Nach der Wehrpflicht
Herausforderungen der kirchlichen Friedensarbeit
Christian Griebenow
Die mit der Betreuung von Kriegsdienstverweigerern/innen bisher betrauten Organisationen machen sich im Zuge des Wegfalls der Wehrpflicht Gedanken, wie die Bedingungen für die Kriegsdienstverweigerung juristisch, politisch und sozial erhalten werden und wie Frauen und Männer auch in Zukunft eine freie Gewissenentscheidung zum Kriegsdienst treffen können. Sie wollen dafür sorgen, dass die Option der Kriegsdienstverweigerung auch weiterhin in der Gesellschaft und in den Kirchen präsent bleibt.
Mit der Aussetzung der Wehrpflicht stellt sich die Frage nach der zukünftigen Bedeutung und Wahrnehmung der Kriegsdienstverweigerung (KDV) in der Gesellschaft und in den Kirchen. Den Kriegsdienst zu verweigern muss eine individuelle Handlungsoption bleiben. Betroffen sind Personen, die beispielsweise als Soldat/innen durch konkrete Kriegserfahrungen oder Erlebnisse in kriegsähnlichen Situationen zu einer Veränderung ihrer individuellen Gewissensentscheidung kommen und den Kriegsdienst deshalb »nachträglich« verweigern wollen. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht wird es ab 2012 statt wie bisher etwa 100.000 KDV-Verfahren vermutlich nur noch einige hundert Vorgänge jährlich geben. Unklar ist auch, ob und wie junge Frauen und Männer ohne ein so genanntes Rechtsschutzbedürfnis einen KDV-Antrag stellen können, denn ein Rechtschutzbedürfnis besteht nur dann, wenn man mittels der Wehrpflicht zum Militärdienst gezwungen wird oder wenn man auf Grund einer Gewissensentscheidung als Zeit- oder Berufssoldat den Militärdienst verweigern möchte. Nach heutiger Sachlage kann man einen KDV-Antrag nur dann stellen, wenn eine Musterung bereits erfolgt ist.
Bislang war der Kriegsdienstverweigerung durch die Wehrpflicht und in Folge dessen durch den Zivildienst eine breite öffentliche Wahrnehmung sicher. Auch deswegen gibt es in Deutschland im internationalen Vergleich eines der transparentesten und zuverlässigsten Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer. Obwohl auch in diesem das Gewissen staatlich und formal geprüft wird und nicht allein die Berufung auf das Grundrecht für eine Anerkennung ausreicht, ist das Verfahren allgemein anerkannt und obliegt im Gegensatz zur Praxis in anderen Ländern einer zivilen Behörde. Der Vorgang ist eingespielt und für die Betroffenen kalkulierbar.
Aufgaben der kirchlichen Beratung unter veränderten Bedingungen
Der Rat der Evangelischen Kirchen Deutschland (EKD) erklärte am 7. Dezember 1951: „Alle Menschen, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern, müssen geschützt werden und dürfen des Schutzes und der Fürsprache der Kirche gewiss sein.“ Die kirchliche Verpflichtung, junge Menschen in ihren Gewissensentscheidungen zu begleiten, bleibt auch nach dem Wegfall der Wehrpflicht bestehen. Dabei können sich die Betroffenen nicht nur auf die in Artikel 4,3 GG geregelte Kriegsdienstverweigerung, sondern explizit auch auf die in Artikel 4,1 GG geregelte grundsätzliche Freiheit des Gewissens beziehen. Zu dieser Freiheit müssen Menschen bereits in jungem Alter, d.h. im Schulalter, befähigt werden. Dies ist auch eine Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure.
Zurzeit sind im gesamten Bundesgebiet einige hundert zumeist ehrenamtliche Beauftragte für Friedens- und KDV-Arbeit in den evangelischen Landes- und Freikirchen aktiv. Sie werden auch in Zukunft als Berater/innen in Fragen der KDV zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden sie die zentrale Aufgabe der Friedensbildung und die Friedens- und Versöhnungsarbeit insgesamt noch stärker in den Blick nehmen. Der Leitgedanke der evangelischen Friedensarbeit ist dabei das Friedenszeugnis Christi.
Unabhängig von der Aussetzung der Wehrpflicht wurde die Friedensarbeit in der EKD schon vor einiger Zeit neu strukturiert. Ausgangspunkt hierfür waren die Beratungs- und Entscheidungsprozesse im Zuge der Verabschiedung der Friedensdenkschrift der EKD im Jahr 2007. Die bestehende landes- und freikirchliche Friedens- und KDV-Arbeit, welche in der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) organisiert ist, wird seit 2009 durch die einmal im Jahr tagende Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD ergänzt, in der ein breiteres Spektrum der evangelischen Friedensarbeit vertreten ist. Mit dem Friedensbeauftragten des Rates, Renke Brahms, hat die Evangelische Kirche das Amt eines Sprechers geschaffen, der den kirchlichen Beitrag zu Fragen des Friedens und des Krieges nachhaltig in gesellschaftliche und politische Debatten einbringen kann und der auch innerkirchlich Gewicht hat. Die gemeinsame Geschäftsstelle der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und der EAK in Bonn unterstützt und begleitet die Arbeit des Friedensbeauftragten und organisiert und gestaltet die Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD.
