der INF-Vertrag ist der erste wirkliche Abrüstungsvertrag. Durch ihn wurde in den beiden Vertragsstaaten eine ganze nukleare Waffengattung nicht nur außer Dienst gestellt, sondern tatsächlich vollständig abgerüstet.
Der INF-Vertrag schuf Vertrauen und Offenheit. Im INF-Vertrag wurden erstmals weit reichende Verifikationsvereinbarungen bis hin zur »On-Site Inspection« getroffen. Er gestatte russischen Inspektoren zur Überprüfung des Vertrages den Zutritt zu Militäreinrichtungen in den USA und umgekehrt.
Der INF-Vertrag schuf Sicherheit für beide Seiten, trotz ungleicher Abrüstungsverpflichtungen. Insgesamt 2.692 Atomraketen und Marschflugkörper wurden vernichtet: 846 auf US-amerikanischer sowie 1.846 auf sowjetischer Seite.
Der INF-Vertrag gab eine Antwort auf die Forderungen der weltweiten Öffentlichkeit und Friedensbewegung und den Anstoß für weitere grundlegende politische Veränderungen bis hin zum Ende des Kalten Krieges.
Der INF-Vertrag ist gefährdet.
Trotz seiner epochalen Bedeutung gerät der INF-Vertrag zunehmend unter Druck. Auf beiden Vertragsseiten fordern Stimmen, die bilaterale Beschränkung aufzuheben, weil andere Länder weiterhin Mittelstreckenwaffen entwickeln und stationieren können. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Pläne zur Stationierung von Raketenabwehr-Komponenten in Polen und der Tschechischen Republik droht Russland mit der Kündigung von Abrüstungsvereinbarungen, wie auch dem INF-Vertrag.
Der INF-Vertrag ist richtungweisend.
Dennoch riefen die Russische Föderation und die Vereinigten Staaten von Amerika in einer gemeinsamen Erklärung vom 25. Oktober interessierte Staaten dazu auf, die Multilateralisierung des INF-Vertrages zu diskutieren. Es diene dem Frieden in der Welt, wenn alle Atomraketen dieser Kategorie zerstört und entsprechende Programme eingestellt würden.
Zu Beginn dieses Jahres erinnerten die beiden ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry und der frühere Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des US-Senats in einem gemeinsame Essay im Wall Street Journal an die Vision „von der Abschaffung aller Nuklearwaffen“, die Ronald Reagan mit Michail Gorbatschow geteilt habe. Sie forderten, diese Vision wieder beleben.
B) Vom INF-Vertrag zur vollständigen Abrüstung aller Atomwaffen
Wir sind froh, dass in Mutlangen, dort wo einst die Atomraketen Pershing II in den Himmel ragten, heute Baukräne aufgerichtet sind und ein Wohngebiet entstanden ist. Wir sind froh über die Konversion der anderen Stationierungsorte.
Wir bedauern, dass der Abrüstungsprozess, der mit dem INF-Vertrag eingeleitet wurde, zum Erliegen gekommen ist.
Wir wollen, dass der INF-Vertrag, durch den Mutlangen atomwaffenfrei wurde, zur Keimzelle für weitere Abrüstungsschritte wird und zu einem Prozess führt, an dessen Ende das vollständige Verbot aller Atomwaffen steht.
Wir appellieren an die politischen Führer insbesondere der Atommächte,
den INF-Vertrag nicht zu kündigen, sondern multilateral auszuweiten. Das Diskussionsangebot der beiden Vertragsstaaten ist zu begrüßen, hat aber nur dann Aussicht auf Verwirklichung, wenn es mit Abrüstungsangeboten der Atommächte verbunden wird.
ihre Raketenabwehrpläne zu überprüfen und auf jegliche Handlung zu verzichten, die die Gefahr eines neuen Wettrüstens auf der Erde sowie im Weltraum erhöhen.
jegliche Modernisierungspläne für ihre Atomwaffen aufzugeben und statt dessen lang überfällige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt zu gehen: den vollständigen Atomteststoppvertrag endlich zu ratifizieren und Verträge über atomwaffenfreie Zonen anzuerkennen.
Wir appellieren an unsere Bundesregierung,
die Anstrengungen auf ein Ende der nuklearen Teilhabe weiter voranzutreiben, damit keine Soldaten mehr an einem Atomwaffeneinsatz mitwirken müssen.
auf diplomatischem Weg darauf hinzuwirken, dass Deutschland bis zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags 2010 atomwaffenfrei ist.
auf die Atommächte einzuwirken, der Abrüstungsverpflichtung aus dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag unverzüglich nachzukommen.
Unsere Vision
Bei uns anfangen
Der Modernisierungsdebatte in den Atomwaffenstaaten müssen starke Abrüstungssignale entgegengesetzt werden. Der Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland und dem übrigen Europa wäre ein solches Zeichen. Da die Militärs für die in Büchel gelagerten Atombomben keine Einsatzmöglichkeit sehen, gibt es im Moment ein Zeitfenster, um deren Abzug durchzusetzen. Der Abzug der US-Atomwaffen aus Europa ebnet den Weg für Verhandlungen über die taktischen Arsenale der USA und Russlands. Dies ist wichtig, denn vor allem bei diesen Waffen besteht die Gefahr, dass sie in die Hände von Terroristen fallen können. Wenn diese Chance verspielt wird, müssen wir damit rechnen, dass dann auch neue Sprengkopftypen in Europa stationiert werden.
Wir begrüßen die ebenfalls am heutigen Tag veröffentlichte Erklärung der Bürgermeister der aktuellen Stationierungsorte, die den Abzug der bei ihnen gelagerten Atomwaffen fordern.
Ein atomwaffenfreies Deutschland, der Abzug aller US-Atomwaffen aus Europa, sind Schritte auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.
Eine atomwaffenfreie Welt
Der Internationalen Gerichtshof hat 1996 festgestellt, dass eine rechtliche Pflicht besteht, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und abzuschließen, die zu nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.“ Im Rahmen des Überprüfungsprozesses des NVV stellte der Bürgermeister von Hiroshima Tadatoshi Akiba 2003 den Aktionsplan der Mayors for Peace vor: die »2020 Vision«. Dieser Plan zielt auf ein Verbot aller Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Einer ersten Verhandlungsphase soll eine 10-jährige Umsetzungsphase folgen. Im Jahr 2020 ist dann das Ziel einer atomwaffenfreien Welt erreicht.
Ein Erfolg war in diesem Jahr, dass der von Nichtregierungsorganisationen aktualisierte Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention durch Costa Rica zum offiziellen Arbeitspapier des Überprüfungsprozesses der nuklearen Nichtverbreitungsvertrags wurde. Dieses Vertragmodell verbietet alle Atomwaffen. Es enthält einen Zeitplan für die Abrüstung der Atomwaffen und Überprüfungsbestimmungen. Damit würde die Ungleichheit des Nichtverbreitungsvertrages, der genaue Vorschriften zur Nichtverbreitung beinhaltet, aber die Abrüstungsverpflichtung nur allgemein ohne Zeitrahmen festlegt, aufgehoben.
C) Unsere Aktivitäten
Der INF-Vertrag kam nur zustande, weil es einen immensen öffentlichen Druck gab. Wir als gewählte Vertreter unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichten uns, uns wo immer möglich für nukleare Abrüstung einzusetzen. Insbesondere durch
Bildungsveranstaltungen und Aktionen auf lokaler und regionaler Ebene,
Teilnahme an Delegationen der Mayors for Peace und anderen Nichtregierungsorganisationen,
durch Unterstützung der Kampagne »unsere Zukunft - atomwaffenfrei«.