Nach den Wahlen ist vor den Wahlen
Die Hindu-nationalistische Bewegung zwischen Machtverlust 2004 und Neuwahlen 2009
von Uwe Skoda
Durch den gewaltsamen Abriss der Babri-Moschee in Ayodhya 1992, durch den Regierungsantritt 1998 und die unmittelbar folgenden ersten offiziellen Atomtests sowie durch das anti-moslemische Pogrom im Bundesstaat Gujarat 2002 geriet die Hindu-nationalistische Bewegung in Indien international in die Schlagzeilen, sorgte gleichermaßen für Aufsehen und Entsetzen. Mit der Niederlage der Hindu-nationalistischen »Indischen Volkspartei« (Bharatiya Janata Party/BJP) und ihrer Allianzpartner bei den Unionswahlen 2004 wurde es dagegen vergleichsweise still um diese politisch-religiöse Bewegung. Nachrichten über die boomende Wirtschaft des »erwachenden Elephanten« und über die bunte, aber wenig repräsentative Bollywood-Welt bestimmen stattdessen das aktuelle Indienbild. Was aber ist aus dem Projekt zur Schaffung einer »Hindu-Nation« geworden? Wohin steuern die BJP und die Hindu-nationalistische Bewegung vor den nächsten Wahlen 2009?
Nach dem Verlust der Regierungsmacht auf nationaler Ebene sind die ausgesendeten Zeichen durchaus widersprüchlicher Natur. In der »Doppelzüngigkeit« bzw. Polyphonie - hardline-Ideologie mit moderateren Tönen gemischt - dürfte eine Ursache des Erfolges der Bewegung zu finden sein und hierin liegt auch eine Kontinuität. Auf eine inklusivere Strategie der Partei scheint in den letzten Jahren die häufigere Verwendung des Konzeptes »Bharatiyata« (Indianness/Indientum) zu deuten, das gerade vom früheren Premierminister A.B. Vajpayee und dem ehemaligen Vize-Premier und jetzigen Oppositionsführer L.K. Advani aufgegriffen und gegenüber dem Begriff »Hindutva« (Hindutum) stärker akzentuiert wird. Anfang des 20.Jh. hatte V.D. Savarkar, Begründer und Vordenker der »Hindutva«-Ideologie einen Hindu als „jede Person“ definiert, „die dieses Land Bharat Varsha, vom Indus bis zu den Meeren als Vaterland und heiliges Land, d.h. als Wiege seiner Religion“ betrachtet1, wodurch er auf geschickte Weise Jainismus, Buddhismus und Sikhismus einschloss, während gleichzeitig Islam und Christentum als »Andere« ausgeschlossen werden, da deren Heiligtümer außerhalb Indiens liegen. In den letzten Jahren argumentiert Vajpayee dagegen, dass „Hindutva umdefiniert worden sei und nun Bharatiyata meine“ 2, ohne genau zu erklären, was es nun bedeutet. Möglich erscheint ein verstärkt territorialer Bezug der Identitätsbildung gegenüber den Abgrenzungen auf religiöser Ebene, aber es kann letztlich nur spekuliert werden, ob es sich nicht schlicht um einen »Etikettentausch« handelt, um die Ideologie für neue Wählerschichten und Allianzpartner salonfähiger zu machen. Denn während einerseits Advani beteuert, die Ideologie der BJP werde heute besser durch den Begriff »Bharatiyata« ausgedrückt, denn die Partei müsse „aggregative“ (zusammenfügend) und „inclusive“ sein3, kann man andererseits auf der Homepage der BJP lesen: „Wir wiederholen, dass für die BJP »Hindutva«, »Bharatiyata« and »Indianness« synonyme Begriffe sind.“ 4, was nicht auf ein Abrücken von früheren Positionen schließen lässt.