Das bestehende Netz der aktiven Berater für KVD und der Friedensbeauftragten, zusammengeführt in der EAK, wird auch in den kommenden Jahren in der Beratung bei Gewissensentscheidungen und in der Friedensbildung aktiv sein. Die Strukturen in den einzelnen Landeskirchen sind allerdings sehr verschieden und so auch die Aktivitäten der jeweiligen Beauftragten und Berater. Ein Ziel für die Arbeit der EAK nach Aussetzung der Wehrpflicht ist es, die frei werdenden Kapazitäten dieser Beauftragten noch stärker in die Friedensbildung in der Schule und die Gewissensbildung einzubringen. Diesbezüglich sind die 16- bis 19-Jährigen die vorrangigen Adressaten der Arbeit der EAK, da Jugendliche nun nicht mehr automatisch mit der Gewissensfrage nach Krieg und Frieden konfrontiert werden. AGDF und EAK haben deshalb das Projekt »Friedensbildung, Bundeswehr & Schule« initiiert. Koordination und Projektleitung liegen bei der gemeinsamen Geschäftsstelle, d.h. hier sind die zentralen Funktionen wie Materialpool, Informationsstelle und bundesweite Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt. Neben einer Materialiensammlung wird auch die Dokumentation der wichtigsten politischen Entscheidungen im Themenbereich Friedensbildung, Bundeswehr und Schule geleistet. Ein Newsletter informiert über aktuelle, Entwicklungen, die über das kirchliche Umfeld hinausgehen. Für die Schulen dient Friedensbildung im Sinne dieses Projektes auch der notwendigen politischen Ausgewogenheit gegenüber dem Besuch von Jugendoffizieren und ausdrücklich auch als Alternative hierzu. Die Herausforderung wird einerseits darin bestehen, pädagogische Ansätze und Materialien zu entwickeln, die die Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung verdeutlichen, und andererseits, die praktischen Ansätze, wie z.B. die Friedensdienste, durch Personen erfahrbar und erlebbar machen.
Im Bereich der Friedensbildung muss verstärkt über die Möglichkeiten der Gewaltfreiheit und des konstruktiven, zivilen/gewaltfreien Umgangs mit gesellschaftlichen und internationalen Konflikten informiert werden. Angeregt wird dadurch auch die kritische Reflektion militärischer Einsätze in Konflikten und Krisen im Allgemeinen. Zugleich soll aber auch über die Probleme des freiwilligen Wehrdienstes und die Chancen von Friedens- und Freiwilligendiensten informiert werden. Der »Vorrang für Zivil« ist dabei als Alternative zum militärischen Handeln das Hauptaugenmerk der kirchlichen Friedensorganisationen.
Auch die »alte« KDV-Beratung bleibt eine Aufgabe
Die KDV-Verfahren von Berufssoldat/innen werden auch weiterhin von Berater/innen und Seelsorger/innen begleitet, und die Kontakte zu den entsprechenden Fachanwälten werden auch künftig durch sie vermittelt. Das schließt die Beratung in Fragen des freiwilligen Wehrdienstes und der zivilen Alternativen in den Freiwilligen- und Friedensdiensten ein.
Als Teil der evangelischen Friedensarbeit wird die EAK sich in die grundsätzlichen Debatten der Friedenspolitik, Friedensethik und Friedenstheologie einmischen und dem pazifistischen Denken in den Evangelischen Kirchen Raum und Stimme geben. Sie steht dabei auch in einem kritischen Austausch mit der Seelsorge in der Bundeswehr. Viele Seelsorger/innen der Soldatenseelsorge nutzen bei der Beratung auch die Angebote und die vielfältigen Kontakte zu den Mitgliedern der EAK, um den Soldat/innen mit Gewissensentscheidungen einen unabhängigen Beistand zu ermöglichen.
Wie sich die KDV-Beratung zukünftig gestalten wird, ist jedoch offen. Das wird wohl auch davon beeinflusst sein, wie sich das Thema Kriegsdienstverweigerung weiterhin in der Gesamtgesellschaft verankern lässt und somit als eine Gewissenentscheidung nicht nur vom Staat, sondern auch von den Bürgerinnen und Bürgern (innerhalb und außerhalb des Militärs) akzeptiert wird.
Christian Griebenow ist seit 2010 Geschäftsführer der EAK in Bonn.