W&F 1987/1

Neue Studie: USA: Pentagon invades Academia

Die Remilitarisierung der Forschung und Entwicklung

von Redaktion

Seit Beginn der 80er Jahre hat sich der Einfluß der Militärs auf Forschung und Entwicklung in den USA beträchtlich erhöht. Dramatisch beschleunigt wird dieser Prozeß durch SDI. Die Folgen: Wichtige Forschungsrichtungen, die der gesellschaftlichen Wohlfahrt dienen, werden sträflich vernachlässigt; die Geheimhaltung im Wissenschaftsbetrieb schreitet voran und eine Moral der Käuflichkeit der Wissenschaftler droht. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Federation of American Scientists.

Die wichtigsten Daten der Analyse: Die staatlichen Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung (milFE) stiegen von 20,3 Mrd. im Finanzjahr 1981 auf 30,4 Mrd. $ im Finanzjahr 1985. Gleichzeitig fielen die nicht-militärischen Aufwendungen von 20,6 Mrd. auf 16,9 Mrd. $.

Das Wachstum der milFE wird begleitet von einer starken Zunahme der Forschungsfinanzierung an den Universitäten durch das Pentagon. Im Jahre 1975 war das Department of Defense mit 8,4 % an der Forschungsförderung der Colleges und Universitäten beteiligt. 1986 hatte sich dieser Anteil bereits auf 16,7 % verdoppelt.

In den 50er und 60er Jahren kam der Großteil der Mittel für FE aus dem Staatshaushalt; den Löwenanteil hiervon wiederum bestritt das Pentagon. Diese aus der Kriegs- und Nachkriegsperiode herrührende Struktur veränderte sich seit der zweiten Hälfte der 60er wesentlich. Die nichtstaatlichen (non-Federal) Mittel stiegen anteilsmäßig stetig und überflügelten 1980 erstmals die staatlichen Aufwendungen. Dabei handelt es sich v.a. um die Ausgaben der großen Firmen, aber auch um kommunale und universitäre Förderungsleistungen. Angenommen, daß die Beträge aus nichtstaatlichen Quellen nicht für militärische Zwecke verwendet würden, ergäbe sich für den Anteil der mil. FE in den USA folgende Konklusion (in %):

1960 54 %
1970 40 %
1980 27 %
1985 30 %

Es muß jedoch davon ausgegangen werden, daß Teile der Industrie-FE auf militärische Projekte ausgerichtet sind. Experten gehen von einer Quote zwischen 15 und 25 % aus. Dann müßte mit einem geschätzten Anteil von 34 bzw. 43 % militärisch orientierter Forschung an den gesamten FE-Aufwendungen in den Jahren 1980 und 1985 gerechnet werden.

Die Autoren der Studie kritisierten besonders die mit SDI eingeleitete Entwicklung. Den Finanzplan 1987-1991 zugrunde gelegt, würden am Beginn des nächsten Jahrzehnts 16 % der Pentagonmittel für Forschung, Entwicklung und Tests in das SDI-Projekt fließen. Noch signifikanter: der kumulierte Zuwachs im vorgesehenen SDIO-Budget mache etwa 45 % des gesamten kumulierten Zuwachses aus!

Verzerrung von Forschungsprioritäten

Die amerikanischen Wissenschaftler weisen auf die kanalisierende Wirkung (channeling effect) der Remilitarisierung hin; die Umverteilung der Mittel erfolge zu Lasten nützlicher Forschung. Während zwischen 1980 und 1986 der Anteil der Pentagonförderung für die Universitäten um 58 % gestiegen sei (in konstanten Preisen), konnte die National Science Foundation ihren Beitrag nur um 14 % steigern, derjenige des Department of Energy sei um 12 % gefallen. Die Gesundheitsforschung müsse mit sehr bescheidenen Zuwachsraten rechnen, vorgesehene Programme – z.B. zur AIDS-Bekämpfung – seien gekürzt worden. Ein anderes Beispiel für die fehlgeleiteten Forschungsressourcen stelle die Energieforschung dar. In der Periode 1979-1981 flossen 75 % der Ausgaben des Department of Energy in zivile Forschung; 25 % wurde für „atomic energy defense“ aufgebracht. 1987 würde der Anteil der milFE am DoE-Etat erstmals den der zivilen FE übersteigen!

Langfristig angelegte Projekte der Kernfusionsforschung seien auf Eis gelegt worden (z.B. im Lawrence Livermore Lab) zugunsten der Arbeit an schnell gepulsten Fusionsreaktoren, die den SDI-Satellitenkampfstationen als Energiequelle dienen sollen.

Die Studie prophezeit, daß sich die Nation in den 90er Jahren – wenn die Ölquellen langsam versiegen – wundern wird, was aus der Erforschung alternativer Energiequellen geworden ist…

Gegenüber dem Einwand, der militärische Anteil der Forschungsförderung habe in den 50er und 60er Jahren noch wesentlich höher gelegen, machen die Wissenschaftler auf die gesteigerte Anwendungsorientierung der Pentagon-Forschung aufmerksam. Die damalige Unterstützung habe sich stärker auf breite Förderung der Grundlagenforschung bezogen – z.B. im Bereich der Laser und Computertechnologien. Sie sei erfolgt in der unspezifischen Erwartung der Militärs auf militärische Nutzanwendung. Die Ergebnisse der Forschung seien in den 70ern zunehmend zivil-industriell umgesetzt worden: das Pentagon zog sich als Hauptförderer zurück. Nunmehr versuchten die militärischen Interessenten, aufbauend auf den Fortschritten der zivil ausgerichteten Forschung, nach speziellen militärischen Anwendungen nachzufragen. Natürlich liege der Anteil der „Entwicklung“ gegenüber der „Grundlagenforschung“ beim DoD traditionell hoch, aber 1985 einiges mehr als noch 1965 (s. Tab.).

Character of Federal R&D supported by the DoD & other Agencies
Proportion of all conduct of R&D in
Basic Research Applied Research Development
FY65 FY85 FY65 FY85 FY65 FY85
Departement of Defense 3,9 % 2,7 % 21,9 % 7,2 % 74,2 % 90,1 %
All other Agencies 15 % 37,6 % 16,8 % 31,8 % 68 % 30,6 %

Die zivil nutzbringende Anwendung der milFE werde allein schon durch den immer breiter werdenden Sektor der Geheimhaltung blockiert. Die Forschungspolitik der Reagan-Administration sei – so das Resümee der Federation of American Scientists – nicht geeignet, die Zukunftsprobleme der amerikanischen Gesellschaft zu lösen; sie stelle einen Mißbrauch der wissenschaftlichen, technologischen und ökonomischen Ressourcen dar.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/1 1987-1, Seite