Offenbar steht eine solche Begriffsverschiebung im Zusammenhang mit zögerlichen Versuchen insbesondere Vajpayees, die Parteibasis zu erweitern und unter bestimmten Umständen auch Moslems zu integrieren. So erhielt Najma Heptullah, langjährige Congress-Politikerin, ehemalige Vize-Präsidentin des Oberhauses und Großnichte des Freiheitskämpfers Maulana Abdul Kalam Azad, nach ihrem Parteiwechsel 2004 ein BJP-Mandat für das Oberhaus und wurde 2007 gar zur BJP-Kandidatin bei der Wahl um das Amt des indischen Vizepräsidenten auserkoren - allerdings eine Nominierung mit eher symbolischem Wert und vergleichsweise geringen Chancen, tatsächlich ins Amt gewählt zu werden.5 2002 hatte die Partei - auch mit Blick auf die wichtigen Allianzpartner innerhalb der National Democratic Alliance (NDA) - bereits dem angesehenen Luftfahrtingenieur AJP Abdul Kalam, ebenfalls Moslem, zum Präsidentenamt verholfen.
Das Image des Hardliners relativieren
Der Besuch Advanis in seiner Heimatstadt Karachi im heutigen Pakistan im Juni 2005 und die dortige, später kontrovers diskutierte Rede können als Versuch gelesen werden, sein durch die Ayodhya-Kampagne erworbenes Image als Hindu-nationalistischer Hardliner - gerade im Gegensatz zu dem als moderater angesehenen Vajpayee - wenigstens zu relativieren. In einer emotionalen Rede stellte Advani den pakistanischen Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah, dessen Grab er ebenfalls besuchte, zumindest in Teilen seiner politischen Biographie als säkularen Politiker und gar als „Vertreter hinduistisch-muslimischer Einheit“ dar. Mehr noch, er erteilte der Idee eines »Groß-Indien« (Akhand Bharat) eine Absage, erkannte die Existenz des pakistanischen Staates an und bezeichnete gleichzeitig die Zerstörung der Babri Moschee in Ayodhya als „traurigsten Tag in seinem Leben“.6 Mit diesen Äußerungen stand er gleich in mehrfacher Hinsicht im Konflikt mit Grundsätzen des Rashtriya Swayamsevak Sangh (Nationales Freiwilligen Corps/RSS). Die bereits 1925 gegründete Kaderorganisation der Bewegung, personell und logistisch eng mit der BJP und anderen Organisationen der »Sangh-Familie“ auch im Ausland verflochten, sieht in Jinnah den Protagonisten eines moslemischen Separatismus, der zur Teilung des Subkontinents führte.
Allerdings könnte es Advani mit seiner Preisung Jinnahs auch darum gegangen sein, indirekt einen solchen Kommunalismus, d.h. die Ideologie, wonach Menschen einer Religionsgemeinschaft auch die gleichen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen teilen, zu rechtfertigen. In jedem Fall folgte auf die Rede, vermutlich auf Druck des RSS zunächst der Rücktritt Advanis vom Amt des Parteichefs, den er zwar Tage später zurücknahm, das er aber Ende 2005 schließlich an Rajnath Singh übergab. Dieser - langjähriger »Parteisoldat« der jüngeren Generation mit bäuerlichen Wurzeln in Uttar Pradesh - führt die Partei seither in einer Art Troika - mit Advani als designiertem Spitzenkandidaten für die Unionswahlen und dem sich gesundheitsbedingt zunehmend zurückziehenden Vajpayee als »elder statesman«. Der Rücktritt Advanis vom Amt des Parteivorsitzenden warf wiederum die alte Frage auf, wie unabhängig die BJP vom RSS ist oder ob sie nicht vielmehr von diesem »ferngesteuert« wird. Die Frage verliert allerdings an Brisanz, wenn man berücksichtigt, dass alle drei Politiker und viele weitere Funktionsträger der BJP langjährige Mitglieder des stark hierarchischen RSS sind.
Eine Öffnung für neue Wählerschichten erscheint auch mit Blick auf eine seit langem angestrebte Südausdehnung der Bewegung geboten. Erst 2008 gewann die BJP erstmals einen Bundesstaat im Süden, d.h. in Karnataka - mit einer Wahlkampagne, die neben spezifischen regionalen Faktoren »Development« statt »India Shining« oder Hindutva in den Vordergrund rückte. Allerdings lag der absolute Stimmenanteil des Congress immer noch leicht höher als der BJP-Anteil, was sich aber unter den Bedingungen des indischen Mehrheitswahlrechts nicht in Parlamentssitzen niederschlug. In anderen Südstaaten mit relativ stabilen Zweiparteien- bzw. Zweiallianzen-Systemen dürften Wahlerfolge noch schwieriger sein. Abgesehen von Karnataka lässt sich eine Verbreiterung der Basis nur in den Stammesgebieten Zentralindiens erkennen, wo sich der RSS und insbesondere die 1952 gegründete Unterorganisation Vanvasi Kalyan Ashram (VKA) um Anhängerschaft bemühen - u.a. durch die Gründung eigener Schulen. Im Hindu-nationalistischen Diskurs gilt die Stammesbevölkerung weniger als Ureinwohner (Adivasi) mit eigenen religiösen Ideen und Praktiken, sondern primär als Waldbewohner (Vanvasi), die den Bezug zum »Mainstream-Hinduismus« verloren hätten bzw. konvertiert seien. Sie müssten nun zum Hinduismus, präziser zu einer vom RSS propagierten Form des Hinduismus »re-konvertiert« bzw. zurück »in den Schoß der (primordialen) Hindu-Gemeinschaft« geführt werden, deren Schaffung Ziel der Bewegung ist. Die kommunalistischen Gewaltexzesse zwischen Hindu-Nationalisten und Christen in den bergigen Stammesgebieten Orissas Weihnachten 2007, bei denen mehrere Tote zu beklagen waren, stehen in Zusammenhang mit diesen Bestrebungen. Während die BJP unter Stämmen zwar an Einfluss gewinnt, schwindet er in der Gangesebene, im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh, wo die Partei bei den Wahlen 2007 nur den dritten Platz belegte, während sie in den meisten anderen Bundesstaaten des Hindi-Gürtels Nordindiens die Regionalregierung stellt oder daran beteiligt ist und in Gujarat unter Narendra Modi auch dem Pogrom 2002 gar ein drittes Mal in Folge alleine siegreich war.
Schattenseiten des Sieges
Doch die Siege auf Unionsebene (1998-2004) sowie in vielen Bundesstaaten haben auch eine Schattenseite. Es wird für die Partei zunehmend schwieriger, sich als »party with a difference«, als disziplinierte Kaderpartei, zu präsentieren. Advani selbst charakterisierte seit 2004 diese Entwicklung als »Congressisierung« der BJP und meinte damit vor allem eine zunehmende Ausbildung von Fraktionen (factionalism) bzw. Machtkämpfe in der Partei, eine verbreitete Kriecherei (sycophancy) und die wachsende Korruption bzw. eine mangelnde Integrität der Politiker.7 Ihren vermutlich größten, aber bei weitem nicht alleinigen Korruptionsskandal hatte die Partei bereits 2001, als ihr damaliger Parteivorsitzender Bangaru Laxman bei der Annahme von Schmiergeldern gefilmt wurde. Die Rivalitäten innerhalb der BJP sind schon länger sichtbar - insbesondere zwischen Advani einerseits und der charismatischen Populistin und ehemaligen Ministerin und Ministerpräsidentin von Madhya Pradesh, Uma Bharti, andererseits. Bharti, eine Mischung aus politischer Asketin, »firebrand leader« und »Hindutva's postergirl« mit OBC-Hintergrund8, einst neben Advani führende Protagonistin der Ayodhya-Bewegung und heute ebenso wie Advani daher Angeklagte im noch immer andauernden Gerichtsprozess um den Abriss der Moschee, verließ schließlich die BJP, um 2006 ihre eigene Partei, die Bharatiya Janshakti Party zu gründen. Diese beansprucht, die »wahre« Partei zu sein, die keine Kompromisse bezüglich der Ideologie mache und sich für »Rashtravad« (Nationalismus) einsetze. Ihr Austritt bildet die erste signifikante Spaltung der Partei auf nationaler Ebene, während sich gleichzeitig auch einer der ältesten und treuesten Allianzpartner der BJP, die ebenfalls nationalistisch orientierte Shiv Sena, spaltete. Inwiefern diese Spaltungen die gesamte Bewegung schwächen werden, bleibt abzuwarten - interne Dissidenten schadeten der Partei bisher, z.B. bei den Wahlen in Gujarat, ebenso wenig wie Bhartis neue Partei.
Trotz der Erfolge der BJP in verschiedenen Regionalwahlen der letzten Jahre ist nicht zu übersehen, dass die früheren Mobilisierungsstrategien - insbesondere die »Yatras« bzw. Wagenprozessionen in Anlehnung an mythisch-religiöse Vorbilder - im Vergleich zu den 80er und 90er Jahre nicht mehr die Breitenwirkung erzielen, auch wenn sie weiterhin ein wichtiges Instrument der politischen Kultur bleiben werden. So wurde im April 2006 eine Kampagne für die Sicherheit Indiens, betitelt als »Bharat Suraksha Yatra«, zeitgleich von L.K. Advani und Rajnath Singh in verschiedenen Landesteilen gestartet.9 Anlass dieser Agitation gegen die Regierung waren Bombenanschläge in Varanasi. Mit der Ermordung von Pramod Mahajan, eines führenden BJP-Politiker und Parteiorganisators, wurde die Kampagne abgebrochen, wobei das relativ geringe Interesse der Bevölkerung an der »Yatra« die Entscheidung zumindest erleichtert haben dürfte.
Auch die Agitation der Partei gegen das sogenannte Sethu Samudram Projekt im Herbst 2007 konnte nur kurzfristig Anhänger mobilisieren. Dieses Regierungsvorhaben zur Schaffung einer Schiffsfahrrinne durch die flache Palk Street zwischen Indien und Sri Lanka soll einen direkten Gütertransport zwischen den indischen Küsten, d.h. ohne Umweg um Sri Lanka, ermöglichen. Hindu-Nationalisten dagegen deuten die lose Kette aus Sandbänken, Riffs und Untiefen zwischen beiden Ländern als Brücke (»sethu«), die Lord Ram mit seinen Helfern erbaut habe, um seine Frau Sita aus den Fängen des in Lanka beheimateten Dämon Ravan zu retten. Das Projekt zerstöre somit ein historisches Monument von nationalem Rang. Die Sangh Parivar hoffte dabei, an ihre früheren erfolgreichen Kampagnen bezogen auf Lord Ram und seinen vermeintlichen Geburtsort Ayodhya anknüpfen zu können. Eine »eigene« Hindu-Geschichte, elementarer Bestandteil der Schaffung einer Hindu-Identität, sollte auch hier durch eine Fokussierung auf Lord Ram bzw. Ram Sethu als Kristallisationspunkt verdinglicht werden. Wurden in Ayodhya Mosleme als Fremde, Andere, Eindringlinge und Unterdrücker dargestellt und die Geschichte Ayodhyas als Hindu-Moslem-Antagonismus gedeutet, so ging nun nach Hindu-nationalistischer Lesart die Bedrohung von einer pseudo-säkularen Regierung aus, die Minderheiten mit Privilegien beschwichtige und die Gefühle von Millionen Hindus verletze. Die Hoffnung auf Breitenwirkung der Kampagne erfüllte sich vermutlich aber auch deswegen nicht, weil die BJP in ihrer Regierungszeit selbst an der Umsetzung des Projektes, dessen Wurzeln bis in die Kolonialzeit zurückreichen, mitgewirkt hatte. Allerdings spielte der Congress in der Debatte eine bestenfalls als ungeschickt zu bewertende Rolle, indem er die auf wissenschaftliche Gutachten gestützte Erklärung bezüglich der natürlichen Ursprünge der vermeintlichen Brücke wieder zurückzog und damit der BJP Auftrieb verschaffte.10
Auch wenn die Resonanz auf die Kampagne zur Rettung von Ram Sethu bescheiden ausfiel, ist die Sangh Parivar mit ihren Unterorganisationen dennoch in der Lage, jeder Zeit Gruppen von Aktivisten oder/und Schlägern (»goondas«) zu mobilisieren, die auch vor gewalttätigen Angriffen nicht zurückschrecken. So geschehen beispielsweise im Fall von M.F. Husain, einem der bekanntesten Maler Indiens. Ihm wurde von fanatischen Nationalisten u.a. vorgeworfen, als moslemischer Künstler hätte er mit der obszönen Darstellung einer nackten Frau in Verbindung mit den Umrissen Indiens - gedeutet als Göttin Bharat Mata (Mutter Indien) - bewusst Hindus verletzt. Auch wenn antike Tempelskulpturen Göttinnen ebenfalls häufig nackt darstellen, wurde Husain dennoch mit Klagen überzogen; Galerien, die seine Werke ausstellen wollten, wurden bedroht und er selbst ins Exil getrieben. Im vergangenen Monat wies der Delhi High Court zwar alle Klagen gegen Husain als unbegründet ab, aber es bleibt dennoch die Frage, warum untergeordnete Gerichte die Verfahren überhaupt annahmen und es bleibt die Gefahr neuerlicher Attacken, die jeweils als spontane Ausbrüche eines vermeintlichen Volkszornes inszeniert werden.
Ambivalenz des Hindu-Nationalismus
Hindu-Nationalisten fokussieren dabei immer wieder auf eine vermeintliche Herabwürdigung von Hindus - das angebliche Sakrileg von Husain wird dabei als Teil eines andauernden Hindu-Moslem-Konfliktes verstanden - und verbinden dies mit der Besetzung öffentlicher Räume, einschließlich medialer Räume, als permanenter, eigener Machtdemonstration. Ein weiteres Beispiel dieser Taktik war der gewaltsame Protest der Studentenorganisation der Sangh (ABVP) im Februar dieses Jahres an der Delhi University, wo vor den Augen von Journalisten ein Professor angegriffen und sein Büro vandalisiert wurde, weil er in seinem Kurs einen Text verwendet hatte, der angeblich Hindu-Götter diffamiere. Auch Beteuerungen, dass es Ziel der Universitäten an sich sei, kritische Auseinandersetzungen mit Texten zu lehren, ließ man nicht gelten.11 Stattdessen versuchte man hier augenscheinlich, in einem seit längerem schwelenden ideologischen Streit um Lehre und Schulbücher, insbesondere für den Geschichtsunterricht, den eigenen Positionen bzw. der eigenen Konstruktion von Geschichte durch Einschüchterungen Nachdruck zu verleihen.
Schaut man rückblickend auf die Entwicklung des Hindu-Nationalismus nach dem Verlust der Regierungsmacht auf Unionsebene so zeigt sich ein geradezu institutionalisiert ambivalentes Bild mit häufig parallelen Akzentuierungen hin zu einer national-konservativen Partei und zu faschistoiden Tendenzen. Letztere sind nach dem Pogrom in Gujarat besonders mit dem Namen Modi verknüpft, dem viele eine stärkere Rolle in der Partei, über seinen Bundesstaat hinaus, zutrauen. Gleichzeitig setzt sich die BJP, wie auch der Congress, für die bereits mehrfach diskutierte und immer wieder verzögerte sogenannte »Women's Reservation Bill« ein, d.h. für Frauenquoten im Parlament und damit für ein Empowerment von Frauen. Andererseits wird eine Rückkehr zur alten Hindutva-Agenda offen diskutiert - mit den zentralen Themen Einführung eines Uniform Civil Code, einer einheitlichen Zivilgesetzgebung ohne gesonderte Regeln für Minderheiten, und Abschaffung des Artikels 370 der Verfassung, der den speziellen Status Kashmirs innerhalb der Indischen Union behandelt. Zudem wird die vermeintlich massive Infiltration von Flüchtlingen aus Bangladesh angeprangert und die Gefahr des Terrorismus beschworen, der nur mit der Wiedereinführung drakonischer Anti-Terrorgesetze (POTA) begegnet werden könne. POTA, von der letzten BJP Regierung eingeführt und vom Congress wieder außer Kraft gesetzt, war von den Gesetzesgegnern insbesondere wegen der kommunalistischen Ausrichtung bzw. der überproportionalen Anwendung gegenüber Moslems kritisiert worden. Unklar bleibt zudem die Position der BJP gegenüber dem Nuclear Deal mit den USA, der Indien den Zugang zu ziviler Nukleartechnik und konventionellen Waffensystemen der USA ermöglichen soll, aber gleichzeitig zumindest die zivilen Nuklearanlagen unter internationale Beobachtung stellt und den Teststopp für Atomwaffen verlängert. Lehnte die Partei den Deal 2006 noch ab oder verlangte eine Neuverhandlung, so mehren sich nun Stimmen der Befürworter, darunter die des ehemaligen Sicherheitsberaters von Vajpayee, Brajesh Mishra.
In Ayodhya regiert derweil der status quo und es ist gegenwärtig weder an einen Wiederaufbau der Moschee noch an eine Errichtung des von den Hindu-Nationalisten geplanten Ram-Tempels, der in Einzelteilen bereits existiert, zu denken. Die Diversität Indiens, die sprichwörtliche Einheit in der Vielfalt, hat eine weitergehende Umsetzung der homogenisierenden Hindu-nationalistischen Agenda bisher verhindert. Der Widerstand geht aber häufig weniger vom Congress als vielmehr von regionalen Kräften aus. So war die eher einen tamilischen bzw. dravidischen Nationalismus verfolgende Partei Dravida Munnettra Kazhagam (DMK) bzw. ihr Vorsitzender Karunanidhi, Allianzpartner des Congress aus Tamil Nadu, schärfster Kritiker der Ram-Sethu-Kampagne der BJP. Gleichzeitig gelang Mayawati, Parteichefin der Bahujan Samaj Party (BSP) in der Gangesebene, eine neue Art des »social engineering«, wie sie es nennt, indem sie eine politische Allianz zwischen Dalits bzw. untersten Kasten im weiteren Sinne und Brahmanen (traditionellen Priesterkasten) schuf und den Einfluss der BJP in Uttar Pradesh damit deutlich schwächen konnte. Neben vielen regionalen Erfolgen bildeten die Wahlen in Uttar Pradesh die vielleicht schmerzlichste Niederlage für die BJP nach dem Machtverlust. Nichtsdestotrotz hat auch Mayawati in der Vergangenheit gezeigt, dass sie die BJP unter Umständen durchaus unterstützen kann, wenn es ihr opportun und vorteilhaft erscheint - zumal im Falle einer, angesichts steigender Lebensmittel- und Brennstoffpreise bzw. der Inflation allgemein, möglichen Niederlage der gegenwärtigen, Congress-geführten Unionsregierung bei den nächsten Wahlen.
Anmerkungen
1) Savarkar in: van der Veen, P. (1994): Religious Nationalism. Hindus and Muslims in South Asia. Berkeley: University of California Press., S.1 (Übersetzung vom Verfasser; im Original heißt es: „a person, who regards this land of Bharat Varsha, from the Indus to the Seas, as his Father-Land as well as his Holy-Land that is the cradle of his religion“. »Bharat« wird im Hindi allgemein als Bezeichnung für Indien verwandt, »varsha« kann auch als »Kontinent« übersetzt werden.
2) The Hindu, 12/02/2003, http://www.thehindu.com/2003/02/12/stories/2003021204141100.htm (aufgerufen: 19/05/2008).
3) The Tribune, 10/09/2004, http://www.tribuneindia.com/2004/20040910/nation.htm#3, (aufgerufen: 19/05/2008).
4) National Convention Rajat Jayanti Nagar 28th - 30th December, 2005 RAJAT JAYANTI SANDESH, vgl. http://www.bjp25.org/newsdetails6.html, (aufgerufen: 19/05/2008).
5) Zusammen mit dem einzigen moslemischen Vize-Präsidenten der Partei, Mukhtar Abbas Naqvi, einem von insgesamt zwölf Vize-Präsidenten, wird sie als eine Art »moslemisches Aushängeschild« der BJP betrachtet.
6) Frontline, Vol. 22, Issue 13, 2005, http://www.hinduonnet.com/fline/fl2213/stories/20050701004511400.htm, (aufgerufen: 19/05/2008).
7) Times of India, 12/04/2004, http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/956204.cms, (aufgerufen: 19/05/2008).
8) Die administrative Kategorie OBC (Other Backward Classes) bezeichnet sozio-ökonomisch und vom Bildungsgrad her als rückständig klassifizierte Gruppen, die weder zu den sogenannten »Scheduled Castes« (Dalits bzw. »Unberührbare«) noch zu den »Scheduled Tribes« (Adivasis bzw. Stammesbevölkerung) gehören. In der gesellschaftlichen Realität handelt es sich vielfach um bäuerliche Kasten.
9) Siehe auch Skoda, U. (2006): BJP-Rath Yatra in Orissa, http://www.suedasien.info/nachrichten/471, (aufgerufen: 12/06/2008).
10) Frontline, Vol. 24, Issue 19, 2007, http://www.flonnet.com/fl2419/stories/20071005500500400.htm, (aufgerufen: 21/05/2008).
11) Tetzlaff, S. (2008): Hindu-Nationalismus, Historiographie und Haudrauf, siehe http://www.suedasien.info/nachrichten/2375, (aufgerufen: 22/05/2008).
Dr. Uwe Skoda arbeitet als Assistant Professor für South Asian Studies am Institute of History and Area Studies der Universität Århus, Dänemark.